„Jung, Akademisch und Prekär“: Wie schaffen wir die Umkehr mit TVStud?
Dieses Wochenende findet die Konferenz der bundesweiten Tarifinitiative studentischer Beschäftigter in Göttingen statt. Wofür sollten wir als studentisch Beschäftigte kämpfen und wie können wir unsere Forderungen umsetzen?
Die Konferenz für einen Tarifvertrag der studentischen Beschäftigten (TVStud) an diesem Wochenende bildet einen wichtigen Meilenstein in der Bewegung studentischer Hilfskräfte (SHKs) zur Erkämpfung eines Tarifvertrags. Bisher gibt es einen solchen nur in Berlin, wo er zunächst 1981 in Kraft getreten ist und 2018 erneuert wurde. Eine Bilanz der studentischen Beschäftigten von Klasse Gegen Klasse, die damals am Streik beteiligt waren, findet ihr hier. Kurz: Mehr wäre drin gewesen.
Obwohl der frühere Abschluss hinter seinem Potential zurückgeblieben ist, zeigt sich heute eindeutig, dass der Tarifvertrag sich nachhaltig als Erfolg bewährt hat: In Berlin haben SHKs die durchschnittlich längsten Vertragslaufzeiten (über 14 Monate bei einem Bundesdurchschnitt von weniger als 6), höhere Mindestvertragslaufzeiten (normalerweise 4 Semester), gerechtere Bewerbungsprozesse durch formalisierte Wege, und das geringste Armutsrisiko. Der Weg des Arbeitskampfes hat also nachweislich die soziale Lage vieler junger Beschäftigter verbessert. Auf diesen Erfolgen müssen wir aufbauen und einen Tarifvertrag in ganz Deutschland anstreben.
Denn wie die kürzlich erschienene Forschungsarbeit Jung, Akademisch, Prekär: Studie zu sozialer Lage und Arbeitsbedingungen studentischer Beschäftigter an Hochschulen und Forschungseinrichtung vom Institut für Arbeit und Wirtschaft Bremen (iaw) in Kooperation mit ver.di und GEW nun schwarz auf weiß belegt: Die Lage für studentisch Beschäftigte ist mehr als schlecht. Wie Studis Online kommentieren:
„Wenn Nachwuchswissenschaftler das akademische Prekariat an den Hochschulen bilden, haben studentische Hilfskräfte den Status des Fußabtreters.“
Die derzeitige Dynamik schlechter Arbeitsbedingungen, aber fortschreitender gewerkschaftlicher Organisierung muss ein Anlass sein, unsere Position nachhaltig zu verändern. Die Dynamik um TVStud, die in der Studie vordergründig auf das Modell des „Organizings“ zurückgeführt wird, ist etwas Neues in der politischen Aktivität der Studierendenschaft. Während die letzte Welle der Studierendenbewegung in Deutschland als Widerstand gegen die Bologna-Reform 2009/2010 entstand und die Abwehr der Studiengebühren erringen konnte, steht heute die Verteidigung unserer Löhne vor der Inflation auf der Tagesordnung, aber auch die offensive Erkämpfung von besseren Arbeitsbedingungen im Öffentlichen Dienst. Wie wir das schaffen werden und welche Rolle die Selbstorganisierung in diesem Prozess spielen muss, zeigen wir hier.
Die Studie: Nichteinhaltung von Arbeiter:innenrechten als Regelfall
Die Studie basiert auf einer Befragung von 11.000 SHKs. In 176 Seiten werden bisherige Studien aktualisiert und ein Erklärungsversuch für den Zustand studentischer Beschäftigter sowie eine Perspektive für die Überwindung der untragbaren Lage formuliert. Die wichtigsten Highlights wurden bereits von der TVStud-Kampagne auf Instagram hochgeladen. Wir gehen hier nur auf einige zentrale Elemente ein.
