Koalitionsvertrag: Aufrüstung, Kürzungen und Abschiebungen sind Programm

11.04.2025, Lesezeit 20 Min.
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Foto: Ryan Nash Photography, shutter stock.com

CDU/CSU und SPD haben am Mittwoch ihren Koalitionsvertrag als Basis für ihre Regierungspolitik in den nächsten vier Jahre vorgestellt. Er beinhaltet eine historische Aufrüstungsoffensive, Politik für Reiche und gegen Arme sowie Geflüchtete. Dieser Regierung müssen wir den Kampf ansagen

Gestern um 15 Uhr stellte die aller Wahrscheinlichkeit nach neue Koalition aus CDU/CSU und SPD ihr 146-Seiten langes Koalitionspapier vor, das noch von den jeweiligen Parteien (beziehungsweise ihren Mitgliedern) abgesegnet werden muss. Unter dem Druck der sich schnell veränderten internationalen Lage, angeheizt durch das Chaos der von Trump initiierten neuen Zollpolitik, mussten die kommenden Koalitionspartner rasch Signale an die deutsche Bourgeoisie und die krisengeschüttelte EU senden, die gerade nichts weniger gebrauchen können, als eine instabile deutsche Regierung. Die Koalitionäre bezeichnen ihre historisch kleine Mehrheit im Bundestag weder als „Ampel, noch als eine alte GroKo“, um von ihren schlechten Wahlergebnissen sowie der desaströsen Ampelpolitik abzulenken, die auch von der SPD mitgetragen wurde. Die neuen Leitlinien stehen dabei im Schatten der vor einigen Wochen von CDU/CSU, SPD und Grüne im alten, bereits abgewählten Bundestag beschlossenen Aushebelung der Schuldenbremse für Militärausgaben, die über 1 Prozent des BIPs hinausgehen, um so eine historisch einmalige Aufrüstung zu finanzieren.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil gibt als möglicher Vizekanzler und Finanzminister der neuen Bundesregierung den Weg vor. Er selbst war schon als Rüstungslobbyist tätig und war bis 2017 Mitglied des Förderkreises Deutsches Heer (FKH). Klingbeil betont in seinem Statement die historische Aufgabe der neuen Koalition: „Wir erleben, dass die Welt sich gerade neu ordnet, dass in diesen Stunden, in diesen Tagen, in den nächsten Monaten entschieden wird, wie bei dieser Neuvermessung der Welt, welche Rolle Deutschland und Europa künftig spielen werden. Und das war ein Faden, der sich durch unsere Koalitionsverhandlungen durchgezogen hat.“

Die neue Merz-Regierung soll nach eigenen Aussagen unter dem Vorzeichen verteidigungspolitischer und wirtschaftlicher „Sicherheit“ stehen, um „Verantwortung für Deutschland“ zu übernehmen. Sie möchte endlich wieder die „wahren Interessen der Bürger:innen“ zur Geltung bringen. Doch durch diese Floskeln dürfen wir uns nicht einlullen lassen. Verteidigungspolitische Sicherheit heißt massive Investitionen in die Bundeswehr, heißt Steuererleichterungen für Großunternehmen und massive Investitionen in die Rüstungsindustrie. Der Plan des Rheinmetall-Chefs, schließende VW-Werke in Rüstungswerke umzubauen, fließt unmittelbar in den Koalitionsvertrag hinein, wenn es heißt, dass geprüft werden soll, „wie die Umrüstung und Ertüchtigung vorhandener Werke für die Bedarfe der Verteidigungsindustrie unterstützt werden können.“ Und auch Rekruten für die Bundeswehr braucht es, weshalb nun der erste Schritt zu einem „Wehrdienst“ auf zunächst freiwilliger Basis vollzogen werden soll.

