Italien: Gegen die Regierung der Rechten und der extremen Rechten, gegen die EU des Kapitals!

11.06.2018, Lesezeit 9 Min.
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Angesichts der Bildung der neuen Regierung aus 5-Sterne-Bewegung und Lega in Italien veröffentlichen internationalistische Revolutionär*innen aus verschiedenen europäischen Ländern diese gemeinsame Erklärung, darunter Gruppen, die der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale angehören, und sympathisierende Gruppen.

Foto: der neue Präsident der italienischen Regierung, Giuseppe Conte, mit Matteo Salvini (Vorsitzender der Lega) und Luigi Di Maio (M5S).

Mit der Vereidigung von Giuseppe Conte als Premierminister am 1. Juni in Italien sind erstmals rechtsextreme und rechtspopulistische Kräfte in einem Gründungsland der Europäischen Union an die Macht gekommen, die die euroskeptische Rhetorik zu einer ihrem Aushängeschilder gemacht hatten. Der neue Premierminister, Marionette von Matteo Salvini (Lega) und Luigi di Maio (5-Sterne-Bewegung), ist Wortführer eines zutiefst reaktionären und fremdenfeindlichen Diskurses.

Die Entwicklung der politischen und institutionellen Situation in Italien sowie die Widerstandsfähigkeit der italienischen Arbeiter*innenbewegung werden für die Zukunft des Klassenkampfes auf europäischer Ebene zentral sein und sind daher von zentraler Bedeutung für revolutionäre Marxist*innen.

Wer sind die Parteien, die die neue Regierung in Italien bilden?

Die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom 4. März in Italien spiegelten eine tiefe politische, soziale und institutionelle Krise wider. Mit dem enormen Rückschlag für die Demokratische Partei (PD) von Matteo Renzi (18,7%) und dem Zusammenbruch des Berlusconismus (14%) wurden die beiden wichtigsten politischen Kräfte besiegt, die die Geschäfte der Bourgeoisie in den letzten 25 Jahren führten und die neoliberalen Rezepte der 90er und 2000er Jahre und die Sparpläne nach 2008 durchsetzten. Gleichzeitig verschwand die reformistische Linke im Wahlkampf fast völlig, stattdessen zeigten die Wahlen vom 4. März den Aufstieg zweier Kräfte, die sich als „gegen das System“ präsentieren.

Einerseits gewann die Lega (ehemalige Lega Nord) des Rechtsextremisten Matteo Salvini mit 17,3% der Stimmen über ihre alten Berlusconi-Partner aus der rechten Koalition. Dazu kam der beeindruckende Aufstieg der Rechtspopulist*innen der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) des ehemaligen Komikers Beppe Grillo unter der Leitung von Luigi Di Maio (32,7%). Aus dieser besonderen Situation ging jedoch keine parlamentarische Mehrheit oder ein politischer Block hervor, die sich um die PD, die immer noch die die Gunst der Confindustria – des italienischen Großkapitals – besitzt, oder um die Berlusconianer*innen gruppieren würde. In diesem Zusammenhang wurde nach wochenlangen Verhandlungen und Unsicherheiten ein beispielloser „Regierungsvertrag“ zwischen der Lega und der M5S geschlossen.

Die rechtsextreme Lega vertritt die Interessen der kleinen und mittleren Bourgeoisie im Norden des Landes, die gegenüber dem Mezzogiorno (Süditalien) rassistisch ist, sowie ähnliche Sektoren im Zentrum und Süden des Landes, die nun unter dem neuen nationalistischen Profil der Lega vereint sind. In der letzten Zeit hatte die Lega versucht, sich zu „entregionalisieren“, indem sie den „Norden“ aus ihrem ursprünglichen Namen strich, um neue Stimmen in der Mitte und im Süden des Landes zu gewinnen. So wollte sie sich als eine Partei von wahrhaft nationaler Dimension darstellen, angelehnt an die Front National von Marine Le Pen, eines großen Freundes von Salvini. Nicht zufällig wurde er als Senator für den Wahlkreis Reggio Calabria im Süden des Landes gewählt. Die Wahlbasis der M5S liegt hauptsächlich in der Mitte und im Süden des Landes, zwischen desorientierten und desillusionierten Massensektoren nach Jahren der Krise, des Spardiktats und des Wahlverrats der traditionellen Parteien.