Die Lage von Beschäftigten in der deutschen Wissenschaft ist spätestens nach der Kampagne #IchBinHanna synonym für „hoher Status plus prekäre Realität“. Dabei ist die prekäre Lage von Personen, die an Hochschulen beschäftigt sind, ein strukturelles Problem: Der komplette Bildungssektor wird seit Jahrzehnten totgespart, obwohl Probleme wie marode Schulen, fehlende Lehrkräfte und die mangelnde Ausfinanzierung der Forschung inzwischen allseitig bekannt sind. In Berlin zum Beispiel werden in diesem Jahr die Hochschulverträge zur Finanzierung der Wissenschaft neu ausgehandelt. Während sie bisher, wie im rot-grün-roten Koalitionsvertrag festgehalten, eine jährliche Steigerung der Landeszuschüsse von 3,5 Prozent erhalten sollen, erwarten die Hochschulen angesichts der deutlich höheren Inflation ein verstecktes Sparprogramm der Regierung.
In diesem Kontext fallen wir als Studierende oftmals nicht auf, beziehungsweise werden nur als Nachwuchs gesehen. Wir werden meistens als Konsument:innen der Wissenschaft betrachtet. Als studentische Beschäftigte sind wir das Gegenteil: „Es handelt sich bei den schätzungsweise bis zu 400.000 studentischen Beschäftigten in Deutschland (…) um eine tragende Säule des Wissenschaftsbetriebs“. Gleichzeitig stellen wir „die größte Tariflücke im öffentlichen Dienst“ dar, wie die Studie betont.
Die umfassend schlechte Stellung Studierender und studentischer Hilfskräfte sticht deutlich hervor. Laut Statistischem Bundesamt waren 2021 knapp 38 Prozent der Studierenden armutsgefährdet – für das vergangenen Jahr müssten es viel mehr sein. Gleichzeitig erhalten nur unter 12 Prozent der Studierenden BAföG. Bezeichnend ist, dass eine studentische Anstellung keineswegs vor Armut schützt: Über drei Viertel der SHKs sind armutsgefährdet, wie die Studie zeigt.
Zudem werden nur etwa ein Drittel der SHK-Stellen über formalisierte Ausschreibungen besetzt – der Rest ergibt sich informell, beispielsweise durch persönliche Kontakte mit Dozierenden. Diese Verfahren wirken sozial selektiv und benachteiligen Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen und Queers; sie erzeugen außerdem eine problematische Situation persönlicher Abhängigkeit, vor allem wenn man die eigenen Vorgesetzten an anderer Stelle als Dozierende wieder antrifft und auf ihre Benotung angewiesen ist.
Ein weiteres Problem sind Kettenverträge: Anstatt studentisch Beschäftigten mit fairen Laufzeiten eine Sicherheit zu gewährleisten, werden sie mit aneinandergereihten befristeten Verträgen abgespeist. Im Durchschnitt schließt eine SHK 4,6 Arbeitsverträge mit derselben Institution ab. Gleichermaßen ist eine studentische Beschäftigung nahezu essenziell für eine weitere akademische Laufbahn. Im Resultat sind Beschäftigte in einem Zustand permanenter Bewährung und Konkurrenz, da sich sich einerseits immer wieder gegen etwaige Mitbewerber:innen beweisen müssen, andererseits aber auf ihre Stelle angewiesen sind.
Die Studie zeigt, dass SHKs in diesem Kontext über ihren Vertrag hinaus arbeiten: Fast 40 Prozent von uns machen unbezahlte Überstunden, über 20 Prozent arbeiten ihre Krankheitstage nach (Frauen und Queers häufiger als Männer), während sogar fast 40 Prozent keinen vollständigen Gebrauch ihres Urlaubsanspruches machen. Die Kombination aus Leistungsdruck und persönlicher Abhängigkeit führt so zu einer einzigartigen Form der Hierarchie.
In der Studie heißt es außerdem: „Die Nichteinhaltung von Arbeitnehmer*innenrechten stellt den Regelfall dar“. Dabei ist zu erwähnen, dass der „Arbeitgeber“, gegen den die SHKs sich nun organisieren, gleichzeitig der Gesetzgeber ist, an den sie appellieren. Dieser hat allerdings die gesetzlichen Rahmenbedingungen so konzipiert, dass die strukturelle Nichteinhaltung von Arbeiter:innenrechten erst Regelfall werden konnte. Damit ist der Staat der größte „Minijob-Arbeitgeber“ für Studierende. Daraus müssen wir strategische Konsequenzen ziehen.
Welche Forderungen müssen wir aufstellen?
