Die politische Dimension der weltweiten kapitalistischen Krise
// Teil I // Teil II // Teil III //
Die internationale kapitalistische Krise, die bereits seit fünf Jahren anhält, setzte dem bürgerlichen Triumphalismus, der die neoliberale Offensive begleitete, ein Ende. Die ApologetInnen des Kapitalismus, die versicherten, dass diese eine weitere zyklische Krise sei, aus der man einfach herauskommen würde, haben hierzu keine Grundlage mehr. Es ist schon eine Tatsache, dass die Große Rezession, die ihr Epizentrum in den entwickelten Ländern – den USA und der Europäischen Union – hat, auch die so genannten „Schwellenländer“ erreicht hat, mit der Verlangsamung des Wachstums in China und dem Stillstand in Indien und Brasilien. Auch wenn die Bourgeoisie die Kontrolle über die Krise bisher nicht vollständig verloren hat, erschöpfen sich die Mechanismen, mit denen diese verwaltet wird. Die getroffenen Maßnahmen – wie die Rettungsaktionen der Europäischen Zentralbank (EZB) für die verschuldeten Länder – werden teurer aber gleichzeitig weniger effektiv, was die Wirtschaft immer wieder an den Rand des Abgrunds drängt.
Die gegenwärtige Krise kann nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet werden, denn ihre Entwicklung hat politische Konturen gewonnen. Vor allem führt sie zu einer neuen, heterogenen aber nachhaltigen Geographie des Klassenkampfes.
Wie wir in einem anderen Artikel argumentieren[1], lässt die kapitalistische Krise die Geopolitik der Nachkriegszeit knirschen, vor allem die Struktur, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der stalinistischen Regime Osteuropas aufgebaut wurde. Insbesondere stellt sie die Kontinuität der Europäischen Union, wie sie bisher konstituiert war, in Frage – eins der ehrgeizigsten Projekte der Bourgeoisie in der Zeit nach dem Kalten Krieg, mit dem sie versuchte, die Widersprüche im Zaum zu halten, die zu nichts weniger als zwei Weltkriegen im letzten Jahrhundert geführt hatten. Seit dem Anfang des EU-Projektes haben wir MarxistInnen darauf hingewiesen, dass die Dynamik der europäischen Einheit mit den unüberwindbaren Grenzen zusammenstößt, die die Interessen der imperialistischen Bourgeoisien bilden. Aus diesem Grund war diesem Block die Verwandlung in einen supranationalen Staat unmöglich. Die Krise hat diese objektive Grenze im Aufbau des europäischen imperialistischen Projektes mit aller Klarheit gezeigt. Deutlich wurde es in der Spannung zwischen der Konsolidierung einer hegemonialen deutschen Führung auf der einen Seite, welche durch den Umbau der EU im Sinne ihrer Interessen und das Voranschreiten der Halbkolonialisierung der peripheren Länder wie Griechenland und Portugal vollzogen werden sollte, und dem tendenziellen Zerfall des Euros auf der anderen Seite. Diese Entwicklungen geschehen auch wenn Merkel und die europäische Bourgeoisie die Einheitswährung retten möchten. Die USA, das andere Epizentrum der Krise, behält immer noch ihre Rolle als wichtigste imperialistische Macht, aber unter Obama konnte sie den Niedergang ihrer Hegemonie nicht aufhalten. Dies wurde durch die Niederlage der militaristischen Strategie von Bush vertieft, die zu den misslungenen Besetzungen des Iraks und Afghanistans führte und mit der Stärkung des Iran als Regionalmacht endete. Nach dem Verlust von wichtigsten Verbündeten im Zuge des „arabischen Frühlings“, besteht die Politik der USA darin, die Karte ihrer Herrschaft im Nahen Osten neu zu zeichnen. Sie manipuliert den Kampf gegen die Diktatur von Al Assad in Syrien in ihrem Sinne, um einen „Regimewechsel“ herbeizuführen. Auf diese Art sollen der Iran und die Hisbollah isoliert und regionale Verbündete wie die Türkei gestärkt werden. Letztere ist für die USA ein Modell für die Regime, die den arabischen Diktaturen folgen sollen. Bei dieser Strategie kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Sorge um eine Gewaltspirale im Nahen Osten dazu führt, dass Saudi Arabien am Ende von einem Sturz Assads profitieren würde.
