Kommunalwahlen in München: gibt es eine Repräsentation des migrantischen Münchens?
Im März wählen die Münchner*innen ihren neuen Stadtrat. Der Rechtsruck der vergangenen Jahre setzt sich fort - bis in die Linkspartei. Mit ZuBa will nun eine internationale Wahlgruppe ins Kommunalparlament einziehen.
München ist bunt? Ja, wenn es darum geht zu pflegen, zu reinigen, zu bauen und zu bedienen. Da ist München sehr bunt. In den prekarisierten Jobs, in den körperlich harten Jobs, dort, wo wirklich angepackt werden muss, da ist München bunt. München wird aber zunehmend weniger bunt, ja fast schon ausschließlich weiß, wo es um Schichtleitung, Management und Entscheidungen geht. Und wenn es um politische Macht geht. Da wird der Buntstift geschreddert und der Tipex gezückt.
Die Bevölkerung Münchens betrug 2018 laut Statistik 1.542.211 Menschen. Davon 433.292, die in der Statistik als Ausländer*innen geführt werden und 247.444 die als Menschen mit Migrationshintergrund gezählt werden. Das macht über 44% der Gesamtbevölkerung aus und dabei ist nicht klar, wer als Migrant*in in die Statistik eingeht. Das Statistische Amt der Stadt München formuliert es folgendermaßen: „1 108 919 Münchnerinnen und Münchner waren deutsche Staatsbürger, 247 444 Deutsche besaßen – sofern statistisch ableitbar – einen Migrationshintergrund.” Das heißt, dass wohl weit mehr Menschen mit Migrationshintergrund in München leben, als statistisch erfasst. Das macht die Repräsentationsfrage umso aktueller.
Das spiegelt sich im Münchner Stadtrat aber keinesfalls wieder. Schon bei der letzten Kommunalwahl fand man kaum migrantische Kandidat*innen auf aussichtsreichen Listenplätzen. Die Ausnahme bildeten die Linkspartei, die Cetin Oraner als ihren Spitzenkandidaten ins Rennen schickte, die SPD, die Cumali Naz auf ihre Liste setzte und die Grünen, die Gülseren Demirel in den Stadtrat schickten. Gülserem sitzt mittlerweile im bayerischen Landtag, sowohl für Naz als auch für Oraner könnte die Mandatszeit im Stadtrat dieses Jahr enden. Naz ist auf Platz 15 aufgestellt worden und könnte, falls die SPD auch in München ihren Abwärtstrend fortsetzt, aus dem Stadtrat fliegen. Oraner hingegen wurde von der Linkspartei komplett gestrichen. Auch der Rest der Liste der Linkspartei, zumindest was die aussichtsreichen Plätze angeht, kommt ohne migrantische Kandidat*innen aus. Durchforstet man die Listen der anderen Parteien, ergibt sich ein ähnliches Bild. Nicht-Deutsche Migrant*innen sind, zumindest dem Namen nach, bei der FDP in den Top Ten gar nicht, bei der Rosa Liste auf Platz 11, bei den Grünen auf Platz 18 und bei der CSU erst auf dem 32. Platz zu finden. Das ist ein Problem. Besonders in einer Gesellschaft, in der schon oft der Name ausreicht, um diskriminiert zu werde. Was das für die mögliche Partizipation und Interessenvertretung des migrantischen Münchens bedeutet, kann sich jede*r selbst ausrechnen.
Organisationen wie die Linkspartei und die SPD nehmen an Demonstrationen gegen Integrations- und Polizeiaufgabengesetze teil. Warum, stellt sich da jetzt die Frage? Denn genau der migrantische Teil Münchens ist überproportional von derlei Gesetzen betroffen. Würden die Parteileitungen ihre eigenen Ansprüche Ernst nehmen, ließe sich das in den Wahllisten erkennen. Offenbar will man das migrantische München aber nur als Stimmvieh, nicht als gleichberechtigte Partner*innen im Kampf für soziale Gerechtigkeit. Integration bedeutet hier, genauso wie bei der CSU: Unterordnung unter die hiesigen Bedingungen. Die etablierten Parteien sind außerstande, auf den Rechtsruck eine Antwort zu formulieren.
ZuBa – eine Initiative, die Repräsentation herzustellen?
