Klimawandel und die soziale Frage: Über wessen Wohlstand reden wir?

27.01.2020, Lesezeit 9 Min.
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Eine verbreitete These behauptet, der Klimawandel stelle unseren Wohlstand in Frage. Dies wirft die soziale Frage ganz neu auf. Doch über wessen Wohlstand reden wir?

Dieser Artikel ist eine Antwort auf den Gastbeitrag „Wohlstand statt Klassenkompromiss und Klimakrise“.

Der Klimawandel stellt unser Wirtschaftsmodell grundlegend in Frage. Es wird immer ersichtlicher, dass auf einem begrenzten Planeten mit begrenzten Rohstoffen nicht folgenlos geplündert werden kann, ohne am Ende die Existenzgrundlage der ganzen Menschheit zu gefährden. Gleichzeitig wird uns permanent eingetrichtert, das Wirtschaftswachstum sei die Grundlage unseres Wohlstands. Doch während die Löhne seit 30 Jahren stagnieren, konnten sich die Kapitalist*innen in unerhörtem Maße bereichern. Seit 1980 haben sich die Einkommen des obersten einen Prozents der Weltbevölkerung mehr als verdoppelt. In Deutschland ist das Bruttoinlandsprodukt seit der Agenda-Reform 2002 von 2,1 Billionen US-Dollar auf 3,7 Billionen angewachsen. Doch profitiert haben davon nur die Bosse, während auf der anderen Seite prekäre Arbeitsverhältnisse zugenommen haben. Der Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse hat sich seitdem fast verdoppelt.

Die aktuelle Generation junger Arbeiter*innen ist die erste seit dem Zweiten Weltkrieg, die es nicht besser hat als ihren Eltern. Das große Versprechen der Nachkriegsgeschichte ist gebrochen. Es stimmt eben nicht, wie häufig behauptet, dass der Klimawandel die Linke vor ein Problem stelle, weil das Versprechen nach einem besseren Leben nicht mehr eingehalten werden könne. Der Klimawandel kann nicht bedrohen, was es längst nicht mehr gibt. Tatsächlich ist die soziale Ungleichheit in Deutschland so groß wie seit dem Kaiserreich nicht mehr. Während die Tariferhöhungen gerade einmal die Inflation ausgleichen, ist die relative Ausbeutung, durch Personalmangel und Arbeitsverdichtung, dramatisch angestiegen. So verwundert es nicht, dass laut einer Umfrage jede*r achte Deutsche glaubt, dass er*sie nicht vom Wirtschaftswachstum profitiert. Dieser Unmut wächst nicht aus einer einfachen Laune heraus, sondern ist das Produkt von 30 Jahren Neoliberalismus und dem immer stärkeren Gefühl in den Massen, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

Wie wir in den Aufständen in Frankreich und Chile sehen können, sind sie nicht eine Wut darüber, jetzt nach Jahrzehnten des Wohlstands mal den Gürtel enger schnallen zu müssen, sondern der Ausdruck des Tropfens, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Vor allem in Chile bekommt die Wut über die letzten 30 Jahre einen besonderen Ausdruck. So lange ist es her, dass in Chile die bürgerliche Demokratie per Beschluss wieder eingeführt wurde, ohne einen wirklichen Bruch mit der Militärdiktatur, deren Befehlshaber und Mörder auf freiem Fuß blieben.

Doch die Versprechungen sind in diesen 30 Jahren nicht eingelöst worden. Der Jugend geht es nicht besser, sondern sie ist noch stärker von Prekarisierung betroffen als die Generation zuvor. Daher rufen sie offen: „Es sind nicht die 30 Pesos, es sind die 30 Jahre“. Das soll ausdrücken, dass die Preiserhöhung für die U-Bahn der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile nur das Fass zum überlaufen brachte, die Ursache jedoch in der Verlogenheit des kapitalistischen Systems liegt.