Die Studie endet allerdings nicht in dieser Analyse, sondern wirft ein Konzept zur besseren Regulierung auf:
- Erfassung der Beschäftigtenzahlen
- Vereinheitlichung und Festlegung von Beschäftigtenbezeichnungen und Tätigkeitsprofilen
- Einheitliche Festlegung der Löhne und Angleichung oder Integration in den TV-L
- Mindeststundenumfänge (z.B. zur Herstellung von Sozialversicherungspflichtigkeit)
- Mindestvertragslaufzeiten
- Einheitliche Bestimmung und Festlegung von Urlaubsansprüchen
- Konkretisierung und Kontrolle der Einhaltung gesetzlicher Pflichten: Arbeitszeiterfassung, Bereitstellung von Arbeitsplatz und Arbeitsmitteln
- Vollständige Integration der studentischen Beschäftigten in die gesetzliche Mitbestimmung. Schließen der demokratischen Repräsentationslücke durch die Einführung studentischer Personalräte.
Die Forderungen beinhalten wichtige Aspekte, die einem modernen Standard geregelter Arbeitsbeziehungen entsprechen sollten, wie sie derzeit – teilweise – als Ausnahme in Berlin vorzufinden sind. Sie richten sich insbesondere gegen die „Flexibilität“ unserer Arbeitsverhältnisse, die trotz jugendlichem Wording nur zu unserem Nachteil ausfällt.
Die Schranke des Vorschlags liegt allerdings in dem Versuch, für den „Arbeitgeber“ möglichst „durchsetzungsfähige“ Forderungen aufzuwerfen. Leider übergeht diese Logik den Rahmen der strukturellen Prekarisierung an unseren Unis, dessen für uns spürbarster Ausdruck schlussendlich das Fehlen eines studentischen Tarifvertrags ist. Die prekäre Situation der studentischen Beschäftigten ist in der Funktionsweise des Wissenschaftsbetriebs tief verankert, wie die Studie anschaulich zeigt. „Durchsetzungsfähige“ Forderungen sind allerdings Forderungen nach einem Kompromiss, der an den eigentlichen Problemen überhaupt nichts ändern würde.
Von einem naiven Übersehen dieses Problems kann mit Blick auf die Studie nicht die Rede sein. Darin sind Kernelemente wie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz benannt, der rechtliche Grundbaustein der Dauerbefristung wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen. Zusätzlich bleiben die prekärsten Arbeitsverhältnisse an unseren Unis im Zweifel die nicht-wissenschaftlichen Beschäftigten in der Reinigung, den Mensen und Wartungstätigkeiten. Sie sind der am stärksten ausgebeutete Teil der universitären Belegschaft, der meistens nicht darin verortet wird, da ihre Arbeitsverträge an Subunternehmen durch Outsourcing ausgelagert sind. Ohne gegen diese Verhältnisse vorzugehen, ohne Forderungen nach einer Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sowie ein Verbot des Outsourcings und dessen Ersatz durch feste Anstellungen im TV-L zu formulieren, wird es uns nicht gelingen, die Prekarisierung an den Hochschulen zu überwinden.
Denn es ist kein Zufall, dass die automatische Anhebung der Löhne im TVStud in Berlin 2001 ausgesetzt wurde, 2004 dann auch das Weihnachtsgeld wegfiel, aber erst 2018 der TVStud 3 erkämpft wurde. Solange die studentischen Beschäftigten von den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst getrennt bleiben, besteht die Gefahr, dass diese Entwicklung sich wiederholen wird. Tatsächlich beinhaltet der TVStud 3 ein Sonderkündigungsrecht für die automatischen Lohnerhöhungen mit den Erhöhungen im TV-L, falls die Hochschulen nicht genügend Geld in den Hochschulverträgen erhalten. Ohne die bundesweite Einheit aller Beschäftigten im Öffentlichen Dienst und das Verbot von Outsourcing ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Löhne studentischer Beschäftigter wieder stagnieren. TV-L für studentische Beschäftigte muss eine der zentralsten Forderungen der TVStud Kampagne sein.
Die einzigen, die sich bis zum Ende dafür einsetzen werden, sind – ohne große Überraschung – die studentischen Beschäftigten und outgesourcten Arbeiter:innen im öffentlichen Dienst selbst.