Der Niedergang der Hegemonie der USA drückt sich auch im Aufstieg von Regionalmächten wie China, Indien, Russland und Brasilien aus (JournalistInnen verwenden die Kürzel BRIC dafür, auch wenn sie keinen homogen Block bilden und auch nicht den gleichen Einfluss auf die globale Entwicklung haben). Russland und China beispielsweise blockieren oft die Politik der USA indem sie sich in der UNO weigern, Sanktionen und einer militärischen Intervention in Syrien zuzustimmen.
Bis jetzt gibt es keine traditionellen imperialistischen Mächte, und schon gar keine Schwellenländer wie China, die in der Lage wären, den USA ihre weltweite Macht streitig zu machen. Doch dies ist nicht gleichbedeutend mit harmonischen Beziehungen. Hinter den Streitigkeiten zwischen den USA und Deutschland und den Spannungen innerhalb der EU lässt sich eine Auseinandersetzung um die Frage erahnen, wer die Kosten der Krise zahlen wird. Diese Auseinandersetzungen werden sich vertiefen und die Umrisse der Weltpolitik und -wirtschaft färben.
Polarisierung und politische Krise in den zentralen Ländern
Die politische Dimension der kapitalistischen Krise offenbart sich in kapitalistischen Zentren, vor allem in den am schwersten betroffenen EU-Ländern wie Griechenland, Spanien, Italien und Portugal. Sie sollen im Rahmen eines anhaltenden Widerstandes der Massen (der allerdings noch nicht radikalisiert ist) drakonische Maßnahmen durchführen, um Geldmittel zu bekommen und ihre GläubigerInnen auszuzahlen.
In Europa gab es seit 2009 den Sturz oder die Umbildung von 19 Regierungen, sowohl sozialdemokratische wie konservative. Diese setzten Sparpläne um, entweder im Rahmen von der Troika (EU, EZB und IWF) diktierten Bedingungen, um Zugang zu finanziellen Rettungsaktionen zu bekommen, oder als vorbeugende Maßnahmen gegen die Auswirkungen der wirtschaftlichen Rezession. Der Hintergrund dieser Situation ist die intensive soziale Polarisierung, der tiefe Prestigeverlust der traditionellen Parteien, mit denen die imperialistische Bourgeoise regierte – die Tariq Ali als „extreme Mitte“ bezeichnet[2] – und eine Tendenz zur Abnutzung der parlamentarischen und bürgerlich-demokratischen Mechanismen, da in Zeiten der Krise der despotische Charakter der Herrschaft des Kapitals stärker zu Tage tritt.
Dies versinnbildlicht die Parole „Sie vertreten uns nicht“ von Hunderttausenden jungen „Empörten“ im Spanischen Staat, die ähnliche Proteste in anderen Ländern wie Griechenland inspirierten. Aus der Sicht des bürgerlichen Regimes drückt sich diese Krise in der Tendenz zur offenen Herrschaft von nicht gewählten kapitalistischen Institutionen aus, wie der Europäische Rat, unter dem starken Einfluss Merkels, oder die Europäische Zentralbank. Sie wollen Diktate durchsetzen, welche die „nationale Souveränität“ der verschuldeten Staaten teilweise untergraben, indem sie die Kontrolle über öffentliche Ausgaben und nationale Haushalte beanspruchen – wie es der IWF mit halbkolonialen Ländern Lateinamerikas machte – und Entscheidungen über das Leben von Millionen Menschen treffen, die drastische Auswirkungen auf die Lebensqualität haben.
