Jimmy Carter war ein Feind der Arbeiter:innenklasse
Jimmy Carter wurde für seinen Einsatz „für Menschenrechte und Demokratie" nach seiner Präsidentschaft gelobt – ein Mittel zur Förderung des US-Imperialismus. Vor allem aber war er Wegbereiter des Neoliberalismus in den USA und ein erbitterter Feind der Arbeiter:innenklasse.
Jimmy Carter starb am 29. Dezember im Alter von 100 Jahren. Von 1977 bis 1981 war er Präsident der USA und übte damit nur eine Amtszeit aus, die es jedoch in sich hatte. Carter, ein konservativer Demokrat und Opportunist, der sich während seiner Kampagne als Reformer darstellte, gab schnell jeden progressiven Anspruch auf. Stattdessen trieb er eine Politik voran, die die kommenden Jahre der neoliberalen Angriffe vorwegnehmen sollte. Auch außenpolitisch verfolgte Carter eine imperialistische Agenda, die von der Konfrontation mit der Sowjetunion dominiert wurde und die Ende der 1960er Jahre eingeleitete Periode der „Entspannung“ in den Beziehungen zum Ostblock beendete.
Wegbereiter des Neoliberalismus
Jimmy Carter war in vielerlei Hinsicht der Präsident, der den New Deal zu Grabe trug und die USA für den Neoliberalismus öffnete. Die Maßnahmen, mit denen er im Wahlkampf geworben hatte, darunter die Einführung eines umfassenden bundesweiten Krankenversicherungssystems oder die Einleitung großer Infrastrukturprojekte, wurden schnell zugunsten verwässerter Gesetzesvorlagen fallen gelassen. In seiner ersten Rede zur Lage der Nation betonte Carter die Notwendigkeit eines „nüchternen und rigorosen “ Bundeshaushalts und nahm damit die künftige Sparsamkeit vorweg.
Im kollektiven Bewusstsein waren es die Jahre von Carters Nachfolger Reagan, in denen der Neoliberalismus in den USA Einzug hielt. Natürlich startete die Reagan-Regierung einen beispiellosen Angriff auf die Arbeiter:innenklasse, indem sie eine zutiefst gewerkschaftsfeindliche Politik umsetzte, alle Wirtschaftsbereiche deregulierte, den Bossen Geschenke machte und die Löhne kürzte. Die Grundzüge dieser Politik entstanden jedoch während der Amtszeit von Jimmy Carter. Dieser gab seine teilweise recht progressive Agenda mit Unterstützung der großen Gewerkschaftsbürokratien schnell auf und vollzog einen Rechtsruck, um die Inflationskrise zu lösen, die nach der Ölkrise von 1973 entstand und durch die Krise von 1979 noch verschärft wurde. Eine Wende, die sich in einer brutalen Austeritätspolitik verkörperte.
Eines der deutlichsten Zeichen dieser neoliberalen Wende ist zweifellos seine Politik der Deregulierung großer Teile der Wirtschaft, die auf Anreize seines arbeiter:innenfeindlichen Beraters Alfred Kahn zurückzuführen ist. Eines der ersten Ziele dieser Deregulierungspolitik war 1978 der Luftfahrtsektor, der unter anderem die bundesstaatliche Kontrolle über die Flugpreise beendete und den Markteintritt neuer Fluggesellschaften ermöglichte. Das erste Ergebnis dieser Deregulierung war eine sofortige Senkung der Löhne. Der Erfolg (für die Unternehmen) dieser Deregulierungsmaßnahme veranlasste Carter später dazu, die gleiche Politik auch auf den Straßen- und Seeverkehr anzuwenden. In einem Interview von 1981 sagte Alfred Kahn unumwunden: „Ich würde es lieben, wenn sich die Situation der Teamster [Transportarbeiter:innengewerkschaft] verschlechtern würde; ich würde es lieben, wenn sich die Situation der Automobilarbeiter verschlechtern würde“. Durch die weitere Deregulierung des Finanzsektors und die Liberalisierung der Zinssätze im Jahr 1980 spielte Carter eine Schlüsselrolle bei der Beschleunigung der Finanzialisierung der Wirtschaft und dem Eintritt der USA in das neoliberale Modell.
