Kommt jetzt der Erzwingungsstreik der Erzieher:innen?

09.09.2024, Lesezeit 7 Min.
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TVL Streik: Bild KGK

Am 12. September streiken Berlins Erzieher:innen wieder für einen Tarifvertrag Entlastung. Unterstützt sie in ihrem Kampf bei der Kundgebung vor dem Abgeordnetenhaus um 9 Uhr.

Bereits seit einigen Monaten streiken die Erzieher:innen in den Berliner Kitaeigenbetrieben. Bisher gab es immer wieder einzelne Streiktage und sogar eine ganze Streikwoche. Doch die Berliner Regierung zeigt sich weiterhin nicht bereit, die wichtigen Forderungen umzusetzen, stattdessen begegnete etwa Falko Liecke, Staatssekretär für Jugend und Familie (CDU) den Streikenden mit Diffamierungen. 

Wofür die Erzieher:innen genau kämpfen, lässt sich in der Pressemitteilung der GEW Berlin nachlesen, dort heißt es: „Die Gewerkschaften ver.di und GEW kämpfen in diesem Tarifvorhaben gemeinsam für eine Mindestpersonalausstattung (Fachkraft-Kind-Relation). Im Tarifvertrag soll geregelt werden, für wie viele Kinder eine pädagogische Fachkraft in der Bildung, Erziehung und Betreuung zuständig ist. In der Altersspanne von eins bis drei sollen dies maximal drei Kinder sein. Sieben Wochenstunden sollen für die mittelbare pädagogische Arbeit, also die Vor- und Nachbereitung und Elterngespräche berücksichtigt werden. Ebenfalls sollen real existierende Ausfallzeiten wie 25 Krankheitstage, Urlaub und sieben Tage Fortbildung pro Jahr in die Berechnung eingehen.” 

Der jetzige Streik steht im Kontext der Urabstimmung, die die Gewerkschaften GEW und Ver.di durchführen, über die weitere Führung des Streiks. Für die Streikenden ist es dort möglich, über die Option des Erzwingungsstreiks abzustimmen. Das würde bedeuten, dass so lange gestreikt wird, bis der Senat die Forderungen erfüllt. Ob es dazu kommt, ist noch nicht abzusehen, bisher zeigten sich die Kolleg:innen aber total kämpferisch, trotz immer wiederkehrender Diffamierung durch Medien und Politik.  

Katastrophaler Zustand im Pädagogischen Bereich in Berlin

Durchschnittlich fehlen pro Kita-Einrichtung mehr als zwei Fachkräfte. Kombiniert mit der hohen Anzahl an Krankheitstagen ist es mehr als verständlich, dass viele Kolleg:innen an ihr Limit kommen. Das drückt sich auch in den Schulen aus, in einem Hintergrundpapier der Gewerkschaft GEW, kritisiert diese die desolaten Zustände an Berliner Schulen, untermauert dies mit vielen Statistiken und stellt dem progressive Forderungen entgegen. Sie fordert etwa die Rücknahme der Kürzungen und die Gleichstellung und Unterstützung internationaler Lehrkräfte, um nur zwei Beispiele zu nennen. Genauso muss auch der Kita-Streik mit politischen Forderungen verbunden werden, denn die aktuelle Situation macht es notwendig, betriebliche Probleme in einem größeren politischen Kontext zu denken und zu bekämpfen. 

Weitere Kürzungen drohen 

Bundesweit werden gerade zahllose Debatten geführt, wo gekürzt wird. Ob bei Leistungen für Geflüchtete, beim Bürgergeld oder dem Bildungs -und Gesundheitssystem. Die Kürzungen dienen dazu Deutschland “kriegstüchtig” zu machen und in der ökonomischen Krisensituation die Folgen insbesondere auf Arbeiter:innen, Jugendliche und Migrant:innen abzuwälzen. Auch in Berlin kündigen sich neue Kürzungen an, so berichten Medien darüber, dass im kommenden Haushalt 3-4 Milliarden Euro weniger zur Verfügung stehen werden und an zahllosen Stellen heftig gekürzt werden soll. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner verkündete gegenüber dem Tagesspiegel, dass man dies „zu spüren bekommen werde”. 

Das zeigt uns die Wichtigkeit des Streiks der Erzieher:innen, denn sie demonstrieren die Alternative zu dieser Politik: Statt 100 Milliarden für die Bundeswehr braucht es Milliarden Investitionen in Bildung und Gesundheit. Statt Erhöhungen des Rentenalters oder Abstriche beim Bürgergeld braucht es massive Besteuerung von Reichtum. Der rassistischen Hetze an migrantischen und muslimischen Kolleg:innen und Kindern müssen wir mit Solidarität begegnen, Rassismus spaltet; Streik vereint! 

