Kohei Saito in Berlin: Wo geht’s hier zum Degrowth-Kommunismus?
Der japanische Ökomarxist Kohei Saito hat sein neues Buch in Berlin vorgestellt. Das Ziel seiner Arbeit ist es, die Fronten zwischen Degrowth und Marxismus aufzubrechen. Seine politische Formel dafür ist der Begriff des Degrowth Kommunismus.
Der Saal war brechend voll, als sich am Dienstabend mehrere Hundert Menschen in der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin einfanden, um die Vorstellung des neuen Buches von Kohei Saito mit Anwesenheit des Autors zu verfolgen. Saito, der 2016 in Berlin promoviert hat, ist in den letzten Jahren zu so etwas wie einem Popstar innerhalb der marxistischen Teile der Akademie aufgestiegen. Einer der Gründe dafür ist, dass sich sein Buch Hitoshinsei no Shihonron (dt. Kapital im Anthropozän) im Jahr 2020 über 500.000 Mal in Japan verkauft hat und zu einem enormen Bestseller wurde. Die Übersetzung dieses Buches ist vor kurzer Zeit in Deutschland unter dem Titel Systemsturz — Der Sieg der Natur über den Kapitalismus erschienen und wurde nun in Berlin vom Autor vorgestellt.
Der Faden, der sich in Saitos Büchern nach seiner Dissertation wiederfinden lässt, hängt mit den Begriff des sogenannten „Degrowth Kommunismus” zusammen. Saito hat mit diesem Schlagwort schon in seinem letzten Buch Marx in the Anthropocene seinen neuen Beitrag in der Marxforschung und in der Debatte um ein marxistisches Verständnis der Klimakatastrophe auf den Punkt gebracht. Der Begriff hängt zusammen mit seiner Neu-Interpretation von Marx’ letzter Vision einer post-kapitalistischen Gesellschaft: Marx sei am Ende seines Lebens nämlich „Degrowth Kommunist“ gewesen. Damit hätte er sich von seiner vorherigen Position abgewendet, nach welcher es auch im Sozialismus noch die Möglichkeit eines nachhaltigen Wachstums geben könnte. Wachstum sei heute aber nicht länger nachhaltig, wie Saito auch auf der Veranstaltung wiederholt. Stattdessen argumentiert er für eine stationäre (also nicht expandierende), demokratisch geplante und zirkuläre Wirtschaftsform, die in vielerlei Hinsicht eine höhere Form von vorkapitalistischen Gesellschaftstypen ist, nur auf der Grundlage der heutigen Entwicklung. Saito kommt zu diesem Schluss auf Grundlage seiner Mitarbeit an der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA), welche für die systematische Aufbereitung aller Exzerpte, Fragmente, Notizen und weiterer Schriftstücke von Marx und Engels verantwortlich ist. Im Rahmen dieser Arbeit bezieht Saito Quellen aus Marx letzten 15 Jahren seines Lebens ein, in welchen sich Marx intensiv mit verschiedenen Naturwissenschaften, wie Geologie, Botanik, Agronomie und Chemie beschäftigt hat, aber auch mit verschiedenen ethnologischen Studien vorkapitalistischer Gesellschaften. Auf Grundlage der Verbindung dieser beiden Studienfelder habe Marx nach Erscheinen von Kapital Band I mit vielen seiner früheren Ansichten gebrochen und habe als letzte Vision der zukünftigen Gesellschaft einen Degrowth Kommunismus vor Augen gehabt.
Saito macht es relativ klar, dass seine ganze These eine politische Motivation hat. Er will, dass sich die Fronten zwischen Degrowthler:innen und Marxist:innen entspannen und eine Brücke zwischen beiden Lagern schlagen: „Degrowth Communism is a political intervention”, sagt Saito, die darauf abzielt, dass sich die traditionell existierenden gegenseitigen Vorbehalte zwischen den beiden Lagern abschwächen. Saito kritisiert durchaus auf eine richtige Art und Weise, dass manche marxistische Strömungen viel vom Degrowth zu lernen haben, und dass wir uns zum Beispiel von der Vorstellung einer Art Luxuskommunismus aus Gründen der Nachhaltigkeit verabschieden müssen.
