Italien greift Frauenrechte an

15.10.2018, Lesezeit 6 Min.
Gastbeitrag

Italienische Feminist*innen haben vor 40 Jahren das Recht auf Abtreibung hart erkämpft – gegen den Widerstand der Konservativen und der katholischen Kirche. Heute stehen Frauenrechte und das Recht auf Abtreibung erneut unter Beschuss.

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Durch die Straßen Argentiniens schwappte im Südwinter dieses Jahres der „grüne Tsunami“. Hunderttausende gingen für das Recht auf legale, sichere und kostenlose Abtreibungen auf die Straße. Ihr Symbol waren grüne Halstücher. So wirkten die Demos tatsächlich wie große grüne Wellen. Der Protest in Argentinien und auch das Referendum in Irland, welches dem strikten Verbot von Abtreibungen ein Ende setzte, dienten als Inspiration für viele Aktivist*innen in weiteren Ländern.

In Westeuropa waren es besonders die 1970er Jahre, in denen es große Kampagnen für das Recht auf Abtreibung gab. In Italien wird die Fristenregelung und die damit verbundene Entkriminalisierung von Abtreibungen dieses Jahr 40 Jahre alt. Es ist das Ergebnis einer erbitterten sozialen, politischen und moralischen Auseinandersetzung. Mit der neuen gelb-grünen Regierung aus MoVimento 5 Stelle und Lega, sowie durch Druck von Kirche und selbsternannten „Lebensschützer*innen“, sind diese Rechte gefährdet.

Die Kämpfe der italienischen Frauenbewegung

In den 60er und 70er Jahren war die italienische Frauenbewegung stark und gut organisiert. Es gab eigene Medien wie den Radiosender „Radio Donna“, eigene Zeitschriften mit hohen Auflagen und eigene politische Zentren.

Einer der frühen Erfolge der Bewegung war die Einführung der bis 1970 verbotenen Scheidung. Gegen die Gesetzesänderung machten die katholische Kirche und die konservative Dauerregierungspartei Democrazia Cristiana mobil. Bei einem Referendum im Jahr 1974, mit dem sie Scheidungen wieder verbieten wollten, scheiterten sie jedoch kläglich.

Im Jahr 1978 trat „Legge 194“ (Gesetz 194) in Kraft. Durch dieses Gesetz mussten Frauen in Italien nicht mehr im Verborgenen abtreiben oder ins Ausland fahren, sondern hatten legalen Zugang. Über das Gesetz wurde 1981 noch einmal in zwei Referenden entschieden. Die Italiener*innen lehnten die von den Konservativen und der Kirche geforderten Verschärfungen ab. In einer weiteren Frage lehnten sie jedoch ebenfalls die Aufhebung noch bestehender Barrieren ab.

Legge 194 gegen gesellschaftliche Wirklichkeit

40 Jahre sind seit der Legalisierung vergangen. Aber in der Realität ist der Zugang zu Abtreibungen in Italien nach wie vor schwierig, im Süden noch mehr als im Norden. Auch weiterhin fahren viele Italiener*innen ins Ausland, weil sie keine Behandlung in Italien bekommen.

Frauenärzt*innen in Italien können entscheiden, ob sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen wollen oder nicht. Mittlerweile verweigern 70 Prozent von ihnen aus „Gewissensgründen“ Frauen, die die Schwangerschaft abbrechen wollen, den Eingriff. Der Anteil der Ärzt*innen, die keine Abtreibungen durchführen, ist über die letzten Jahre gestiegen. Diese Verweigerungen treffen die Frauen Süditaliens härter als die norditalienischen Frauen. Während im Norden „nur“ etwas über 60 Prozent der Ärzt*innen verweigern, sind es im Süden über 80 Prozent.

