Jens Spahn: Der Arbeiterfeind
Von 416 Euro im Monat könne man leben. Mit dieser Aussage hat Gesundheitsminister Jens Spahn im Frühjahr dieses Jahres für Schlagzeilen gesorgt. Ein Arbeiter erklärt Jens Spahn, warum er mit seiner Politik der Gesellschaft schadet.
Auf dem CDU-Parteitag vergangene Woche unterlag Jens Spahn zwar seinen parteiinternen Gegner*innen. Los sind wir ihn damit aber wohl leider noch nicht. Immerhin hat er mit 15 Prozent Zustimmung zumindest einen Achtungserfolg erringen können. Vor dem Parteitag hatte er noch einmal im so genannten „Bild-Talk“ gegen junge Hartz 4-Bezieher*innen ausgeteilt.
Dort rechtfertigt Spahn weiter die Maßnahmen gegen Erwerbslose, wenn sie die Angebote vom Jobcenter nicht wahrnehmen. Dabei sind sie faktisch gezwungen noch so schlechte Angebote anzunehmen, noch so miese Jobs anzutreten, damit ihnen nicht die ohnehin knapp bemessenen Leistungen gekürzt werden. Diese Gängelung fördert so einerseits die Ausweitung von prekärer Beschäftigung. Andererseits wirkt es aber auch wie ein Damoklesschwert für Beschäftigte, dass andere für weniger Geld die Arbeit ausüben können.
„Es ist vielleicht nicht die Arbeit als Minister, es ist kellnern, es ist reinigen, es ist Handwerk. Warum ist uns das nicht zumutbar, das muss mir mal jemand erklären“, so Jens Spahn in dem Interview. Doch kann jemand mit über 15.000 Euro im Monat sich ernsthaft anmaßen, solch ein Urteil zu fällen? Für die Beschäftigten in der Gastronomie und in der Reinigung muss eine solche Aussage wie blanker Hohn wirken. Doch damit nicht genug. Weiter hetzte er dort gegen junge Empfänger*innen von Hartz IV: „Warum soll jemand, der 23 ist und nächste Woche einen Termin im Jobcenter hat, nicht um 10 Uhr aufstehen?“ Als ob das Problem dort liegen würde. Spahn, der sich übrigens weigerte das Experiment zu wagen, einen Monat mit einem Hartz IV-Satz auszukommen, banalisiert damit die prekäre Lage, in der sich besonders Jugendliche immer mehr befinden. Denn Hartz IV heißt mehr, als vormittags Termine anzunehmen.
Ein wesentlicher Bestandteil der Abwertungsstrategie der Arbeit – die Jens Spahn propagiert – ist es, etwaige Qualifikationen herunter zu spielen. Genau das tut er, wenn er sagt, ein Elektriker könnte ja auch mal ein bisschen als Bäcker arbeiten. Bäcker ist aber ein Lehrberuf und Elektriker auch. Ob es wirklich so eine gute Idee ist, dass Bäcker Stromleitungen legen?
Diese Rhetorik – „Du kannst doch alles machen“ – ist kein Zufall, sondern Strategie, die viel mit Lohndumping zu tun hat. Es kommt sehr oft vor, dass nach einer Bewerbung auf eine gut dotierte Stellenausschreibung dann bei Einstellungsgesprächen oder beim Unterzeichnen des Arbeitsvertrages Qualifikationen heruntergespielt werden. Da werden dann Handwerker mit abgeschlossener Berufsausbildung als Helfer eingestellt, indem man sagt: Die Arbeit, die Du erledigen wirst, braucht keine Qualifikation. Später wird man dann nach und nach mit höherwertigen Tätigkeiten ausgestattet und hat Mühe, eine höhere Eingruppierung zu erreichen.
In Spahns Welt läuft das tatsächlich ein bisschen anders. Da kann man dann Aufsichtsrat einer Automobilbaufirma werden, obwohl man davon keine Ahnung hat. Man kann auch Gesundheitsminister werden, ohne jemals in einem Krankenhaus gearbeitet oder die Zusammenhänge eines Krankenhauses verstanden zu haben. Für Spahn ist das Amt als Gesundheitsminister eben nur ein Sprungbrett nach oben. Er weiß, er hat die Kosten gering halten, wenn er sich weiter bewähren will. Was das für die Menschen bedeutet, die in einem Krankenhaus arbeiten oder versorgt werden, spielt für Spahn eine untergeordnete Rolle.
In unseren Berufen ist hingegen es so, dass man eben nicht Elektriker Brötchen backen lassen kann und Bäcker Kabel verlegen. Auch als Reinigungskraft arbeiten ist eine Arbeit, für die man Talent haben und über Fachwissen verfügen muss. Eine Reinigungskraft kann an einem Tag einen Schaden von 100 000 Euro anrichten, wenn sie die falschen Reinigungsmittel benutzt. In einem Krankenhaus kann ein Fehler einer Reinigungskraft Menschenleben kosten. Was glauben diese Leute eigentlich, was wir in unserer mehrjährigen Ausbildung alles lernen mussten? Das hat auch etwas mit Arbeitssicherheit zu tun. Die Abwertung von Qualifikationen ist politisch gewollt, wird von nahezu allen Parteien vorangetrieben und hat massive negative Folgen für die Gesellschaft und unser Wertesystem – oder sagen wir besser, was davon noch übrig ist.
Meiner Erinnerung nach war es in den Achtzigern vor der Agenda 2010 so, dass wenn man eine Person im Freundeskreis hatte, die eine Ausbildung machte, relativ schnell gesehen hat, dass sich die Person etwas leisten kann. War es auch nur ein Moped. Wenn sie mit der Ausbildung fertig war, dann konnte sie sich ein Auto leisten. Wenn sie dann ein paar Jahre gearbeitet hatte und Meisterin wurde, dann konnte ein Haus gebaut oder eine Wohnung gekauft werden. Das sorgte dafür, dass andere einen Nutzen darin gesehen haben und ebenfalls mit einer Ausbildung begonnen haben.
Heute werden Millionen in irgendwelche schwachsinnigen Förderprogramme gesteckt, bei denen Jugendliche überzeugt werden sollen, handwerkliche Berufe zu lernen. Aber die Jugendlichen sehen bei ihren eigenen Eltern, dass die Qualifikationen nicht anerkannt werden und dass sie, obwohl sie vielleicht sogar in einem landeseigenen Unternehmen arbeiten, noch mit Hartz 4 aufstocken müssen.
Wenn Jens Spahn also Qualifikationen herunterspielt, ist das für unsere Gesellschaft desaströs. Ihm ist das aber egal, seine Wählerklientel möchte schnell viel Geld verdienen und dann wieder aus der Verantwortung treten. Das geht auch mit kurzfristig gedachten Projekten mit Beschäftigten ohne Qualifikation! Interessant wäre es mal zu ermitteln, welche desaströsen Fehler beim BER eben diesem Sachverhalt geschuldet sind und uns Milliarden kosten!