Das bedeutet, dass die Ausarbeitung des Forderungskatalogs und auch die Kontrolle über ihre Durchsetzung nicht den Gewerkschaftsführungen überlassen werden kann, schließlich geht es um unsere eigenen Arbeitsbedingungen. Bei aller Unterstützung für die Tarifkampagne haben die Gewerkschaftsführungen ihre ganz eigenen Lebensbedingungen und enge personelle Überschneidungen mit den regierenden Parteien, die gerade Verursacher:innen für die strukturellen Probleme sind, in denen wir uns befinden. Beispielsweise ist der Vorsitzende von ver.di, Frank Werneke, selbst Mitglied der SPD, die Vorsitzende des DGB Yasmin Fahimi sitzt im SPD Parteivorstand und war Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, während Jana Seppelt, stellvertretende Parteivorsitzende der Linkspartei, seit 2022 ver.di Landesfachbereichsleitung im Bereich für Bildung und Wissenschaft ist. Es geht uns nicht darum, das an einzelnen Personen fest zu machen, sondern die strukturelle Verbindung der Gewerkschaftsbürokratie mit der Regierung zu zeigen.
In der TVStud Kampagne 2017/18 waren es harte Auseinandersetzungen, die geführt werden mussten, damit die Bundesvorstände von ver.di und GEW überhaupt Streiktage genehmigten – die Selbstorganisierung der SHKs und die Streikversammlungen waren dafür zentral.
Erst im letzten Jahr wurde in der Tarifauseinandersetzung in der Metall- und Elektroindustrie ein unzufriedenstellendes Ergebnis unter der Inflationsrate von der IG Metall Führung abgeschlossen: ein Reallohnverlust bei einer Laufzeit von 24 Monaten. Das darf uns bei TVStud nicht passieren. Unsere erste konkrete Lohnforderung muss demnach mindestens der volle Inflationsausgleich sein, im Vergleich mindestens zur Lohnhöhe des Tarifvertrags in Berlin. Doch das ist noch nicht genug: Wie wir in der Studie nachlesen können, ist ein Großteil von uns bereits armutsgefährdet. Diese Situation gilt es nachhaltig zu verbessern. Deswegen brauchen wir auch zukünftig eine automatische Anpassung der Löhne an die Inflation. Darüber hinaus müssen wir eine Reallohnerhöhung anstreben, um uns aus unserer derzeitigen Armutslage zu befreien. Wir fordern also eine Lohnerhöhung über der Inflationsrate und weiterhin eine automatische Anpassung der Löhne an die Inflation. Zugleich muss unser Tarifvertrag eine möglichst kurze Laufzeit erhalten, damit unsere Erfolge nicht in einer ungewissen Zukunft verwässert werden und schnell nachgebessert werden können.
Auch in den anderen Teilgebieten müssen wir als SHKs unsere eigenen, konkreten Mindestanforderungen stellen. Welche Mindestvertragslaufzeit wollen wir? Mit welchem Vorschlag zur Festlegung unserer Urlaubstage möchten wir in die Verhandlungen gehen? Wie genau wollen wir in die Verhandlungen eingebunden werden, wie können wir unsere Repräsentation ausweiten, welche studentischen Gremien und Vertretungen braucht es? Diese Fragen und viele mehr müssen wir auf der Konferenz in Göttingen anfangen zu besprechen.
Es ist auch im Grundsatz eindeutig, dass die Wissenschaft unterfinanziert ist. Es ist eindeutig, dass der Gesetzgeber lieber in andere „Projekte“ investiert, als in die Zukunft und Sicherheit der jungen Generationen. Es ist eindeutig, dass der Gesetzgeber nicht willens ist, die Lage der Armen generell und die Lage eines Großteils der Beschäftigten an den Unis zu verbessern.
Das wird besonders offenkundig in der derzeit laufenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst (TVöD), wo in Berlin z.B. auch die Mensabeschäftigten beteiligt sind, mit denen wir uns solidarisieren müssen. Die Gewerkschaft fordert eine Entgelterhöhung um 10,5 Prozent mit einem Mindesterhöhungsbetrag von 500 Euro, bei einer Laufzeit von 12 Monaten; der „Arbeitgeber“, also die Regierung, hat kein Angebot vorgelegt, da kein Geld vorhanden sei.