Die Kehrseite dieser Aufrüstungsoffensive wird der soziale Kahlschlag sein, der bei der Pressekonferenz natürlich kaum thematisiert wurde. Die SPD kapituliert dabei offen vor der Union. Die massiven Kürzungen in Gesundheit, Bildung und Soziales werden dabei lapidar als „Konsolidierung der Staatsfinanzen“ bezeichnet – was so viel heißt wie überall sparen und kürzen, außer bei der Rüstung. Jene Rüstung, die heute als Verteidigungsmittel gepredigt wird, bedeutet nicht nur Kürzungen, sondern zeigt ihre Folgen in tausendfachen Morden in der Ukraine oder in Palästina. Entgegen der Behauptung dies würde die Leben der breiten Masse hierzulande schützen, verspricht die Aufrüstung nicht anderes als die arbeitende Junge für den Krieg gegen ihre Klassengeschwister in der ganzen Welt vorzubereiten.

Ein erster Blick in den Koalitionsvertrag bestätigt dabei unsere Thesen zum vorher veröffentlichten ersten Ergebnispapier, und bedeutet einen massiven Angriff auf die Lebensgrundlage der Arbeiter:innenklasse, der Jugend, der Geflüchteten, von Frauen und Queers und der Armen. Dieser erste Artikel soll dabei einen Überblick über das Koalitionspapier und seine zentralen Achsen geben und erste Impulse liefern, wie wir die neue Regierung nicht tatenlos hinnehmen, sondern einen gewaltigen Widerstand gegen ihre Aufrüstungs- und Kürzungspolitik aufnehmen können. 

Wirtschaftsprogramm gegen Arme und im Dienste der Superreichen

Die Koalitionäre betonen in allen ihren Anfangsstatements, dass die Wirtschaft der zentrale Eckpfeiler der neuen Regierung sein soll. Dabei setzen sie wie angekündigt auf eine Verschlankung des eigenen Staatsapparates: 8 Prozent des Verwaltungspersonals sollen abgebaut werden, wobei die Sicherheitsbehörden davon natürlich ausgenommen sind. Das neoliberale Programm der neuen Regierung betont gleich zu Beginn die schrittweise Senkung der Körperschaftssteuer für Aktiengesellschaften und GmbHs, um die Unternehmen zu entlasten. Konkret werden dabei auch Ausrüstungsinvestitionen in den nächsten drei Jahren bevorzugt, ein sogenannter „Investitionsbooster“, von denen man 30 Prozent vom Staat abschreiben lassen könne. Das solle zu einer Investitionsoffensive aus der Privatwirtschaft heraus führen und diese „entfesseln“, was sie mit klassischen Forderungen nach Bürokratieabbau für Unternehmensgründungen kombinieren. Der Steuerexperte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) berechnet dabei die eigentliche Wirkung solcher Maßnahmen und bemerkt, dass 72 Prozent dieser Summen beim reichsten Prozent der Bevölkerung landen werden, jede:r Superreiche bekommt damit 25.000 Euro mehr auf die Hand. Also eine staatlich angetriebene Umverteilung von unten nach oben, um die krisengebeutelten Manager:innen kurzfristig mit höheren Profitraten zu beschenken. 

Die neue Regierung tut also alles, um die Profite der Großunternehmen weiterhin zu gewährleisten. Das Lieferkettengesetz soll abgeschafft und Umweltstandards geschwächt werden, um es dem Kapital so leicht wie möglich zu machen, sich an der Natur und billiger Arbeit zu bereichern. Dies soll gerade in Zeiten, in denen durch Zölle und geopolitische Verschiebungen mehr Konkurrenz zwischen den großen Wirtschaftsmächten um neue Absatzmärkte und Bodenschätze entsteht, geschehen. 

Ein Handelsstreit mit den USA soll dabei aber so gut wie möglich verhindert werden, konkret zu den US-Zöllen, die gestern Abend für die EU ja wieder per Dekret für 90 Tage ausgesetzt wurden, sagt der Koalitionsvertrag: „Mit den USA streben wir mittelfristig ein Freihandelsabkommen an, kurzfristig wollen wir einen Handelskonflikt vermeiden und setzen auf die Reduzierung von Einfuhrzöllen auf beiden Seiten des Atlantiks.“

Die Koalitionäre betonen dabei, dass „Leistung sich wieder lohnen müsse“. Der Koalitionsvertrag beschließt dabei das seit Monaten angekündigte Ende des Bürgergeldes, um eine neue Grundsicherung einzuführen. Arbeitslosen drohen nun beispiellose Angriffe gegen ihre Lebensgrundlagen und wieder stärkere Sanktionsmaßnahmen. Arbeitslose sollen nun weniger vorgeschlagene Jobs ablehnen können, auch wenn diese schlecht bezahlt werden oder überhaupt nicht ihrer eigenen Berufserfahrung oder ihren eigenen Interessen entsprechen. Zudem soll es einen kompletten Leistungsentzug geben, wenn wiederholt eine vorgeschlagene Arbeit nicht aufgenommen wird. Wer nicht nach den Spielregeln des Staates spielt, soll also blank auf die Straße gesetzt werden und verhungern.