Neben Deregulierungsprogrammen war Carter ein eifriger Befürworter des „small government“ (schlanker Staat), eines der Dogmen der neoliberalen Politik, die sich unter Reagan weiterentwickelte. In seiner berühmten Rede von 1979 über die „Vertrauenskrise“ ‚ skizzierte Carter die Idee, dass die Regierung nicht für die Bedürfnisse aller Menschen sorgen könne. Eine Art zu sagen, dass seine Regierung keine sozialen Maßnahmen mehr ergreifen und es dem Markt überlassen würde, die Bedürfnisse der US-Amerikaner:innen zu befriedigen. Die sozialsten Projekte, mit denen er Wahlkampf gemacht hatte, wurden systematisch verwässert. So wurde beispielsweise ein Gesetzentwurf zur Einführung eines Mindesteinkommens in ein Gesetz zur Senkung der Kosten und Steigerung der Unternehmensgewinne umgewandelt, oder ein Gesetzentwurf, der trotz Marktschwankungen Arbeitsplätze für alle garantierte, wurde von Carter zu einem Gesetz verwässert, das die Bundesregierung „verpflichtet“, Vollbeschäftigung anzustreben.
Carters neoliberale Ausrichtung zeigte sich auch in direkteren Angriffen auf die Arbeiter:innenklasse und die Gewerkschaften, insbesondere durch seinen Rückgriff auf das Taft-Hartley-Gesetz 1978, um den Streik der Bergarbeiter:innen zu brechen. Diese Entscheidung begründete er mit der Befürchtung, dass der Streik zu höheren Energiepreisen führen würde. Doch als 1979 die Ölkrise ausbrach, bestand seine einzige Lösung darin, Paul Volcker, einen Verfechter des Sparkurses, an die Spitze der Federal Reserve (Zentralbank der USA) zu setzen. Paul Volcker war die Verkörperung des neoliberalen Geiers. Bei seiner Anhörung vor dem Kongress sagte er, es sei „notwendig, dass die Lebensqualität des Durchschnittsamerikaners sinkt“. Während seiner gesamten Amtszeit, die von Reagan verlängert wurde, erhöhte er ständig die Zinssätze der Fed und schaffte es, die Inflation einzudämmen, allerdings um den Preis einer brutalen Rezession, einer Explosion der Arbeitslosigkeit und einer Lohnstagnation, die jahrzehntelang anhalten sollte. In dieser Zeit stieg die Lohnungleichheit auf ein Niveau, das höher war als in der „goldenen Zeit“ des späten 19. Jahrhunderts.
Jimmy Carter, der sich als Technokrat präsentierte, der auf die Krisen der 1970er Jahre reagieren konnte, regierte in enger Zusammenarbeit mit dem Großkapital. Er holte immer wieder den Rat von David Rockefeller, einem Wirtschaftsmagnaten und persönlichen Freund, ein und setzte die Interessen von Coca-Cola in der ganzen Welt durch. 1978 schrieb die New York Times: „Tatsächlich haben die großen Unternehmen bei Jimmy Carter, einem Demokraten, in größerem Maße ein offenes Ohr als bei Richard M. Nixon und Gerald R. Ford, Republikanern, und einige Mitglieder der Geschäftswelt behaupten, dass sie mit Carter besser zurechtkommen als mit seinen Vorgängern.“
Die Carter-Doktrin: Einmischung und ständige Konfrontation mit dem Ostblock
Ein Bereich, der von den Sparmaßnahmen nicht betroffen war, war das Militär, dessen Budget Carter 1979 erhöhte, als er nach der Katastrophe des Vietnamkriegs vorgab, die Politik der „Entspannung“ mit der Sowjetunion auszuweiten. Dieser Krieg, der von immer größeren Teilen der Bevölkerung nach und nach abgelehnt wurde (der Vergleich mit Afghanistan in den Jahren 2000/2010 ist weitgehend zutreffend), war schließlich kurz vor Carters Wahl zu Ende gegangen. Die Amerikaner waren nicht bereit, einen neuen Krieg mit direkter Beteiligung des Militärs zu akzeptieren, und in den Carter-Jahren kam es nicht zu einem groß angelegten Einsatz des Militärs im Ausland.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die USA darauf verzichteten, in die meisten Konflikte auf der ganzen Welt einzugreifen, ganz im Gegenteil. Die Carter-Regierung arbeitete unermüdlich daran, die imperialistischen Interessen der USA in allen Ecken der Welt voranzutreiben. Zu dieser Zeit bestand die Politik der USA darin, reaktionäre Diktaturen nach Kräften zu unterstützen, wenn sie dazu dienen konnten, jegliche Bestrebungen einer Annäherung an die Sowjetunion einzudämmen. Der Einmarsch von Suhartos Indonesien in Osttimor 1975 erfolgte mit der Zustimmung von Kissinger und Carters Vorgänger Ford, und Carter stimmte bereitwillig zu, Tonnen von Waffen zu schicken, damit Suharto seinen Völkermord an den Timores:innen verüben konnte. Das Risiko war es wert, da dieser ein strikter Antikommunist war. Als das Ausmaß der Massaker des Suharto-Regimes für die Weltöffentlichkeit ein wenig zu offensichtlich wurde, sah sich Carter gezwungen, die Militärhilfe zu reduzieren, bat Israel aber, stattdessen Kampfflugzeuge zu liefern.
