Klima vs. Arbeiter:innen? Wie müssen wir die Gesellschaft verändern?
Klimagerechtigkeit kostet Arbeitsplätze, und ist letztendlich zumindest den Interessen der Industriearbeiter:innen entgegen gesetzt. Oder? Nein, sagen wir, und gehen der Frage auf den Grund, wie die Gesellschaft überhaupt verändert werden muss, um Klimagerechtigkeit zu erreichen.
Mindestens seit den Protesten und Aktionen rund um den Hambacher Forst gibt es einen wahrgenommenen Gegensatz zwischen Klimagerechtigkeit und Arbeiter:innenklasse: Auf der einen Seite kleinbürgerliche Aktivist:innen, auf der anderen Seite Arbeiter:innen, die um ihre Jobs fürchten. Auch die Gewerkschaften arbeiten fleißig daran, diesen Gegensatz zu zementieren und so zu tun, als sei er nicht aufzulösen. Tadzio Müller (Neues Deutschland, ND) veröffentlichte einen Beitrag über den Widerspruch der Industriegewerkschaften IG BCE (Bergbau, Chemie, Energie) und IG Metall zur Klimagerechtigkeit, auf die unter anderem LabourNet antwortete. Leider wird die zentrale Frage dieser Debatte bis jetzt außen vor gelassen: Was für eine Transformation brauchen wir überhaupt? Wie müssen wir die Welt so verändern, dass wir das Klima gerettet bekommen?
Hintergrund der Debatte sind die jüngsten ablehnenden Äußerungen des IG Metall-Chefs Jörg Hofmann zur Kaufprämie für Elektroautos, sowie der jahrelange Zwist zwischen der Bergbaugewerkschaft IG BCE und Klimaaktivist:innen. Denn die IGBCE-Bürokratie war sich selbst nie zu schade, gemeinsam mit den Bossen der Kohleindustrie gegen Ende Gelände zu mobilisieren und ihre eigene Basis ganz getreu der sozialpartnerschaftlichen Logik gegen die Anti-Atom und Anti-Kohlebewegung in Stellung zu bringen.
Was den Vorsitzenden der IG Metall bei seinen jüngsten Äußerungen umtrieb, war der Einsatz der SPD gegen eine Kaufprämie für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, um der Corona-bedingt angeschlagenen Automobilindustrie wieder auf die Beine zu helfen. Stattdessen setzte sich die SPD-Spitze für eine Kaufprämie für Elektrofahrzeuge ein. Sie wollte die Wirtschaftshilfen mit der ökologischen Transformation der Wirtschaft verbinden. Hofmann sprachin Berlin vor dem Brandenburger Tor auf einer Kundgebung der IG Metall unter dem Motto #fairwandel: Er wolle die ökologische Transformation lediglich mit sozialen Maßnahmen begleiten. Dabei lobte er die Innovationskraft des Kapitalismus. Diese müsse man lediglich durch Sozialreformen ergänzen.
Die Gewerkschaftsbürokratie – ein falscher Fokus?
Benjamin Körner und Elisa Hüller antworteten in ihrem Beitrag zur im ND eröffneten Debatte auf Labournet mit einer Analyse der Gewerkschaften, indem sie den Widerspruch zwischen Basis und Führung in den Vordergrund rücken:
Es gibt ehrenamtliche FunktionärInnen, einfache Mitglieder, die in Streiks und im Betrieb aktiv sind, und viele Mitglieder, die nur Beiträge zahlen. Für ihre jeweilige politische Praxis macht es einen großen Unterschied, ob es sich z.B. um eine Vertreterin der IG Metall-Führung, eine aktive Pflegekraft in einem Krankenhaus, einen linken Gewerkschaftssekretär oder eine Beschäftigte in der Autoindustrie handelt. Sie alle arbeiten nicht nur in unterschiedlichen Branchen, sondern haben auch unterschiedliche Positionen innerhalb der kapitalistischen Klassengesellschaft und der gewerkschaftlichen Organisation und daraus abgeleitet zum Teil auch unterschiedliche Interessen.