Was hat der Kitastreik mit dem Kampf gegen den Rechtsruck zu tun? 

Im kürzlich erschienenem Artikel „Antifaschismus in die Betriebe: So schlagen wir die Rechte”, schreiben wir: „Ein Antifaschismus von unten heißt, einen betrieblich verankerten Antifaschismus zu etablieren und mit den Mitteln der Arbeiter:innenklasse zu kämpfen, das bedeutet mit großflächigen Streiks und Blockaden.” Den Gewerkschaften kommt eine Schlüsselrolle im Kampf gegen den Rechtsruck zu, über ihre Verankerungen in den Betrieben können sie Millionen Menschen erreichen und organisieren.

Sie haben das Potential, durch die wichtige Stellung der Arbeiter:innen besonders viel Druck zu erzeugen. Im Falle von AfD Regierungsbeteiligungen könnten und müssten sie Streiks organisieren, um diese zu verhindern. Im Streik muss auch über die aktuelle politische Situation im Kontext des Rechtsrucks diskutiert werden und was wir in Kitas dagegen tun können. Der Streik demonstriert auch bereits jetzt schon mehr oder weniger direkt das Potential, welches einem Antifaschismus der Arbeiter:innen zukommt. Ein Grund für den Aufstieg der AfD ist auch die soziale Krise, doch ihre Hetze bietet darauf keine Antwort, genau wie die Regierung, die diese Krise hervorgebracht hat. Der Streik hingegen ist eine der Antworten, die wir brauchen. 

Erzwingungsstreik statt Ausbeutung, Rechtsruck und Kürzungen 

In einem Artikel im Juni haben wir bereits die Perspektive des Erzwingungsstreiks betont. Aufgrund der drohenden Kürzungen und der sich zuspitzenden Situation ist dies umso aktueller. Schließlich stehen die Gesundheit tausender Kolleg:innen, sowie die Bildung von noch viel mehr Kindern auf dem Spiel.  

Der Berliner Senat stellt sich weiterhin quer und schiebt rechtliche Gründe vor. Es kommt jetzt darauf an, den Druck zu erhöhen und durchsetzungsfähig zu werden. Dafür braucht es Versammlungen in den Betrieben, um über die Perspektiven des Streik, die mediale Hetze, besorgte Eltern usw. zu diskutieren. 

Die Urabstimmung ist ein erster richtiger Schritt in Richtung Streikdemokratie, doch sollte auch die Planung und Durchführung, demokratisch und transparent von den Streikenden selbst bestimmt werden, etwa indem große Streik und kleine Betriebsversammlungen organisiert werden, in denen offen diskutiert wird und Tarifkomissionsmitglieder und Arbeitskampfleitungen mit imperativen Mandaten ausgestattet werden. Im Laufe des Streiks entschied Ver.di etwa, als Reaktion auf den medialen Druck, dass Streiks für einen gewissen Zeitraum nicht zu Kitaschließungen führen sollten. Eben solche Entscheidungen, die den Streik mitunter schwächen können, sollten von den Kolleg:innen selbst diskutiert und getroffen werden. 

Weiterhin ist es für die Stärkung des Streiks wichtig, dass auch die Erzieher:innen in Schulen und von freien Trägern mitstreiken können, wofür GEW und Ver.di sich einsetzen müssen, sowie dass gemeinsame Streiktage mit dem TVG-Streik der Lehrer:innen organisiert werden. Wenn alle gemeinsam streiken, könnten wir den größten Druck erzeugen und die Motivation der Kolleg:innen würde sich noch weiter steigern, wenn sie mit Tausenden mehr auf der Straße wären. 

Der Streik der Erzieher:innen ist schon jetzt einer der spannendsten Arbeitskämpfe der letzten Jahre. Mit beeindruckendem Mut und berichtigter Wut kämpfen die Kolleg:innen entschlossen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Ihr Streik ist aber noch viel mehr als das, er ist ein Vorbild, wie wir der Kürzungspolitik der Regierung den Kampf ansagen können und er hat das Potential eine politische Alternative gegen den Rechtsruck zu demonstrieren. Die Kolleg:innen spüren schließlich genau, dass nicht Geflüchtete das Problem sind, sondern die Politik der Regierung. Damit der Streik erfolgreich wird, braucht es ab sofort noch mehr Solidarität, von gewerkschaftlichen Gruppen, aber auch von politischen Kampagnen und Organisationen, die den Kolleg:innen den Rücken stärken und Erfahrungen teilen. Erzwingungsstreik und Protest bis zum Tarifvertrag!

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