Kampf gegen Rechts: 8 Dinge, die wir aus Argentinien lernen können

26.02.2024, Lesezeit 10 Min.
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La Izquierda Diario / Enfoque Rojo

Der Widerstand gegen den extrem rechten Präsidenten Javier Milei hat sein erstes Gesetzesvorhaben zu Fall gebracht. Was können wir daraus für den Kampf gegen die AfD hierzulande mitnehmen?

1. Der Aufstieg der Rechten folgt dem „geringeren Übel“

Argentiniens neuer, extrem rechter Präsident Javier Milei ist mit einem Diskurs „gegen die politische Kaste“ an die Macht gekommen. Denn viele Argentinier:innen waren von der Vorgänger-Regierung unter Alberto Fernández, einem linken Peronisten, enttäuscht. Vor ihm hatte der rechts-konservative Mauricio Macri das südamerikanische Land fast in den Ruin getrieben. Die Peronist:innen – die prägende politische Strömung in Argentinien, die von Mitte-links bis Mitte-rechts reicht – hatten unter Fernández versprochen, Armut ein Ende zu setzen und wurden vor allem gewählt, um eine zweite Präsidentschaft Macris zu verhindern, als „geringeres Übel“. Doch Fernández hielt sein Versprechen nicht. Im Gegenteil. Die Armutsquote stieg immer weiter an und liegt inzwischen bei etwa 40 Prozent. Auch die Preise schnellten in die Höhe. Nur die Profite der in- und ausländischen Unternehmer:innen waren garantiert. Währenddessen hielten die peronistischen Gewerkschaftsführungen jahrelang die Füße still, um „ihrer“ Regierung keine Probleme zu bereiten.  

So wirkte Milei trotz – oder für einige gerade wegen – seiner ultrarechten Agenda und seinem Diskurs gegen „die Kaste“ wie eine Alternative. Doch schon wenige Tage nach seinem Amtsantritt zeigte Milei sein wahres Gesicht und enthüllte seinen Plan zur Einschränkung der Rechte von Beschäftigten, Schüler:innen, Studierenden, Frauen und Rentner:innen. Die Einzigen, die er nicht angriff, war die „Kaste“, gegen die er im Wahlkampf so viel gewettert hatte. In den weniger als drei Monaten, die er im Amt ist, ist die Inflation noch weiter gestiegen und es kommt zu immer mehr Entlassungen und Repression.

2. Unsere Rechte müssen wir verteidigen

Die Angriffe der Milei-Regierung beinhalteten unter anderem ein präsidiales „Megadekret“, das s der Polizei mehr Befugnisse gab und ein sogenanntes „Omnibusgesetz“, durch das die Regierung sich in Zukunft am Parlament vorbeiregieren wollte. Omnibus, weil es ein so großes Gesetzespaket ist.

Während das Megadekret noch gilt, konnte das Omnibusgesetz durch einen Generalstreik und massive Proteste auf der Straße vorerst zurückgeschlagen werden – obwohl selbst viele peronistische „Oppositionelle“ sich auf Verhandlungen einlassen wollten, um im Austausch für einige Zugeständnisse dem „Omnibusgesetz“ ihre Zustimmung zu geben. Aber der Widerstand auf der Straße erwies sich als zu stark. 

Die extrem rechte Regierung will trotzdem nicht locker lassen und droht direkt im Anschluss mit einem weiteren Angriff. Diesmal auf das erst 2020 nach einem langen Kampf der feministischen Bewegung eingeführte – und immer noch nicht in allen argentinischen Provinzen voll umgesetzte – Recht auf Schwangerschaftsabbruch. 

Gerade angesichts des bevorstehenden 8. März, dem feministischen Kampftag, müssen wir uns auch hierzulande vor Augen führen, dass die Rechte, die die Arbeiter:innenbewegung und die sozialen Bewegungen erkämpft haben, von Seiten des bürgerlichen Staates immer wieder unter Beschuss sind. Sie können uns weggenommen werden, wenn wir uns nicht wehren. Und wir können uns nur wehren, wenn wir uns nicht spalten lassen, sondern unsere Kämpfe zusammenführen. Daher wird der 8. März in Argentinien auch ein wichtiges Zeichen gegen den Rechtsruck und für einen gemeinsamen Kampfplan gegen alle Konterreformen der Milei-Regierung.

3. Die Rechten müssen wir auf der Straße bekämpfen

Um den Wahlsieg des extrem rechten Milei zu verhindern, setzte der Peronismus auf einen anderen Kandidaten als vier Jahre zuvor. Als Wirtschaftsminister war Sergio Massa unter der Fernández-Regierung für die Durchführung der Anpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds (IWF) zuständig. Dem US-amerikanischen Kapital stand er so nahe, dass er de facto direkt für die Verschlechterung der Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen verantwortlich ist. Denn er war es, der Argentinien verscherbelte, damit dem Land neue Kredite gegeben werden, um die  Auslandsschulden aus Diktatur-Zeiten (1976-1983) abzubezahlen, um dann vor den Zinsen dieser Kredite zu stehen und sich wieder auf die Bedingungen des IWF einzulassen.