Was bedeutet diese Analyse für die Praxis, was ist die umrissene theoretische Basis gemeinsamen Handelns, wie sie sagen?
Ein Anfang wäre zu schauen, welche Teile der Gewerkschafts- und Klimaaktiven mindestens potenziell eine antikapitalistische Orientierung haben. Die gegenseitige Unterstützung muss vor allem in konkreten Kämpfen stattfinden … und von der Basis der Bewegungen ausgehen (und nicht auf die jeweiligen Führungen fokussieren). … Teile der Gewerkschaftsapparate werden weiterhin an sozialpartnerschaftlichen und innerkapitalistischen Scheinlösungen festhalten, aber wir sollten uns daran nicht abarbeiten, während sich in der Krise die Klassenkämpfe weiter zuspitzen werden.
Sie verzichten also darauf, die unteren Teile der Gewerkschaftsbürokratie explizit von der gewerkschaftlichen Basis zu trennen, was in der Konsequenz der Frage ausweicht, mit was für einem Programm die Arbeiter*innen in den Gewerkschaften gegen die bürokratische Führung kämpfen können. Tatsächlich weichen sie dem nicht nur aus, sondern lehnen diese Auseinandersetzung als unwichtiges „abarbeiten“ sogar explizit ab. Dabei ist das die eigentliche Kernfrage und sie ist eng mit der Frage der Veränderung der Gesellschaft verbunden, wie angeführten Haltungen der Führungen von IG BCE und IG Metall exemplarisch zeigen.
Der Strukturwandel hat schon längst begonnen
Es wurden bereits der Einsatz der SPD-Führung für eine Autokaufprämie für Elektroautos und die Kundgebung der IG Metall unter dem Motto #fairwandel erwähnt, die Ausdruck der aktuellen Situation sind. Wir erleben bereits Massenentlassungen und Schließungen in der Industrie. Ein Beispiel ist die Schließung des Werks von Voith in Sonthofen, aber auch die Entlassungswelle in der Automobilzulieferindustrie. Dies geschieht bereits jetzt unter dem Einfluss des Strukturwandels. Über deutschen Autobahnen entstehen Oberleitungen zur Erprobung von neuen LKW-Konzepten. Gleichzeitig liefern sich Daimler, Tesla und weitere Unternehmen einen Konkurrenzkampf um den ersten batteriebetriebenen Elektro-LKW in Serienproduktion.
Wir erleben einen harten globalen Konkurrenzkampf um seltene Erden, die ein Grundbaustoff für leistungsstarke Batterien und damit eine Schlüsselressource für die Elektromobilität sind. Besondere Ausdrücke dieses Wettkampfs waren Trumps plumper Versuch, Grönland zu kaufen, aber auch der von Elon Musk inzwischen gelöschte Tweet zum Militär-Putsch in Bolivien:„Wir putschen wo und wann wir wollen, lebt damit!“ Dass es beim Coup in Bolivien nur um die Rohstoffe im größten Salzsee der Erde ging, ist unbestritten. Lange herrschte unter dem indigenen Präsidenten Evo Morales Aufbruchstimmung. Er versprach seinem Land mit dem Lithium-Boom Aufstieg und Wohlstand. Der Militärputsch machte diese Hoffnungen zunichte und zeigt nur, dass auch im postfossilen Zeitalter der Imperialismus weiterhin mit harter Hand die Zugänge zu den Rohstoffen behält.
Hüller und Körner beziehen richtigerweise Stellung gegen den von Tadzio Müller aufgeworfenen globalen Nord-Süd-Konflikt. Wir hatten bereits an anderer Stelle dazu geschrieben und betont, dass es sich dabei nicht um einen klassenübergreifenden Konflikt handelt, sondern dass die Bourgeoisie sowohl in den imperialistischen Zentren, als auch in den halbkolonialen, abhängigen Ländern ein objektives Interesse am Imperialismus hat, das den objektiven Interessen der Arbeiter*innenklasse entgegensteht. Hüller und Körner schreiben weiter:
Die Lohnabhängigen überall auf der Welt haben das gemeinsame Interesse, nicht ausgebeutet zu werden und in einer intakten Umwelt leben zu können … Demgegenüber steht das Interesse des Kapitals, Mensch und Natur für den Profit so lange und so maximal auszubeuten, wie es nur geht.