Die Krise führte auch zum Aufkommen von anfänglichen bonapartistischen Tendenzen mit der Bildung von „technischen Regierungen“ oder der „nationalen Einheit“ von Papadimos in Griechenland (zwischen November 2011 und Juni 2012) und von Monti in Italien (noch an der Macht). Diese „Koalitionsregierungen“ sind ein „Anfangsgrad von Cäsarismus“, um die Kategorie von A. Gramsci zu verwenden, das heißt, eine instabile, „willkürliche Lösung“, auf die die politischen VertreterInnen des Großkapitals zurückgreifen, um sich über die tiefen sozialen Widersprüche zu stellen, auch wenn es noch nicht zu entscheidenden Auseinandersetzungen zwischen den Klassen gekommen ist.
Das heißt nicht, dass die Situation einen solchen Grad an Schärfe gewonnen habe, dass sie den Aufstieg bonapartistischer Regime in mehr oder weniger verallgemeinerter Form als unmittelbare Perspektive erfordert. In diesem Sinne ist die Beschreibung von S. Kouvelakis zutreffend, der sagt, diese großen Koalitionen „verbinden die wirtschaftlichen und sektoralen Interessen der herrschenden Klasse direkt mit Fraktionen der politischen Elite, die ihre frühere Parteibindungen gelockert haben“, die jedoch, im Unterschied zum klassischen Bonapartismus, nicht explizit mit dem parlamentarischen Rahmen brechen[3].
Im Moment, trotz der Krise ihrer Parteien und der seit dem Zweiten Weltkrieg beispiellosen wirtschaftlichen Entbehrungen, sucht die Bourgeoisie Legitimität für ihre Regierungen über Wahlen. Selbst um den Preis, dass der Bankrott der bürgerlichen Parteien offensichtlich wird, wie in Griechenland. Noch funktioniert die Abwechslung an der Regierung zwischen Konservativen und SozialdemokratInnen, und wo die Situation es erlaubt, bewahren letztere noch eine gewisse Kapazität, um sich in den Ausdruck des Unmuts an der Wahlurne zu verwandeln, auch wenn sie einen Diskurs haben, der sich kaum von den Sparvorgaben abgrenzt, wie wir es beim Sieg von F. Hollande und der PS in den letzten Präsidentschaftswahlen in Frankreich gesehen haben. Doch wie die Erfahrung der 30er Jahre zeigt, sobald sich die Krise und die Klassenauseinandersetzungen verschärfen, wird die Bourgeoisie offener auf Herrschaftsmechanismen zurückgreifen müssen, die in normalen Zeiten außerordentlich wären, wie der Bonapartismus und – sollten sich revolutionäre Prozesse entwickeln – die Volksfront und der Faschismus.
Als Produkt der sozialen Polarisierung und der Krise der traditionellen Parteien der bürgerlichen Mitte haben sich verschiedene Arten der xenophoben und fremdenfeindlichen extremen Rechten gestärkt, entweder direkt als Neonazis, wie im Fall der Goldenen Morgenröte in Griechenland, oder mit einem populistischeren Charakter, wie die „Front Nationale“ in Frankreich. Diese Rechten Demagogen propagieren „Souveränität“ oder Protektionismus gegenüber der Offensive des deutschen Imperialismus, der die schwächsten Staaten der EU zunehmend von sich abhängig macht. Die Entwicklung dieser extremen Rechten ist nicht neu, sie haben schon an Koalitionsregierungen teilgenommen, wie in Österreich und in den Niederlanden, und ihr politischer Einfluss zeigt sich darin, dass Teile ihrer Programme von Regierungen verschiedenster Couleur als Teil ihrer „Sicherheitspolitik“ umgesetzt wurden, die den Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit stärken. Doch die kapitalistische Krise gibt diesen bereits existierenden Phänomenen eine neue Bedeutung. In diesem Sinn zeigen die Neonazi-Tendenzen, dass die Stoßtrupps der Bourgeoisie entwickelt werden, die heute gegen ImmigrantInnen und, in geringerem Ausmaß, gegen die Linke gelenkt werden, die aber, sollte sich die Krise entwickeln und sich der Klassenkampf radikalisieren, gegen die ArbeiterInnenorganisationen und die Massenbewegung eingesetzt werden.
Die Kehrseite dieser Stärkung der extremen Rechten ist die Entstehung von verschiedenen Arten des linken Reformismus, wie die Front de Gauche in Frankreich und SYRIZA in Griechenland, die als ein großes Wahlphänomen angesichts der Krise der zwei traditionellen Parteien PASOK und Nea Demokratia aufkamen.