Eine falsche Alternative zur Krise der traditionellen Parteien

Dieser besorgniserregende Anstieg reaktionärer rechter Kräfte ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer faschistischen Welle, wie es von Sektoren der europäischen Linken dargestellt wird. Einerseits ist er das Ergebnis großen sozialen Unmuts angesichts der Wirtschaftskrise, sowie der Zersetzung der alten traditionellen Parteien und ihrer Erben. Insbesondere gilt das für die Liquidierung der Parteien mit einer traditionellen Basis in der Arbeiter*innenklasse, insbesondere der PD, durch ihre neoliberale Transformation, „Blairisierung“ oder „Macronisierung“.

Nach der Auflösung der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) – der größten Kommunistischen Partei des Westens – gründete ein Sektor die „Rifundazione Comunista“. Das war eine Formation, die von Mitte der 90er Jahre bis 2006 zu einer Stütze der sozialdemokratischen Mitte-Links-Regierungen wie der „Olivenbaum“-Koalition wurde und später andere Mitte-Links-Koalitionen unterstützte. Unterdessen schloss sich ein weiterer Sektor der ehemaligen KPI zusammen mit sozialdemokratischen und sozialchristlichen Sektoren der Demokratischen Partei an. Die PD von Romano Prodi, Renzi und Gentiloni, die zusammen mit Berslusconi für das Establishment die Regierbarkeit garantierte, führte eine Arbeitsmarktreform durch, die große Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung zunichte machte. Damit ebnete sie den Weg für den Aufstieg der extremen Rechten.

Auf der anderen Seite ist dieser Aufstieg der extremen Rechten ein Beispiel für das Scheitern der Versuche, das italienische parlamentarische Regime zu reformieren, um die eher strukturellen Elemente der Krise der Hegemonie des Großkapitals zu lösen, die in den letzten drei Jahrzehnten vorherrschte.

In Wirklichkeit sind weder die Lega noch die M5S „Anti-System“-Parteien. Sie sind Ausdruck der Krise des Systems, aber eine Antwort innerhalb des Rahmens des Systems. Die Lega Nord wurde Ende der 80er Jahre gegründet und hat ihre Wurzeln im Aufbrechen der alten Ersten Republik, mit dem Zusammenbruch der Christdemokraten, dem Verschwinden der KPI und dem Niedergang der Sozialdemokratie. die 2009 gegründete M5S hat ihren Ursprung in der Krise des Zwei-Parteien-Regimes aus PD und Berlusconismus, mit dem das italienische Großkapital in den 1990er und 2000er Jahren versuchte, ein neues politisches Paradigma (die Zweite Republik) zu bilden. Aber sobald sie Regierungspositionen erreichen (seit den 1990er Jahren, im Falle der Lega, die Rom und Turin regierte, und seit 2016, im Falle der M5S), zeigen beide Bewegungen die gleichen Züge wie die traditionellen Parteien (Verrat von Wahlversprechen, Korruption, Inkompetenz usw.). Dies gilt insbesondere für die M5S, die sich als „transversale“ und „absolut neue“ Kraft präsentierte. Der andere gemeinsame Nenner beider Kräfte liegt in ihrem „Populismus“, der sich in einer völligen Auflösung jeder Klassenanalyse, der Methode personalisierter Führung und der extremen Zweideutigkeit ihrer politischen Positionen niederschlägt, die sich unabhängig von antisystemischer Rhetorik auf wirtschaftlicher Ebene in neoliberale Politik umsetzt.

