John Bellamy Foster: „Der Bruch im Stoffwechsel der Erde ist unsere grundlegendste Herausforderung“ (II)

14.06.2017, Lesezeit 15 Min.
Übersetzung:
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Im zweiten Teil des Interviews von Left Voice mit John Bellamy Foster spricht dieser über Perspektiven der Umweltbewegung heute und über die Frage des Zusammenhangs von Umweltzerstörung und Kapitalismus.

Dies ist der zweite Teil eines Interviews mit John Bellamy Foster. Im ersten Teil redet er über die Positionen des Sozialwissenschaftlichen Mainstreams, die Rolle der Unternehmen, besonders der Finanzbranche, und den Möglichkeiten des kritischen Konsums.

Left Voice: David Harvey, Naomi Klein, du selbst und viele andere teilen die Idee, dass entweder der Kapitalismus überlebt oder der Planet. Kannst du uns das erklären?

John Bellamy Foster: Ja, es gibt innerhalb der Linken allgemein eine zunehmende Anerkennung der Tatsache, dass die Menschheit gerade ihr eigenes Nest verschmutzt und zwar auf einem globalen Level. Sozialist*innen haben leider allzu oft dabei versagt, ökologische Fragen ernst genug zu nehmen. Nichtsdestotrotz ist es nicht die Schuld der Sozialist*innen allein, denn dies gilt noch mehr für die gesamte liberale Tradition. Aber was auch immer wir über den Sozialismus im 20. Jahrhundert sagen, es muss klar betont werden, dass niemand im 21. Jahrhundert ernsthaft Sozialist*in oder Marxist*in sein kann ohne die volle Schwere der planetarischen ökologischen Krise anzuerkennen. Wir stehen entweder an vorderster Front im Kampf zum Schutze der Erde als Lebensraum für den Menschen (und als Heimat für zahllose andere Spezies) oder wir stehen auf der Seite der kreativen Auslöschung des Erdsystems, wie wir es kennen.

Zu Recht weist du in diesem Zusammenhang auf Naomi Klein hin, denn sie hat in den letzten Jahren mehr außerhalb der wissenschaftlichen Community getan als irgendjemand anderes, um die Alarmglocken zu läuten. Sie ist meiner Meinung nach die führende intellektuelle Aktivistin in der Klimabewegung in den USA. Im Gegensatz zu Figuren wie Bill McKibben, vermeidet sie es nicht zu sagen, wo der Hund begraben liegt. Der Untertitel ihres Buches „This Changes Everything“ (Dies verändert alles) ist ausdrücklich: Es ist eine Frage vom Kapitalismus gegen das Klima. Sie richtet sich am Ökosozialismus aus, was die wichtigste neue Entwicklung im sozialistischen und ökologischen Denken und in der Umweltbewegung ist. Ein gutes Beispiel dafür ist das Werk Facing the Anthropocene: Fossil Capitalism and the Crisis of the Earth System von Ian Angus, welches letztes Jahr erschien.

Was meine eigenen Beiträge zu dieser Frage angeht, habe ich eine größere Anzahl an Arbeiten geschrieben, wie zum Beispiel The Vulnerable Planet, Ecology Against Capitalism, und gemeinsam mit Brett Clark and Richard York The Ecological Rift: Capitalism’s War on the Planet. Der Fall ist für mich klar. Der Kapitalismus ist ein System, das auf unendliche Kapitalakkumulation ausgerichtet ist und daher auf exponentielles Wachstum. Daher vergrößert es konstant seine Maßstäbe. Mit einer 3 prozentigen Wachstumsrate würde die Wirtschaft innerhalb eines Jahrhunderts um das 16-fache wachsen, 250-fach in zwei Jahrhunderten und 4.000-fach in drei Jahrhunderten. Während die planetarische Kapazitäten in Bezug auf das, was wir den Zapfhahn (die Grenze der Ressourcen) und die Senken (die Kapazität der Reststoffablagerung) nennen, im Kern dieselben bleiben. Daher kann die Realität der ökologischen Grenzen und des Drucks, den die Wirtschaft auf diese ausübt, nicht verleugnet werden.