Die Mehrheit der europäischen Linken, einschließlich SYRIZA, hat eine Politik der Anpassung an den Rahmen der Europäischen Union, die die Interessen des Europas des Kapitals zum Ausdruck bringt. Währenddessen verfolgen kleinere Sektoren der Linken, wie die Kommunistische Partei Griechenlands, eine Politik der „Souveränität“, mit der Illusion, dass es eine „national-kapitalistische“ Lösung zum Vorteil der ArbeiterInnen außerhalb der EU geben könnte. Diese Verteidigung des Nationalstaates ist eine Achse des Programms der extremen Rechten. Gegen diese Varianten ist es notwendig, entschieden zu erklären, dass der Kampf gegen die Sparregierungen und die Institutionen der imperialistischen Europäischen Union mit der Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa geführt werden muss.
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In den USA drückte sich die politische Polarisierung und die Krise des Zwei-Parteien-Systems zuerst auf der rechten Seite mit dem Aufkommen der Tea Party[4] und dann auf der linken Seite mit dem Aufbruch der Occupy-Bewegung aus. Diese repräsentierte, wie wir weiter unten argumentieren werden, mit ihrer Parole der „99% gegen das 1%“ einen gewissen ideologischen Fortschritt im Vergleich zu ihrer unmittelbaren Vorgängerin der globalisierungskritischen Bewegung. Sie stellte die Konfrontation mit den Reichen in den Mittelpunkt ihres Kampfes, auch wenn dies nicht bedeutet, dass sie eine klar antikapitalistische Perspektive aufgenommen hat, was sich an den vielen Stimmen für Obama als kleineres Übel zeigte.
Mit der Tea Party, die eine fundamentale Rolle beim republikanischen Sieg in den Kongresswahlen von 2010 spielte, verstärken sich die rechtesten Sektoren der republikanischen Partei, die den von den DemokratInnen angebotenen Konsens bei entscheidenden Themen nicht akzeptieren, wie zum Beispiel im Fall der Anhebung der Schuldengrenze. Dies machte deren Verabschiedung sehr teuer und die Glaubhaftigkeit des US-amerikanischen politischen Systems wurde in Frage gestellt.
Im Vergleich zu seinen europäischen KollegInnen hat Obama den Vorteil, dass der Klassenkampf weiterhin der rückständigste Faktor in der politischen Situation ist. Diese bleibt weiterhin ausschließlich vom Wahlkampf zwischen DemokratInnen und RepublikanerInnen geprägt, obwohl es Unmut wegen der Krise und einer unverschämten sozialen Ungleichheit gibt. Dieses sehr niedrige Klassenkampfniveau resultiert aus einer Kombination von verschiedenen Elementen, darunter: die Zusammenarbeit der Gewerkschaftsbürokratie mit den UnternehmerInnen und der Regierung bei Restrukturierungen, um einige Errungenschaften von ArbeiterInnen mit dem größten Dienstalter zu erhalten. Ein weiterer Grund ist der niedrige Organisationsgrad von 11,8% der Lohnabhängigen, 37% im öffentlichen und gerade einmal 6,9% im privaten Sektor[5]. Die ArbeiterInnen des öffentlichen Sektors erlitten eine wichtige Niederlage in Wisconsin, nachdem die Regierung gewerkschaftsfeindliche Gesetzte verabschiedete, die die Tarifverhandlungen abshafften. Außerdem ging der republikanische Gouverneur gestärkt aus dem Abwahlreferendum hervor, das die Gewerkschaften zusammen mit der Demokratischen Partei angestoßen hatten. Diese führten den Kampf in eine katastrophale Niederlage.