Wir sehen also, dass die Wut über 30 Jahre Neoliberalismus sehr groß ist, aber wir sehen auch, dass die Institutionen, die den Klassenkompromiss predigen, allen voran die Gewerkschaftsbürokratie und die Sozialpartnerschaft, immer noch da sind.

Deutlich wird dies am Beispiel des Internetriesen Amazon. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di versucht seit Jahren vergeblich, dem US-Unternehmen einen Tarifvertrag aufzuzwingen. Doch obwohl Amazon sich beharrlich dagegen wehrt, wird der Kampf vom Gewerkschaftsapparat mit gezogener Handbremse geführt.

Aber eben nicht indem einfach blöde Entscheidungen getroffen werden. Der Klassenkompromiss ist nicht das Produkt von feigen Gewerkschaftsbürokrat*innen und Arbeiter*innen, die sich mit Mallorca-Urlaub, Bratwurst und Flachbildschirmen abspeisen lassen, sondern es ist das Produkt der vermittelnden Position der Gewerkschaftsfunktionär*innen.

Wer materiell von der Vermittlung abhängig ist, kann keinen bedingungslosen Kampf führen. Die Bürokratie nimmt eher die Funktion eines Schiedsrichters ein, der im Kampf der verschiedenen Klassen darauf achtet, ob alles „fair“ abläuft. Zur Durchsetzung ist er auf die Kampfkraft der Beschäftigten angewiesen. Aber aufgrund der Rolle der Vermittlung kann die Bürokratie den Kampf nicht konsequent bis zu Ende führen, weil dies ihre eigene materielle Stellung, die der Vermittlung, selbst überflüssig machen würde, wie ein Schiedsrichter aufhört Schiedsrichter zu sein, wenn er selbst den Ball ins Tor schießen würde.

Aber selbst noch in Zeiten des „Wirtschaftswunders“ war der Klassenkompromiss nicht freiwillig. So wurde der politische Streik in Deutschland durch den Nazi-Juristen Hans Carl Nipperdey de facto verboten. So erklärte er in einem Gutachten 1952 den Zeitungsstreik gegen die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes für unrechtmäßig und begründete das Recht auf Schadensersatz für die bestreikten Unternehmen.

Als die IG Metall im Winter 1956/57 zu einem 16-wöchigen Streik für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall aufrief, entschied er als Richter erneut im Interesse der bestreikten Unternehmen. So wurde der Klassenkompromiss durch die vermittelnde Rolle der Gewerkschaftsbürokratie, als auch mithilfe staatlicher Repression durchgesetzt.

Die Hoffnung, dass die Klimakrise nun diesen angeblich fortbestehenden Klassenkompromiss zu Fall brächte, ist die Illusion darin, dass er sich von alleine auflösen würde. Die Sozialpartnerschaft ist jedoch bereits unterhöhlt und wird lediglich von der Gewerkschaftsbürokratie am Leben erhalten; sie ist wie die Sozialdemokratie selbst nur noch ein Schatten ihrer selbst, ein wandelnder Zombie. Sie befindet sich in einer Zwickmühle: Weder kann sie die GroKo einfach auflösen und ihre vermittelnde Rolle aufgeben, weil die Vermittlung ihre materielle Grundlage darstellt, noch kann sie die Bedürfnisse ihrer Basis befriedigen. Gleichzeitig ist das Kapital auf ihre Rolle der Vermittlung angewiesen. Aber auch die Beschäftigten haben kein Interesse daran, selbst auf die wenigen Brotkrumen zu verzichten, die die SPD in Verhandlungen rausschlagen kann.

Nur eine politische Kraft, die tatsächlich in der Lage ist, den sozialpartnerschaftlichen Kurs der Gewerkschaftsführung und ihrem politischen Ausdruck, der Sozialdemokratie, herauszufordern und eine wirkliche Alternative aufzuwerfen, kann diesen Wiederkehrer in das Reich der Toten befördern.

