Kämpferische TVÖD-Streikversammlung in Berlin mit hunderten Delegierten
Am Freitag diskutierten 300 Delegierte in einer Streikversammlung des Öffentlichen Dienstes aus Berlin über einen Kampfplan bis hin zu Erzwingungsstreiks.
Am Freitag begann für tausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes die erste offene Streikversammlung in der laufenden TVöD-Runde im Ostberliner „Neues Deutschland“-Haus. Schon am frühen Morgen standen Beschäftigte der Berliner Stadtreinigung, Krankenhäuser, Wasserwerke an den Eingängen, ebenso wie Beschäftigte der Post, die sich ebenfalls in einer Tarifauseinandersetzung befinden.
Die Forderungen der TVÖD-Beschäftigten: 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens 500 Euro, bei Auszubildenden 200 Euro. Während am Morgen die 300 Delegierten des Berliner TVÖD diskutieren, wie sie den Streik führen können, wurden am Nachmittag Kandidat:innen zur Abgeordnetenhauswahl eingeladen, um sie als künftige Chefs des öffentlichen Dienstes in Berlin zu fragen, wie sie sich zu den Forderungen der Beschäftigten positionieren.
Besonders kämpferisch zeigten sich hier die jungen Arbeiter:innen der Wasserwerke, welche die Lohnunterschiede zwischen Ausgelernten und Auszubildenden anprangerten. „Wir haben als Azubis dieselben Rechnungen zu zahlen wie alle anderen“, erklärte der Auszubildende der Berliner Wasserbetriebe Halis in einem Redebeitrag. „Mit dem einzigen Unterschied, dass bei den Ausgelernten vier Ziffern vor dem Komma stehen. Bei uns nicht.“
Tarifrunden für den Öffentlichen Dienst sind meist sehr routiniert und die Beschäftigten haben nur wenig mitzureden im Arbeitskampf, der über zwei Millionen Menschen in Deutschland betrifft. Die Streikversammlung der Delegierten am Freitag hingegen war ein Novum. Ähnlich wie bei den Streiks der Berliner Krankenhausbewegung diskutierten Vertreter:innen verschiedenster Stationen und Bereiche der unterschiedlichen Unternehmen gemeinsam, wie sie den TVöD-Streik führen wollen und darüber hinaus eine Rückführung der ausgegliederten Tochterunternehmen an kommunalen Krankenhäusern durchsetzen können. Während Entscheidungen in deutschen Gewerkschaften meist alleine von Bundesvorständen oder Tarifkommissionen getroffen werden, stimmten die Berliner Delegierten am Freitag über verschiedene Fragen des Streikes ab.
So wurde beispielsweise eine Resolution beschlossen, die sich für eine Zusammenführung der Streiks von TVöD mit denen der Post und der Lehrer:innen einsetzt. Das wirklich Besondere an den Abstimmungen: Sie waren nicht nur Stimmungsbilder der Basis, sondern die Vertreter:innen der Bundestarifkommission oder andere Mandatsträger:innen haben sich bereit erklärt, immer vor und nach den Sitzungen ihrer Gremien, Versammlungen zu organisieren, Diskussionen rückzukoppeln, das Votum der Streikversammlungen zu holen und ihre eigene Positionierungen in höheren Gremien auf erster Linie nach ihnen zu richten.
Damit der Streik ungebremst Fahrt aufnehmen kann, stellten die Delegierte Annika, Beschäftigte der Berliner Krankenhäuser, aktiv in Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) und Mitglied von Klasse Gegen Klasse, einen Antrag zur Debatte, der sich gegen die derzeitige Schlichtungsvereinbarung mit den Arbeitgeber:innen richtet. Die Vereinbarung sieht vor, dass die Vertretenden der Arbeitgeber jederzeit eine Schlichtung erzwingen können. Eine „unabhängig:e“ Politiker:in würde dann als Schiedsrichter:in den Tarifpartnern des öffentlichen Dienstes einen Tarifvertrag vorschlagen. Während der Schlichtung sind Streiks verboten. Die Schlichtungsvereinbarung gibt das stärkste Druckmittel, nämlich die Arbeitsniederlegung, aus der Hand und unterbindet zudem jegliche Aktionen, die „zu einem Scheitern“ der Schlichtung führen könnten. Also möglicherweise auch Aktivitäten außerhalb des Streiks. Der Antrag wurde mit großer Mehrheit seitens der teilnehmenden Gewerkschafter:innen angenommen und debattiert, wie die aktuellen Warnstreiks nach einem möglichen Scheitern der Verhandlungen zu einem wirklichen Erzwingungsstreik ausgeweitet werden können.
Aufgrund der nahenden Wahlwiederholung in Berlin wurden Vertreter:innen der CDU, FDP, SPD, Grünen und Linkspartei zum zweiten Teil der Versammlung eingeladen. Der Frage nach einem Inflationsausgleich für Beschäftigte stimmten die anwesenden Politiker:innen verhalten zu. Doch auf die Frage, wie sie sich als künftige Arbeitgeber:innen des öffentlichen Dienstes für die Streikenden einsetzen werden, falls sie die Wahl gewinnen, wichen sie aus. Eine Rückführung der Töchterbetriebe haben die Regierungsparteien der jetzigen Landesregierung nach eigenen Aussagen bis 2026 vor – Klaus Wegner (CDU) und Sebastian Czaja (FDP) wichen auch dieser Thematik aus.
Aber auch die Vertreter:innen der anderen Parteien, wie Klaus Lederer (Die Linke), haben den Streikenden neben leeren Versprechungen und Solidaritätsverkündungen nichts zu bieten. Dies zeigt sich sehr gut an ebendieser Forderung nach Rückführung, die durch die Regierungskoalition R2G seit Jahren verschleppt und nun bis zum Jahr der nächsten Berlinwahl 2026 aufgeschoben wird.
Der Kampf um einen realen Lohnausgleich wird hart. Die Verhandlungsführerin der Arbeitgeberseite würde laut Aussage von Beschäftigten offen über eine „Nullrunde“ nachdenken. Und das, obwohl durch die Inflation die Konten der Beschäftigten sich immer mehr leeren, während sie dem Staat und den Großkonzernen satte Extraeinnahmen in die Kasse spült. Aber diese stecken Bundesregierung und CDU lieber in Hunderte Milliarden für Krieg und Rüstung, anstatt in Löhne, von denen wir auch in der Krise überleben können.