Nichtsdestotrotz haben die Zerbrechlichkeit des Wirtschaftswachstums, die anhaltende Arbeitslosigkeit und die soziale Krise[6], die im Kontrast zu den millionenstarken Profiten der großen Konzerne steht, und im geringeren Maße auch die Außenpolitik, die in die Fußstapfen von Bush tritt, die politische Glaubwürdigkeit von Obama abgenutzt. Er hat zunehmend Schwierigkeiten, seine Wiederwahl zu sichern, obwohl sein republikanischer Herausforderer, der Multimillionär Mitt Romney (ein klarer Vertreter der „1%“), mit seinem rechten Programm und seinem konservativen Vizekandidaten Paul Ryan eine wenig attraktive Alternative darstellt.
Wenn es heute irgendeine Möglichkeit gibt, dass Romney die Wahl gewinnt, dann ist das auf die Enttäuschung von progressiven Sektoren mit Obama zurückzuführen, die heute mehrheitlich zur Bewegung Occupy Wall Street gehören. In diesem Sinn sollten wir das Aufkommen dieses jugendlichen politischen Phänomens als einen Vorgriff auf intensivere Klassenkampfprozesse sehen, die sich sehr wahrscheinlich in der kommenden Periode entwickeln werden.
China. Soziale Spannungen und Risse in der Bürokratie der KPCh
Die Phänomene von politischer Krise und sozialen Konflikten gibt es nicht nur in den Ländern, die sich im Auge des Sturms befinden. In China haben die Auswirkungen des verlangsamten Wirtschaftswachstums in den letzten Jahren zu einer Reaktivierung des Klassenkampfes geführt. Laut einer Studie der Chinese Academy of Governance verdoppelte sich die Zahl der Proteste zwischen 2006 und 2010, und erreichte 180.000 registrierte „Massenvorfälle“. An diesen Vorfällen sind einige Dutzend bis viele Tausend Menschen beteiligt, und sie sind Ausdruck einer großen Vielfalt von Problemen. Das zeigen Streiks und Arbeitskämpfe[7] wegen Löhnen, unmenschlicher Arbeitsbedingungen oder Entlassungen und Forderungen nach regionaler Autonomie und bezüglich Umweltproblemen. Viele dieser Demonstrationen werden gewalttätig, beinhalten Blockaden und Besetzungen öffentlicher Gebäude und können mehrere Tage dauern.
Diese Aktionen zeigen das Aufkommen eines neues Proletariats migrantischer Herkunft[8], das aus Jugendlichen, die in den 80er und 90er Jahren geboren wurden, zusammengesetzt ist, mit besserer Bildung und größeren Ambitionen als ihre Eltern, konzentriert in großen, modernen Industrieunternehmen. Laut einer Studie von China Labour Bulletin hat dieser demographische Wandel des letzten Jahrzehnts angefangen, „den Arbeitern größere Verhandlungsmacht an den Arbeitsplätzen zu geben. Sie fühlen sich entschlossener, ihre Beschwerden mit ihren UnternehmerInnen zu diskutieren, und für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Vor allem die jüngsten ArbeiterInnen haben größeres Vertrauen in ihre Fähigkeiten, Streiks und Proteste zu organisieren“[9] und es gibt sogar Fortschritte auf dem Gebiet der von der offiziellen Bürokratie unabhängigen gewerkschaftlichen Organisierung.
Im Rahmen dieser wachsenden sozialen Spannung und des Führungswechsels, der beim 18. Kongress der Kommunistischen Partei im Oktober 2012 vollzogen werden soll, entwickelt sich innerhalb des KPCh-Apparats ein Kampf zwischen „reformistischen“ Strömungen (die momentan die Führung innehaben) und „konservativen“, der einen öffentlichen Ausdruck im Skandal um die Absetzung und den späteren Ausschluss von Bo Xilai hatte, der Generalsekretär der Partei in Chongqing, der als „Neo-Maoist“[10] galt, und die Festnahme seiner Ehefrau, die des Mordes an einem britischen Unternehmer angeklagt wurde, mit dem sie Geschäfte gemacht hatte. Die „neo-maoistische“ Strömung forderte keine „Rückkehr zum Sozialismus“, wie einige AnalystInnen sagen, aber eine größere staatliche Intervention und stärkere Kontrolle durch die Partei, d.h. eine populistische Politik mit kapitalistischem Inhalt, obwohl sie in einem symbolischen Sinn an eine gewisse maoistische Ikonographie appellierte. Daraufhin agitierte die aktuelle Führung der KPCh gegen die Gefahr einer Rückkehr der „Kulturrevolution“, die die wirtschaftliche und politische Struktur bedrohen würde, die seit der Epoche von Deng Xiaoping aufgebaut wurde.
