Kleiner Aufstand an der FU
// Eine Bilanz der Proteste gegen die RSPO an der Freien Universität Berlin //
An den deutschen Universitäten ist seit dem Ende der großen Bildungsstreiks von 2009/2010 nicht viel passiert. Umso überraschender war es, als eine neue Studienordnung an der Freien Universität Berlin einen kleinen Aufstand auslöste.
Im Juni 2012 sickerte ein Entwurf für eine neue „Rahmenstudien- und Prüfungsordnung“ (RSPO) an die Studierenden durch. Das Präsidium, unter dem seit 2010 amtierenden Präsidenten Peter-André Alt, wollte eine Reihe von Verschlechterungen für die Studierenden ohne viel Diskussion vom Akademischen Senat verabschieden lassen. Die neue Ordnung war vom neuen Berliner Hochschulgesetz, das im Mai 2011 mit den Stimmen der damaligen Senatsparteien SPD und Linkspartei beschlossen wurde, vorgeschrieben – aber an der FU sollte mit einer besonders restriktiven Auslegung des Gesetztes ein Angriff auf die Rechte der Studierenden durchgeführt werden.
Bei der ersten Vollversammlung am 6. Juni, die mit 700 Studierenden den größten Hörsaal füllte, wollten die Studierenden mit dem Präsidium reden – doch dieses verweigerte jede Diskussion, bis die Studis ihre Tür fast eintraten! Über die nächsten Monate gab es immer wieder Vollversammlungen und Demonstrationen, mehrmals wurden Sitzungen des Akademischen Senats von Studierenden gesprengt. Das Präsidium bezeichnete sich selbst als „dialogbereit“, wollte jedoch keine wesentlichen Zugeständnissen machen. Stattdessen setzte es immer mehr auf Repression, um die RSPO endlich am 20. März 2013 beschließen zu können.
Wir von der marxistischen Gruppierung Waffen der Kritik an der FU Berlin, die aus AktivistInnen der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) und unabhängigen Studierenden besteht, waren von Anfang an Teil dieser Protestbewegung, auch wenn wir nicht zum kleinen Kern des BIldungsstreik-Plenums gehörten. Davon wollen wir nun eine Bilanz ziehen: Angesichts eines dilettantischen Präsidiums und eines relativ breiten Sektors der Studierendenschaft, der zum Kampf bereit war – warum konnten die Studierenden nicht gewinnen? Hier reicht es nicht, auf die strukturelle Übermacht des Präsidiums zu verweisen – welche Lehren müssen wir ziehen, um die nächste Protestbewegung schlagkräftiger zu machen?
Hochschul-Demokratie…
Die Universitäten der BRD sollen „demokratische“ Institutionen sein. Doch seit 1973 schreibt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vor, dass es in allen universitären Gremien eine Mehrheit von ProfessorInnen geben muss, weil sie angeblich die einzigen TrägerInnen der Freiheit von Lehre und Forschung seien. Deswegen gibt es etwa an der FU von den 25 Mitgliedern des Akademischen Senats nur vier VertreterInnen der Studierenden, aber 13 der ProfessorInnen. Dabei machen Studierende 87% der Universitätsangehörigen aus, ProfessorInnen knapp 1%.
Selbst die Mechanismen dieser Scheindemokratie – die stärker an ein feudales Ständesystem als an eine bürgerlich-parlamentarische Demokratie erinnert – wurden in den letzten Jahren vom FU-Präsidium untergraben. Die Ursache dafür ist nicht beim Präsidenten Alt zu suchen (und auch nicht bei seinem besonders verhassten neoliberalen Vorgänger Dieter Lenzen). Vielmehr liegt es an den Angriffen der herrschenden Klasse auf das Bildungssystem in den letzten Jahren, um dieses noch stärker an die Bedürfnisse der Wirtschaft anzupassen, zum Beispiel mit dem Bologna-Prozess. Studierende sollen sich mehr mit Klausuren und weniger mit (Hochschul-)Politik beschäftigen.
Eine Reihe von studentischen AktivistInnen konzentriert sich auf die Arbeit in den Gremien dieser Scheindemokratie. Wir schätzen es, dass sie die Studierendenschaft über die Vorhaben des Präsidiums informieren und, soweit es geht, Widerstand innerhalb dieser bürokratischen Strukturen leisten. Doch letztendlich kann man in den Gremien nichts erreichen, denn dort haben wir Studierenden 16% der Stimmen. Aber in jedem anderen Raum der Universität haben wir unsere 87%-Mehrheit, die wir mit Demonstrationen, Versammlungen und Besetzungen zum Vorschein bringen können.
