Kapitalismus und Konsum
In der Debatte um den Klimawandel steht individuelles Konsumverhalten oft an vorderster Stelle. Dabei erzwingt der Kapitalismus auf unterschiedliche Weise klimaschädliches Konsumverhalten. Wie kann dagegen eine nachhaltige Produktion aussehen?
Spätestens seit der Schulstreikbewegung Fridays For Future hat das Thema Klima eine neue Aktualität erhalten. Die Grünen schlagen vor, mit einer CO2-Steuer klimaschädliches Verhalten zu sanktionieren und klimafreundliches Verhalten zu belohnen. Der Plan ist also, klimafreundliches Konsumverhalten zu erzwingen.
Von unterschiedlicher Seite wird den Grünen entgegengehalten, dass Zwang nicht der Weg sei. Oder dass Beispiele von Ländern, in denen eine CO2-Steuer bereits eingeführt wurde, zeigen, dass solch eine Besteuerung keinen Einfluss auf den Ausstoß des Treibhausgases habe. Was in der Debatte aber bisher ausbleibt, das ist die Erklärung, wie der Kapitalismus klimaschädliches Verhalten erzwingt.
Ein zentrales Beispiel ist der Berufsverkehr: Niemand von uns steht auf dem Weg zur Arbeit freiwillig stundenlang im Stau. Der Kapitalismus zwingt uns dazu, wenn wir pendeln müssen. Die Sparpolitik im Nahverkehr sowie die Interessen der deutschen Automobilkonzerne sorgen dafür, dass wir mit dem Auto trotz Stau schneller zur Arbeit kommen als mit den Öffentlichen. Wer verbringt schon freiwillig täglich eine halbe Stunde zusätzlich in überfüllten Bussen und Bahnen?
Zudem befinden sich viele Betriebe außerhalb der Innenstädte mit gut ausgebauter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Beschäftigte müssen teilweise von einem Ende der Stadt zum gegenüberliegenden pendeln, weil sie sich die Mietpreise in den Innenstädten nicht mehr leisten können. Ebenso sind Naherholungsgebiete häufig schlecht angebunden.
Geringere Mieten und ein massiver Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs könnten hier Abhilfe schaffen, wären aber ein massiver Angriff auf die Interessen von Wohn- und Automobilkonzernen.
Wie der Kapitalismus nicht-nachhaltigen Konsum erzeugt
Eine weiterer wichtiger Punkt ist der Konsum von Waren: Wer im sich im Alltagsstress neben 40-Stundenwoche und Haushalt noch angemessen ernähren möchte, kommt an Plastikverpackungen nicht vorbei. Salat und Joghurt mit Müsli finden wir in wohl proportionierten Verpackungen für einen Ein-Personen-Haushalt. Frische Mahlzeiten sind mit einem Zeitaufwand verbunden, für den oftmals eben genau das nicht vorhanden ist – Zeit. Und allzu schnell wird der Salatkopf schlecht, bevor man ihn aufgebraucht hat.
Fertignahrung mag zwar aus ökologischen Gesichtspunkten ein absolutes Debakel sein, aber dass es in Supermärkten ein reichhaltiges Angebot davon gibt, das hat nichts mit Faulheit zu tun, sondern ist schlichtweg der Lebensrealität der Massen geschuldet. Somit erzwingt der Kapitalismus auf einer weiteren Ebene nicht-nachhaltiges Konsumverhalten.
Im südlichen Teil der USA gibt es gar ein Phänomen, das als food desert (Nahrungsmittel-Wüste) bezeichnet werden kann. Dort sind Fast-Food-Ketten über weite Teile hinweg die einzige Möglichkeit, um überhaupt an Nahrung zu gelangen. Einzelhandelsläden, in denen frisches Gemüse eingekauft werden kann, sind dort schlichtweg nicht vorhanden. Stattdessen dominieren McDonalds und KFC den Nahrungsmittel-Markt.
Kommodifizierung der letzten Meile
Ein derzeit umstrittenes Thema finden wir auf vielen Gehwegen deutscher Großstädte. Elektroroller sind in den letzten Monaten zu einem großen Thema im öffentlichen Diskurs geworden. Dabei spielt auch ihre Ökobilanz eine große Rolle. Denn tatsächlich ist es nicht so, dass diese weniger nachhaltige Verkehrsmittel verdrängt hätten.
Was wir mit den E-Rollern aktuell erleben, ist eine Kommodifizierung (das Hineinholen in den Markt) der sogenannten „letzten Meile“. Der Weg von der U-Bahnstation nach Hause, den wir früher zu Fuß erledigt haben, wird als neuer Markt entdeckt. Hier werden uns neue Dienstleistungen angeboten, die oft mit prekären Arbeitsbedingungen einhergehen. Die Roller werden von Scheinselbstständigen aufgeladen. Für vier Euro pro Roller ist diese Arbeit das Pfandflaschensammeln der Digital Economy.