Die Art und Weise, wie sie in ihrer Rede „das Volk“ (ausschließlich die Italiener) der „politischen Kaste“ entgegen setzen, die „soziale“ Demagogie, mit der sie versprechen, die Bedürftigsten und Armen zu schützen (vorausgesetzt natürlich, sie sind Italiener) und ihre Kritik an einem Europa, das in erster Linie oder allein für die Umsetzung der „Spardiktate“ verantwortlich wäre, macht sie nicht zu „volksnahen“ oder „systemfeindlichen“ Kräften. In diesem Zusammenhang haben die polemischen Äußerungen des Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker – wonach die Italiener*innen härter arbeiten, weniger korrupt sein und aufhören müssten, die Europäische Union für alle Probleme Italiens verantwortlich zu machen – die Unzufriedenheit der Öffentlichkeit mit der EU nur noch weiter entfacht, die von der extremen Rechten instrumentalisiert wird, um ihren Einfluss zu erhöhen.

Der Wahlkampf hat bereits Ungereimtheiten und Widersprüche zwischen den euroskeptischsten Reden – gekennzeichnet von der Idee des „Italexit“ – und den Garantien gezeigt, die Lega und M5S der EU in den letzten Wochen gegeben haben, wie die Ablehnung eines möglichen Referendums über die EU und den Euro, das sie einst verteidigt hatten. Dennoch war weder die Lega, geschweige denn die M5S, verlässlich genug für die konzentriertesten Sektoren der Bourgeoisie, um ihnen die Regierung des Landes einfach so zu übertragen, ohne ihnen Grenzen aufzuzeigen. Daher der institutionelle Handstreich von Präsident Mattarella: sowohl um die Ungereimtheiten der Lega und der M5S auf der Ebene ihres europäischen Projekts zurechtzuweisen, als auch um zu zeigen, wo die starken Kräfte auf der Ebene des Regimes sind – unabhängig davon, wer die Wahlen gewonnen hat.

Mattarella ruft M5S und die Lega zur Ordnung

Gemäß Artikel 92 der italienischen Verfassung und im Zusammenhang mit der starken Instabilität der Märkte (Absturz an der Mailänder Börse, Anstieg des Risikoaufschlags für italienische Staatsanleihen) hat Mattarella am 27. Mai die Ernennung des Euroskeptikers Paolo Savona zum Wirtschaftsminister in der ersten Regierung von Giuseppe Conte abgelehnt, die von Salvini und Di Maio am 23. Mai vorgeschlagen worden war. Stattdessen schlug Mattarella eine technische Regierung vor (mit der Aufgabe, über einen Haushalt abzustimmen und eine gewisse politische Kontinuität zu gewährleisten), die von Carlo Cotarelli, einem ehemaligen hohen Beamten des IWF zwischen 1988 und 2013, geleitet werden sollte. Sein einfacher Spitzname „Mister Forbici“ („Herr Schere“) zeugt von seinen absolut starren Positionen in Bezug auf die Haushalts- und Finanzorthodoxie.

Die Entscheidung von Mattarella – einem Präsidenten, der von 609 Abgeordneten, Senator*innen und Ratsmitgliedern gewählt wurde –, den Regierungsbildungsvorschlag von den beiden Parteien zu ersetzen, die die Wahlen im März mit 16 Millionen Stimmen gewonnen haben, war letztlich unhaltbar. Dasselbe galt für die Ausrufung vorgezogener Wahlen, falls Cottarelli nicht mehr als eine technische Regierung ohne parlamentarische Mehrheit führen könnte. Der Handstreich von Mattarella ermöglichte es Lega und M5S jedoch, ihren Diskurs und ihre Forderungen an die EU zu mäßigen. Am Ende wurde Giuseppe Conte, ein Strohmann von Salvini und Di Maio, die beide zu Vizepräsidenten ernannt wurden, wieder Premierminister, aber mit Giovanni Tria (unabhängig, Professor für Wirtschaft in Rom, ehemaliges Mitglied des Verwaltungsrats der Internationalen Arbeitsorganisation) als Wirtschaftsminister und Enzo Moavero Milanesi als Außenminister, beide proeuropäisch.