Eine Fixierung auf Gremienarbeit kann einer Protestbewegung die Zähne ziehen, da der Schwerpunkt weg von einem besetzten Hörsaal und hin zu einem „runden Tisch“ verlagert wird. Wie wir 2009/2010 beobachten konnten, sind die ProtagonistInnen dann nicht mehr die Protestierenden, sondern einige wenige „ExpertInnen“, die sich mit den Paragraphen auskennen und mit am Verhandlungstisch sitzen. Außerdem leistet diese Gremien-Fixierung der Vorstellung Vorschub, innerhalb der bürgerlichen Universität eine kleine Insel der Freiheit errichten zu können – anstatt aus den Erfahrungen der letzten Bildungsstreiks zu lernen, dass kleine Zugeständnisse die grundlegende Situation zwar nicht verbessern können, aber trotzdem als Mittel zur Delegitimation unserer Interessen verwendet werden.
…und Hochschul-Repression
Eine undemokratische Universität braucht zwangsläufig Mittel, um eventuellen studentischen Protest zu unterdrücken. Im Laufe der Proteste gegen die RSPO sahen wir verschiedene Beispiele von Repression: Am 23. Januar ließ das Präsidium das Hauptgebäude von 80 PolizistInnen abschirmen; am 6. Februar führte es die Senatsmitglieder an einen geheimen Ort und ließ dort Protestierende von Securitys verprügeln, die offensichtlich der rechten „Türsteherszene“ zuzurechnen waren. Obwohl die Polizei eine explizite Einladung vom Präsidenten braucht, um auf dem Universitätsgelände eingreifen zu können, wollte das Präsidium nicht zu diesem Polizeieinsatz Stellung nehmen – offensichtlich eine peinliche Angelegenheit. Warum kam es zur „Eskalation“ oder zur „Verhärtung der Fronten“?
Einerseits haben wir es mit einer besonders dilettantischen Leitung der Universität zu tun: Statt mit langwierigen und langweiligen Gesprächsrunden und kosmetischen Zugeständnissen die reformistisch Gesinnten unter den Protestierenden zu befriedigen – wie studentische Proteste schon oft genug beendet wurden –, reagiert diese jüngere Generation der UnibürokratInnen schon auf die kleinsten Proteste völlig überfordert und setzt auf paramilitärische Lösungen. Mit der Repressionskarte haben sie selbst immer mehr Studierende in die Auseinandersetzung über die RSPO hineingezogen.
Andererseits muss jedes kapitalistische Bildungssystem Elemente von Repression beinhalten. Denn es geht letztendlich immer um die Ausbildung gefügiger Arbeitskräfte für den kapitalistischen Markt (mit einigen wenigen Ausnahmen, die später selbst ManagerInnen oder KapitalistInnen werden). Die „Freiheit“ des Marktes muss durch die „besonderen Formationen bewaffneter Menschen“ der herrschenden Klasse verteidigt werden – genauso muss auch die Herrschaft der Bourgeoisie über die Universität letztendlich durch Gewalt gesichert werden, wenn andere Mittel dazu nicht ausreichen. Wir haben uns bemüht, die breite Ablehnung der Studierenden gegen diesen Polizeieinsatz zu einer politischen Kampagne zu machen.
Autonome Politikformen …
Die meisten AktivistInnen, die die Proteste organisierten, würden wir als „Autonome“ bezeichnen. Über viele Monate haben wir gemeinsam mit ihnen demonstriert, aber wir hatten auch immer wieder kontroverse Diskussionen darüber, welche Politik notwendig war, um die RSPO zu verhindern. Deswegen möchten wir eine solidarische Kritik an autonomen Politikformen formulieren.
Wir MarxistInnen treten für eine Rätedemokratie als Alternative zur bürgerlich-parlamentarischen Diktatur des Kapitals ein – deswegen versuchen wir bei jeder Auseinandersetzung, die demokratische Selbstorganisierung der Unterdrückten voranzutreiben, um erste Schritte hin zum Aufbau von Räten zu machen. Konkret auf die Universität bezogen heißt das, dass Vollversammlungen der Protestierenden alle Entscheidungen treffen sollten.
Bei den Protesten gegen die RSPO jedoch wurde das nicht so praktiziert: Zwar gab es Vollversammlungen, aber diese dienten lediglich dem Informationsaustausch. Entscheidungen über die nächsten Schritte wurden nur beim „Bildungsprotest-Plenum“ getroffen – dieses war nicht nur wesentlich kleiner als die Vollversammlungen (mit 10–20 statt bis zu 700–800 TeilnehmerInnen), sondern aufgrund der häufigen und besonders langen Sitzungen für die meisten Studierenden schon aus Zeitgründen nicht zugänglich. Hinzukommt, dass nur im Kreis der schon dort Aktiven für sie mobilisiert wird.
Dieser Mangel an beschlussfähigen Vollversammlungen führte dazu, dass es kein klares Mandat für die Aktionen gegen die RSPO gab – das Präsidium konnte behaupten, nur eine kleine radikale Minderheit sei gegen ihre Politik. Deswegen gab es auch wenige „MultiplikatorInnen“: Jemand, der eine bestimmte Aktion selbst in der Versammlung mit beschließt, wird auch am zuverlässigsten zum Gelingen der Aktion beitragen.