Ebenso können wir uns den Einkauf von Niedriglöhner*innen in Teilzeit direkt nach Hause liefern lassen. Natürlich ist der Einkauf neben Beruf und Familie eine weitere Last. Es spricht auch im Prinzip nichts dagegen, diese Arbeit zu vergesellschaften. Statt die notwendige Arbeit auf alle aufzuteilen, wird sie aber im Kapitalismus nur zu einer neuen Quelle des Profits für eine kleine Anzahl von Leuten, die von fremder Arbeit leben. Das Kapital macht aus unserer Not eine Tugend.
Aus unserer Not eine Tugend gemacht
Ganz allgemein ist es der Warencharakter, der zu klimaschädlichem Konsumverhalten beiträgt: Der Wald ist zur Ware geworden, wie auch unsere Arbeitskraft. Selbst unser Sozialleben ist zur Ware geworden und hat „soziale Netzwerke“ wie Facebook und Google geschaffen, riesige Konzerne mit einem riesigen Stromverbrauch. Ebenso ist unsere Freizeit zur Ware geworden: Überall werden uns Flugreisen, Kreuzfahrten und Vergnügungsparks angeboten, die unser elendes Dasein ein bisschen weniger elend erscheinen lassen.
In den halbkolonialen und abhängigen Ländern ist ein Markt für die Überschüsse und den Abfall der zentralen imperialistischen Länder entstanden. Hoch subventionierte Agrarexporte überschwemmen die Märkte in afrikanischen Ländern und zerstören die lokale Landwirtschaft. Riesige Handelsnetze umspannen den Erdball nur mit dem Ziel, den Profit weiter in den Händen weniger zu konzentrieren.
Aufgrund schlecht ausgebauter Stromnetze in den Halbkolonien und abhängigen Ländern, in denen Stromschwankungen und -ausfälle eher die Regel als die Ausnahme sind, hat sich dort ein Absatzmarkt für alte Röhrenmonitore entwickelt. Diese werden dort für umgerechnet 70 Euro gehandelt, während sie hier nur Schrottwert haben. Am Ende ihrer Nutzungsdauer werden sie dann dort unter elenden Bedingungen in ihre Einzelteile zerlegt. Nur um aus ihnen noch den letzten Tropfen Verwertbarkeit herauszupressen und andererseits um noch denen, den sonst nichts bleibt, ein elendes Auskommen zu ermöglichen. Das Kapital macht aus unserer Not noch eine Tugend.
Wie der „Konsumgesellschaft“ entkommen?
Der Wunsch, der „Konsumgesellschaft“ zu entfliehen, ist nachvollziehbar. Er ist dabei so alt wie die Industrialisierung selbst und auch in Teilen der Arbeiter*innenklasse populär. Dabei ist er aber nur für eine relativ kleine Zahl von Menschen eine realistische Option. Und selbst jene bleiben immer bis zu einem gewissen Grad von der kapitalistischen Produktionsmaschinerie abhängig.
Wir müssen deshalb andere Wege finden, um den Kapitalismus insgesamt zu überwinden und zu einer anderen Gesellschafts- und Produktionsform kommen, in der das kapitalistische Eigentum überwunden ist und die Produktion unter demokratischen Kontrolle läuft. Dies würde garantieren, dass im Interesse der Mehrheit und nicht im Interesse der Profite einer kleinen Anzahl von Menschen produziert wird.
Dies kann nur gelingen, wenn wir die fortgeschrittensten Teile der Arbeiter*innenklasse für ein revolutionäres Programm gewinnen und innerhalb der Arbeiter*innenbewegung um die Führung kämpfen. Nur so kann es gelingen, die Produktion vom Diktat des Kapitals zu befreien.
Das ist die Grundbedingung dafür, die weltweite Wirtschaft nachhaltig zu organisieren. Eine ganze Reihe unnötiger Produkte würde verschwinden, die Bedürfnisse der Menschen würden sich neu strukturieren. Warum noch mit dem Auto im Stau stehen, wenn wir einen gut ausgebauten Nahverkehr unter demokratischer Kontrolle haben und die Produktion so organisiert ist, dass Wohnort und Arbeitsplatz nicht meilenweit voneinander entfernt liegen?
Die Versorgung mit Lebensmitteln könnte völlig anders organisiert werden. Statt Plastikbechern mit Plastikgabeln im Supermarkt würde es in jedem Betrieb und in jedem Viertel Kantinen geben, in denen eine gesunde und nachhaltige Nahrungsversorgung über den ganzen Tag gewährleistet ist.
Für eine solche Welt wollen wir kämpfen und schlagen dafür ein Programm vor, das sich mit den zentralen Kämpfen verbindet. Daher fordern wir unter anderem, dass die Gewerkschaften zu einem echten Klimastreik aufrufen und schlagen eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich vor, sowie die Vergesellschaftung der wichtigsten Industrien – wie Energie, Automobil- und Maschinenbau, Bau und Wohnen, Infrastruktur – sowie der Banken unter Arbeiter*innenkontrolle vor.