Während also die Ärmsten der Gesellschaft offen angegriffen werden, gibt es auch einige Besänftigungsmaßnahmen für die Arbeiter:innenklasse, um ihre Wut nicht allzu hochkochen zu lassen und der Verbrüderung innerhalb der Arbeiter:innenklasse entgegenzuwirken. Als wichtigste Errungenschaft der SPD wird die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro ab 2026 vorgestellt. Dies ist jedoch nicht nur ein Trostpflaster nach Jahren der Inflation, sondern stellt lediglich eine Empfehlung an die Mindestlohnkommission dar, in der Kapitalvertreter:innen und neoliberale Ökonom:innen sitzen, anstatt es gesetzlich zu verankern. Auch soll es eine Anpassung der Einkommensteuer, also der Besteuerung von Lohn, nach unten geben. Zudem soll nun das Tariftreuegesetz kommen, dass eine Tarifverpflichtung für Unternehmen vorschreibt, die staatliche Aufträge erhalten, wenn diese über 50.000 beziehungsweise 100.000 Euro bei Start-ups beträgt. Auch soll es für die „fleißigen“ Arbeiter:innen eine Möglichkeit zur steuerfreien Auszahlung von Überstunden geben, was tatsächlich völlig absurd ist, da jetzt schon Millionen von Überstunden überhaupt nicht erst erfasst werden oder einfach nicht von den Bossen ausbezahlt werden. Diese Maßnahme ist also eine reine Verarsche für die Beschäftigten und soll sie ruhig stellen. Was die Arbeitszeit betrifft ist das Koalitionspapier stark angelehnt an die Diskussionen in der derzeitigen TVöD-Runde, in der gerade ein Schlichtungsvorschlag vorliegt, der die Arbeitszeiten der Arbeiter:innen flexibilisieren soll und eine mögliche Erhöhung von 42 Wochenarbeitsstunden beinhaltet, während aufgrund der hohen Produktivitätsentwicklungen der Wirtschaft seit Jahrzehnten Arbeitszeitkürzungen von den Gewerkschaften gefordert werden. Damit wird den Bossen Tür und Tor geöffnet, um den von der Arbeiter:innenbewegung historisch blutig erkämpften Acht-Stunden-Tag anzugreifen.

Das Rentenniveau wird auf dem gleichen Level von 48 Prozent beibehalten, während die Mütterrente eingeführt wird. Sie soll Müttern, die wegen ihrer Erziehungstätigkeit nicht durch Lohnarbeit in die Rentenkassen einzahlen konnten, ein wenig mehr Rentenpunkte zustehen, um deren sehr niedrige Renten ein wenig zu erhöhen. Auch eine Aktivenrente soll es geben, die Anreize für das Weiterarbeiten nach dem normalen Renteneintrittsalter ermöglichen soll. Anstatt also das Ende des Lebens zu erleichtern, wird ein mögliches Weiterarbeiten begrüßt, was wohl viele in Erwägung ziehen müssen, die eh schon niedrige Renten erhalten.

Das Koalitionspapier verspricht also eine Vertiefung der Entwicklungen der letzten Jahre, begünstigt Reiche und Großunternehmen und greift die grundlegenden Rechte der Armen und Arbeitslosen an. Um wieder wirtschaftlichen Aufschwung zu erlangen, werden große Teile der Staatsinvestitionen in Sektoren wie die Rüstungsindustrie umgelenkt, mit eigenen dafür geschaffenen Investitionsfonds. Wie die 100 Milliarden für Klima, die die Grünen als Geschenk für ihre Zustimmung zur Reform der Schuldenbremse für Militärausgaben, bekommen haben, eingesetzt werden, bleibt dabei völlig unklar. Dem allgemeinen Trend zur Verlängerung der Nutzung von Öl- und Gas als Energiequellen für die Wirtschaft wird dabei nichts entgegengesetzt. Der Fokus ist klar: während allgemeine Staatsausgaben reduziert werden, sollen vor allem Bundeswehr, Rüstungsindustrie und Sicherheitsbehörden große Geldmengen bekommen, und harte Angriffe stehen den ärmsten Teilen der Bevölkerung bevor.