Darauf entgegnen unsere autonomen MitkämpferInnen, dass sie eine Vollversammlung grundsätzlich undemokratisch ist: Was ist mit den Leuten, die die Entscheidung der Mehrheit nicht gut finden? Werden sie nicht ausgeschlossen? Man kann zwar in einer Arbeitsgruppe mit fünf Personen nach vielen Stunden einen Konsens zu allen Fragen finden – doch dabei schließt man die Hunderten Studierenden, die dafür keine Zeit haben, umso gründlicher aus.
Die Strukturen, die zwischen den Vollversammlungen arbeiten, sollten von der Vollversammlung gewählt und legitimiert sein. Nicht „irgendjemand“, der/die gerade Zeit hat, sollte die Protestbewegung gegen die RSPO vertreten, sondern die gewählten Vertrauenspersonen der Studierenden selbst. Diese gewählten Vertrauenspersonen sollen den Studierenden gegenüber direkt verantwortlich und rechenschaftspflichtig sein – sobald sie das Vertrauen der Studierenden missbrauchen, sollen sie abgewählt werden können. Dies erscheint uns als die einzige demokratische Variante, die gewährleistet, dass diejenigen mit weniger Zeit in die Proteste eingebunden und auch ihre Meinungen und Interessen beachtet werden.
Wir erleben die merkwürdige Situation, dass wir MarxistInnen von Autonomen als eine „autoritäre“ Avantgarde kritisiert werden – obwohl wir dafür eintreten, dass alle Entscheidungen von der Masse getroffen werden, während die Autonomen die Entscheidungen einer kleinen, selbsternannten „Elite“ überlassen! Aktionen, die nach dem „Initiativprinzip“ im kleinen Kreis beschlossen werden, können aber nie so kraftvoll sein wie Mobilisierungen der Massen. Diese Art von „Basisdemokratie im Hinterzimmer“ mag für die wenigen Beteiligten besonders demokratisch wirken – doch sie gibt der breiten Masse keinerlei Stimme und ist deswegen nicht demokratisch.
… und eine marxistische Alternative
Wenn wir eine „Demokratisierung der Universität“ fordern, dann sollten wir bei unseren eigenen Protesten damit anfangen! Denn die Erfahrungen der Selbstorganisierung der Protestierenden in einer Bewegung sollen nur eine Vorstufe sein zum Sturz der undemokratischen, kapitalistischen Strukturen der Uni und der Selbstverwaltung von allen Lernenden und Lehrenden. Wir wollen nämlich keine „Viertelparität“ in den Gremien sondern das Prinzip „Ein Mensch, eine Stimme“.
Doch eine demokratische Universität in einem kapitalistischen System ist ein bisschen wie ein Iglu in der Wüste: wäre eine schöne Sache, ist aber kaum machbar und erst recht nicht haltbar. Die Selbstorganisierung der Studierenden – und die Öffnung der Universitäten für alle, die etwas lehren oder lernen wollen, unabhängig von ihren Qualifikationen und ihrer finanziellen und sozialen Situation – im Kampf für ein selbstbestimmtes Bildungssystem macht nur Sinn als Teil des Kampfes für eine Gesellschaft, in der die breite Mehrheit, die arbeitende Bevölkerung also, die Macht der KapitalistInnen bricht und die Produktionsmittel selbst verwaltet. Eine sozialistische Gesellschaft würde eine Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit und ein selbstverwaltetes Lernen und Lehren von allen bedeuten.
Deswegen suchen wir als marxistische Studierende die Verbindung zu den Kämpfen der ArbeiterInnenklasse. Die Einheit von Arbeitenden und Studierenden ist ein wichtiger erster Schritt, um gegen die Herrschaft des Kapitals zu kämpfen. Dazu schlagen wir vor, dass wir im kommenden Semester eine große Kampagne gegen Prekarisierung an der Universität aufbauen. Mit einem Kampf gegen unsichere Arbeitsverhältnisse – im akademischen Mittelbau, in der Mensa, in der Reinigung – könnten wir eine konkrete Verbindung zwischen Arbeitenden und Studierenden herstellen. Diese Kampagne muss darauf zielen, die Selbstorganisierung aller Unterdrückten voranzutreiben.
Chronologie der Proteste gegen die RSPO
Anfang Juni 2012:
Ein Entwurf für eine neue „Rahmenstudien- und -prüfungsordnung“, die vom Präsidium erarbeitet wurde, sickert zu den Studierenden durch.
(Waffen der Kritik dazu: Wie weiter gegen die RSPO?)
12. Dezember 2012:
200 Studierende wollen an einer Sitzung des Akademischen Senats teilnehmen, müssen aber im Foyer bleiben. Dort gibt es eine Diskussion mit dem Präsidium aber keine Zugeständnisse.
(Waffen der Kritik dazu: Polizei raus! Gegen jede Repression!)
6. Februar 2013:
200 Studierende blockieren das Audimax, um eine Sitzung des AS zu verhindern. Die Sitzung wird nach wenigen Minuten ohne Ergebnis abgebrochen.