Die regierende Bürokratie setzt sich mit dieser Situation auseinander, indem sie der Maxime von Deng Xiaoping folgt: vor allem die politische Stabilität aufrechterhalten, was die Einheit der Partei und die Eindämmung des sozialen Protestes erfordert. Sie kombiniert die Repression und die autoritäre Kontrolle mit einigen Zugeständnissen. Die „Bo Xilai-Affäre“ endete mit einem Sieg des Flügels, der auf dem Weg der kapitalistischen Reformen weiter voranschreitet. Allerdings war dies eine Schlacht, die nur schwer die Risse innerhalb der Bürokratie wieder schließen kann. Dies wird umso schwerer, falls die wirtschaftlichen Aussichten schwieriger werden.
Vorbereitende Phänomene in Lateinamerika
In Lateinamerika sind die Auswirkungen der Krise schwächer und offenbaren sich in ungleicher Weise. Dies aufgrund der weiterhin astronomisch hohen Preise der wichtigsten Güter, die die verschiedenen Länder des Kontinents exportieren, was momentan eine schwindende wirtschaftliche Dynamik abfedert. Der regionale Block ALBA ist Mitte der 200er Jahre als ein ehrgeiziges Projekt der Ausdehnung des chavistischen Einflusses auf den Kontinent auf der Basis des hohen Ölpreises entstanden. Er verliert seit dem Putsch in Honduras und der Konsolidierung der brasilianischen Hegemonie als Regionalmacht wieder an Boden. Brasilien versucht zwischen ihren Interessen und denen des US-Imperialismus zu vermitteln.
Die wirtschaftliche Allianz zwischen Brasilien und Argentinien, den Kernländern des südamerikanischen Gemeinschaftsmarkts Mercosur, ist weiterhin die Hauptorientierung beider Bourgeoisien und stellt ein wichtiges Geschäft für transnationale Konzerne dar. Dies ist trotz einiger Spannungen der Fall, die in den letzten Monaten aus protektionistischen Maßnahmen beider Regierungen, insbesondere seitens der argentinischen Regierung, entstanden waren. Außerdem eröffnet die Aufnahme Venezuelas in den Mercosur neue Möglichkeiten für argentinische und brasilianische Geschäfte. Dies wurde durch die temporäre Suspendierung Paraguays möglich, das diese Aufnahme blockiert hatte. Die Aufnahme Venezuelas macht auch den Mercosur insgesamt interessanter, da diese einen „gemeinsamen Markt mit einem BIP von 3,3 Mrd. Dollar und fast 270 Millionen Einwohnern“[11] schaffen würde. Damit wäre dieser Block die fünftgrößte Weltwirtschaft und würde auch die venezolanischen Ölreserven beinhalteten.
Unter diesen Bedingungen überwiegen immer noch reformistische Illusionen innerhalb der Massenbewegungen, und der Klassenkampf steht nicht so im Zentrum, wie dies zum Beginn dieses Jahrtausends der Fall war. Allerdings darf man die Möglichkeit einer noch katastrophaleren Wende auf internationaler Ebene nicht aus den Augen verlieren, durch welche sich die Situation auf dem Kontinent drastisch verändern könnte.
Hierfür brächte die ArbeiterInnenklasse und die ausgebeuteten Massen Lateinamerikas eine wichtige Kampferfahrung mit, die sie in den Massenaufständen und den Tendenzen zur direkten Aktion gegen die neoliberalen Regierungen der 1990er Jahre erlernt haben.
