Kolumbien: Studierende streiken gegen die Regierung

12.10.2018, Lesezeit 5 Min.
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Am Mittwoch, den 10.10.2018 waren in ganz Kolumbien Hundertausende auf der Straße. Sie forderten das Recht auf Bildung, die durch die Sparpolitik der rechtskonservativen Regierung Iván Duques zu einem Privileg noch Wenigerer zu werden droht. Der von Studierenden öffentlicher und privater Universitäten organisierte Protest genoss die breite Solidarität von Professor*innen, Verwaltungsmitarbeiter*innen, Indigenen- und Bäuer*innen-Selbstorganisationen, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, Schüler*innen und vielen anderen Gruppen und Einzelpersonen.

Worum geht es?

Der Haushaltsplan der Regierung des neuen Präsidenten sieht vor, in den Bereichen Wissenschaft und Kultur weiter zu kürzen, während z.B. dem Verteidigungsministerium mehr Mittel als im Vorjahr zugeteilt werden sollen – obwohl der Staat den Universitäten schon ca. 51 Millionen Euro schuldet. Diese Summe ergibt sich aus der Differenz zwischen dem von den Universitäten gemeldeten Bedarf und den letztendlich bewilligten Mitteln der letzten 26 Jahre. Infolge der riesigen Finanzierungslücke müssen die Universitäten sich selbst erhalten. Bislang tun sie dies nur teilweise auf dem Rücken der Studierenden, die sie nicht für die Finanzierung von Bildung verantwortlich machen wollen. Doch stehen viele Universitäten nun so kurz vor dem Bankrott, dass sie bald zu diesem Mittel greifen müssten.

Auch die vorherigen Regierungen haben sich dem Abbau der Zugangsmöglichkeiten zu Bildung verschrieben, weshalb sich die Krise der Universitäten seit 1992 stetig verschärft. Durch die Einsparungen wurde Bildung quasi zum zu versteigernden Gut, das sich nunmal nur die Bestbietenden leisten können. Denn an Gegenfinanzierung fehlt es inzwischen einfach überall. Es gibt Universitäten, die kein Dach haben. Infrastrukturelle Missstände wie diese wirken sich aber nicht nur auf die Qualität der Lehr- und Lernbedingungen jener, die schon an der Uni sind, sondern eben auch auf die Möglichkeiten aller, die es gern wären, aus. Die Universitäten mussten die Anzahl der zuzulassenden Studierenden Jahr für Jahr weiter begrenzen. Für die Bewerber*innen heißt das:
wer keinen der wenigen Plätze an einer öffentlichen Universität bekommt, sieht sich gezwungen, Geld für eine private aufzutreiben. Da die dortigen Immatrikulationsgebühren aber etwa einem 20-fachen Gehalt entsprechen, müssten viele Studierende Kredite aufnehmen, die wiederum hoch verzinst würden. Nicht ohne Grund sanken die Studierendenzahlen in den letzten Jahren.

Was ist passiert?

Die Antwort der Studierenden auf Duques Kürzungspläne ließ nicht lange auf sich warten: im September beschlossen verschiedene Gruppen der kolumbianischen Studierendenbewegung, dass sie diese Politik keine weiteren 26 Jahre hinnehmen werden. Schon vorher hatten sie begonnen, sich gemeinsam mit noch nicht organisierten Studierenden in einem Gremium zu formieren: der Unión Nacional de Estudiantes de Educación Superior (Nationale Vereinigung Studierender Höherer Bildung, UNEES). Die UNEES wollte von Anfang an Studierende verschiedener edukativer Einrichtungen zusammenbringen. An ihrer zweiten überregionalen Vollversammlung nahmen ca. 2800 Studierende teil. Neben Diskussionen über ihr Programm und über Analysen der krisenhaften Situation der Universitäten kam es dort zu der Entscheidung, sich gegen den neoliberalen Angriff auf das Recht auf Bildung zu wehren. Spätestens mit ihrem Forderungspapier stand fest: die Regierenden werden nicht mehr lange widerstandslos das Bildungssystem mit ihren Privatisierungsinteressen in Einklang bringen können. Nachdem Präsident Iván Duque und Bildungsministerin María Victoria Angulo den studentischen Vertreter*innen keinen Millimeter entgegenkamen, entschieden diese, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Und so mobilisierte die UNEES, zu der sich inzwischen Studierende von mehr als 50 über das ganze Land verteilten Universitäten und Hochschulen zählen, für die Marcha Por La Educación (Marsch für die Bildung). Eigenen Angaben zufolge brachten ihre Forderungen ca. 450.000 Menschen auf die Straße. Inmitten der Proteste ließ Duque verkünden, sich zu bemühen, in Zukunft für eine an den Bedürfnissen der Studierenden orientierte Bildung einzustehen. Doch mit solch leeren Versprechungen geben diese sich nicht mehr zufrieden.

Was wird noch passieren?

Die Demonstrationen sind erst der Anfang: die UNEES hat bereits angekündigt, vom 11. bis zum 21. Oktober – und wenn nötig länger – zu streiken. So wollen sie nicht nur eine Aufstockung des Bildungsetats erwirken, sondern auch dem Versuch, kritische Lehre weiter einzudämmen, eine alternative Praxis entgegensetzen. Der durch die UNEES angestoßene Demokratisierungsprozess stellt den sukzessiven Aufbau eines ganz neuen Bildungssystems dar, das auf die Selbst- statt die gelegentliche Mitbestimmung der Massen vertraut. Doch müsste die UNEES auch für die Umwälzung der Universitäten in Institutionen, die sich kostenloser, qualitativ hochwertiger und kritischer Bildung verpflichten, mehr Mittel zur Verfügung haben.

Was sollte noch passieren?

Die Unterstützung ihres Vorhabens seitens verschiedener anderer Gruppen ist ein erster Schritt in die Richtung eines gemeinsamen Kampfes gegen Duques Regierung. Diese Vereinigung wird in Zukunft immer wichtiger werden. Schon bei seiner Amtseinführung im August ließ Duque durchscheinen, dass er sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt der Umsetzung seiner antidemokratischen Pläne widmen würde.
Es ist schon fest damit zu rechnen, dass es nach den Studierenden die Arbeiter*innen treffen wird. Denn Duque vertritt in erster Linie die Interessen von Unternehmer*innen. Das äußert sich nicht nur in den geplanten Reformen zu ihren Gunsten (wie z.B. die Gesundheits- und Wasserprivatisierung), sondern eben auch in jenen, die die Ausbeutung der Arbeiter*innen weiter intensivieren werden: dem Heruntersetzen des Existenzminimums, dem Erhöhen von Steuern, dem Kürzen der Renten und der Intensivierung von Repressionen für alle Formen von Protest.
Auch gegen diese Entwicklungen sollte die UNEES versuchen, die Menschen hinter den acht Millionen Wähler*innenstimmen für die Opposition zu mobilisieren. Für die Verteidigung ihrer Rechte wird der Zusammenschluss von Arbeiter*innen und marginalisierten Gruppen unabdingbar sein. Die kolumbianische Studierendenbewegung hat das Potential, uns zu zeigen, wie sich gegen den internationalen Rechtsruck gewehrt werden kann.

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