„Sicherheit“: Abschiebeoffensive und Überwachung

„Deutschland ist ein weltoffenes Land und wird es auch bleiben“ heißt es im Koalitionspapier. Man stehe zur „humanitären Verantwortung“ und bestehe auf dem Grundrecht auf Asyl. Ein Blick in die Pläne der Koalitionäre macht einen völlig anderen Eindruck, denn diese sind nichts weniger als eine völlige Untergrabung eben dieses Grundrechts. Mit der endgültigen Umsetzung der GEAS-Reform können Geflüchtete an den Grenzen ausgewiesen und in einen der „sicheren Drittstaaten“ entlang der Fluchtrouten abgeschoben werden. Dazu sollen nun auch Algerien, Marokko, Tunesien und Indien gehören. Vor allem in den nordafrikanischen Ländern sind zahlreiche Fälle unmenschlicher Bedingungen für Geflüchtete bekannt, die von der EU konsequent ignoriert werden. An den Grenzen soll die Bundespolizei deutlich mehr Befugnisse erhalten, so sollen sie weiterhin Grenzkontrollen durchführen und zukünftig Asylsuchende direkt an der Grenze ausweisen können. Neben weiteren Investitionen in den Grenzschutz ist auch der Einsatz von KI-Gesichtserkennung geplant. 

Ein besonderes Augenmerk haben die Verfasser:innen auf Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan gelegt. Trotz des tobenden Bürgerkrieges in Syrien und dem autoritären Regime Afghanistans sollen in Zukunft Abschiebungen dorthin ermöglicht und Fluggesellschaften zur Durchführung der Abschiebeflüge verpflichtet werden. Bei der Aussetzung des Familiennachzugs sowie aller freiwilligen Bundesaufnahmeprogramme wird betont, dass dies auch für Fälle von Schutzbedürftigen aus Afghanistan gilt. Die Einbürgerung soll erst nach fünf statt drei Jahren ermöglicht werden. Es soll mehr auf Abschiebehaft gesetzt werden und Abschiebehäftlinge sollen künftig ohne Rechtsbeistand dastehen. Um es den bereits in Deutschland lebenden Geflüchteten so schwer wie möglich zu machen, sollen die Leistungen für Ausreisepflichtige drastisch gekürzt werden. Schon seit Jahren sind die Zustände, in denen Geflüchtete leben, unmenschlich. Neben den Segregationsähnlichen Wohnungsbedingungen, wo Geflüchtete wie Häftlinge in Abschiebegefängnissen eingesperrt  werden, sollen sie künftig statt mit Bargeldleistungen ausschließlich mit einer Bezahlkarte ausgestattet werden. 

Im Koalitionspapier möchten CDU und SPD dementsprechend verdeutlichen, dass es ihnen darum geht, den Abschiebewahn zahlenmäßig mit allen Mitteln zu erhöhen. Dabei machen sie sich rassistische rhetorische Stilmittel zu eigen, um ihre Vorhaben zu begründen. Es habe in den letzten Jahren „schwer erträgliche Taten und Äußerungen gegeben, die eine Änderung des Ausweisungsrecht beanspruchen“. Den Plänen von Schwarz-Rot zufolge soll auf Straftaten wie Körperverletzung, sexualisierter Gewalt, Volksverhetzung und Antisemitismus die Ausweisung folgen. Dies ist nicht der komplette Rahmen der zulässigen Straftaten, da die Formulierung hier unpräzise bleibt, doch auch viel kleinere Delikte könnten eine Abschiebung zur Folge haben, so wünscht es sich zumindest CDU-Generalsekretär Linnemann. Aber auch gegen unliebsame politische Stimmen, wie aus der Palästina-Bewegung, soll damit leichter vorgegangen werden. Der Fall der vier Aktivist:innen aus Berlin zeigt, dass CDU und SPD dazu völlig imstande sind. 