Das Problem ist sogar noch viel ernster, als es nach dem oben geschilderten erscheinen mag. Es ist zentral, den Fakt anzuerkennen, dass der Kapitalismus der Umwelt seine Bewegungsgesetze aufzwingt, ohne auf die biogeochemischen Zyklen des Planeten und des Stoffwechsels des Erdsystems Rücksicht zu nehmen, sodass die Beziehungen der Ökosysteme weit überproportional zum Wirtschaftswachstum gestört werden. Es ist dieses Problem des „metabolischen Bruchs“ (also einem Bruch im Stoffwechsel, siehe unten, Anm. d. Ü), das unser grundlegendste Herausforderung ist. Die Nachhaltigkeit ist mehr und mehr auf immer höheren Stufen gefährdet – eine sich kontinuierlich beschleunigende Bedrohung der Menschheit und des Lebens selbst.

Marx‘ Theorie vom metabolischen Bruch, oder dem „irreparablen Bruch im interdependenten Prozess des sozialen Stoffwechsels“ war die erste Analyse, die einen wirklich umfassenden Blick der Sozialwissenschaften auf systematische ökologische Krisen warf. Sie umfasst sowohl die Gesellschaft als auch die Natur und ihre dialektischen Wechselwirkungen miteinander, und bringt dies mit der Produktion in Zusammenhang. In der Tat sind diese Einblicke derart mächtig, dass sie auch heute noch zentral dafür sind, wie wir die Krise des Erdsystems heute betrachten. Dies wird deutlich in einem Artikel in der Märzausgabe von Nature, einem der weltweit führenden wissenschaftlichen Journals, der sich explizit auf Marx‘ Konzept beruft und ihn aus dem Kapital zitiert.

Wenn wir heute aus einer wissenschaftlichen Perspektive über das Anthropozän sprechen, erkennen wir explizit an, dass die „Große Beschleunigung“ des menschlichen Einflusses auf den Planeten seit 1945 einen „anthropogenen Bruch“ im Erdsystem herbeigeführt hat, der in ökologischer Hinsicht für immer die Gegenwart von früheren historischen Phasen trennt (sowohl geologisch als auch menschlich). Dieser Bruch in den menschlichen Beziehungen zum Planeten ist bereits jetzt katastrophal und könnte bald an einen Punkt gelangen, von dem aus es kein Zurück mehr gibt (wenn wir die globalen Durchschnittstemperaturen über +2°C hinaus steigern). Dies kann zu einer noch größeren Katastrophe führen, die das Schicksal der Menschheit selbst in Frage stellt.

Wenn du raten müsstest, denkst du dass die Menschheit dazu in der Lage sein wird, diesen verschmutzenden Wahnsinn zu beenden, bevor es zu spät ist? Oder denkst du, es ist leichter, eine dystopische Zukunft abzusehen mit knappem Wasser, giftigen Gasen und röstenden Temperaturen?

JBF: Wir sind jetzt schon aufgrund des Klimawandels zunehmend Katastrophen ausgesetzt. Es ist zu spät, rapide ansteigende Temperaturen, Wasserknappheit und Extremwetterereignisse zu verhindern. Dieser Zug ist bereits abgefahren. Die Erde wird in der Zukunft ein sehr viel weniger gastlicher Ort für Menschen sein. Was wir versuchen zu verhindern, ist etwas anderes: So wie James Hansen sagte und so wie ich es in meinem Artikel „Trump and the Climate Catastrophe“ zitiere: „eine dynamische Situation, die außer (menschlicher) Kontrolle ist“, die uns voran treibt zu Temperaturen von +4°C oder gar mehr, die die schiere Existenz der menschlichen Zivilisation bedroht und zahllose Menschenleben. Schlimmer noch könnte es auf die mögliche Auslöschung unserer Spezies hinauslaufen. In diesem Sinne würde eine dystopische Vision nicht ganz dem tatsächlichen Ernst der Bedrohungslage gerecht werden. Diese ist größer, als jeder dystopische Roman es voraussagen könnte, denn letztlich braucht ein dystopischer Roman immerhin noch einen einzigen verbleibenden Menschen, zumindest zeitweise. Wir müssen uns ein großes Massensterben auf der Erde vorstellen (Wissenschaftler*innen sagen, wir könnten alleine in diesem Jahrhundert die Hälfte aller lebenden Spezies im„Sechsten Massensterben“ verlieren) und wenn wir weit genug in die Zukunft blicken auch eine Welt, in der nicht eine Menschenseele zu finden ist. Vielleicht sogar so etwas wie das, was Hansen das „Venus Syndrom“ nennt. Aber noch weit vorher werden wir sehen, wie hunderte Millionen, vielleicht sogar Milliarden an Menschen auf katastrophalen Wegen betroffen sein werden. Alles was wir tun müssen, um den Planeten als einen Lebensraum für den Menschen zu zerstören, ist so weiter zu machen wie bisher mit dem kapitalistischen business as usual.

