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„Jutta Ditfurth inszeniert sich selbst als Opfer von Antisemitismus“

21.04.2016, Lesezeit 6 Min.
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Jutta Ditfurth und ihre Gruppe haben das Bündnis für den revolutionären 1. Mai in Berlin verlassen. Ihr Vorwurf: Antisemitismus. Ein Interview mit Dror und Aylin, Mitglieder der Gruppe FOR, "For One State and Return in Palestine", die im Bündnis aktiv ist.

Bei einem Treffen am Mittwoch hat die Ökologische Linke (die Gruppe um Jutta Ditfurth) versucht, eure Gruppe aus dem Revolutionären 1. Mai-Bündnis ausschließen zu lassen. Ditfurth schrieb, ein Ausschluss wäre nötig für eine Demo „ohne Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie und Nationalismus“. Was werfen sie euch vor?

Sie haben uns, so wie immer, Antisemitismus vorgeworfen. Für Ditfurth hat Antisemitismus nichts mit Hass auf Juden*Jüdinnen zu tun – vielmehr verstehen sie unter Antisemitismus eine antikoloniale Haltung gegen den Staat Israel. Sie meinen einfach Antizionismus.

Das ist ein großes Problem unserer Zeit – die israelische Regierung und ihre Lobby-Gruppen, auch Anhänger*innen wie die ÖkoLi, versuchen gegen die Erfolge der internationalen Solidaritätskampagne für die Palästinenser*innen zu kämpfen, indem sie jeglichen Antizionismus als Antisemitismus abzustempeln versuchen.

Der Rassismus der ÖkoLi lässt sich an Ditfurths Statement gut erkennen – nicht umsonst haben sie „Sexismus, Homophobie und Nationalismus“ mit hinein geschrieben. Damit bedienen sie anti-muslimische Stereotypen, nämlich dass Palästinenser*innen sexistisch, anti-LGBT* und nationalistisch seien. Wenn sie die Existenz Israels verteidigen, unterstützen sie nicht nur einen Nationalstaat, sondern ein rassistisches Kolonialprojekt.

Ditfurth schreibt, ihr wollt Israel „nicht kritisieren“, sondern „zielt auf seine Zerstörung ab“. Was ist genau die Position von FOR Palestine?

Die Position von FOR ist in zahlreichen Stellungnahmen ganz klar: Wir fordern die Abschaffung des zionistischen Kolonialsystems. Den Staat Israel möchten wir durch einen einzigen Staat ersetzen, in dem alle Einwohner*innen des Landes gleichberechtigt leben können, egal welcher Herkunft, Ethnizität oder Religion.

Die Ökolis verstehen nicht den Unterschied zwischen der Abschaffung eines rassistischen Staates und der „Zerstörung“ von Menschen. Diese Rhetorik wird auch oft von Zionist*innen verwendet, deshalb ist es wichtig darüber zu reden. Wenn wir von der Abschaffung des Kapitalismus reden, meinen wir nicht Genozid an allen Eigentümer*innen. Wenn wir von der Abschaffung des Patriarchats reden, bedeutet das nicht die Hinrichtung aller Männer. Wenn wir von der Abschaffung des zionistischen Staates reden, reden wir selbstverständlich von einer Entkolonisierung Palästinas – also der Errichtung eines Staates für alle.

Die Ökolis haben uns trotzdem vorgeworfen, wir würden alle Juden*Jüdinnen ins Meer treiben wollen – ein altbekanntes anti-palästinensisches Stereotyp. Als wir Beweise gefordert haben, haben sie auf die Stelle in unserem Text verwiesen, wo wir von der Abschaffung des Staates reden.

Die sogenannte „Ein-Staaten-Lösung“, für die wir eintreten, gewinnt in letzten Jahren weltweit mehr und mehr Unterstützung. Das hat einen einfachen Grund – diesen einen Staat gibt es schon. Es gibt keine zwei Staaten in Palästina. Denn israelische Siedlungen und militärische Kontrolle gibt es auf dem ganzen Gebiet. Wir brauchen also stattdessen einen Staat mit Gleichberechtigung für alle Einwohner*innen.

Was forderte die ÖkoLi genau?

