Katalonien: Durch Mobilisierung und Selbstorganisation war das Referendum möglich – Auf zum Generalstreik am 3. Oktober!

02.10.2017, Lesezeit 8 Min.
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Trotz der Repression ermöglichten die Mobilisierung und die Selbstorganisierung, dass Millionen von Menschen im katalanischen Referendum abstimmen konnten. Der Kampf gegen die Repression und für die Selbstbestimmung der Katalan*innen muss mit dem Kampf für die Forderungen der Arbeiter*innenklasse und der armen Massen verbunden werden.

Weder die Polizei noch die repressiven Maßnahmen der letzten Wochen konnten die Durchführung des Referendums am 1. Oktober verhindern. Drohungen, Anklagen, Verhaftungen, Beschlagnahmung von Millionen von Stimmen und Wahlmaterialien – nichts davon konnte die minimal nötige Infrastruktur zerstören, um die Wahl abzuhalten.

Die soziale Mobilisierung und die Selbstorganisation waren in den letzten Tagen von der Rückkehr der Schüler*innen- und Studierendenbewegung und der Besetzung von Universitäten, Schulen und sonstigen Wahllokalen geprägt. Hunderte Schüler*innen und Studierende, Arbeiter*innen, Nachbar*innen und Aktivist*innen hatten sich organisiert und die Besetzungen geplant, die seit Freitag stattfanden. Ein Netz von Kontakten, das die gesamte Region umspannte, stellte sicher, dass genügend Urnen und Stimmzettel vorhanden waren. Alles zusammen ermöglichte, dass am Sonntag ab 9 Uhr morgens mehr als die Hälfte der Wahllokale – in denen drei Viertel aller Wahlurnen standen – geöffnet werden konnten, geschützt durch massive Kundgebungen auf den Straßen.

Der Spanische Staat mit der konservativen PP-Regierung an der Spitze – unterstützt von einer geschlossenen Front aus sozialdemokratischer PSOE, den liberalen Ciudadanos und dem gesamten Regime von 1978 – antwortete mit einer brutalen Repression. Tausende Einsatzkräfte der Nationalpolizei und der paramilitärischen Guardia Civil, die sich wie eine wahrhaftige Besatzungsarmee verhielten, verschafften sich gewaltsam Zutritt zu etwa 100 Wahllokalen, um Wahlurnen zu konfiszieren. Hinzu kamen 300 Wahllokale, die schon im Vorhinein geschlossen wurden. Am Ende gab es mehr als 800 Verletzte, darunter einige Schwerverletzte, und es wurden verbotene Gummigeschosse eingesetzt.

Aber diese ganze Maschinerie war unfähig, die große demokratische Bewegung zu stoppen, die gezeigt hat, dass der Wille zur Durchsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung mehrheitsfähig und fest verankert ist. Bei der Schließung der Wahllokale herrschte trotz der harten Repression die Stimmung, dass man die Kraftprobe gegen den Zentralstaat gewonnen hatte. Aus den „Votarem“-Rufen („Wir werden abstimmen“) wurde „hem votat“ („wir haben abgestimmt“).

Die Regierung um PP-Ministerpräsident Rajoy versicherte, dass das Referendum „nicht stattgefunden“ hätte. Rivera, der Chef der Liberalen, unterstützte ihn unumwunden und PSOE-Chef Sánchez bot Rajoy in dieser „Staatskrise“ institutionelle Loyalität an. Nur nebenbei bat er ihn, mit der „Generalitat“, der katalanischen Regionalverwaltung, Verhandlungen aufzunehmen. Die PP hat allerdings schon verkünden lassen, dass sie das nicht tun wird. Es ist deshalb sehr gut möglich, dass die Repression vom 1. Oktober noch weitergehen wird. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Zentralstaat Katalonien die Autonomie aberkennt oder einen Ausnahmezustand ausruft, vor allem falls die Mobilisierung auf den Straßen weitergeht.

Podemos hat die Repression verurteilt, genauso wie die regionalen „Común“-Plattformen wie die von Ada Colau, der Bürgermeisterin von Barcelona. Jedoch haben diese Kräfte sich in dieser ganzen Zeit geweigert, irgendeine Art von Demonstration in Solidarität mit Katalonien im restlichen Staatsgebiet zu organisieren. Podemos behält sein Projekt einer Koalitionsregierung mit der PSOE aufrecht, die heute loyal die Repression in Katalonien unterstützt.

Der souveränistische Block in Katalonien debattiert derweil, ob nun der Moment gekommen ist, um in den kommenden 48 Stunden die katalanische Republik auszurufen. Das haben die Bürger*inneninitiativen ANC und Òmnium, die reformistische ERC und die antikapitalistische CUP ausgedrückt, und in etwas zweideutigerer Form auch Puigdemont, der Ministerpräsident Kataloniens. Auch wenn die Gründung einer unabhängigen Republik nicht unser politisches Projekt ist, werden wir von der CRT (Strömung Revolutionärer Arbeiter*innen, Schwesterorganisation von RIO im Spanischen Staat) ihre Ausrufung und Gründung unterstützen, wenn das der Mehrheitswille der katalanischen Bevölkerung ist, wie er sich in den Endergebnissen des Referendums vom 1. Oktober ausdrückt.