Die Phänomene des Kampfes, wie die beeindruckende Mobilisierung der Studierenden und der Jugend in Chile oder die Entstehung der „#yosoy132“-Bewegung in Mexiko in Mitten der Wahlen, sowie die Elemente politischer Krisen vor allem der Regierungen, die zu Beginn der 2000er durch eine Kanalisierung der Tendenz zur direkten Aktion an die Macht kamen, scheinen zukünftige Entwicklungen vorwegzunehmen. Diese Regierungen haben gezeigt, dass sie trotz ihrer Rhetorik weder Abhängigkeiten substantiell abgebaut haben, noch die [wirtschaftliche, A.d.Ü.] Rückständigkeit der lateinamerikanischen Länder beendet haben. Genauso wenig haben sie die Interessen der Großkonzerne und der lokalen Oligarchien angetastet.
Ein Beispiel der Widersprüche zwischen diesen „progressiven Regierungen“ und den sozialen Bewegungen, die ihre Basis gebildet haben, ist der Fall Correas in Ecuador. Er hat sein Bündnis mit der CONAIE (Föderation indigener Nationalitäten Ecuadors), einem der Stützpfeiler seiner Regierung, verloren, aufgrund seiner Politik der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Ein anderer Fall ist Ollanta Humalas in Peru, der zur Verteidigung der Interessen multinationaler Minenkonzerne die bäuerlichen und indigenen Gemeinden sowie Sektoren der MinenarbeiterInnen in Cajamarca und Espinar brutal unterdrückte. In der Folge sah er sich jedoch gezwungen, innerhalb eines Jahres sein Kabinett zweimal auszutauschen. Aber das vielleicht fortgeschrittenste Beispiel dieser Tendenz ist Bolivien, wo Sektoren der ArbeiterInnenklasse und der Urbevölkerung sich in Opposition zur Regierung von Evo Morales begeben haben, wie wir es in den Mobilisierungen der ArbeiterInnen des Gesundheitssektors und der MinenarbeiterInnen gesehen haben, oder in den vielen indigenen Märschen für die Erhaltung des TIPNIS-Nationalparks, die harter staatlicher Repression ausgesetzt sind.
Diese politische Krise zeigt sich auch in Argentinien: im Kampf um die Nachfolge von Cristina Fernández de Kirchner und in dem Bruch des Flügels der Gewerkschaftsbürokratie, der von Moyano angeführt wird, auch wenn das nur superstrukturelle Bewegungen sind[12].
Der vollendetste Ausdruck dessen, dass unruhige Zeiten bevorstehen, sind die zwei Staatsstreiche, die in der Region schon stattgefunden haben, einmal in Honduras Mitte 2009, der die Regierung Zelayas stürzte (ein Verbündeter von Chávez im ALBA), und kürzlich der „weiche“ Putsch in Paraguay im Juni 2012 seitens der traditionellen Rechten der Partido Colorado („Rote Partei“) und der Liberalen Partei, die den Präsidenten Fernando Lugo absetzten. In beiden Fällen fanden die Staatsstreiche mit voller Kenntnis und Zustimmung der USA statt, die in der Rechten den besten Bündnispartner zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen sieht, unter anderem die Militärbasen, die es der USA erlauben, den regionalen Vorstoß Brasiliens „im Zaum zu halten“ und den gesamten Kontinent unter Beobachtung zu halten.
Diese Staatsstreiche sind nicht wie die klassischen Putsche Lateinamerikas der 1970er Jahre, die eine konterrevolutionäre Antwort auf den Aufstieg der ArbeiterInnen waren, sondern zivil-militärische oder zivile Operationen, die von den bürgerlichen Institutionen organisiert wurden. So wurden rechte Parteien wieder an die Macht gebracht, die direkt den Interessen der Sektoren dienen, die den Export von Primärgütern betreiben und mit dem Imperialismus verbunden sind, insbesondere aus der Agrarwirtschaft. Die Regierungen der Region und die Unasur waren unfähig diese Putsche zu verhindern. Die Erfahrung mit den „progressiven Regierungen“ zeigt, dass die wirkliche wirtschaftliche und politische Integration und der Bruch mit der imperialistischen Fremdherrschaft nicht von der Hand der lokalen Bourgeoisien kommen werden, sondern nur durch ArbeiterInnenregierungen, die in der Gründung der Vereinigten Sozialistischen Staaten Lateinamerikas voranschreiten.
zuerst erschienen in „Estrategia Internacional“ Nr. 28 – August 2012
Fußnoten:
[1]. J. Chingo, „El fin de las ‚soluciones milagrosas’ de 2008/9 y el aumento de las rivalidades en el sistema mundial”. In: Estrategia Internacional n°28, Buenos Aires 2012.