Damit übersehen sie, ebenso wie auch Müller, dass die ökologische Transformation längst im Gange ist, und zwar im Interesse der Bourgeoisie, die mit bekannter Manier ihre sozialen Interessen durchsetzt.
Welcher Strukturwandel für welche Klasse?
Alle sind sich also darüber einig, dass ein Strukturwandel nötig ist. Gestritten wird lediglich darum, in welchem Zeitraum dieser Wandel vollzogen wird und wer bis dahin wie viel vom Kuchen abbekommt.
Da kann man natürlich daher kommen und sagen, dass der Wandel nicht schnell genug läuft oder dass die Kohleindustrie mit zu viel Rücksicht behandelt wird. Dadurch alleine stellt man aber nicht einen Fußbreit den schon existierenden Strukturwandel unter kapitalistischen Bedingungen in Frage. Man fordert lediglich, dass das besondere Interesse bestimmter Wirtschaftszweige dem kapitalistischen Gesamtinteresse untergeordnet werden müssen. Aber gerade der bürgerliche Staat und die Regierung sind es, die das kapitalistische Gesamtinteresse steuern und lenken. Der Widerspruch lässt sich also nicht auf die Formel „Klima vs. Kapital“ zusammenfassen. Schon heute gibt es eine Fraktion im Kapital, die sich den Grünen anschließt. Erinnern wir uns an die Bahlsen-Erbin, die damit warb, dass ihre Familie Zwangsarbeiter:innen gut behandelt habe. Sie ist sehr engagiert im Bereich nachhaltiger Ernährungswirtschaft. Oder eine Voith-Erbin, die ihr Vermögen nutzt, um ihre Karriere bei den Grünen voranzutreiben und um fleißig in Bio-Bauernhöfe zu investieren.
Deutsche Konzerne machen Geld mit Oberleitungen über Autobahnen, statt mit Investitionen in das deutsche Schienennetz, wo übrigens infolge der Reform der Deutschen Bahn fleißig Güteranschlüsse gekappt wurden, auch einer der Gründe dafür, dass jetzt so viele LKW über deutsche Straßen rollen. Aber der Kapitalismus macht selbst daraus noch Profit und entdeckt in Elektro-LKW einen neuen Markt, getreu dem Motto: „Bau auf, reiß nieder, hast Du Arbeit immer wieder“ – beziehungsweise Profit für die Kapitalist*innen.
Das ist also die ökologische Transformation unter kapitalistischen Bedingungen, eine Transformation, die zur Zerstörung des Planeten führen wird.
Die ökologische Transformation unter Arbeiter:innenkontrolle
Die Arbeiter:innenklasse kann den Fakt der globalen Erderwärmung nicht einfach ignorieren. Eine ökologische Transformation der Gesellschaft ist notwendig, aber offenbar doch eine ganz andere, als die der Kapitalist:innen. Dazu müssen wir zuerst einmal analysieren wie der Kapitalismus überhaupt funktioniert und warum er sich mit den ökologischen Interessen beißt.
Das grundlegende Problem ist, dass im Kapitalismus nur für den Profit produziert wird. Der Profit selbst wird wiederum investiert, um noch mehr Profit herauszuschlagen. Es wird gar nicht darauf geachtet, was überhaupt gebraucht wird oder wie man es am besten produzieren kann. Häufig wird argumentiert, mit einem bewussten Konsumverhalten könne man die Produktion regulieren. Das ist absolut falsch. Die Nachfrage regelt nicht das Angebot, sondern Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Wenn nun die Nachfrage nach einem bestimmten Produkt sinkt, das Angebot aber gleich bleibt, dann sinkt infolge dessen der Preis. Was aber tut ein:e Kapitalist:in, der:die nun infolge dessen weniger Profit erwirtschaftet?
