„Jeder Streiktag beginnt mit einer Versammlung“ – Interview zum Arbeitskampf der studentischen Beschäftigten

08.02.2018, Lesezeit 5 Min.
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Sophie Obinger macht ihren Master mit Schwerpunkt Gender Studies am Lateinamerika-Institut der FU Berlin und arbeitet als studentische Hilfskraft am Institut für Romanische Philologie. Sie ist aktiv im Arbeitskampf für einen neuen Tarifvertrag für die studentischen Beschäftigten ("TVStud").

Viele fragen sich: Eine Stelle als studentische Hilfskraft ist doch nur ein Nebenjob – und mit 10,98 Euro pro Stunde gar nicht so schlecht bezahlt. Warum wird dieser Arbeitskampf so heftig geführt?

Sehr viele verstehen unter einem Nebenjob nur die Möglichkeit für einen zusätzlichen Verdienst. Tatsächlich müssen sich aber zahlreiche Studierende vor allem durch ihre Nebenjobs finanzieren, um die Mieten zu bezahlen. Obwohl wir mit unserem Studium schon voll ausgelastet sind, gehen 70 Prozent aller Student*innen einer Lohnarbeit nach. Das sind so viele wie noch nie zuvor in Deutschland.

Wir fordern 14 Euro pro Stunde und einen neuen, einheitlichen Tarifvertrag für die studentischen Hilfskräfte in Berlin, um der Doppelbelastung von Studium und Lohnarbeit entgegenzuwirken. Der Arbeitskampf wird deshalb mit so großem Einsatz geführt, weil die Universitäten trotz ausreichender Finanzierung unseren Lohn seit sage und schreibe 17 Jahren nicht erhöht haben. Das ist ein Skandal! Das Argument, dass andere weniger verdienen, ist meiner Meinung nach völlig absurd. Unser Kampf richtet sich in erster Linie gegen prekäre Verhältnisse und deshalb solidarisieren wir uns auch mit anderen Streiks für bessere Gehälter.

Wie bist du auf den Arbeitskampf gestoßen?

Ich bin am ersten Warnstreiktag am 16. Januar auf die Kundgebung vor der Humboldt Universität gegangen. Die darauf folgende Woche habe ich zum ersten Mal an einem Treffen der Streikgruppe an der FU teilgenommen. Seitdem bin ich festes Mitglied der Streikgruppe. Das heißt, ich engagiere mich erst seit einigen Wochen für die Kampagne. Aber es war sehr einfach, mich in die Gruppe einzubringen, denn die Treffen sind öffentlich und für alle zugänglich.

Denjenigen, die noch kaum etwas über den Streik wissen und sich nicht sicher sind, wie sie sich dazu positionieren sollen, kann ich nur sagen: Es ist zu keinem Zeitpunkt zu spät, um an den Info-Ständen Fragen zu stellen, zu diskutieren und Zweifel aus der Welt zu schaffen. Auf unseren Treffen und Streikversammlungen haben alle Themen und Meinungen Platz.

An der FU hat das Präsidium den Streikenden mit „arbeitsrechtlichen Konsequenzen“ gedroht. Hast du solche Konsequenzen erlebt?

Nein, ich habe keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen erfahren. Das wäre auch rechtswidrig, denn niemand darf aufgrund der Beteiligung an einem Streik abgemahnt oder gekündigt werden. Die Drohung des FU-Präsidiums war ziemlich unverschämt und stellt einen dreisten Einschüchterungsversuch dar, ohne rechtliche Grundlage. Zum Glück hat das Rundschreiben der Universitätsleitung auch viele Professor*innen und Vorgesetzte verärgert.

Letzten Freitag hat eine große Versammlung der Streikenden die Fortsetzung des Streiks beschlossen. Wie geht dieser Arbeitskampf jetzt weiter?

Die zentrale Streikversammlung in der TU war beeindruckend und ein wichtiger Schritt in unserem Arbeitskampf. Über 400 studentische Hilfskräfte der Berliner Unis haben sich zusammengefunden, um über die Zukunft des Streiks zu diskutieren. Nachdem mögliche Fortsetzungen besprochen wurden, haben wir abgestimmt und beschlossen, dass wir noch vor den Semesterferien mehrere Tage streiken wollen.

Die vorlesungsfreie Zeit werden wir nutzen, um weitere Aktionen und einen großen Streik zu Beginn des nächsten Semesters zu planen. Die Universitäten haben uns noch kein neues Angebot unterbreitet. Sollte uns ein verhandelbares Angebot gemacht werden, muss die Basis bestimmen, ob wir das Angebot annehmen werden oder nicht. Bis dahin wird auf jeden Fall weiter gestreikt.

Besonders an der FU hat es viele Streikversammlungen gegeben. Wie hast du diese direkte Streikdemokratie erlebt?

Jeder Streiktag beginnt mit einer Versammlung, in der die kommenden Aktionen beschlossen werden. Alle, die daran teilnehmen, haben das gleiche Stimmrecht – ganz gleich, ob sie schon länger dabei sind oder zum ersten Mal die Versammlung besuchen. Wir freuen uns über neue studentische Hilfskräfte und solidarische Menschen, die sich beteiligen wollen. Ich denke, dass ich für die gesamte FU-Streikgruppe spreche, wenn ich sage, dass wir für eine basisdemokratische und transparente Politik stehen, die wir uns auch auf höheren Ebenen der Universitäten und in politischen Gremien wünschen würden.

Du hast auch in lateinamerikanischen Universitäten studiert. Wie lässt sich dieser Kampf mit studentischen Kämpfen in Chile vergleichen?

Ich habe zwei Semester an der UMCE (Universidad Metropolitana de Ciencias de la Educación) studiert, die zu den prekärsten Universitäten in ganz Santiago zählt. Die Student*innen dort haben einen revolutionären Ruf, dem sie in jeder Hinsicht gerecht werden. So gibt es von der UMCE trotz brutaler Repressionen durch die Polizei seit Jahren eine große Beteiligung an den studentischen Protesten.

Als ich in Chile ankam, hatten meine Kommiliton*innen des Fachbereichs Castellano ihr Gebäude bereits seit Monaten besetzt. Dort haben sie gestreikt bis ihre Forderungen erfüllt wurden. Mich hat diese Streikkultur sehr beeindruckt. In meinen Augen können wir hier von den Protesten der chilenischen Studierenden in ihrer Ausdauer und Standhaftigkeit einiges lernen.

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