[2]. T. Ali, „In the Shadow of the Extreme Centre”, Counterpunch, 16. April 2012. T. Ali verwendet diese Kategorie, um die politische Mitte zu bezeichnen, die von „den traditionellen Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien“ abgedeckt wird, und die „Kriege führt, die Besetzung anderer Länder verteidigt, gegen die eigene Bevölkerung in den Krieg zieht durch Sparmaßnahmen“. Laut Ali ist dies ein „Muster in großen Teilen Europas,“ wo „egal, wer gewinnt, die Mitte regiert“. Diese Tendenz zur Mitte des politischen Spektrums, die in den Jahren des „Dritten Weges“ in der Begrabung der Unterschiede zwischen „links“ und „rechts“ zum Ausdruck gebracht wurde, wurde vom sozialliberalen Schwenk der traditionellen sozialdemokratischen Parteien vertieft. (Eigene Übersetzung.)
[3]. S. Kouvelakis, „The Greek Cauldron“. In: New Left Review n° 72, Nov/Dez 2011.
[4]. Für eine vollständigere Analyse der Entstehung und Eigenschaften der Tea Party siehe: C. Cinatti „De la Obamanía a la emergencia del Tea Party”. In: Estrategia Internacional N° 27, Buenos Aires 2011.
[5]. United States Department of Labor, Bureau of Labor Statistcs, Union Members Summary, 27. Januar 2012. Verfügbar unter: www.bls.gov.
[6]. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 8,3% für den Monat Juni 2012. Nach anderen inoffiziellen Messungen, einschließlich der Leute, die aufgehört haben, Arbeit zu suchen, belief sich die Arbeitslosenquote auf 11,4%, und wenn dies mit unterbeschäftigten ArbeiterInnen verbunden wird, die gezwungen sind, Teilzeitjobs anzunehmen, beträgt der Anteil der US-AmerikanerInnen mit Beschäftigungsproblemen 17,5%.
[7]. Diese Konflikte treten einerseits in Staatsunternehmen und großen Konzentrationen von FabrikarbeiterInnen der multinationalen Konzerne auf, wie Streiks bei Honda und Apples Zulieferern. Die negative Seite dieser Proteste war die Flut von Selbstmorden bei Foxconn in Taiwan im Jahr 2010, die die Bedingungen der Überausbeutung der chinesischen Belegschaft ans Licht gebracht haben.
[8]. Es wird geschätzt, dass diese ArbeitsmigrantInnen etwa 200 Millionen ArbeiterInnen ausmachen. In Folge des wirtschaftlichen Abschwungs sind viele dieser ArbeiterInnen in großen industriellen Zentren wie der Stadt Shenzhen arbeitslos geworden. Dies bedeutet höhere Anforderungen an die Bürokratie, die nun eine Rückkehr in ihre Heimat erwartet. Siehe: „Economic slowdown in coastal provinces forces migrant workers to go home“. In: China Labour Bulletin, 27. Juli 2012. Verfügbar unter: www.clb.org.hk.
[9]. „A Decade of Change. The Worker’s Movement in China 2000-2010”. In: China Labour Bulletin, März 2012. (Eigene Übersetzung.)
[10]. Bo wird als Teil der „Neuen Linken“ gesehen. Eine Strömung hauptsächlich von Intellektuellen, die, obwohl sie keine ideologische Einheit haben, die liberalen Reformen kritisieren, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft unterstützen und eine protektionistische Haltung Chinas auf dem Weltmarkt vertreten.
[11]. Clarin, 31. Juli 2012.
[12]. Für eine tiefergehende Analyse der Situation in Argentinien siehe: C. Castillo und F. Rosso, „Argentina. Los límites del ‚bonapartismo’ cristinista y los desafíos de la izquierda revolucionaria“. In: Estrategia Internacional n°28, Buenos Aires 2012.