Kleintierklinik Berlin-Düppel: Hundeelende Arbeitsbedingungen!
An der Kleintierklinik der Freien Universität Berlin in Düppel herrschten offenbar haltlose Zustände: bis zu 73 Stunden Arbeit die Woche, uneinhaltbare Vorschriften. Ein Gastbeitrag von Lasse Reinboeng.
In den Räumen der Kleintierklinik Berlin-Düppel kümmern sich rund um die Uhr Tierärzt*innen um Hund, Katze und Co. Die Klinik bietet neben der täglichen Sprechstunde einen nächtlichen Notdienst. Aber wer sind die Held*innen, die in Düppel Nachtschichten schieben und schon so manch Tierleben gerettet haben?
Laut einem Flugblatt der ver.di-Personalräte wurden „über Jahre approbierte Tierärzt*innen, die promovierten oder ein Praktikum absolvieren wollten, als Vollzeit-Gratis-Jobber unter Vertrag genommen und ausgebeutet. Das de-facto-Arbeitsverhältnis wurde von der Freien Universität als „Ausbildung“ definiert. Die FU Berlin soll die gleichen Personen zusätzlich als Leiharbeitnehmer*innen für Nacht- und Wochenenddienste beschäftigt haben“.
Leiharbeitgeber*in war das 100-prozentige Tochterunternehmen der FU, die Betriebsgesellschaft der Zentraleinrichtung für den Botanischen Garten (BG BGBM), die mit Serviceaufgaben am Botanischen Garten beauftragt ist. Jetzt wurde öffentlich, dass neben den circa 70 Beschäftigten am Botanischen Garten etwa 40 zusätzliche Leiharbeitnehmer*innen mittels Arbeitnehmerüberlassung vom Tochter- ans Mutterunternehmen verliehen wurden. In der Regel haben Beschäftigte in derartigen Strukturen besonders prekäre Arbeitsbedingungen.
Bis zu 73 Stunden Arbeit in der Woche
Recherchen zufolge mussten die an die FU verliehenen, angehenden Tierärzt*innen bis zu 70 Stunden pro Woche bei minimaler Bezahlung weit unter dem Mindestlohn und fernab des Tarifvertrages der Länder (TV-L) ihren Dienst tun. Die Leiharbeitsverträge der angehenden Doktorand*innen waren immer auf ein halbes Jahr befristet, diese mussten also entsprechend häufig verlängert werden. Das Abschließen des Zeitarbeitsvertrages und die Erfüllung der damit verbundenen Dienste war verpflichtende Voraussetzung für die Durchführung der Doktorarbeit. Dabei verdiente die Betriebsgesellschaft als Verleiherin an jeder geleisteten Stunde mit.
Die Grundwochenarbeitszeit betrug für die angehenden Doktoranden 47 Stunden. Hinzu kamen zusätzliche Dienste. wie Pfleger-, Zwischen- und Nachtdienste, die über den Zeitarbeitsvertrag der BG BGBM organisiert waren. Die normale, „offizielle“ Wochenarbeitszeit der sogenannten „Zwischendienstler“ betrug skandalöse 55 Stunden. War man am Wochenende zum Stationstierarzt-Dienst eingeteilt, kamen nochmal 18 Stunden dazu. Nach 73 Stunden Arbeit pro Woche gab es keinen Tag frei, sondern die Arbeitswoche schloss direkt an eine weitere 55-Stunden-Woche an.
Bei den Doktorand*innen im Nachtdienst waren die angeordneten Dienste ebenso skandalös. Diese arbeiteten nicht selten eine 63-Stunden-Woche, gefolgt von einer 72-Stunden-Woche, gefolgt von einer 54-Stunden-Woche. Das Ganze ohne einen einzigen vollständig freien Tag!
Den Beschäftigten war es Berichten zu Folge, aufgrund nicht ausreichender personeller Besetzung, oft nicht möglich die gesetzlichen Pausen einzuhalten, das heißt auch nicht zu essen. Von Seiten der Klinikleitung wurde die Einhaltung der Pausen weder kontrolliert noch aktiv eingefordert.
Die angehenden Doktorand*innen wurden offenbar nicht ausgebildet, sondern dienten als preiswerte Arbeitskräfte. Die Doktorarbeit sollte zwei bis zweieinhalb Jahre dauern. Die tatsächliche Dauer lag eher bei durchschnittlich drei bis vier Jahren. Ungefähr jede*r dritte Doktorand*in brach Berichten zur Folge die Dissertation ab.
Einmal im Jahr fand eine einwöchige Fortbildung in der Schweiz statt, an der jeweils drei Doktorand*innen gegen Mitarbeit teilnehmen „durften“. Die teilnehmenden Mitarbeiter*innen waren dabei dazu verpflichtet, für diese Woche fünf Tage Erholungsurlaub trotz Mitarbeit zu nehmen, besser gesagt: Es wurden die fünf Tage automatisch vom Erholungsurlaub abgezogen.
Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit?
Der Hauptgrund der beschriebenen Arbeitsbedingungen lag wohl in der personellen Unterbesetzung. Es hätte den Betreibern klar sein müssen, dass eine derart stark frequentierte Klinik mit so niedriger Personalzahl und durchgehenden Öffnungszeiten (24/7) nicht im Einklang mit dem Arbeitszeitschutzgesetz zu bringen ist. Erschwerend kam hinzu, dass durch das hohe Arbeitspensum und die fehlenden Pausenzeiten zwangsläufig Behandlungsfehler in Kauf genommen wurden.
Laut Berichten wurden Lösungsvorschläge der Betroffenen von der Klinikleitung nicht angenommen. Der Tonfall der Klinikleitung sei dabei stets aggressiv gewesen und es wurde Faulheit unterstellt. Das Ergebnis der Versuche war offenbar ein Klima der Angst vor Repressalien und somit blieben für alle Doktorand*innen nur zwei Möglichkeiten: die Situation hinnehmen oder kündigen. Die Klinikleitung und die Geschäftsführung der Betriebsgesellschaft vernachlässigten zweifellos ihre Fürsorgepflicht, indem sie die Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz ignorierten und Profitinteressen in den Vordergrund stellten.
Veritas, Lustitia, Libertas. Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit, das sind die Leitbegriffe des Siegels der Freien Universität. Die Freie Universität meint damit die Ausrichtung an einem allgemein anerkannten Wertekanon im Zeichen persönlicher Verpflichtung und gesellschaftlicher Verantwortung. Diese Leitbegriffe dürften rückblickend für die Betroffenen wie blanker Hohn klingen. Inzwischen war der Sachverhalt auf Initiative der ver.di-Personalräte aus Dahlem beim Verwaltungsgericht des Landes Berlins in der Prüfung, wo ein Vergleich erstritten werden konnte.
Fraglich ist, ob in Zukunft die Freie Universität ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten ebenso nachkommt, wie es für die Tierärzt*innen aus Düppel, die Tag und Nacht mit vollem Einsatz Tiere behandeln und pflegen, eine Selbstverständlichkeit ist.