Dass die Lage der Wissenschaft strukturell misslich ist, zeigt auch der Fakt, dass die Forschung immer mehr durch Drittmittel finanziert wird, da staatliche Gelder fehlen. Das betrifft auch SHKs, denn selbst deren Gehälter sind oft Teil von Drittmittelprojekten. Die Anstellung bleibt in diesem Rahmen streng befristet und an die Drittmittelempfänger:innen gebunden, also die Postdocs und Professor:innen. Das verstärkt einerseits die persönliche Abhängigkeit der SHKs von ihren Vorgesetzten, erzeugt andererseits eine Schleife der Abhängigkeit, der alle Beteiligten ausgesetzt sind und die sich in zunehmender Prekarität ausdrückt.
Dementgegen müssen wir eine volle Ausfinanzierung aller Bereiche des Hochschulbetriebs fordern, ob in den Mensen, in der Reinigung, im akademischen Mittelbau oder im Bereich der studentischen „Fußabtreter“, den SHKs: Inflationsausgleich und Gehaltserhöhungen für alle! Die Gelder dafür können von den Reichen generell kommen oder aber von den aktuellen Krisengewinnern.
Es war eine der Stärken des TVStud II Kampfes, sich auch mit politischeren Fragen zu beschäftigen, die über den eigentlichen Arbeitskampf hinaus gehen. Beispielsweise gab es einen Block studentischer Beschäftigter beim CSD in Berlin, oder einen gemeinsamen Streiktag mit der VSG gegen Outsourcing bei Vivantes. Die erste große Kundgebung der Kampagne war vor allem deshalb ein riesiger Erfolg, weil viele solidarische Studierende kamen. Diese Solidarität muss die Kampagne auch heute wieder gewinnen. Dafür können wir nicht nur bessere Arbeitsbedingungen für studentische Beschäftigte Fordern, sondern müssen die Auswirkung der Inflation auf die Studierenden insgesamt aufgreifen – und kritisieren, dass es ein 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr gibt, während im Öffentlichen Dienst gespart wird und die 200 Euro Prämie für Studierende im Angesicht der Erhöhung der Preise lächerlich gering ist. Statt für den Krieg zu mobilisieren, muss es Geld für höhere Löhne und ein Ende der Befristungen geben.
Wie wir sehen, steht der Kampf von uns Studierenden und studentischen Beschäftigten zur Durchsetzung unserer spezifischen Forderungen nicht dem Kampf gegen die gesamte Prekarität im Wege, sondern kann durch eine gemeinsame Bewegung nur gestärkt werden. Denn erstens verdeutlicht die Einsicht, dass die allgemeine Prekarisierung zur DNA des heutigen Wissenschaftsmodells gehört, die Interessengemeinschaft von den verschiedenen akademischen und nichtakademischen Beschäftigten. Zweitens sind wir es – ob SHKs, Dozierende, Mensa-Beschäftigte, technische Angestellte oder Reinigungs- und Wartungskräfte – die tagtäglich den wissenschaftlichen Betrieb am Laufen halten. Das gibt uns die kollektive Macht und Möglichkeit, die Bedingungen der Prekarität umfassend umzuwälzen. Dabei darf uns die Rhetorik der akuten Umsetzbarkeit keine fiktiven Grenzen setzen: Es sind genau die Bedingungen dieser begrenzten Umsetzbarkeit, die wir überwinden wollen.
Wie kämpfen wir für unsere Forderungen?
Die Möglichkeit und Notwendigkeit des gemeinsamen Streiks haben wir bereits aufgeworfen. Diese müssen keineswegs auf den Unikontext begrenzt bleiben. Unsere Interventionen und die Geschichte der Arbeiter:innenbewegung zeigen, dass sektorenübergreifende Solidarität unsere Position weitreichend und anhaltend verbessert. Die erste strategische Leitlinie unserer Bewegung muss also die Ausweitung in verschiedene Arbeitskämpfe und die Forderung nach gemeinsamen Streiks sein. Aktuell bedeutet das vorrangig, dass wir uns mit der kompletten TVöD-Streikbewegung vereinigen.