Es ist noch immer möglich, all dies aufzuhalten, oder zumindest die katastrophalsten Auswirkungen, wie einen Meeresspiegelanstieg um einige Dezimeter, nicht Meter, das komplette Sterben des Amazonas-Regenwaldes, den Tod des meisten Meereslebens usw. Aber es würde eines revolutionären ökologischen Wandels im Produktionssystem bedürfen, also im Stoffwechsel zwischen der menschlichen Gesellschaft und der Erde. Laut Hansen müssen wir die Kohlenstoffemissionen um 5 Prozent jedes Jahr auf dem gesamten Planeten reduzieren, beginnend in ein paar Jahren. Das bedeutet, dass die reichen Länder ihren Ausstoß um etwa zweistellige Prozentzahlen senken müssen. Zudem müssen wir auch noch Wege finden, gigantische Mengen an Kohlenstoff aus der Erdatmosphäre zu entziehen, vielleicht ungefähr 150 Gigatonnen, wenn wir das Klima immer noch bei einem Anstieg von +1,5°C stabilisieren wollen. Das ist das Problem der Negativ-Emissionen. (Alleine um zu verhindern, über die +2°C Leitplanke hinauszuschießen, braucht es jährliche globale Reduktionsraten von 3 Prozent.) All das kann mit den Mitteln erreicht werden, die uns im hier und jetzt zur Verfügung stehen, einschließlich alternativer Energien, sozio-struktuellem Wandel und dem Schutz von Ressourcen und Natur. Es würde eine breite Bewegung der Menschheit voraussetzen und wir müssten nicht nur der Logik einer Wirtschaft, die auf fossile Energieträger zentriert ist, brechen, sondern die Logik des Kapitalismus selbst. So wie es Kevin Anderson vom Tyndall Institute for Climate Change in Großbritannien uns sagt, müssten wir gegen die „polit-ökonomische Hegemonie“ angehen.

In diesen Situationen geht es nicht um Optimismus oder Pessimismus. Was wir brauchen, ist Mut und Entschlossenheit, uns scheinbar unüberwindbaren Hindernissen entgegen zu stellen. Was wir tun müssen, ist eigentlich gar nicht so schwer, wenn wir uns allein die direkten ökologischen Maßnahmen anschauen, die wir treffen müssen. Das, was sie zu einem scheinbar unüberwindbaren Problem werden lässt, ist die Monstrosität der globalen kapitalistischen Gesellschaft.

Heutzutage, da Leugner*innen des Klimawandels im Weißen Haus und an der Spitze der US-amerikanischen Umweltbehörde (EPA) sitzen, glaubst du, dass es genug ist zu sagen, dass wir den Kapitalismus bekämpfen müssen, um den Klimawandel aufzuhalten? Was sind die Aussichten, um den Kampf für den Planeten auf ein neues Niveau zu bringen?

JBF: Trumps Neofaschismus hat Einzug in das Weiße Haus gehalten. Sein Ziel ist eine andere Art des Managements der kapitalistischen Ökonomie. Es bedeutet sowohl einen Bruch mit dem Neoliberalismus als auch mit seinem Vorgänger innerhalb der Rechten. Dies ist ein Zeichen der tiefen Krise unserer Zeit. Die aktuelle Verwaltung steht nicht nur für eine Verweigerungshaltung gegenüber dem Klimawandel und hat Umweltaktivist*innen zu Volksfeinden erklärt, sondern sie will auch die liberale Demokratie als solche aushöhlen und greift rassistisch Unterdrückte, Migrant*innen, Frauen, LGBTQ Menschen, Umweltaktivist*innen und Arbeiter*innen an. Die Widerstandsbewegung dagegen muss daher eine Verteidigung der Menschheit als solcher in allen ihren Aspekten sein.