Das Problem der euroskeptischen Rhetorik von Di Maio und Salvini

Für die konzentriertesten Sektoren der italienischen Bourgeoisie ist das Problem nicht Salvinis fremdenfeindlicher Extremismus, seine sicherheitspolitischen Positionen oder die Mischung aus Obskurantismus und „Demokratie“ 2.0 der 5-Sterne-Bewegung, sondern ihre Positionen zum Euro und den bisher in Italien durchgeführten Arbeitsmarktreformen. „Wenn die Zeit gekommen ist, um zu regieren, verstehen Salvini und Di Maio entweder, dass sie nicht auf den europäischen Rahmen verzichten können, der absolut zentral ist, oder die Unternehmen werden das Land verlassen“, sagt der Sprecher des venezianischen Arbeitgeberverbandes, dem Bollwerk der Lega-Anhänger*innen. „Es gibt einige Punkte, die wir mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen. Wenn jemand daran denkt, Arbeitsmarktreformen in Frage zu stellen und zurückzudrehen, dann werden Unternehmen das Land verlassen und dorthin gehen, wo sie arbeiten dürfen.“

Unter diesem Gesichtspunkt haben sowohl Salvini als auch Di Maio bereits die kritischsten Töne gemäßigt, die sie verwendeten, wenn sie die EU erwähnten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Wesen der von der neuen Regierung verfolgten Wirtschaftspolitik auf Kontinuität mit der vorherigen unter der Leitung von Paolo Gentiloni (PD) ausgerichtet sein wird. Sie wird sicherlich einen neuen Sparhaushalt für 2019 und eine unternehmensfreundliche Steuerreform („Flat Tax“) garantieren, abgesehen von den Versprechungen der agrarpolitischen Reform (Lega) und der Umsetzung des „Bürgergeldes“ (jedenfalls beschränkt auf Italiener), mit dem die M5S auf die tiefe soziale Krise im Süden des Landes reagieren will. Es bestehen jedoch nach wie vor erhebliche Spannungen innerhalb der beiden Parteien in der derzeitigen Regierung. Dies ist der Fall bei der M5S, zwischen den „Orthodoxen“ und den „Neopragmatikern“, denen Di Maio angehört, aber auch bei denen, die zögern, mit einer offen rechtsextremen und historisch gegen den italienischen Süden gerichteten Kraft in der Regierung zu bleiben. Di Maio verspricht daher weiterhin eine Reform des „Jobs Act“, der Arbeitsmarktreform, die unter der Regierung Renzi im Jahr 2014 verabschiedet wurde und die die Prekarität erhöht hat. Salvini seinerseits kann seine eher nationalistische und chauvinistische Rhetorik nicht weglassen, auch wenn er nicht bereit ist, mit Brüssel und noch weniger mit Rom zu brechen, wie die großen Bosse der nördlichen Regionen, die am stärksten industrialisiert sind, ihn daran erinnern.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die italienische Lega-M5S-Regierung von rechts das gleiche Schicksal erleiden wird wie die griechische Regierung von Alexis Tsipras: dass sie sich von Anti-EU-Positionen entfernen wird, um alle Entscheidungen zu bestätigen, die zuvor von den früheren Regierungen mit Brüssel vereinbart wurden. Auf jeden Fall haben sowohl die Lega als auch die M5S bereits auf eine ausdrückliche Aussicht auf „Italexit“ oder eine Neuverhandlung der europäischen Verträge verzichtet, die sie vor ihrer Machtübernahme verkündet hatten.

Die Versuchung des „Italexit“: Obwohl vorerst abgelehnt, bleibt sie immer noch ein Gespenst

Die Verschuldung Italiens beträgt 131% des BIP, eine echte Zeitbombe für seine Wirtschaft, die Auswirkungen auf die gesamte Eurozone haben könnte. Dies ist der Kontext der europäischen Nervosität über die politischen Veränderungen in Italien.