Aus diesem Grund verlor Massa an den Urnen die Stichwahl gegen Milei. Die Perspektive, einen etwas weniger brutalen Politiker an die Macht zu bringen, konnte das „Original“ Milei nicht stoppen. Denn niemand hatte Vertrauen in Massas Versprechen, einen großen Wandel für Argentinien zu vollbringen. Auch der Aufstieg der AfD als angebliche Alternative zur „fortschrittlichen“ Ampelkoalition speist sich aus der Enttäuschung über eine Regierung, die den unteren Schichten nichts anzubieten hat. Ein Blick nach Argentinien zeigt: Die AfD werden wir nicht stoppen, indem wir die Ampel unterstützen.

Wie dann der Kampf gegen Mileis autoritäres und ultraneoliberales „Omnibusgesetz“ gewonnen werden konnte? Durch einen landesweiten 12-stündigen Generalstreik und die Mobilisierung von Nachbarschaftsversammlungen, kämpferischen Basisgewerkschaften und Studierendenorganisationen während der Parlamentsdebatte. Letztere widersetzten sich tagelang harter Polizeigewalt, bis die Regierung den Gesetzentwurf zurückzog. Angesichts der massenhaften Ablehnung des Gesetzes musste auch die Opposition ihre Position aufgeben, mit Milei und Co. auf einen Deal hinzuarbeiten.

4. Beschäftigte spielen eine zentrale Rolle

Es ist die arbeitende Masse, die die Wirtschaft und damit das Funktionieren eines jeden Landes teilweise oder gar ganz zum Erliegen bringen und somit enormen Druck ausüben kann. Nachdem auf den Straßen Argentiniens der Schrei nach einem Generalstreik immer lauter wurde, rief der größte Gewerkschaftsbund Argentiniens zum Streik auf. Anderthalb Millionen Menschen kamen so auf die Straßen des südamerikanischen Landes, die sonst hätten arbeiten gehen müssen und das unter anderem in der sogenannten kritischen Infrastruktur. Noch nie hatte eine argentinische Regierung so kurz nach ihrem Amtsantritt einem derartigen Streik gegenübergestanden. Das spielte eine zentrale Rolle darin, das „Omnibusgesetz“ zu Fall zu bringen. Seitdem vervielfältigen sich in vielen Bereichen auch Arbeitskämpfe und Streiks um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Bei der Eisenbahn, im öffentlichen Dienst oder im Gesundheitssektor. Zeichen dafür, dass das Konfliktniveau mit der neuen Regierung nur noch weiter steigen wird.

Aber die Regierung greift nicht nur die Rechte der Beschäftigten an. Indem sie die Preise für öffentlichen Nahverkehr, Strom und Heizung erhöht und Umweltschutzmaßnahmen außer Kraft setzt, sind alte wie junge Menschen, Mieter:innen, Indigene und Arme auch betroffen. Es handelt sich um einen Generalangriff auf die Mehrheit der Bevölkerung durch. Aus diesem Grund haben sich in den vergangenen Monaten in Argentinien auch unzählige Nachbar:innen versammelt und Proteste verschiedener betroffener Sektoren sind ausgebrochen.

Es ist Zeit, sie alle zusammenzuführen. Die Proteste vor dem Kongress gaben einen Vorgeschmack auf diese Einheit von Beschäftigten, Student:innen und Rentner:innen

5. Wir müssen uns selbst organisieren

Der Streik zeigte das große Potenzial der organisierten Arbeiter:innenbewegung. Doch er hatte auch große Grenzen. Erstens streikte der Transportsektor aufgrund der versöhnlerischen Haltung der Gewerkschaftsführungen erst ab 19 Uhr. Somit stellten die Beschäftigten-„Vertreter:innen“ sicher, dass die 40 Prozent, die ohne formelle Anstellung arbeiten, dieser Tätigkeit weiter nachgehen mussten, da sie kein Recht auf Streik haben, aber ohne den Transportstreik auch keine Ausrede hatten, nicht zur Arbeit zu kommen.

Zweitens weigern sich die Führungen der großen Gewerkschaftsverbände in Argentinien bisher, weitere Streiks oder gar einen Kampfplan in Richtung eines tatsächlichen Generalstreiks zu organisieren. Selbst an den Tagen, an denen das „Omnibusgesetzes“ im Kongress diskutiert wurde, mobilisierten sie nicht. Somit ließen sie die entschlossenen Basisgewerkschaften, Nachbarschaftsversammlungen und Studierendenverbände im Stich. Die Führungen der großen Gewerkschaften setzten lieber auf Verhandlungen im Parlament, um der Regierung ein paar Zugeständnisse abzuringen, statt für die komplette Ablehnung des Gesetzes zu kämpfen. Und trotz der zu erwartenden weiteren Angriffe weigern sie sich immer noch, einen nächsten Streiktag festzusetzen.