An mehreren Stellen werden diese rassistischen Maßnahmen damit begründet, dass man jüdisches Leben schützen und gegen Antisemitismus vorgehen wolle. Darunter wird allerdings vor allem der sogenannte „Israelbezogene Antisemitismus“ verstanden, dass genutzt wird, um jegliche Unterstützung für Palästina oder sogar nur das Bestehen auf Menschenrechte zu kriminalisieren. Eindrücklich wird dies dadurch verbildlicht, dass in den letzten Monaten fast ausschließlich gegen Aktivist:innen der palästinasolidarische Bewegung, Migrant:innen und Muslim:innen als „Quelle antisemitischer Gewalt“ ermittelt wird, während die Gewalt an Jüd:innen nach wie vor größtenteils von Rechten stammt. Doch statt konkretem Schutz vor rechter Gewalt oder die Alltagsrealität von Rassismus gegen Muslim:innen auch nur zu nennen, planen die Koalitionäre neben den bereits genannten Vorhaben auch eine „Task Force Islamismusprävention“, und eine „Strategie zur konsequenten Verfolgung und Bekämpfung linksextremistisch motivierter Straftaten und Strukturen“.

Insgesamt wird deutlich, dass es sich beim Koalitionspapier in Bezug auf die Migration um eine fast vollständige Kopie des gescheiterten „Zustromsbegrenzungsgesetz“ der CDU vom Januar handelt. Damals stimmten alle SPD-Abgeordneten gegen den Gesetzentwurf, der in ganz Deutschland riesige Proteste auslöste. Nun ist aber klar, dass es den Sozialdemokraten nicht um den menschenfeindlichen Inhalt des Gesetzes ging, sondern darum, dass die CDU dafür nicht an sie, sondern an die AfD herangetreten ist.

Diese repressive Politik gegen Geflüchtete ist aber nur der Anfang von etwas Größerem – dem Umbau der Bundesrepublik zu einem Überwachungs- und Polizeistaat. Was heute an Geflüchteten, die am meisten entrechtete und unterdrückteste Schicht der Arbeiter:innenklasse, ausprobiert wird, wird später auch den Rest der Bevölkerung treffen und tut es teilweise jetzt schon.

Der Bundessicherheitsrat, der bisher hauptsächlich Waffenexporte genehmigte, wird zu einem Nationalen Sicherheitsrat mit weitreichenden Handlungsbefugnissen umgebaut. Die Regierung plant, dass Internet-Provider drei Monate lang speichern müssen, wer wann welche IP-Adresse nutzt. Gleichzeitig soll die Bundespolizei mehr Möglichkeiten erhalten, Handys und Computer zu überwachen, und es soll für die Behörden leichter gemacht werden, Daten untereinander auszutauschen, einschließlich biometrischer Daten etwa zur Gesichtserkennung. Datenschutz spielt hier überhaupt keine Rolle mehr. 

Rückschrittskoalition: Gleichberechtigung und Klima werden Rüstung und Abschiebungen untergeordnet

Die Themen Klima und Feminismus, welche vor allem in der Jugend zentrale Themen darstellen, gehen im Koalitionspapier komplett unter. Zwar wird im Papier angekündigt, dass das Pariser Klimaabkommen eingehalten, die Energiewende vorangetrieben und aus der Braunkohle bis 2038 ausgestiegen werden soll. Anstatt Emissionen durch den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft zu senken, sollen jedoch CCS-Technologien (Carbon Capture Storage) eingesetzt werden, welche Kohlenstoffdioxid unterirdisch speichern können, damit in der Industrie weiter hemmungslos Gas und Öl benutzt werden kann. CCS ist die beliebte Scheinlösung, um die Energiewende nach hinten zu schieben, damit die fossile Industrie einfach so weitermachen kann wie bisher. 

Immer wieder wird im Koalitionsvertrag auch betont, dass die künftige Regierung auf „Eigenverantwortung“ setzen will und die „Wettbewerbsfähigkeit“ nicht eingeschränkt werden darf. Trotz Lippenbekenntnissen zum Klimaschutz wird darauf gesetzt, die Wachstumspotenziale der Industrie auf Kosten der Umwelt zu entfalten. 

