Knapp vorbei ist auch GroKo

22.01.2018, Lesezeit 5 Min.
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Beim Sonderparteitag der SPD in Bonn stimmen 56 Prozent der Delegierten für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union. Die Parteispitze ist angeschlagen, doch der Widerstand der #NoGroKo-Fraktion hat nicht ausgereicht.

Knapp zehn Minuten angespannte Stille und am Ende eine klare, aber dennoch knappe Entscheidung: Mit 56 zu 44 Prozent stimmten die Delegierten des SPD-Sonderparteitags am Sonntag nachmittag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen für eine neue „Große“ Koalition. Die Parteiführung war erleichtert, die GroKo-Gegner*innen bekamen keine Mehrheit. Aber die Krise der Sozialdemokratie wird damit nicht enden, im Gegenteil.

Nachdem die Jusos und kleinere SPD-Landesverbände einen „Zwergenaufstand“ gegen die GroKo geprobt hatten, mussten Martin Schulz und die gesamte SPD-Parteispitze all ihre Geschütze auffahren, um die Delegierten des Bonner Parteitags für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union zu gewinnen. Es war ein wahres Feuerwerk der Mittelmäßigkeit. Es gab Versprechen von kleinen Nachbesserungen im Vergleich zu den Sondierungen, Appelle an die Vernunft, rhetorische Spitzen gegen die Union, und immer die gleiche Botschaft: Die Sondierungsergebnisse mögen vielleicht nicht perfekt sein, aber ohne die SPD in der Regierung würde alles nur noch schlimmer werden.

Promis gegen Basis

So weit, so erwartbar. Schon 2013 hatte es im Vorfeld der GroKo ähnliche Diskussionen gegeben, dass eine Koalition unter Angela Merkel zum Niedergang der Sozialdemokratie führen würde. Am Ende setzte sich, damals wie heute, der Parteivorstand durch. Nur war dieses Mal der Widerstand spürbar größer. 46 Prozent Ablehnung des Leitantrags sind ein greifbarer Ausdruck der Orientierungskrise der SPD. Der „Tagesspiegel“ beschreibt die Aufgaben für die SPD-Spitze wie folgt:

Martin Schulz ist angeschlagen. Die Verhandlungsführer der SPD müssen jetzt die versprochenen Nachbesserungen in den Gesprächen mit der Union rausholen, damit am Ende die SPD-Mitglieder einer großen Koalition zustimmen.

Die Springer-Zeitung „Die Welt“ charakterisierte die Debatte auf dem Parteitag treffenderweise als eine Auseinandersetzung zwischen Parteiführung (oder „Promis“, wie sie es nennen) und Parteibasis:

In der Debatte muss die gesamte Führungsriege ran. Einer nach dem anderen wirbt, mahnt, fleht. Die Botschaften sind immer gleich: Die Erneuerung der SPD wird trotzdem kommen – versprochen. Minderheitsregierung und andere Modelle sind eine Illusion. Nur an der Regierung können wir unsere Inhalte umsetzen. Und: Denkt an die Folgen, wenn wir Nein sagen. Die GroKo-Kritiker – mit weniger bekannten Gesichtern – halten dagegen. Promis gegen Basis also.

Doch auch wenn vorläufig die „Promis“ die Oberhand behalten haben, bleibt die Lage ungewiss. Denn erstens muss nach den Koalitionsverhandlungen ein Mitgliederentscheid stattfinden, der das endgültige Ergebnis absegnet – ein alles andere als gesicherter Ausgang –, und zweitens stellt sich mit oder ohne GroKo die Frage nach der Zukunft der SPD immer akuter.

Martin Schulz beschwor zwar nach dem Votum: „Die Unionsparteien werden sich darauf einstellen müssen, dass die Koalitionsverhandlungen genauso hart sein werden wie die Sondierungsverhandlungen.“ Doch ob die paar Brosamen mehr, die dabei herauskommen, die Stimmung an der Basis ausreichend mitreißen kann, ist fraglich.

Regieren um jeden Preis

Jedoch haben auch die Gegner*innen der „GroKo“ ein Problem: Juso-Vorsitzender Kevin Kühnert bestach zwar rhetorisch mit Aussagen wie: „Wenn wir eine Kneipe wären, könnten wir sagen: Die Union schreibt seit Jahren bei uns an. Auf dieser Grundlage kann man keinen Vertrag schließen.“ Aber die Ablehnung der GroKo macht noch kein alternatives Projekt. Daran mangelt es der Opposition in der SPD genauso wie der Führung. Es reicht nicht, der Parteispitze angesichts der GroKo Alternativlosigkeit vorzuwerfen. Welche Alternative schlagen denn die GroKo-Gegner*innen in der SPD vor? Ihre Perspektive beschränkt sich letztlich auch darauf, nach vier (oder mehr) Jahren Opposition wieder gestärkt zurück an die Regierung zu kommen.

Laut der „Welt“ herrschte beim Bonner Parteitag eine „Muss ja“-Stimmung. Dem muss hinzugefügt werden: Das gilt nicht nur für die Zustimmung zur GroKo. Vielmehr beschreibt es ein zur völligen Ideenlosigkeit verkommenes sozialdemokratisches Selbstverständnis des krampfhaften „Regieren-Müssens“. Damit ordnet sich die SPD weiterhin dem Wohl des deutschen Kapitals unter. Oder, wie die taz ironisch schreibt: „Merkel bleibt SPD-Chefin“.

Viel lässt sich nun spekulieren darüber, ob im – wahrscheinlichen – Falle der Neuauflage der Großen Koalition ein Teil der SPD abtrünnig werden könnte. Möglicherweise werden sich einige in der Linkspartei wiederfinden, einige zähneknirschend in der SPD bleiben und einige in die politische Apathie versinken. Fakt ist jedenfalls, dass die Sozialdemokratie längst kein positives Gestaltungsprojekt mehr anzubieten hat. So wird das langsame Sterben der Sozialdemokratie unaufhaltsam weitergehen. Die politische Repräsentationskrise, von der die Krise der SPD nur ein Teil ist, wird durch die neuerliche GroKo kaum gelöst werden können. Vielmehr können wir instabilen Jahren entgegen sehen – ob Martin Schulz nun die GroKo retten kann oder nicht.

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