Des Weiteren müssen wir Konsequenzen daraus ziehen, dass der „Arbeitgeber“, gegen den wir uns am Verhandlungstisch behaupten müssen, gleichzeitig der Gesetzgeber ist. Hier wird noch stärker als sonst deutlich, dass unser Kampf gegen die Regierung und nicht mit ihr geführt wird. Für unsere Strategie ist unerlässlich, dass wir der Regierung nicht als Bittsteller:innen, sondern als starke und eigenständige Bewegung entgegentreten, die ihre Forderungen zur Not auch mit unbefristeten Erzwingungsstreiks durchsetzen wird. In ihrer Funktion haben sich die sozialpartnerschaftlich strukturierten Gewerkschaftsführungen und -bürokratien dabei leider als bremsend herausgestellt. Ihre Rolle ist es, die Kraft der Arbeitskämpfe in erträgliche und regierbare Bahnen für Staat und Kapital zu lenken. Wie das Beispiel des IGM-Kompromisses des letzten Jahres zeigt, sind die Führungen durchaus bereit, schlechte Kompromisse auf dem Rücken der Arbeiter:innen einzugehen. Auf sie können wir uns letztlich nicht verlassen.
Die Strategie des sogenannten Organizings, die verstärkt als Heilmittel gegen jene verkrustete Gewerkschaftsstrukturen verfolgt wird, enthält ein fundamentales Problem in der Selbstorganisierung der Beschäftigten. Ihre Praxis mündet meist nicht in einer basisgewerkschaftlichen Arbeiter:innenbewegung, sondern bezweckteine weitere Integration in den erfolglosen Apparat der Sozialpartnerschaft. Für das Organizing ist die Arbeiter:innenklasse nicht mehr als eine Lobbygruppe, die Bitten an den Staat stellt, diesen aber generell als legitim und potentiell progressiv begreift. Insgesamt bleibt das Organizing zudem bemerkenswert unpolitisch und methodisch, es greift also die größeren, aber umso brennenderen und wichtigeren Fragen gar nicht auf.
Unsere Antwort auf die strategische Sackgasse des Organizings ist die Selbstorganisation. Im konkreten Fall bedeutet das, dass wir Elemente der studentischen Selbstorganisation aufbauen müssen, in denen wir selbst über unsere Forderungen und Taktiken entscheiden. Wir brauchen SHK-Personalräte, aber vor allem auch Vollversammlungen für Studierende und Beschäftigte aller Bereiche. Wenn es zum Streik kommt, sind basisdemokratische Streikversammlungen unabdingbar. Nur mit solchen eigenständigen, unabhängigen und demokratischen Elementen werden wir uns gegen die Regierungs-Arbeitgeber und die Einhegung unseres Kampfes durch die Gewerkschaftsführung behaupten können. Dafür muss die TVStud-Konferenz ein Auftakt sein.
Welche politischen Forderungen müssen wir stellen?
Die Mobilisierung der SHKs ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Auf diesem Potenzial gilt es nun aufzubauen, um nicht in Kleinsterfolgen hängenzubleiben. Dafür ist es fundamental wichtig, die Uni nicht als Elfenbeinturm, getrennt vom gesamtgesellschaftlichen, politischen Kontext, zu begreifen. Warum ist denn kein Geld für Bildung da? Woher kommen denn die aktuellen Preissteigerungen? Wie können wir deren Ursachen bekämpfen und die mangelnde Antwort der Regierung anprangern? Auch hier hilft uns das Organizing an sich nicht weiter, wenn es zu diesen Fragen schweigt.
Unsere Bewegung muss sich den Antimilitarismus auf die Fahnen schreiben. Nicht nur ist der Krieg in der Ukraine, die Einstellung der russischen Gaslieferungen und die westliche Sanktionspolitik direkt verantwortlich für die Inflation. Die Teuerung wird auch noch zugunsten der Reichen und Konzerne und auf dem Rücken der Armen und Arbeiter:innen ausgespielt: Groteske Krisengewinne auf der einen Seite, unproportionaler Lohnverlust auf der anderen. Gleichzeitig wird der Krieg durch Waffenlieferungen und Sanktionen weiter vorangetrieben und im Inland 100 Milliarden in Aufrüstung investiert. Der enge Zusammenhang zwischen Aufrüstung und dem öffentlichen Dienst wurde nicht zuletzt durch die Aussage aus dem Verteidigungsministerium bestätigt, in der man sich für weitere Milliarden für die Bundeswehr aussprach und höhere Tarife im öffentlichen Dienst dabei als hinderlich beschrieb.
