„Keine Grenze steht für immer“ – 3.000 Schüler*innen streiken gegen Rassismus
Im Rahmen des bundesweiten Aktionstages des Bündnisses "Jugend gegen Rassismus" nahmen bis zu 3.000 junge Menschen in Berlin an einem Schulstreik gegen Rassismus teil.
Es ist 10 Uhr morgens in Berlin. Die 17-jährige Schülerin Alex steht auf ihrem Schulhof. Ihre Haare sind blau, ihre Kapuzenpulli ist schwarz, in der Hand trägt sie ein rotes Megafon. Aus den Fenstern der Klassenzimmer gucken hunderte Mitschüler*innen auf sie. „Ihr könnt jeden Tag zur Schule gehen“, erklärt sie. „Aber viele Menschen in diesem Land können das nicht. Lasst uns für Bildung für alle kämpfen!“
So begann der Schulstreik für für ein paar Dutzend Schüler*innen am Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasium im Prenzlauer Berg. Solche Szenen spielten sich an zahlreichen weiteren Schulen ab. Um 11 Uhr versammelten sich bis zu 3.000 Schüler vor dem Roten Rathaus und demonstrierten bis zum Gesundbrunnen. Das ist der sechste antirassistische Schulstreik in Berlin seit Anfang 2014. Die Jugendlichen wollen ein Zeichen gegen die AfD setzen, aber auch gegen den staatlichen Rassismus der etablierten Parteien. Sie protestierten gegen Abschiebung und fordern den vollen Zugang zum Bildungssystem für Geflüchtete.
Bereits um 8 Uhr startete eine Zubringerdemo durch den Norden der Stadt, die von der Solidarischen Jugendbewegung (SJB) und der Jugendgruppe Coming Soon (JCS) organisiert wurde. Bis zu 300 Schüler*innen zogen von Schule zu Schule und holten immer mehr Mitstreiter*innen aus den Klassenzimmern raus. Doch bis zu 13 Wannen der Berliner Polizei begleiteten den Umzug. Vor jedem Schultor standen Polizist*innen mit schwarzer Kampfmontour und Schusswaffen.
Sie haben die Schüler*innen zwar nicht direkt am Verlassen des Geländes gehindert – aber einschüchternd wirkten sie allemal. Den ganzen Tag hinweg sollte das massive Auftreten der Polizei die Schüler*innen verängstigen und am Protest hindern. Doch diese fielen nicht darauf herein: „Sie haben sich sehr breit aufgestellt“, berichtet Ludiger (15) von der Kurt-Schwitters-Oberschule, nachdem er an ihnen vorbeilaufen musste. „Scheinbar haben die Bullen Angst vor uns.“
Von der Elisabeth-Schule, wo Erzieher*innen ausgebildet werden, schlossen sich 40 Menschen an. „Viele von uns haben Migrationshintergrund“, erzählt Hamsa (28), „und hier in Weißensee hört man dumme Sprüche auf der Straße.“ Die Schüler*innen hier haben bereits an Streiks für den Tarifvertrag der Erzieher*innen teilgenommen – jetzt wollen sie ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Auf ihrem Weg zum Roten Rathaus läuft die Demo auch an einem Laden der rechten Klamottenmarke Thor Steinar vorbei, Parolen werden skandiert.
Die Streikenden halten am Zionskirchplatz an, wo die „Zivile Koalition“ von Beatrix von Storch (AfD) sitzt, und auch am Mauerpark, wo vor zwei Wochen Menschen aus Kamerun bei einem Grillfest von Nazis überfallen wurden. Ein Antifa-Aktivist ruft vom Lautiwagen: „Niemand wird den Kampf gegen die AfD für uns führen, wir müssen das selber tun!“ Er schlägt vor, Infostände der Rechten zu stören. „Dafür müssen wir nicht pumpen gehen, dafür brauchen wir nur Mut!“
Oskar (17) hat sich vor allem wegen dem Wahlergebnis der AfD dem Streik angeschlossen. „10 Prozent waren zu erwarten, aber die fast 15 Prozent waren ein Schock“, sagt er. Aufgrund seines Alters durfte er nur für das Bezirksparlament wählen. Nur 3,5 Prozent in der Unter-18-Wahl haben ihr Kreuz für die AfD gemacht. Von Oskars Schule, der Sophie-Scholl-Oberschule, sind rund 30 gekommen. Jeden Montag geben sie Deutschunterricht für junge Geflüchtete, die bei ihnen eine Willkommensklasse besuchen.
Von den Beschäftigten des Botanischen Gartens in Berlin kommt eine Grußbotschaft. Über ein Jahr lang haben sie für einen Tarifvertrag gekämpft und bekamen viel Unterstützung von solidarischen Schüler*innen und Studierenden. Sie weisen darauf hin, dass die AfD nicht nur Geflüchtete, sondern alle Lohnabhängige mit Privatisierung angreifen will. „Wir stellen uns solidarisch auf eure Seite!“ heißt es von den Beschäftigten.
Rund 500 Geflüchtete aus Afghanistan bilden den letzten Teil der Demo. „Gleiches Recht für alle!“ rufen sie, neben anderen Sprüchen auf Farsi und Dari. Die deutsche Regierung versucht, Afghanistan zu einem „sicheren Herkunftsland“ zu erklären, um Abschiebungen zu ermöglichen. Die Aktivisten antworten darauf mit Bildern vom alltäglichen Gräuel in ihrer Heimat und ein großes rotes Transparent: „Afghanistan ist nicht sicher.“
Die Verständigung ist schwierig – die meisten sind erst seit wenigen Monaten in Deutschland und sprechen nur wenig Deutsch oder Englisch. Mohammed (15) ging in Kunduz zur Schule, seit einigen Monaten besucht er eine Willkommensklasse in Berlin. Er will verhindern, dass Refugees wie er abgeschoben werden.
Die Aktion von „Jugend gegen Rassismus“ lief auch bundesweit. Während in Bonn 200 Schüler*innen ebenfalls streikten, fanden in den anderen Städten Kundgebungen und Demonstrationen statt. In Bremen kamen dabei 400 Leute zusammen, in Leipzig 70, in Dresden 50 und in Fulda 80. Auch in Hannover und Wien gab es Aktionen.