Italien nach dem Referendum: Renzi ist weg – ein Grund zum Feiern?
Das von der italienischen Regierung einberufene Referendum über die Verfassungsreform endete in einer deutlichen Niederlage für Ministerpräsident Matteo Renzi. Die populistische und fremdenfeindliche Rechte jubelt und fordert Neuwahlen. Können sich auch die Ausgebeuteten freuen?
Mit einer deutlichen Mehrheit von um die 60 Prozent gewann am vergangenen Sonntag das „No“ im Referendum in Italien. Abgestimmt wurde über eine weitreichende Verfassungsreform, die Ministerpräsident Matteo Renzi an seine politische Zukunft gebunden hatte. Dadurch verwandelte sich das Referendum in einen Plebiszit über die Regierung, die sowohl von der Rechten als auch von sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen abgelehnt wird.
Noch in der Nacht auf den Montag kündigte Renzi seinen Rücktritt an. Börsen rund um den Globus verzeichneten Kursverluste und es droht eine Verschärfung der latenten Bankenkrise in Italien. Nach dem Brexit ist es schon das zweite Referendum in diesem Jahr in Europa, in dem die Bevölkerung gegen die Regierung stimmte und der Ministerpräsident daraufhin zurücktrat. Auch in Italien ist die fremdenfeindliche und populistische Rechte in Form der 5-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo und der rassistischen Lega Nord die politische Kraft, die am stärksten vom Ausgang des Referendums profitiert. Deshalb kann das Ergebnis des Referendums kein Grund zum Feiern sein für die Ausgebeuteten und Unterdrückten, die gegen die undemokratische Verfassungsreform und den neoliberalen Sparkurs von Renzi gekämpft haben.
Eine undemokratische Reform
Mit der Verfassungsreform wollte Matteo Renzi seine Machtbasis ausweiten und dem politischen Regime durch verschiedene undemokratische Mechanismen mehr Stabilität verleihen. Dabei sollte vor allem der mächtige Senat auf ein reines Vertretungsorgan der Regionen zurückgestutzt werden und nur noch in föderalen Belangen Einfluss auf die Gesetzgebung behalten. Die Anzahl der Senator*innen sollte von aktuell 315 auf maximal 100 beschränkt werden, die keine zusätzliche Diät bekommen würden. Außerdem wurden zahlreiche Kompetenzen der Länder und Kommunen auf die Regierung zentralisiert.
Doch hinter der angeblichen Verschlankung des Staatsapparats und der Modernisierung und Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens stand eine undemokratische Reform, die die Macht der Zentralregierung stärken sollte. So sollte der Senat nicht mehr gewählt werden, sondern von den Regionalräten und den Bürgermeister*innen bestimmt werden. Außerdem sollte jede Partei, die mehr als 40 Prozent der Stimmen bekommt, automatisch eine absolute Mehrheit von 55 Prozent der Sitze im Parlament erhalten. Damit sollen politische Krisen vermieden werden, die in den vergangenen 70 Jahren dazu führten, dass Italien 63 Regierungen hatte, jedoch nur, um die Interessen des Kapitals noch vehementer gegen die Massen durchzudrücken. Auch Renzi hatte eine lange Liste an neoliberalen Forderungen des italienischen und internationalen Kapitals, die er nun an seine*n Nachfolger*in übergeben muss.
Deshalb wurde die Verfassungsreform nicht nur von der Opposition abgelehnt, sondern wurde auch von Gewerkschaften und sozialen und linken Organisationen mit Widerstand beantwortet. Vor dem Referendum fanden mehrere Demonstrationen statt, bei denen Zehntausende für ein „soziales Nein“ und gegen die Spar- und Kürzungspolitik der Renzi-Regierung eintraten.
Unterstützung fand die Verfassungsreform hingegen beim imperialistischen Kapital und dem politischen Establishment in Europa und den USA. Es wurde befürchtet, dass eine Niederlage das hochverschuldete Land in eine neue Krise stürzen würde. Am Montag notierten die wichtigsten Börsen der Welt, von Nikkei über den Dow Jones bis zum Dax in Frankfurt leichte Einbußen und auch der Euro fiel auf 1,054 Euro pro Dollar ab.
Vor dem Referendum veröffentlichte die Financial Times eine Studie, laut derer acht italienische Banken durch das „No“ vor der Zahlungsunfähigkeit stünden, darunter wichtige Finanzinstitutionen wie die Monte dei Paschi di Siena. Die italienische Wirtschaft stagniert und das BIP wird dieses Jahr nur 0,8 Prozent steigen. Darunter leidet besonders die arbeitende Bevölkerung, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes erhielten in diesem Jahr die erste Lohnerhöhung seit Beginn der Krise.
Verlauf der politischen Krise
Wenn das Rücktrittsgesuch vom Präsidenten angenommen wird, ergeben sich zwei Möglichkeiten für das Regime: Die erste ist die Einsetzung einer technokratischen Übergangsregierung, die bis zu den Parlamentswahlen 2018 die Regierungsgeschäfte übernimmt. Diese würde aller Voraussicht nach vom parteilosen Finanzminister Pier Carlos Padoan angeführt werden, der mit Erfahrungen bei IWF und OECD die Märkte beruhigen und vom Kapital geforderte Sparmaßnahmen durchführen soll.
Die zweite Variante wären vorgezogene Neuwahlen, die besonders von der 5-Sterne-Bewegung und der Lega Nord gefordert werden. In diesen hofft die extreme Rechte, von der Unzufriedenheit mit der Regierung und den zahlreichen Korruptionsskandalen der politischen Kaste profitieren zu können. Schon bei den Kommunalwahlen im Juni konnte die rechtspopulistische Partei von Beppe Grillo in den wichtigsten Städten des Landes die Rathäuser übernehmen.
Die Rechten können die breite Unzufriedenheit mit den sich verschlechternden Lebensstandards und dem abgehobenen und korrupten politischen Establishment ausnutzen, das Renzi verkörperte. So stilisierte sich Grillo nach dem Referendum zum Verteidiger der Demokratie, indem er sofortige Neuwahlen forderte. Tatsächlich wurde Renzi selbst nie gewählt und kam selbst nur nach einem parteiinternen Machtkampf an die Regierung.
Doch es muss auch klar sein, dass die „Erneuerung“ der Politik nicht durch Grillo geschieht, der selbst nur ein neues Gewand der populistischen und fremdenfeindlichen Rechten ist und für einen härteren Kurs gegen Migrant*innen und Geflüchtete steht.
Das „Nein“ im Referendum macht deutlich, dass der weltweite Rechtsruck lange nicht vorbei ist, wie es einige Analyst*innen nach dem Wahlsieg von Van der Bellen bei der österreichischen Präsidentschaftswahl gegen den FPÖ-Mann Norbert Hofer, darstellen wollten. Weder eine Technokrat*innenregierung um den aktuellen Finanzminister noch vorgezogene Neuwahlen mit einem wahrscheinlichen Sieg der Rechtsextremen sind im Interesse der arbeitenden Bevölkerung. Um gegen die korrupte Kaste aus abgehobenen Politiker*innen, den Zuwachs an bonapartistischen Methoden und Spardiktate zu kämpfen, ohne in die Fänge der Rechten zu geraten, müssen die Arbeiter*innen und Jugendlichen ein unabhängiges Programm aufstellen.