Wenn wir es schaffen, in dem was Harvey ein „co-revolutionäres Momentum“ nennt, die Bedürfnisse der sozialen Reproduktion und die nachhaltige menschliche Entwicklung zu verbinden mit einem Kampf zur Rettung der Erde als menschlichem Lebensraum, dann können wir wirklich etwas erreichen. Aber dies muss eine gigantische Bewegung sein, die alle Arbeiter*innen der ganzen Welt vereint, sie muss Imperialismus und Kriegen entgegentreten. Alle diese Dinge sind miteinander verbunden. Die Klimabewegung ist zentral im Sinne eines Überblicks über die Notlage, aber wir können nur zu irgendeinem Punkt gelangen, wenn wir an allen Fronten kämpfen, oder die Kämpfe zu einer großen Front zusammenführen. Das Modell ist vielleicht das der weltweiten Bewegung für Umweltgerechtigkeit, das was Naomi Klein „Blockadia“ nennt und was für die Barrikaden unserer Zeit steht. Ich argumentiere dafür, dass es auf die Herausbildung eines „Umweltproletariats“ ankommt (am besten sichtbar im Globalen Süden), durch welches anerkannt wird, dass unsere materiellen Kämpfe über die Umwelt ,in der wir leben und atmen und arbeiten, alle dieselben sind. Wir müssen anerkennen, wer der Feind ist. Die acht größten Konzerne der fossilen Brennstoffbranche emitieren zusammen mehr als die Vereinigten Staaten, die für 15 Prozent der Weltemissionen verantwortlich sind. Wir müssen das Kapital und die Konzerne in den Fokus rücken.

Der Kampf gegen die Dakota Pipeline hat weitläufige Unterstützung aus dem gesamten Land erfahren und sogar von indigenen Gesellschaften außerhalb der USA. Auch wenn der Konflikt noch immer ungelöst ist und die Trump-Regierung sich auf eine neue Offensive vorbereitet, wurde im Dezember eine große Schlacht gewonnen. Welche Lektionen können wir aus diesem Kampf zur Verteidigung von Standing Rock lernen?

JBF: Der Kampf um Standing Rock hat einen unauslöschlichen Eindruck im heutigen ökologischen Kampf hinterlassen. Es war ein großer Sieg, auch wenn mit der Wahl von Trump die Bedingungen dafür geschaffen wurden, dass das Gewonnene wieder hinweggefegt wird. Indigene Menschen haben wieder einmal, wie so oft in den letzten Jahren, ihre Führungsrolle in Kämpfen zum Schutz der Umwelt demonstriert. Die Aktivist*innen, die das Wasser schützen wollen, waren standfest, während sie bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt mit Wasserwerfern beschossen wurden. Sie wurden mit „nicht-tödlichen“ Projektilen und mit Tränengas beschossen und Hunde wurden auf sie losgelassen. Die ganze Welt hielt den Atem an. Es war schwer für mich, nicht an die Kämpfe der Ära der Bürgerrechtsbewegung zurückzudenken. Der Kampf drehte sich primär um den Schutz des Wassers, welches durch die Bohrungen der Pipeline unter dem Missouri Fluss in Gefahr gebracht wird. Aber alle wussten – und nicht nur die Umweltaktivist*innen, die sich ihnen anschlossen, sondern besonders die indigenen Menschen selbst – dass dies ein Kampf um die ganze Erde war.

Für mich war der Höhepunkt dann kurz vor dem Ende, als tausende von US-Veteran*innen en masse ankamen, sich dem Standing Rock in langen, sich windenden Schlangen von Fahrzeugen näherten, die sich über Meilen hinweg aneinander reihten. Sie haben als „menschliche Schilde“ die Wasserschützer*innen verteidigt. Sie haben erklärt, dass sie an der Seite der Indigenen stehen – und sie haben sich sogar persönlich auf Knien für die Geschichte des Umgangs der USA mit den Indigenen entschuldigt. Es ist kein Zufall, dass die Regierung ein paar Tage später aufgegeben hat. Der Konflikt, der daraus gefolgt wäre, hätte eine komplette Katastrophe für die aktuell Herrschenden bedeutet. Also haben sie entschieden, an diesem Punkt einen Rückzug anzutreten. Aber das, was dies wirklich so bedeutsam gemacht hat, ist, dass es ein Akt der Solidarität über Grenzen hinweg war, die uns historisch getrennt haben. Es ist das Aufkommen von menschlicher Solidarität in der Stunde der Not – das sagt uns, dass wir gewinnen können.

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