Nichtsdestotrotz sind wir der Meinung, dass es nicht ausreichen wird, im Parlament die Unabhängigkeit auszurufen, um dem Spanischen Staat diesen demokratischen Willen aufzuzwingen. Um seinen gesamten Repressivapparat zu besiegen, wird es notwendig sein, die sozialen Kräfte und Kampfmethoden der Arbeiter*innenklasse und der Jugend in Bewegung zu bringen. Das muss untrennbar verbunden sein mit dem Kampf für ein Programm, das die zentralen Forderungen der Arbeiter*innen und der armen Massen aufgreift. Diese Perspektive wird nicht von den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führungen geteilt, die an der Spitze des Unabhängigkeitsprozesses stehen.

Als CRT begrüßen wir den Aufruf zum Generalstreik am 3. Oktober, den die Gewerkschaftslinke lanciert hat und an den sich nun auch die großen Gewerkschaftsverbände CCOO und UGT anschließen werden. Dieser Tag darf nicht nur ein isolierter Kampftag sein, sondern muss ausgeweitet werden, um die Eskalation der staatlichen Repression zu beenden und einen wirklichen Verfassungsgebenden Prozess in Gang zu setzen, anstatt sich auf den Übergang zu beschränken, den das Übergangsgesetz vorsieht. Ein solcher Prozess darf nicht vom legalen Rahmen des Spanischen Staates und der Europäischen Union ausgehen – inklusive ihrer arbeiter*innenfeindlichen, repressiven und gegen Migrant*innen gerichteten Gesetze –, sondern muss mittels der Mobilisierung und der Selbstorganisation der Arbeiter*innenklasse und der armen Massen durchgesetzt werden.

Das bedeutet, dass die Organisationen der Arbeiter*innen und der antikapitalistischen Linken – angefangen mit der CUP – einen Kampfplan erstellen müssen, der unabhängig von der bürgerlichen Koalition „Junts pel Sí“ („Gemeinsam für das Ja“) ist. Heute begrüßen die ERC und die souveränistischen Organisationen noch den Generalstreik, aber sie tun dies aus der Vision heraus, dass der Generalstreik die Grundlage für ein Manöver bilden kann, um ihre Republik aufzubauen: einen neuen kapitalistischen Staat.

Die Arbeiter*innen Kataloniens können von einer solchen Republik rein gar nichts erwarten. Deshalb ist es wichtig, für einen wirklich freien Verfassungsgebenden Prozess zu kämpfen, der nicht vom Parlament oder Gruppen der „Zivilgesellschaft“ gegängelt wird, die herausfiltern, was man diskutieren oder nicht diskutieren darf. Stattdessen muss ein solcher Prozess Maßnahmen wie die Verteilung der Arbeitszeit mit vollem Lohnausgleich, die Erhöhung des Mindestlohns, das Ende der Prekarisierung, die Nichtzahlung der Schulden, eine völlig kostenfreie öffentliche Bildung, die aus Vermögenssteuern finanziert wird, oder die Verstaatlichung des Finanzwesens und der Großunternehmen beinhalten.

Der Generalstreik am 3. Oktober muss dafür dienen. Die Arbeiter*innenklasse muss sich an die Spitze des Kampfes gegen die Repression und für die Verteidigung des Rechts auf Selbstbestimmung und des Ergebnisses vom 1. Oktober stellen. Und sie muss dies tun, während sie die Forderungen der Arbeiter*innen, der Frauen, der Jugend und der Migrant*innen in den Mittelpunkt stellt. Gegen den falschen Diskurs der „Breite des Prozesses“, der die Hegemonie der historischen Vertreter*innen der katalanischen Bourgeoisie verdeckt, müssen wir in dieser großen Schlacht gegen das Regime von ’78 für die Hegemonie der Arbeiter*innenklasse kämpfen.

Gleichzeitig ist es zentral, dass die Arbeiter*innenklasse im restlichen Spanischen Staat die demokratischen Forderungen der katalanischen Bevölkerung aufnimmt, inklusive ihres Rechts auf Gründung einer unabhängigen Republik, wenn sie das wünscht. Als ein Schritt in diese Richtung sehen wir, dass die Gewerkschaftsführungen im restlichen Staatsgebiet – sowohl die Gewerkschaftslinke als auch CCOO und UGT – ebenfalls zu Streiks und Solidaritätsaktionen am 3. Oktober aufrufen müssen, in der Perspektive eines großen Generalstreiks im gesamten Spanischen Staat.

Die Einheit der Arbeiter*innenklasse des gesamten Spanischen Staats im gemeinsamen Kampf gegen das Regime von ’78 zu schmieden, ist heute mehr denn je eine zentrale Aufgabe. Nur so kann eine demokratische Bewegung in Katalonien mit der Arbeiter*innenklasse an der Führung zu einer Speerspitze werden, um einen verallgemeinerten Kampf für freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlungen im gesamten Staatsgebiet anzustoßen, um über alles zu entscheiden. Dieser gemeinsame Kampf von Arbeiter*innen und armen Massen im gesamten Staatsgebiet kann die Grundlage bilden, um Arbeiter*innenregierungen zu erkämpfen, die auf Organen der Selbstorganisierung im Kampf basieren, in der Perspektive einer freien Föderation von Arbeiter*innenrepubliken auf der Iberischen Halbinsel.

Die Erklärung der Strömung Revolutionärer Arbeiter*innen (CRT) wurde zuerst auf Izquierda Diario veröffentlicht.

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