In vielerlei Hinsicht, Entspannung hin oder her, wurde Carters Außenpolitik von einer Konstante geleitet: die Sowjetunion zu schwächen, wo immer es möglich war, und jede Befreiungsbewegung zu zerschlagen, die auch nur annähernd Verbindungen zur UdSSR haben könnte. Dies war der Fall durch seine (offene und später verdeckte) Unterstützung des nicaraguanischen Diktators Somoza gegenüber den Sandinisten, der Diktatur in El Salvador, durch die Bewaffnung der Roten Khmer gegenüber den Vietnamesen, die sich an der UdSSR orientierten, oder auch der Mudschaheddin in Afghanistan gegenüber der sowjetischen Invasion. Man muss sagen, dass Carter sich gut umgeben hatte, und ein war hawk (außenpolitischer Hardliner) wie der nationale Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, der von einem grenzenlosen Hass auf die Sowjetunion und alles, was auch nur im Entferntesten nach Kommunismus aussah, getrieben war, stand Henry Kissinger in nichts nach.
Diese Doktrin brachte ihn auch dazu, neue Annäherungen zu fördern, insbesondere durch die Normalisierung der Beziehungen zu China, das sich in den ersten Jahren der Herrschaft von Deng Xiaoping von der Sowjetunion abgewandt hatte. Auch mit Sadats Ägypten, das einige Jahre zuvor durch die Vertreibung der sowjetischen Armee aus dem Land die meisten Brücken zur Sowjetunion abgebrochen hatte, machte Carter eine wichtige Annäherung. Diese Annäherung an Ägypten kam schließlich mit dem Abkommen von Camp David zustande.
Es war auch diese Logik, die die Carter-Regierung dazu veranlasste, den Schah von Iran bis zum Schluss zu unterstützen, angesichts einer Revolution, die Carter als für die Sowjetunion günstig sah – eine Interpretation, die sich letztlich nicht wirklich bestätigte. Seine Unterstützung für die, wie er es nannte, „Insel der Stabilität“ im Nahen Osten, verkörpert durch die blutige Diktatur des Schahs von Iran, war einer der Hauptgründe für sein Scheitern, sich für eine zweite Amtszeit an der Macht zu halten. Die Geiselkrise von 1979-1981, in deren Verlauf iranische Student:innen, die Anhänger der Revolution waren, 53 US-Bürger:innen und Diplomat:innen in der Teheraner Botschaft als Geiseln nahmen, war eine direkte Folge von Carters Entscheidung, dem Schah nach seiner Flucht aus dem Land Asyl in den USA zu gewähren. Seine Unfähigkeit, die Krise zu lösen, und die Tatsache, dass es Reagan gelang, die Geiseln am ersten Tag seiner Präsidentschaft zu befreien, blieb auf Carters Präsidentschaft haften.
Zwischen neoliberaler Wende und Stärkung der imperialistischen Politik der USA stellen die Carter-Jahre einen Wendepunkt für das Land und die Welt dar. In diesen Jahren kehrten die Krisen mit voller Wucht zurück und die sogenannten „glorreichen Dreißiger“ gingen endgültig zu Ende. Während der New Deal eine Konsolidierung der bürgerlichen Demokratie im Angesicht von Kommunismus und Faschismus darstellte, machte seine Erschöpfung Platz für das, was Carter eine „Vertrauenskrise“ in die Demokratie und die Hoffnung auf ein besseres Leben für die Amerikaner:innen nannte. Diese Krise wurde in Wirklichkeit von Carter geschickt in einem Klassenkrieg der Bourgeoisie gegen die Arbeiter:innen gelenkt, der sich in der schrittweisen Aufgabe der sozialen und wirtschaftlichen Kompromisse, die die Ära des New Deal geprägt hatten, verkörpern sollte.
Jimmy Carters Amtszeit, die von vielen als Misserfolg angesehen wird, wird oft mit seiner langen Zeit nach der Präsidentschaft verglichen, in der er sich angeblich intensiv für die Menschenrechte und die Förderung der „Demokratie“ einsetzte. In Wirklichkeit waren die Carter-Jahre aus Sicht der Bourgeoisie ein großer Erfolg, da sie ein neues Modell der Herrschaft über die arbeitenden Klassen etablierten und gleichzeitig die Position der Bourgeoisie festigten. Außerdem diente sein Handeln nach seiner Präsidentschaft weitgehend dazu, auf seine Weise die Interessen des amerikanischen Imperiums in der ganzen Welt zu fördern.
Dieser Artikel erschien zunächst am 31. Dezember in Révolution Permanente.