Eine nicht hinnehmbare Situation, die Cetin Oraner und viele andere Unterstützer*innen dazu bewegt hat, für die Kommunalwahl eine internationale Liste aufzustellen: Zusammen Bayern oder kurz – ZuBa. In einer Stellungnahme zur Gründung der neuen Wahlgruppe meint Oraner: „Menschen aus anderen Kulturen sind von den virulenten Problemen dieser Stadt – wie etwa Armut und Obdachlosigkeit, dem Mietenwahnsinn, dem Pflegenotstand oder der Bildungsmisere häufig stärker betroffen – im derzeitigen Stadtrat jedoch nur mit 7% der Mandate repräsentiert.“ ZuBa tritt an, dieses Missverhältnis aufzuheben.
Um zu den Wahlen zugelassen zu werden, braucht ZuBa jedoch zunächst 1000 Unterschriften, die bis zum 3. Februar 2020 gesammelt werden dürfen. Insgesamt wollen 33 Münchner*innen für ZuBa kandidieren, sie stammen aus Ländern wie Kamerun, Afghanistan, der Türkei, Frankreich oder dem Irak. „Wir wollen am kommunalen Geschehen angemessen teilhaben, unsere spezifischen Interessen im Stadtrat selbst vertreten und über die Zukunft unseres Gemeinwesens mitentscheiden“, ergänzt Neslihan Karagöl, die zweitplatzierte Spitzenkandidatin auf der internationalen Liste.
ZuBa möchte also auf der Ebene der Münchner Kommunalpolitik den Forderungen der migrantischen Studierenden und Arbeiter*innen eine Stimme im Stadtrat zu geben: höhere Löhne, kommunaler Wohnungsbau und kostenloser ÖPNV sind im Wahlprogramm schon enthalten. Forderungen, die von einer breiten Masse in München mitgetragen werden würden.
Solidarität und Kritik
Vor 60 Jahren begann Deutschland die massive Anwerbung von Arbeiter*innen aus der ganzen Welt. So wurde der Mythos des Wirtschaftsstandortes Bayern erst möglich. München hat besonders davon profitiert. Dass die politische Landschaft heute immer noch so inzestuös weiß ist, ist mit ein Grund für die Spießigkeit der Stadt. Und deren langsamen Zerfall. Mehrere Generationen nicht-Deutscher Arbeiter*innen haben die Grundpfeiler der bayerischen und insbesondere der Münchner Wirtschaft errichtet. Sei es bei BMW, in den öffentlichen Betrieben oder in den Krankenhäusern. Mit Stellvertreter*innenpolitik, die sämtliche Stadtratsparteien anstreben, wird die Spaltung in den Betrieben und im öffentlichen Leben nur noch größer. Denn dort, wo überproportional viele Migrant*innen arbeiten oder ein Interesse am Erhalt öffentlicher Einrichtungen haben, wird gespart, sind die Arbeitsbedingungen in hohem Maße belastend. Natürlich sind in allererster Linie die kapitalistischen Produktionsbedingungen und das Profitstreben dafür verantwortlich zu machen. Auch ein bunter Kapitalismus wird die öffentlichen Infrastrukturen privatisieren, sie den Bedingungen der Rentabilität unterwerfen, nicht der Bedürfnisse. Auch die rassistische Spaltung wird in einem bunteren Kapitalismus auf Grundlage ökonomischer Gesichtspunkte aufrecht erhalten. Wir sehen das beispielsweise an der US-amerikanischen Gesellschaft.
Die derzeitige anzunehmende Zusammensetzung des neuen Münchner Stadtrats ist dennoch ein Skandal. So wird den rassistisch Unterdrückten jegliche demokratische Beteiligung erschwert, wenn nicht sogar verhindert. Das Fehlen einer migrantischen Basis in den beiden bürgerlichen Arbeiterparteien, Linkspartei und SPD, ist als absolutes Versagen zu bezeichnen. So wird der Rassismus in den Betrieben totgeschwiegen und findet im politischen Diskurs keine Stimme. Im Gegenteil, er wird nun durch die Wahllisten übertüncht, wenn nicht sogar ausgelöscht.
Die Gründung von ZuBa ist daher vollkommen nachvollziehbar und in diesem Sinne unterstützenswert. Die neue Wahlgruppe spielt in München schon jetzt eine fortschrittliche Rolle, indem sie die fehlende migrantische Repräsentation in den etablierten Parteien sichtbar macht und damit offen den Rassismus in dieser Stadt anprangert. Mit ihrem Programm fordern sie die Linkspartei und die SPD heraus. Wollen diese beiden Parteien tatsächlich eine Stimme der migrantischen Arbeiter*innen sein, so ist es ihre Verantwortung die Forderungen von ZuBa Ernst zu nehmen und in ihr Programm ein zu arbeiten, um damit die Gewerkschaftsführung und die Regierung unter Druck zu setzen. Die Politik für unsere migrantischen Kolleg*innen wird nicht in Brüssel gemacht, sondern in Giesing und Sendling, im Hasenbergl und in Milbertshofen.