In Anbetracht dessen müssen unsere Forderungen lauten: Weder Putin noch NATO! Russische Truppen raus aus der Ukraine! 100 Milliarden in Bildung, Soziales und Klimaschutz statt Aufrüstung! Für eine Selbstorganisation der Arbeiter:innen gegen Krieg, Krise und Inflation! Wir brauchen eine Zivilklausel an den Hochschulen, die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr und militärische Forschung (auch dual-use) verbietet! Nein zur Bundeswehrwerbung an unseren Unis! All das sind Themen, die die Gewerkschaftsführungen nicht aufgreifen.
Das Potenzial unserer Bewegung, und der Arbeiter:innenbewegung als Ganze, liegt nicht nur in der Erringung von kleinen Verbesserungen im Rahmen des derzeitigen Systems. Es liegt in unserer Macht und Verantwortung, die Mittel des Arbeitskampfes auf die gesamte Gesellschaft auszuweiten und politische Forderungen zu stellen. Der Rassismus, Sexismus und die Queerphobie, denen wir in der Uni und in unserer Beschäftigung ausgesetzt sind, sind Gesamtprobleme der kapitalistischen Klassengesellschaft. Sie sind im Kleinen nur begrenzt zu verbessern. Auch von der Klimakrise sind wir als junge Menschen besonders betroffen und gerade der Krieg feuert dieses drängendste Problem unserer Generation weiter an. Unsere Aufmerksamkeit muss auch diesem Sachverhalten gelten.
Eine kämpferische Bewegung studentischer Beschäftigter
Die ab heute stattfindende TVStud-Konferenz ist ein willkommener und drängender Auftakt für eine kämpferische Bewegung studentischer Beschäftigter, sowie einer kämpferischen Studierendenbewegung insgesamt. Doch dafür braucht es mehr als einen Tarifvertrag. Wir müssen diesen als Sprungbrett nutzen, um die strukturelle Prekarität an den Hochschulen im Ganzen abzuschaffen. Dafür müssen wir gute Forderungen für uns als SHKs, aber mehr noch, gute Forderungen für alle Studierenden und Beschäftigten an den Unis ausarbeiten.
Dabei ist essentiell, dass wir nicht nur eine Integration in den bestehenden Gewerkschaftsapparat anstreben. Vielmehr muss unser Ziel die unabhängige Selbstorganisation sein, mit basisdemokratischen Elementen wie Vollversammlungen aller Studierenden und Beschäftigten und Streikversammlungen. Da wir der Regierung in diesem Kampf akut als „Arbeitgeber“ entgegenstehen, muss die Devise mehr denn je lauten: Gegen die Regierung, statt mit ihr. Den Organizer:innen und Gewerkschaftsführungen stellen wir die Frage: Steht ihr mit uns für unsere Interessen oder gegen uns mit der Regierung?
Schließlich müssen wir unsere Forderungen und Streiks politisch machen. Die Uni ist nicht isoliert vom Rest der Gesellschaft zu betrachten. Sie ist nicht nur ein zentraler Ort der kapitalistischen Ideologieproduktion. Die Probleme, die wir hier am eigenen Leib spüren, sind nicht unabhängig von Krieg und Krise zu verstehen. Unsere Bewegung muss eine antimilitaristische sein, die sich gegen Waffenlieferungen und Sanktionen stellt, die nur den Ärmsten in aller Welt schaden. Wir müssen gegen die Aufrüstung der Bundeswehr einstehen. Wir fordern 100 Milliarden in Bildung und Wissenschaft, in Soziales und Klimaschutz! Kein Cent dem Militarismus! Für eine kämpferische Studierendenbewegung jetzt!
Liam Figueroa ist Studierender der Soziologie. Max Freitag arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft an der Uni Duisburg-Essen.