Der Vorschlag, zunächst Savona zum Wirtschaftsminister zu ernennen, was Ende Mai zur Krise führte, hat nicht nur mit Salvinis Unnachgiebigkeit im Kampf mit Mattarella zu tun, sondern auch mit der euroskeptischen Rhetorik von Lega und M5S. Savona baute seine Karriere im Management von Confindustria, dem großen italienischen Arbeitgeberverband, sowie in den wichtigsten Banken des Landes auf. In den 1990er und 2000er Jahren nahm er als Minister oder Berater an den Regierungen von Carlo Azeglio Ciampi und Berlusconi teil. Er ist keine nebesächliche Figur, sondern stellt die Versuchung dar, die bei Sektoren des Kapitals – nicht nur in ihren untergeordneten und vom Binnenmarkt abhängigen Teilen – besteht, die Währungsunion neu zu verhandeln oder gar mit ihr zu brechen, die Teile der italienischen Bourgeoisie beim Übergang von der EWG zur EU und bei der Verfassung der Eurozone geschädigt hat.

Im Rahmen der „Europäischen Währungsschlange“ (1972-1979) und des Europäischen Währungssystems (1979 bis zu den Maastricht-Verträgen und danach das Inkrafttreten des Euro) hat die italienische Bourgeoisie jahrzehntelang auf Währungsabwertungen zurückgegriffen, um mit ihren europäischen Partnern und Konkurrenten wettbewerbsfähig zu bleiben. In einigen Sektoren hat sich die Vorstellung gefestigt, dass eine Währungsabwertung, die derzeit im gemeinsamen Währungssystem verboten ist, ein Ausweg aus der Krise sein könnte.

Dies ist derzeit keine hegemoniale Position, nicht einmal ein Trend zur Mehrheit in den transalpinen Eliten. Der „Fall Savona“ drückt jedoch den Grad der Krise aus, in dem sich das europäische Projekt für einen Teil der imperialistischen Bourgeoisie auf dem Kontinent und insbesondere in Italien befindet.

Die Tatsache, dass Savona trotz allem der Minister für europäische Angelegenheiten der Regierung Conte ist, zeigt, dass die Frage der Beziehungen zwischen Italien und der EU für die Sektoren des italienischen Establishments kein Tabu mehr ist. Die extreme „Lösung“ einer Auflösung oder Neuverhandlung könnte für einen Teil der Bourgeoisie sinnvoll werden, insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufbrechen des internationalen multilateralen Rahmens, der durch die Wahl von Donald Trump symbolisiert wird. Für die Arbeiter*innenklasse und die Massen jedoch würde eine Abwertung kurzfristig einen harten Schlag in Bezug auf die Kaufkraft darstellen, unabhängig von den „Hunderttausenden von Arbeitsplätzen“, die einige zu schaffen versprechen. Sie wäre auch eine Sackgasse. Dennoch findet sich eine solche Position in linken Strömungen wieder, die auf der Notwendigkeit bestehen, „Souveränität“ oder „die Schlüssel zum Haus“ zurückzuzuholen, wie Savona offen sagt. In gewisser Weise ist er der „wahre Vater“ der linkssouveränistischen Positionen, die ihre politischen Projekte in verschiedenen „Etappen“ strukturieren, wobei der Bruch mit der EU der erste ist.

Eine Regierung zwischen Nationalismus und EU-Zwang

In der Koalition zwischen der Lega und M5S ist Salvini der Sieger. Die Lega erhält 7 der 18 Ministerien und Sekretariate der neuen Regierung, während die M5S trotz ihres größeren Wahlgewichts nur 9 besetzt. Salvini ist die führende Stimme in der Regierung, sowohl in Bezug auf die reaktionärsten Positionen zu Migration und Geflüchteten, Bürgerrechten, Sicherheits- und Polizeifragen als auch zu den Fragen der Europäischen Union und den Beziehungen zu Berlin und Paris. Diese Asymmetrie zwischen ihrem Wahlgewicht und ihrem Regierungsgewicht könnte neben der symbolischen Anti-Mezzogiorno-Position der Lega (obwohl sie im Namen der Partei auf den Begriff „Norden“ verzichtet hat) auch eine Quelle von Spannungen und Krisen in der neuen Regierung sein. Vorerst sind die Märkte und insbesondere die Mailänder Börse jedoch wieder auf einen normaleren Kurs zurückgekehrt.