Eine wichtige Frage bleibt derzeit aber noch unbeantwortet. Auf welcher Grundlage will ZuBa Politik machen? Denn allein auf elektoraler Ebene wird der Rassismus nicht zu bekämpfen sein. Das ist keine neue Weisheit. Die Situation des Stadtrates Cetin Oraner ist ein Beispiel dafür, dass politische Arbeit im Parlament und auf der Straße, ohne ein Basis in den Betrieben und an den Universitäten, dazu führt, dass migrantische Repräsentation marginalisiert wird und somit die Forderungen des migrantischen Münchens nicht durch zu setzen sind. Es braucht einen Plan, einen Ort für eine unabhängige Organisierung und eine Antwort auf die Frage, wie sich Jugendliche, Frauen und Arbeiter*innen die Forderungen von ZuBa zu eigen machen können. Auch wenn ein rein reformistisches Programm nicht ausreichen wird, um die Forderungen letztendlich durchzusetzen, weil es unweigerlich an Grenzen im kapitalistischen Staat und der Bürokratie stoßen wird, schlagen wir auf der Grundlage des derzeitig bestehenden ZuBa-Programmes Ergänzungen vor.
Vorschläge und Perspektive
Am 15. März 2020 werden Zehntausende in München und Hunderttausende in ganz Bayern nicht wählen dürfen. Solange dieses Grundrecht einem bedeutenden Teil der hier lebenden Menschen untersagt bleibt, können wir nicht von demokratischen Wahlen reden. Das aktive und passive Wahlrecht muss für alle gelten, die hier leben.
In den Gewerkschaften gibt es keine fortgeschrittene Organisierung von Migrant*innen. In diesem Sinne wäre es wichtig, die Initiative, 1000 Unterschriften zur Wahlzulassung zu sammeln, in die Gewerkschaften und in die Betriebe zu tragen. Zum Beispiel am 30. Januar bei der Podiumsveranstaltung zur städtischen Gesundheitspolitik im Münchner DGB-Haus. Denn genau im Gesundheitssektor wird mehr und mehr auf Outsourcing gesetzt. Davon sind besonders migrantische Arbeiter*innen betroffen. Das Outsourcing an städtischen Kliniken muss unterbunden und rückgängig gemacht werden.
Das System der Ankerzentren ist abscheulich. Nach der Todesstrafe ist Abschiebung die schärfste Form der Repression, manchmal bedeuten Abschiebung und Todesstrafe das selbe. Die Ankerzentren müssen sofort geschlossen werden. Gleichzeitig müssen Polizeigewalt und -willkür entschlossen kritisiert und abgelehnt werden. ZuBa sollte für eine Rücknahme des Integrationsgesetzes und des Polizeiaufgabengesetzes eintreten sowie unabhängige Untersuchungen zu faschistischen Netzwerken in Polizeistrukturen fordern. Das Programm sollte dabei auch um das Recht auf selbstbestimmtes Wohnen, das Recht auf Aufenthalt und Arbeit für Asylbewerber*innen ergänzt werden.
1000 Stimmen bis zum 03. Februar
Unter demokratischen Gesichtspunkten ist das Anliegen der Wahlgruppe ZuBa auf Zulassung zu den Wahlen eine unterstützenswerte Initiative. Münchner*innen, die Inhaber*innen eines europäischen Passes sind, können sich noch bis zum 03. Februar 2020 bei den zuständigen Stellen eintragen. Die Linkspartei und die SPD sollten ihre Wahllisten und ihr Programm sowohl überdenken als auch den Forderungen von ZuBa entsprechend ändern.
Gleichzeitig gilt es daran zu erinnern, dass die durch ZuBa aufgeworfenen Fragen nicht innerhalb der Schranken des kapitalistischen Regimes zu beantworten sind. Es braucht eine Demokratisierung der Betrieben auf Grundlage einer Arbeiter*innenselbstverwaltung und die Organisierung des politischen Streiks gegen die Ausbeutung und Unterdrückung. Der Aufbau einer Partei für genau diesen Zweck ist die oberste Priorität im Kampf gegen das kapitalistische Regime.