Sie könnten sich mit anderen Kapitalist:innen absprechen. Das ist allerdings verboten, und widerspricht auch grundlegend der kapitalistischen Logik. Und kaum jemand, die:der sich für ökologischen Konsum interessiert, würde dieses Verbot aufheben wollen, weil die Geschichte zeigt, dass jedes Mal wenn es Absprachen unter Kapitalist:innen gab, diese sich genau gegen diejenigen gerichtet haben, die ökologischer konsumieren wollten: Die Verbraucher:innen.
Die Regulierung könnte ein wichtiges Instrument darstellen. Es fragt sich dabei nur: Unter wessen Kontrolle? Wenn es eine Transparenz über die Regulierung gäbe, darüber wie Produktionsmenge und Preise entschieden werden, dann wäre dies ein wirkungsvolles Mittel, um den umweltschädigenden Auswirkungen des Kapitalismus zumindest etwas die Stirn zu bieten. Preisüberwachungsausschüsse „gebildet aus Delegierten der Fabriken, der Gewerkschaften, der Genossenschaften, der Bauernorganisationen, der „kleinen Leute“ der Städte, der Hausfrauen usw.“, wie Trotzki sie im Übergangsprogramm vorschlägt wären eine solche Möglichkeit. Ohne Absprachen bliebe den Kapitalist:innen sonst nur ein Mittel übrig. Sie müssen nicht weniger, sondern mehr produzieren, um trotz sinkender Preise ihre Profitrate halten zu können und sich im Konkurrenzkampf behaupten zu können. Ein Kampf auf Leben und Tod beginnt, wie wir ihn in der Milchindustrie beobachten. Die niedrigen Milchpreise haben nicht dazu geführt, dass weniger Milch produziert wird. Stattdessen haben zahlreiche kleine Milchbetriebe aufgegeben, während die Zahl der Großbetriebe gestiegen ist, mit schlimmen Folgen für die Umwelt. Infolge der wachsenden Industrialisierung der Milchbetriebe musste die Produktion intensiviert werden. Die Magerwiese, die lange ein Hotspot der Biodiversität gewesen ist, wurde von der Fettwiese fast vollständig verdrängt. Statt einmal ihm Jahr das Heu einzufahren, wird nun massiv gedüngt und mehrmals im Jahr gemäht, um Grünfutter für die Kühe zu produzieren. Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, das große Überangebot in der Milchindustrie, hat der Umwelt nicht geholfen, sondern ihr geschadet.
Aber auch in vielen anderen Bereichen wird weiterhin für die Mülltonne produziert, ganz unabhängig von der Nachfrage. So ist zum Beispiel mit dem Bau immer größerer Containerschiffe eine Überproduktionskrise im Containerschiffbau ausgebrochen. Die unrentabel gewordenen Schiffe sind an den Küsten von Indien und Pakistan gelandet, wo sie unter ökologisch wie menschlich fragwürdigen Bedingungen verschrottet werden.
Nicht neue Technologien, sondern nur eine demokratisch geplante Produktion kann das Problem lösen. Dazu muss die Produktion aber selbst erstmal die vergesellschaftet werden. Beides beißt sich grundlegend mit den sozialen Interessen der Bourgeoisie. Sie müssen weiterhin Profit erwirtschaften, um sich am Markt behaupten zu können. Die Arbeiter:innenklasse hat aber gar kein Interesse, für die Bosse diesen Profit zu erwirtschaften. Sie haben auch kein Interesse daran, jedes mal unter den Folgen wirtschaftlicher Krisen leiden zu müssen. Eine Vergesellschaftung der Produktion unter demokratischer Kontrolle würde sowohl ihren materiellen Wohlstand, als auch ihre Lebensqualität heben, bei einer maximalen Reduktion der durchschnittlichen Arbeitszeit, bei vollem Lohnausgleich. Nur eine vergesellschaftete Produktion unter demokratischer Kontrolle kann sicherstellen, dass die notwendige Arbeit gerecht auf alle verteilt wird. Das ist nicht nur eine Utopie in den Köpfen einiger Intellektueller, sondern gerade in Zeiten der drohenden ökologischen Katastrophe umso mehr eine historische Notwendigkeit.