Mit seiner ausdrücklichen Unterstützung für Conte wollte Macron darauf hinweisen, dass Rom ein Verbündeter in den Launen des neuen französischen Präsidenten werden könnte, um mit Merkel über neue Formen der Regierungsführung in der Eurozone neu zu verhandeln. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die italienische Regierung eher zu einem Totgewicht als zu einem Gesprächspartner wird. Auf jeden Fall können sich nach diesem Moment starker Krise und Unsicherheit weder Merkel noch Macron den Luxus einer weiteren dauerhaften Regierungskrise auf europäischer Ebene leisten, obwohl weder Salvini noch Di Maio ihre bevorzugten Optionen waren. Das gilt umso mehr mit den weiteren aktuellen Krisenherden: im Spanischen Staat mit dem Sturz von Rajoy und der Bildung der neuen PSOE-Regierung von Pedro Sánchez (eine Regierung, die schwach geboren ist und jedes Gesetz in einem zersplitterten Kongress verhandeln muss), während die Bedingungen des Brexit verhandelt werden und die USA die Aggressivität ihrer Handelspolitik erhöhen.

Die Reaktion der PD und der Linken

Unter den organisierten Sektoren der Arbeiter*innen- und Massenbewegung in Italien, seien sie Mitte-Links oder reformistisch, dominieren zwei gleichermaßen falsche Positionen. Einerseits verteidigte die Mehrheit der Führung der CGIL – der wichtigsten italienischen Gewerkschaft, die wichtige Verbindungen zur Demokratischen Partei und ihrer „sozialdemokratischen“ Abspaltung der „Freien und Gleichen“ (LeU) unterhält – Präsident Mattarella und die mehrheitlich europäistische Position der italienischen Bourgeoisie in einer Art „republikanischer Front“ gegen den Aufstieg der extremen Rechten.

Ein anderer Sektor, der reformistisch oder offen stalinistisch ist – wie er sich tendenziell mehrheitlich in „Potere al Popolo“ oder in der DeMa-Strömung (in der Nähe der Positionen des Bürgermeisters von Neapel, Luigi De Magistris) ausdrückt –, besteht auf der Notwendigkeit, europäische Verträge neu zu verhandeln oder mit der Europäischen Union und der NATO zu brechen. Nach dieser „linkssouveränistischen“ Position wäre das ein notwendige Etappe – getrennt von einem gemeinsamen Kampf gegen das italienische imperialistische Kapital –, um die Souveränität zurückzugewinnen. Dies wäre ein unumgänglicher Schritt, um eine Politik entwickeln zu können, die mit der bisherigen Sparlogik bricht. Diese Position ist eine italienische – noch souveränistischere – Version der Positionen von Jean-Luc Mélenchon und France Insoumise in Frankreich oder damals von Syriza oder Yanis Varoufakis, dem derzeitigen Sponsor von DeMa.

Für die imperialistischen Länder, die die EU bilden und den Euro teilen, wobei Italien das drittwichtigste Land Europas ist, stellen Brüssel und die EZB Beispiele für die Koordinierung der am stärksten konzentrierten Interessen der zentralen Bourgeoisien dar. In den imperialistischen Ländern muss jeder Widerstand der Arbeiter*innen und Massen gegen die EU so formuliert sein, dass er zuallererst auf die Bekämpfung der nationalen Bourgeoisie selbst gerichtet ist. Denn die nationale Bourgeoisie hat historisch und unabhängig vom Diktat Brüssels ihre Privilegien auf den blutigen Angriff auf die Arbeiter*innen und die Unterdrückten aufgebaut, sowohl im traditionellen halbkolonialen Hinterhof dieser imperialistischen Länder als auch in der EU selbst, in den Ländern Mittel- und Osteuropas.