Die ÖkoLi hat vier Anträge gestellt – allesamt rhetorische Spiele, um uns und BDS-Berlin aus dem Bündnis zu werfen. Es ist eine Frechheit, wie sie uns in einem linken Bündnis schlicht und einfach „antisemitische Gruppen“ genannt haben.

Die Diskussion beim Bündnistreffen hatte positive und negative Aspekte. Gut war, dass sehr viele der Genoss*innen sich klar gegen die Anträge der Ökoli positioniert haben. Schade ist aber, dass es heute trotzdem nicht allen klar ist, dass sie sich genauso gegen jegliche anti-palästinensische Hetze stellen müssen. Viele linke Aktivist*innen haben keine marxistische oder auch nur linke Analyse der nationalen Frage, vor allem in Bezug auf Palästina. Denn im Bündnis haben viele eine eurozentristische Perspektive. Dafür ist der Internationalistische Block beim 1. Mai da – wir wollen zeigen, dass die Revolution nicht nur zwischen Kottbusser Tor und Oranienplatz stattfindet.

Am nächsten Tag schrieben die Ökolis, dass die Diskussion „antisemitisch verhetzt“ gewesen sei. Das ist wieder eine krasse Verdrehung von Täter*innen und Opfern – denn die einzigen jüdischen Genoss*innen im Raum, darunter ein Gründungsmitglied von FOR, haben sich klar gegen die Ökoli positioniert! Jetzt inszenieren sie sich selbst als jüdische Opfer des Antisemitismus. Totaler Quark.

Was wollt ihr auf der revolutionären 1. Mai-Demo erreichen?

Der 1. Mai ist unser Kampftag – er gehört nicht nur deutschen linken Intellektuellen. An dem Tag wollen wir das Gleiche erreichen wie die globale Arbeiter*innenbewegung, nämlich ein Zeichen gegen Kapitalismus, Unterdrückung und Ausbeutung setzen. Dazu gehört es auch zu zeigen, dass das Proletariat nicht nur weiß, männlich und heterosexuell ist. Palästina ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass das Proletariat nicht nur gegen die kapitalistische Ausbeutung, sondern auch gegen Besatzung, nationale oder religiöse Unterdrückung oder Sexismus kämpfen muss. Heute wird der anti-muslimische Rassismus in Deutschland immer stärker, und da müssen wir uns klar dagegen aussprechen.

Ditfurth ist eine, sagen wir mal, interessante Figur. Spross eines Adelsgeschlechts, Mitgründerin der Grünen, Biographin von Ulrike Meinhof, und auch Rednerin beim 1. Mai 2009. Wie schätzt du sie ein?

Viele unserer Genoss*innen, die sich nicht viel mit den Pop-Ikonen der deutschen Linken auseinandersetzen, haben erst von Ditfurth gehört, als sie auf Facebook gegen uns gehetzt hat. Sie scheint ein gutes Beispiel für die Widersprüche der deutschen Linken zu sein – eine Person, die ein Buch über Ulrike Meinhof schreibt, und gleichzeitig den palästinensischen Kampf „antisemitisch“ nennt. Was hätte Meinhof dazu gesagt?

Ditfurth warnt vor einer „Querfront“, aber scheut sich nicht davor, sich mit neokonservativen Rechten zusammen zu tun. So hat sie sich auf Twitter mit Benjamin Weinthal für ein Skype-Gespräch verabredet. Nach zwei Tagen hat er ihre Hetze gegen uns weiter getwittert. Weinthal ist Journalist bei der reaktionären zionistischen Jerusalem Post und Mitglied des neokonservativen Think Tanks Foundation for Defense of Democracies. Da sind wir uns auch sicher, dass die Vorwürfe von Ditfurth sehr schnell in reaktionären Medien Widerhall finden werden. Da kann man schon sehen, mit welchen Gruppierungen diese „Linken“ sich zusammentun.

Es ist gutes Beispiel für die Hetze gegen Solidaritätsarbeit für Palästina. Wenn man in Deutschland „Antisemitismus“ schreit, braucht man oft keine weiteren Argumente. Dabei wird der wahre Antisemitismus relativiert. Der anti-muslimische Rassismus, der heute in Deutschland Menschenleben kostet, wird dadurch als weniger wichtig gesehen. Deswegen finden wir diese Diskussion wichtig, um linke und internationalistische Positionen in die Debatte hier einzubringen.

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