Obwohl die neue Regierung sich einen historischen Blankoscheck ausgestellt hat, wird es künftig die Möglichkeit geben, dass der Klima- und Transformationsfond (KTF) für beliebige Finanzlöcher der Regierung herhalten muss. Alle Einnahmen des KTF sollen zukünftig nämlich dem Gesamthaushalt zur Verfügung stehen. Dies bietet das perfekte Schlupfloch, um Gelder, welche eigentlich für den Klimaschutz und die Verringerung einer weiteren Erderwärmung vorgesehen waren, in andere Bereiche zu stecken. Um trotzdem bei den Prognosen für die kommenden Jahrzehnte nicht schlecht abzuschneiden, sollen negative Emissionen sowie CO2-Zertifikate im Ausland angerechnet und somit ein künstlicher Puffer geschaffen werden. Auch hier werden die Probleme also einfach nach hinten verlagert, was gegen internationales Klimarecht verstößt.  

Auch wenn die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels mehr als mangelhaft sind, haben Union und SPD es geschafft, in Sachen Gleichberechtigung ein weitaus reaktionäreres Programm vorzustellen. Phrasenhaft wird die Gleichstellung der Frau in allen Lebensbereichen betont und nur wenige Maßnahmen vorgestellt, wie etwa die Übernahme der EU-Transparenzrichtlinie, welche die Überwindung des Gender-Pay-Gaps garantieren soll. Bis Ende 2025 sollen hier „Vorschläge“ folgen – bloß keine Eile beim Feminismus! 

Der Paragraph zur „Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen“ erwähnt natürlich nicht die Abschaffung des Kriminalisierungs-Paragraph 218 – im Gegenteil. Ungeborenes Leben soll bestmöglich geschützt werden, während die körperliche Selbstbestimmung schwangerer Personen absolut keine Rolle für die kommende Regierung spielt. Zudem soll die „medizinische Weiterbildung“ auf mysteriöse Weise gestärkt werden – damit ist wohl kaum gemeint, dass Abtreibungen im Medizinstudium zum Pflichtthema werden.  

Queere Personen sollen laut Koalitionsprogramm geschützt werden – konkrete Maßnahmen werden hierfür nicht genannt. Konkreter wird es erst unter dem Punkt „Selbstbestimmungsgesetz“, welches bis zum 31. Juli 2026 evaluiert werden soll. Hier sollen besonders auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche sowie auf den Schutz von Frauen geachtet werden. Gleichzeitig soll eine „bessere Nachverfolgbarkeit“ bei der Namenrechtsreform gewährleistet werden. Dies kann man als Antwort auf den abgelehnten Entwurf des verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetzes lesen, in welchem bei jeder Änderung des Geschlechtseintrags und Vornamens sämtliche Sicherheitsbehörden – wie Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter, Bundespolizei, Verfassungsschutz, Militärischen Abschirmdienst, usw. – benachrichtigt werden sollten. Der Absatz zum „Selbstbestimmungsgesetz“ im neuen Koalitionsvertrag stellt also in fast allen Punkten einen Angriff auf trans- und inter-Personen dar. Auf das Ergebnis der angekündigten Evaluation bleibt abzuwarten – dass hier jedoch der Schutz von Frauen angekündigt wird, unterstützt die transfeindliche Rhetorik, dass diese eine Bedrohung für cis-Frauen darstellen. 

Dass die zukünftige Mini-GroKo ihr Hauptaugenmerk nicht auf Klima und Gleichberechtigung legen würde, war bereits zu erwarten. Das Koalitionspapier zeigt nur noch einmal mehr, wie Klimaschutz und feministische Themen immer weiter in den Hintergrund gedrängt werden, um Wirtschaft, Aufrüstung und Migrationsbekämpfung mehr Raum und vor allem finanzielle Ressourcen zukommen zu lassen. Während die Ampelregierung gesellschaftspolitisch progressive Vorhaben als Teil ihrer Koalition betonte und dann verrat, wie bei der Abschaffung von Paragraph 218, gibt sich die neue Koalition überhaupt keine Mühe mehr, einen fortschrittlichen Anstrich aufrechtzuerhalten. Söders Abschlusssatz bei der Pressekonferenz gibt den Weg vor: „Gott schütze unser Vaterland!“

Welche Verantwortung trägt die gesellschaftliche Linke?