Ebenso kann die Arbeiter*innenbewegung, ausgehend von einem grundlegenden Internationalismus, die Europäische Union des Kapitals und die Festung Europa als angeblich „demokratische Alternative“ zum Aufstieg der reaktionären rechten Kräfte, die im Falle Italiens an die Macht kamen, nicht unterstützen.

Die überwiegende Mehrheit der organisierten Sektoren der italienischen Arbeiter*innen- und Jugendbewegung ist leider zwischen diesen zwei falschen Entscheidungen gefangen. Angesichts der reaktionären EU und der etappistischen Illusion eines „linken“ souveränen Bruchs mit Brüssel (ein „Plan B Mélenchon“ oder „Varoufakis“-Plan) können revolutionäre Marxist*innen nur die internationalistische Perspektive verteidigen: gegen das Europa des Kapitals und des chauvinistischen Rückzugs, in der Perspektive des Kampfes für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Die bedingungslose Verteidigung der Migrant*innen, der einheimischen und ausländischen Arbeiter*innenklasse und der Kampf gegen den staatlichen Rassismus

Die Konsolidierung der Macht der Lega ist nicht gleichbedeutend mit faschistischem Aufstieg. Doch das bedeutet keineswegs, dass der rassistische und fremdenfeindliche Diskurs und die von Salvini beabsichtigten einwanderungsfeindlichen und diskriminierenden Maßnahmen kein ernstes Problem für die Arbeiter*innenklasse und die Jugend in Italien darstellen würden. Vor dem Hintergrund des derzeitigen Migration, die in hohem Maße mit der Verschlechterung der internationalen geopolitischen Rahmenbedingungen (insbesondere im Mittelmeerraum, im Nahen Osten und in Afrika) zusammenhängt, an der die Imperialistischen Mächte die überwältigende Verantwortung tragen, werden Migrant*innen als Sündenbock der Krise in Italien stigmatisiert. Gleichzeitig werden ausländische Arbeitskräfte vor allem von Bossen im Norden des Landes eingesetzt, um die Produktionskosten zu senken und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. In einigen Sektoren, wie der Logistik, stellt die Arbeiter*innenklasse ausländischer und migrantischer Herkunft den kämpferischsten Teil dar. In den letzten fünf Jahren hat sie durch sehr harte Kämpfe und Streiks, wenn auch sektoral begrenzt, sogar wichtige Siege bei der Anwendung oder Verbesserung von Tarifverträgen erzielt.

In diesem Zusammenhang wird die Frage der Migrant*innen sowohl dazu benutzt, die Reihen der Arbeiter*innenklasse zu spalten als auch zu versuchen, eine reaktionäre soziale Basis des Regimes unter den Massen selbst zu festigen. Der Mord an Soumaila Sacko, einem jungen malischen Tagelöhner und kämpferischen Gewerkschafter, am 2. Juni in Kalabrien im Rahmen der fremdenfeindlichen und rassistischen Kampagne von der Regierung und von Salvini ist in dieser Hinsicht ein Weckruf. Es zeigt die internationalistische und antirassistische Herausforderung, der sich die Arbeiter*innen-, Jugend- und Massenorganisationen stellen müssen, um mit der reaktionären Politik der Lega und der M5S nach drei Jahrzehnten rassistischer und migrationsfeindlicher Politik des Berlusconismus und vor allem der PD in ihrer Regierungszeit zu brechen.