Umverteilung und Wirtschaftswachstum

Die These, dass die Klimakrise unseren auf Wachstum basierenden Wohlstand gefährde und damit auch eine Umverteilungspolitik in Frage stelle, birgt jedoch noch einen zweiten Fehler. Sie stellt die Behauptung auf, Wohlstand basiere auf Wirtschaftswachstum, ganz unabhängig wie dieser verteilt werde. Doch es ist nicht der Konsum, der für den ökologischen Kollaps verantwortlich ist, sondern dieser liegt in der anarchistischen Wirtschaftsweise der kapitalistischen Produktion selbst begründet.

So zum Beispiel im Containerschiffbau. Mit größeren Schiffen kann mehr Profit erwirtschaftet werden, die kleineren werden unrentabel und unter miserablen Arbeitsbedingungen verschrottet. Um weiterhin im Wettbewerb mithalten zu können, werden immer größere Schiffe gebaut, bis die Sache implodiert, weil massive Überkapazitäten entstanden sind. Die ökologischen Folgen von Schiffsfriedhöfen kommen noch dazu. Der eklatante Widerspruch zwischen den Produktivkräften und der Produktionsweise ist ein zentrales Merkmal unserer Epoche.

Doch anstelle diesen zentralen Widerspruch aufzugreifen, wollen aktuelle Antworten nur die reformistische Umverteilungspolitik auf eine neue Grundlage stellen. So fordert eben jene pro-kapitalistische Strömung einen Green New Deal fordert, um den Strukturwandel zu fördern und neue Jobs und Wirtschaftswachstum in „grünen“ Technologien zu fördern. Der „Green New Deal“ wird nicht nur vorangetrieben von der Angst vor dem Klimawandel, sondern auch von der Notwendigkeit des Kapitals, neue Märkte zu erobern. Vor allem im Bereich der „grünen“ Technologien erhofft man sich neue Zugewinne und Absatzmärkte.

Aber das Problem sind eben nicht zu wenig umweltfreundliche Technologien, sondern die kapitalistische Wirtschaftsweise selbst. Ein Kapitalismus, der statt auf Öl oder Kohle auf Lithium basiert, wäre nicht weniger kriegerisch und umweltzerstörerisch. So unterstützt das deutsche Kapital den Militärputsch in Bolivien, weil es sich einen besseren Zugang zum „weißen Gold“ erhofft. Darin inbegriffen ist die Zerstörung des großen Salzsees Salar de Uyuni. Er ist besonders für die indigene Bevölkerung von Bedeutung. Zudem ist die Lithium-Gewinnung extrem wasserintensiv. Gleichzeitig sammelt es sich vor allem in extrem wasserarmen Regionen an. Dadurch muss Wasser aus umliegenden Regionen entnommen werden, was wiederum extreme Auswirkungen auf Natur und Umwelt hat.

Es kann nur eine sozialistische Perspektive der Arbeiter*innenklasse sein, die die Produktion vergesellschaftet und in eine demokratische Planwirtschaft überführt, die eine tatsächliche Antwort auf die Klimakrise liefert. Dazu ist auch eine internationale Antwort der Arbeiter*innenklasse nötig. Die Befürworter*innen von CO2-Steuer und Dieselfahrverboten – Versuche, die Klimakrise auf den Rücken der subalternen Klassen abzuwälzen – sind auch diejenigen, die Militärdiktaturen in anderen Ländern begrüßen.

Um dies zu gewährleisten, reicht es nicht, Wohlstand neu zu definieren oder auf einen Zusammenbruch des Klassenkompromiss zu hoffen, sondern man muss eine revolutionäre Strömung innerhalb der Arbeiter*innenbewegung aufbauen, deren höchster Ausdruck eine Partei ist. Dies ist ein bewusster Akt. Die objektiven Bedingungen sind besser vorhanden als jemals zuvor.

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