Darum ist es notwendig, in den Betrieben, Unis, Schulen und Nachbarschaftsversammlungen die Selbstorganisation voranzutreiben, um der Gewerkschaftsführung einen Kampfplan aufzwingen zu können. Mit dieser Perspektive kämpfen unsere Genoss:innen der Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS) als Teil der Front der Linken und der Arbeiter:innen (FIT-U) in den Gewerkschaften und in den sozialen Bewegungen für für eine breite, selbstorgansierte Einheitsfront im Kampf gegen die Regierung und die Bosse. Viele von ihnen standen in der ersten Reihe, als die Polizei angriff. So konnten sie sich enormen Respekt von vielen Arbeiter:innen und Jugendlichen erarbeiten, die selbst noch nicht auf der Straße waren, weil sie auf den Aufruf der Gewerkschaftsführungen warteten. Nun geht es darum, alle in breiten, selbstorganisierten Organen zu sammeln und in ihnen für revolutionäre Fraktionen zu kämpfen, die den versöhnlerischen Bürokratien die Führung streitig machen können.

6. Revolutionäre Abgeordnete machen einen Unterschied

Für den Kampf gegen den Generalangriff der extremen Rechten waren auch die Parlamentssitze der FIT-U zentral. Myriam Bregman, Nicolás del Caño, Christian Castillo und Alejandro Vilca – die Abgeordneten der PTS in der FIT-U – gemeinsam mit Romina del Plá von der Arbeiterpartei (PO) prangern im Kongress nicht nur die Attacken Mileis, die Kompliz:innenschaft der traditionellen Rechten rund um Macri und die des Peronismus im Parlament an. Sie stelltten ihre Parlamentssitze auch direkt in den Dienst des Kampfes der Demonstrierenden und konfrontierten gemeinsam mit ihnen tagelang die Repression der Polizei. Während die bürgerlichen Parteien in den Hinterzimmern verhandeln,  agieren sie als Sprachrohr der Ausgebeuteten und Unterdrückten.

Die Genoss:innen der FIT-U zeigen, dass eine ganz andere Art von Parlamentarismus möglich ist: Revolutionärer Parlamentarismus. Sie haben ihre Sitze als Teil einer sozialistischen Koalition auf der Grundlage der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse gewonnen. Denn sie werden weder von bürgerlichen Parteien noch von Unternehmen gesponsert. Sie sind weder Ausbeuter:innnen noch Unterdrücker:innen und lehnen jede Zusammenarbeit mit ihnen entschieden ab. Denn sie wollen dem „kleineren Übel“ unter den bürgerlichen Politiker:innen nicht helfen. Vielmehr ist ihr Ziel eine Regierung der Beschäftigtenen auf der Grundlage von Mobilisierungen und Arbeiter:innenkontrolle durch Räte.

Reformist:innen argumentieren gerne, dass es im Moment keine Grundlage für eine solche Partei gibt. Doch die PTS ist ein wichtiges Gegenbeispiel. Sie ist nicht aus dem Nichts entstanden, sondern wurde über Jahrzehnte von militanten Mitgliedern geduldig aufgebaut, die stets in Streiks und Demos intervenierten und revolutionäre Fraktionen in der Arbeiter:innenbewegung errichteten. Ihre heutigen Siege beruhen auf dieser Arbeit.

7. Gegen Rechts heißt gegen den Imperialismus

Die Milei-Regierung ist nur die neueste Speerspitze der Interessen des Imperialismus in der Region. Milei sieht in Trump sein direktes Vorbild. Daher ist sein Programm fanatisch pro-amerikanisch. De facto will er das Land nur noch mehr den Diktaten des IWF und des internationalen Finanzkapitals unterordnen, als es Massa schon vorgemacht hatte. Noch dazu hat die argentinische extreme Rechte ein aktives Bündnis mit dem zionistischen Staat Israel und ultraorthodoxen religiösen Freikirchen geschlossen.

Aus diesem Grund hängen der Kampf gegen den Aufstieg der Rechten und der Kampf gegen den Einfluss des Imperialismus untrennbar zusammen. Ein Ausweg aus der sozialen Krise in Argentinien ist undenkbar, ohne die Interessen des Imperialismus und des IWF direkt anzugreifen. Hier in Europa können wir die Kämpfe in Argentinien deshalb am besten unterstützen, indem wir gegen unsere eigene, militaristische Regierung auf die Straße gehen, streiken und uns an unseren Arbeitsplätzen sowie in unseren Gewerkschaften, Unis und Schulen organisieren.

8. Die antifaschistische Bewegung in Argentinien ebnet uns den Weg

Die internationale extreme Rechte schaut auf Argentinien und hofft, zu lernen, wie auch sie ihre Agenda durchsetzen können. Auch für uns kann Argentinien als „Labor des Kampfes gegen den Rechtsruck“, also den Aufstieg der AfD und den Rechtsruck der Union, der Ampel und auch der Linkspartei, eine Inspiration sein. Das gilt insbesondere für den Kampf für eine Einheit aller Beschäftigtenen, die Selbstorganisation und den Generalstreik.

Hier in Deutschland müssen wir darum kämpfen, dass alle, die sich gerade richtigerweise gegen die AfD stellen, die Logik des geringeren Übels überwinden und den Kampf gegen die Regierung aufnehmen. Die Beispiele aus Argentinien können uns dabei helfen, die Alternative eines wirklichen Antifaschismus von unten real werden zu lassen.

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