Auch wenn Saitos Marx-Interpretation (wenigstens in der starken Lesart von Marx in the Anthropocene) auf wackeligen Beinen steht und dazu neigt einen komplett neuen Marx dort sehen zu wollen, wo dieser aus nachvollziehbaren Gründen sein Forschungsinteresse lediglich verschoben hat, um seinen nachwievor gültigen theoretischen Rahmen zu erweitern, schwächt das nicht automatisch Saitos Argumente und ihre politischen Implikationen.
Eine große Schwäche von Saito ist die Tatsache, dass er kein Angebot für den Übergang zum Degrowth Kommunismus macht. Es bleibt in seinen Werken bisher unklar, wie die durchaus guten Forderungen und Analysen, die er macht, nicht nur „feelgood academia“ bleiben, sondern auch Realität werden können. An dieser Front bietet Saito leider wenig an. Die Frage vom Staat, von politischer Macht, von Organisierung und Klassenkampf ist in seinem Werk de facto unsichtbar. Das einzige, was irgendwie in die Richtung einer politischen Strategie geht, die er anbietet, ist die Hoffnung, dass sich durch eine Ausweitung von Formen des Gemeineigentums (er spricht von einer „Commonification”) auch schon im Kapitalismus das Bewusstsein der Menschen auf eine entscheidende Art ändern könne.
Bei der Vorstellung seines Buches spricht Saito deswegen dann davon, dass er für eine „gradual transformation with a radical aim“ sei, für einen „radical reformism“, für „Revolutionäre Realpolitik“. Diese Schlagwörter sind auch in der Debatte um die Klimakatastrophe absolut nichts neues und aus von verschiedenen linksreformistischen Akteur:innen bekannt. Leider fällt Saito damit hinter seine eigenen Analysen zurück. Während er überzeugend darlegt, wieso der Kapitalismus unvereinbar ist mit einer nachhaltigen Gesellschaftsform, und im Gegenteil notwendig die Zerstörung von Natur befördert, dreht seine Schlussfolgerung diese Analyse auf den Kopf: Die systemische Notwendigkeit zur Zerstörung der Natur könne aufgehoben werden, ohne das System als solches zu bekämpfen. Diese politische Herangehensweise ist nicht nur falsch, sondern angesichts der Dringlichkeit der Lage auch fatal. Weder wird eine schrittweise Transformation des Kapitalismus die Probleme, vor denen wir stehen, lösen, noch haben wir die Zeit darauf zu warten, dass der Kapitalismus sich ändern wird.
Wir müssen heute nicht für radikalen Reformismus, sondern für revolutionären Optimismus agitieren. Dafür, dass sich die Vision einer neuen Gesellschaft ohne Zerstörung der Natur, Ausbeutung und Unterdrückung realisieren lässt. Eine Gesellschaft, in der sich neue Vorstellungen und Formen von Reichtum entwickeln. Ein Reichtum, der nicht gemessen wird an dem Bruttoinlandsprodukt oder Konsummöglichkeiten, sondern an der Entwicklung von Kunst, Kultur, Fähigkeiten und freier Zeit. Ein Reichtum an unserer Entwicklung als Menschen, die durch die kapitalistische Gesellschaft in jeder Hinsicht blockiert wird. Eine solche Gesellschaft lässt sich jedoch nicht im, durch oder mit dem Kapitalismus entwickeln, sondern nur im revolutionären Kampf gegen ihn.
Wer mehr Interesse an Saitos Ideen hat, wird im bald erscheinenden KGK-Magazin eine Kritik an Saitos Marx in the Anthropocene lesen können.