Kirchner vor Comeback bei Argentinien-Wahlen?

21.10.2017, Lesezeit 6 Min.
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In Argentinien erschüttert der wahrscheinliche Tod von Santiago Maldonado das Vertrauen der Massen in das politische System. Die ehemalige Präsidentin Christina Kirchner versucht das bei den Parlamentswahlen am Sonntag für ihr Comeback auszunutzen.

Noch vor wenigen Wochen sah es so aus, als wenn die rechte Regierung von Mauricio Macri in Argentinien bei den Parlamentswahlen am Sonntag klar triumphieren würde. Doch der Fund der wahrscheinlichen Leiche von Santiago Maldonado löste wenige Tage vor den Wahlen einen Sprung in der politischen Krise aus, die sich schon seit dem Verschwinden des jungen Aktivisten Anfang August immer weiter zuspitzte.

Die Wahlen sollten eine Bestätigung für die politische Agenda des vor zwei Jahren gewählten neoliberalen „Präsidenten der Bosse“ werden: Nachdem er in seiner bisherigen Amtszeit zehntausende Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen, die Währung entwertet und streikende Lehrer*innen unterdrückt hat, hatte er als nächsten Schritt eine Arbeitsmarktreform geplant.

Der Optimismus der Macrist*innen ist verflogen

Es ist zwar noch zu früh, um definitiv abzuschätzen, welchen Einfluss die Krise wegen Santiago Maldonado auf die Wahlen haben wird, doch Vertreter*innen der Regierung haben sich in den vergangenen Wochen immer mehr in Misskredit gebracht: So zum Beispiel Elisa Carrrió, Macris Kandidatin in der Hauptstadt Buenos Aires, die sich am Dienstag über den Fund der Leiche im Chubut-Fluss mit den Worten „Es ist wie bei Walt Disney“ lustig machte. Wenige Tage zuvor hatte sie noch behauptet, es gäbe eine „Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent“, dass Santiago sich in Chile aufhalte. Mit diesen und ähnlichen Aussagen hatten Regierungsvertreter*innen immer wieder versucht, falsche Fährten in die Ermittlungen zu bringen und Santiago, seine Angehörigen und alle sozialen Kämpfer*innen in den Dreck zu ziehen.

Doch nicht nur diese empörenden Aussagen verschlechtern die Situation für Macris Koalition „Cambiemos“: Millionen von Menschen in Argentinien machen laut Umfragen die Gendarmería, die nationale Militärpolizei, für das Verschwinden von Santiago verantwortlich. Währenddessen verteidigte Sicherheitsministerin Patricia Bullrich weiterhin die Gendarmería, und der gesamte Regierungsapparat versuchte, die Verwicklung der Gendarmería in das Verschwinden von Santiago zu vertuschen. Zugleich hat die Regierung diese Repressivkräfte nicht immer vollständig unter Kontrolle: Laut verschiedenen Versionen hat ein Sektor der Gendarmería die Leiche im Chubut-Fluss platziert, um Druck für eine bessere „Verhandlungsposition“ in dieser Krise und vor den Gerichten zu erzeugen.

Klar ist deshalb schon jetzt: Selbst wenn die Macri-Regierung als Gewinnerin aus den Wahlen hervorgeht, wird es für sie schwierig sein, ohne weiteres ihre Pläne umzusetzen. Das wiederum wird neue politische Krisen und neue Klassenkämpfe hervorbringen. Der Macrismus wollte in den Wahlen politisches Kapital für eine neue Etappe ökonomischer Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse sammeln. Jetzt versuchen sie auch, Straffreiheit in der Maldonado-Krise zu erlangen.

Das falsche Spiel des Kirchnerismus

Vor diesem Hintergrund versucht die ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner, die 2015 bei den Präsidentschaftswahlen gegen Macri verlor, ein politisches Comeback. Bei den Vorwahlen im August erlangte sie in einem Kopf-an-Kopf-Rennen in der Provinz Buenos Aires, der wichtigsten Provinz des Landes, fast genauso viele Stimmen wie die Regierungskoalition. Seitdem hat sie versucht, aus den beiden großen politischen Kämpfen der vergangenen Monate – dem Kampf der Arbeiter*innen von Pepsico gegen die Schließung ihrer Fabrik und dem Kampf für das Wiederauffinden von Santiago Maldonado – Kapital zu schlagen, indem sie sich als Kämpferin für diese Themen präsentierte.

Möglicherweise wird die Maldonado-Krise dazu führen, dass Kirchner in der Provinz Buenos Aires die Wahlen gewinnt. Doch man darf sich nicht täuschen lassen, dass die Ex-Präsidentin im Vergleich zu „Cambiemos“ das kleinere Übel wäre: Denn der Kirchnerismus war, als er noch an der Regierung war, selbst verantwortlich für das Verschwinden von sozialen Kämpfer*innen und für Repression gegen kämpfende Arbeiter*innen.

Die einzige Alternative

Demgegenüber ist die Front der Linken und der Arbeiter*innen (FIT) die einzige politische Alternative, die unabhängig von den Kapitalist*innen und ihrem repressiven Staat ist. Schon bei den Vorwahlen hatte ihr konsequentes antikapitalistisches Programm und ihre Unterstützung für Kämpfe wie bei Pepsico fast eine Million Stimmen erhalten. Besonders beeindruckend war, dass viele Kandidat*innen der FIT Arbeiter*innen sind und bei den Wahlen eine eigenständige, klassenkämpferische, von den Bossen unabhängige Stimme erhoben haben. So erhielt beispielsweise Alejandro Vilca, der Müllarbeiter ist, bei den Vorwahlen in der nördlichen Provinz Jujuy 12,5 Prozent der Stimmen. Das ist ein Indiz dafür, dass die Ideen der FIT eine immer breitere Verankerung in der Arbeiter*innenklasse und bei den armen Massen erfahren. Um dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern aus diesen Ideen eine materielle Kraft zu entwickeln, hat die Partei Sozialistischer Arbeiter*innen (PTS), die Teil der FIT ist, im September eine landesweite klassenkämpferische Gewerkschaftsbewegung gegründet, die aus hunderten Delegierten von dutzenden Betrieben besteht.

Die starke Polarisierung, die es zwischen dem Macrismus und dem Kirchnerismus aktuell gibt, hat in den vergangenen Wochen dafür gesorgt, dass bürgerliche Medien immer wieder versucht haben, diese unabhängige Stimme der Arbeiter*innen aus dem Wahlkampf herauszuhalten und die Kandidat*innen der FIT nicht zu Wort kommen zu lassen oder politische Schmähkampagnen gegen sie durchzuführen. Doch es ist davon auszugehen, dass das Programm der FIT bei den Wahlen dennoch eine stabile Unterstützung erhalten wird: Der Spitzenkandidat der FIT, Nicolás del Caño (PTS), machte mit einem Zehn-Punkte-Programm klar, dass die FIT nach den Wahlen im Parlament und auf der Straße für eine sozialistische Alternative kämpfen wird.

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