Angesichts des neuen Koalitionsvertrags stellte die Partei Die Linke in ihrer Pressekonferenz viele richtige Kritiken an der Militarisierung und am Sozialabbau auf, die letzten Endes die AfD stärken werden. Ihr Fazit zum Koalitionsvertrag fassten ihre Spitzenfigur Ines Schwerdtner und Heidi Reichinnek mit ironischem Bezug zum Titel als „Verantwortungslos für Deutschland“ dar. Wie drückte sich jedoch ihre Ansage „auf die Barrikaden gehen zu wollen“ von Anfang des Jahres in diesem Kontext aus?

In einem Gespräch beim Fernsehprogramm Maischberger  zwischen dem FDP Politiker Wolfgang Kubicki und Heidi Reichinnek wenige Tage vor der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags, erklärte letztere: „Natürlich wünsche ich mir eine Regierung, die auch stabil ist“. Als Begründung nannte sie den Druck von der AfD, der eine schwarz-rote Regierung „alternativlos“ machen würde. In eine ähnliche Richtung forderte Ines Schwerdtner angesichts des Aufschwungs der Partei nach der letzten Bundestagswahl eine frühe Beteiligung an einer Schuldenbremsen-Reform der künftigen Bundesregierung, um letztlich eine Zwei-Drittel-Mehrheit unter Beteiligung der Linken möglich zu machen.

Es wird bemerkbar, wie die richtigen Kritiken an der Regierung, sich praktisch Stück für Stück in Luft auflösen, indem die Oppositionsrolle immer wieder zu Unterstützungserklärungen umgedeutet werden. Diese Strategie, die Regierung von links „sozialer zu machen“ oder wie die Partei es zuvor bezeichnete „Antifa heißt Wohlfahrtsstaat“, wird jedoch nichts anderes bedeuten, als den Angriffen der Regierung letztlich den Rücken zu decken. Diese linke Verantwortungslosigkeit sahen wir bereits in der Zustimmung zu den Kriegskrediten vonseiten der linken Minister:innen der Bremer und Mecklenburg-Vorpommernschen Landesregierung. Eine solche „Realpolitik“ ist nichts anderes als die Aufgabe einer prinzipienhaften Opposition, die die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung in die Hände der extremen Rechten übergibt.

Die wichtigsten sozialen Bewegungen der letzten Jahre, sei es die Klimabewegung, die antirassistische Bewegung oder die Bewegung in Solidarität mit Palästina werden von der Regierung mit rückschrittlichen Maßnahmen und Repressionen abbestraft. Die prekärsten Sektoren der Arbeiter:innenklasse, wie Geflüchtete und Bürgergeldempfänger:innen, stehen in der Zielscheibe der Regierung, ebenso wie die essentiellen Sektoren im öffentlichen Dienst.

Der Koalitionsvertrag ist ein klarer Angriffsplan auf die Lebensverhältnisse und die Zukunft der arbeitenden Bevölkerung. Anstatt die Regierungsfähigkeit des ehemaligen Blackrock Managers zu garantieren, muss die gesellschaftliche Linke, inklusive denjenigen Sektoren in der Partei die Linke, die ernsthaft „auf die Barrikaden wollen“, den Widerstand in Unis, Schulen und Betrieben vorbereiten und organisieren. Dies betrifft umso mehr eine aktive Rolle in den Gewerkschaften einzunehmen, um im Angesichts des Zollkrieges und der Aufrüstung die Reihen der Arbeiter:innen gegen jegliche Abschiebeoffensiven und Angriffe auf die Rechten von Frauen und Queers zu schließen. Die Regierung hat ihren Plan vorgelegt, entsprechend ist es notwendig, einen eigenen Kampfplan innerhalb der DGB Gewerkschaften zu entwickeln, um mit Versammlungen und Streiks ihre reaktionäre Agenda zu verhindern.

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