Es sind jedoch nicht nur Ärzt*innen und Gesetze, die Frauen, die abtreiben wollen, Steine in den Weg legen: Einige Apotheken und Krankenhäuser verweigern die Ausgabe der Pille-danach. Darüber hinaus gibt es im Bereich der Beratungsstellen eine Lücke. Neutrale Stellen leiden unter chronischem Geldmangel. Dagegen haben die katholischen Centri di aiuto alla Vita (Lebenshilfezentren) üppige finanzielle Ausstattung. Sie gehören zum Movimento alla Vita (Bewegung für das Leben), einer katholischen Organisation für„Lebensschutz“. Sie werden zu 68 Prozent aus öffentlichen Mitteln finanziert. Ihr Ziel ist es, Frauen von ihren „unheiligen“ Abtreibungsplänen abzubringen. Besonders Migrantinnen suchen diese Stellen auf, da sie durch die bessere finanzielle Ausstattung leichter zugänglich sind. Außerdem fürchten sich illegal in Italien aufhaltende Frauen davor, ins Krankenhaus zu gehen.

„Lebensschützer*innen“ in der Offensive

Durch die neue rechte Regierung in Italien trauen sich abtreibungs-, frauen- und LGBTI-feindliche Organisationen, in die Offensive zu gehen. Über die letzten Jahrzehnte hinweg fuhr die katholische Kirche Angriffe auf das Recht auf Abtreibung. Ein Jahr nach der Einführung von Legge 194 bezeichneten Vertreter der Kirche das Gesetz als „Pestbeule“. In dem Ton ist die Kirche offensichtlich geblieben: Papst Franziskus verglich vor ein paar Tagen Abtreibung mit Auftragsmord.

Bei der Regierungsbildung machte die Lega Lorenzo Fontana zum Minister für Familie und Behinderung. Seine Politik wirkt wie eine italienische Version von Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci. Zu seinen Ansichten gehören Rassismus, LGBTI-Feindlichkeit, Sexismus und Verschwörungstheorien. Eines seiner Ziele ist die Abschaffung von Legge 194. Er will Abtreibungen verbieten, Frauen und Ärzt*innen dafür bestrafen. Mit ihm haben „Lebensschützer*innen“ einen Verbündeten in einer hohen Position.

Ein Senator der rechten Lega, Simone Pillon, treibt aktuell einen Gesetzentwurf voran, der Scheidungen zu Ungunsten von Frauen regeln soll. In verschiedengeschlechtlichen Ehen würde der Gesetzesentwurf ein patriarchales Familienmodell stärken. Bei Trennungen, die auch minderjährige Kinder betreffen, müsste es demnach verpflichtende Mediationen geben. Auch bei Trennung wegen häuslicher Gewalt müssten die Partner*innen diese Mediation durchlaufen.

Verona – Stadt gegen Frauenrechte

Zusätzlich zu Gesetzesverschärfungen auf nationaler Ebene findet der Rechtsruck auch auf kommunaler Ebene statt, so wie im norditalienischen Verona. Der Stadtrat stimmte einem Antrag der Lega zu, der Verona als eine „Stadt für das Leben“ definieren soll. Durch den Antrag sollen Projekte, die sich den Kampf gegen Abtreibungen zum Ziel gesetzt haben, von der Stadt gefördert werden. Auch die Fraktionsvorsitzende des (sozialdemokratischen) Partito Democratico im Stadtrat stimmte dem Antrag zu. Dem Konzept der „Stadt für das Leben“ könnten weitere Orte in Italien folgen.

Die Gesetzesverschärfungen treffen jedoch auch auf Widerstand. Während der Stadtratssitzung in Verona standen feministische Aktivist*innen im Publikum mit Kostümen im Stil der Serie „The Handmaid‘s Tale“. Sie wurden von der Sitzung des Stadtrats von Verona ausgeschlossen. Am Samstag, den 13. Oktober, fand in Verona eine Demonstration gegen den Stadtratsbeschluss und für das Recht auf Abtreibung statt. Für den 10. November ist ein landesweiter Aktionstag gegen den Gesetzesentwurf des rechten Senators Pillon geplant.

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