Die Notwendigkeit einer antikapitalistischen Perspektive der Arbeiter*innenklasse

Bei den letzten Wahlen hat sich die Mehrheit der Arbeiter*innenklasse, der Massen und der Jugend der Stimme enthalten oder für Rechtspopulismus oder Rechtsextremismus gestimmt. Das ist das Ergebnis jahrelanger Enttäuschung über die traditionellen Parteien und jahrelangen Verrats und Komplizenschaft der Gewerkschaftsbürokratie mit der Sparpolitik der PD. Leider hat sich unter den kämpferischsten Sektoren der organisierten Arbeiter*innenbewegung – beispielsweise in der basisdemokratischen Gewerkschaftsbewegung, die sich weigerte, den reformistischen Formationen „Freie und Gleiche“ oder Potere al Popolo bei den letzten Wahlen ihre Unterstützung zu geben –, keine politische Alternative der Arbeiter*innenklasse und der Jugend, einheimisch und migrantisch, herausgebildet, die gegen die falschen bürgerlichen europäistischen oder euroskeptischen politischen Optionen steht und den Kampf gegen die neue Regierung und die Bosse vorbereitet.

Angesichts der reaktionären, antidemokratischen und rassistischen Politik, die die neue Regierung umzusetzen versuchen wird; angesichts der Versprechungen der demagogischen „sozialen“ Maßnahmen, die die M5S macht und die sie bald in neue Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse verwandeln wird; angesichts einer tiefen Wirtschaftskrise und des Ausmaßes der organischen Krise, die das Establishment durchmacht, schließen wir nicht aus, dass mittelfristig die Bedingungen für neue Kämpfe der Arbeiter*innen oder in Verteidigung demokratischer Rechte entstehen werden.

Angesichts eines solchen Szenarios müssen die Revolutionär*innen, die in die Basisgewerkschaften, in die linke Gewerkschaftsbewegung und in die Studierenden- und Massenbewegung eingreifen, in ihrem täglichen Kampf konsequent eine antikapitalistische und revolutionäre politische Alternative vertreten. Es ist der einzige Weg, die kommenden Kämpfe zu gewinnen oder sich auf neue Kämpfe vorzubereiten und nicht das Spektrum zu sein, aus dem ein impotenter Reformismus sich selbst wieder aufzubauen versucht. Alles andere ist eine Nachtrabpolitik der bürgerlichen Mitte-Links-Koalitionen, wie es Rifundazione Comunista war. Wir sehen bereits im Fall des Spanischen Staates die Entwicklung des Neo-Reformismus von Podemos, der letztendlich die PSOE stützt, um an die Regierung kommen. Podemos hat sich verpflichtet, die Regierung einer sozialliberalen Partei, die während der Regierungen von Felipe González und José Luis Rodríguez Zapatero eine neoliberale und arbeiter*innenfeindliche Politik angewandt hat, „bedingungslos“ zu unterstützen.

Um den Kampf zu stärken und ein Projekt aufzubauen, das die Hegemonie der Arbeiter*innenklasse in den Mittelpunkt stellt, sowohl gegen den reaktionären Nationalismus als auch gegen die reformistische europäische Linke oder ihre souveränistischen Flügel, wäre ein wichtiger erster Schritt die Bildung einer antikapitalistischen Front, die die Avantgarde der Arbeiter*innenbewegung, der Jugend, der Frauen und der Migrant*innen im Kampf mobilisiert und koordiniert. Eine solche Front müssten den proletarischen Internationalismus sowohl gegen den Fetischismus der Verteidigung der italienischen Verfassung als auch gegen die „B-Pläne“ für die Verwaltung des italienischen Kapitalismus stellen. Sie muss schließlich die Frage aufwerfen, welche soziale Klasse die Macht haben sollte, einen Ausweg aus der Krise zugunsten der Arbeiter*innen und der Massen zu finden und dem Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit der Lega und der M5S entgegenzutreten.

Frazione Internazionalista Rivoluzionaria (FIR), Italien
Courant Communiste Révolutionnaire (CCR), Frankreich
Corriente Revolucionaria de Trabajadores y Trabajadoras (CRT), Spanischer Staat
Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO), Deutschland

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