Ist eine revolutionär-sozialistische Partei links der LINKEN möglich?

28.12.2022, Lesezeit 20 Min.
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Foto: Die LINKE NRW / flickr.com

In letzter Zeit haben verschiedene trotzkistische Gruppen und linke Zeitungen ihre Sicht auf die mögliche Spaltung der LINKEN dargelegt. Eines haben sie alle gemeinsam: Die Möglichkeit einer revolutionär-sozialistischen Partei spielt für sie keine große Rolle.

Die LINKE in der jetzigen Form wird sich spalten. Die Parteiführung versucht sich mit der Leipziger Erklärung dagegen zu stemmen. Darin wird die Notwendigkeit einer Partei links von SPD und Grünen beschrieben, ohne jedoch eine strategische Perspektive aufzuzeigen, wie es mit der LINKEN weitergehen soll. Teilweise wird das Wagenknecht-Lager kritisiert, aber wichtige Themen wie die Sanktionen gegenüber Russland werden ausgelassen. Dass dies die Spaltung der Partei aufhalten wird, ist kaum zu erwarten. Denn der Graben zwischen der “Progressiven Linken” und dem Wagenknecht-Flügel scheint unüberwindbar. “Mittlerweile gibt es keine öffentliche Wagenknecht-Aussage ohne Gegenwind aus der LINKEN”, schreibt die Sozialistische Alternative (SAV) auf ihrer Website. Die sozialistische Organisation Solidarität (Sol) spricht von einer “Inszenierung des Bruchs von Wagenknecht und ihren Unterstützer:innen mit der LINKEN zur Gründung einer neuen Partei.” Auch linke Zeitungen wie die analyse & kritik (AK) fragen, was “nach der Linkspartei” kommt und die Freiheitsliebe spricht davon, dass der LINKEN der “Klassenkompass” fehlen würde. Jacobin sieht ebenfalls keine Zukunft für die LINKEN, jedoch ist man auch dort sehr planlos, wie es weitergehen soll. Was alle vereint ist der mangelnde positive Vorschlag, welche Politik es braucht, um die Fehler der Linkspartei nicht zu wiederholen.

Um die LINKE besser zu verstehen, ist es wichtig, die innerparteilichen Machtverhältnisse zu kennen. Zum einen gibt es das “sozialkonservative” Lager um Sahra Wagenknecht, das klassisch sozialdemokratische Positionen mit einem auf die USA beschränkten “Antiimperialismus” und chauvinistischer Rhetorik verbindet. Ihr großes Anliegen ist es, die Westbindung Deutschlands zu lösen und in Kombination mit einzelnen sozialen Verbesserungen Deutschland auf einen souveränistischen Kurs zu bringen. In Abgrenzung gibt es ein Lager um den Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch, der zuletzt mit der Leipziger Erklärung ein Bündnis mit der dritten großen Strömung eingegangen ist. Die Bewegungslinke orientiert sich an sozialen Bewegungen und besteht größtenteils aus postmodernen Reformist:innen, die Klasse nur eine weitere Unterdrückungsform ansehen, aber ihre strategische Rolle komplett vernachlässigen. Sie passen sich eher an soziale Bewegungen und NGOs an. Prinzipiell steht fast die gesamte Partei, bis auf kleine Teile der antikapitalistischen Linken, Regierungsbeteiligungen mehr oder weniger offen gegenüber. In der Vergangenheit gab es ein Bündnis des Wagenknecht-Lagers mit dem Lager um Dietmar Bartsch. Inhaltlich gibt es wenige Überschneidungen, jedoch teilte man relativ erfolgreich Posten und Ressourcen untereinander auf. Demgegenüber stehen Grüne und SPD sehr nahe stehende Reformist:innen und Bewegungslinke, deren Verbindung vor allem von Katja Kipping und Bernd Riexinger vorangetrieben wurde. Dieses Bündnis wird auch „Progressive Linke” genannt. SAV und Sol stehen der Antikapitalistischen Linken (AKL) nahe.

Der Magnet am Klassenkompass der Linken

Die Freiheitsliebe kritisiert die mangelnde Klassenpolitik in der LINKEN. Es ist natürlich sehr lobenswert, dass in dem Artikel von Ulrike Eifler, Susanne Ferschl und Jan Richter eine Ausrichtung auf die Interessen der Lohnabhängigen gefordert wird: „Der unzureichende Blick auf die Welt der Arbeit führte in der Konsequenz zu analytischen Schwächen und einer strategischen Ausrichtung, die an den Interessen der abhängig Beschäftigten oft vorbeiging.“ Es reicht allerdings nicht, die Probleme nur auf “organisationspolitische Versäumnisse” zurückzuführen. Stattdessen muss der materielle Druck, der zu dem Kurs geführt hat, analysiert und kritisiert werden. Selbst wenn es eine Fortsetzung der Strategiedebatte gegeben hätte, wäre nur wenig klarer geworden, welche Strategie die LINKE eigentlich hat. Praktisch versucht sie, Posten im bürgerlichen Staat zu besetzen, um dann hoffentlich ein paar Änderungen durchzubringen. Die Bewegungen auf der Straße und im Betrieb soll dazu genutzt werden besser Wahlergebnisse zu erzielen. Der Regierungsflügel in der Partei schließt einen Kompromiss mit dem Staat nach dem Motto: “Wir verwalten die Regierungen etwas linker, dafür stellen wir ihn nicht komplett auf den Kopf.” Das bringt eine große politische und finanzielle Abhängigkeit von jenen staatlichen Institutionen mit sich, die wir eigentlich zerschlagen wollen. Man sieht es gut an den Landesregierungen: Im Berliner Senat verschleppt die LINKE gemeinsam mit SPD und Grünen den Volksentscheid zur Enteignung von Deutsche Wohnen und Co., in Thüringen schiebt die LINKE weiterhin ab und auch in der Frage des Streiks der Berliner Lehrer:innen drohen sie  sich gegen die Streikenden zu stellen. Diese „realpolitischen“ Drücke wirken sich wie ein Magnet auf den Klassenkompass aus, von dem die Freiheitsliebe schreibt, dass er fehlt. Dieser Druck, sich in den Staat zu integrieren, steht unserer Vision von einer sozialistischen Gesellschaft fundamental entgegen. Die Arbeiter:innenklasse steht nicht im Fokus unserer Politik, weil wir ihre Sorgen für wichtiger befinden, als die von rassistisch, sexistisch unterdrückten ansehen, sondern im Gegenteil, weil wir der Meinung sind, dass die Arbeiter:innenklasse diese Sektoren im Kampf vereinen kann. Die Arbeiter:innenklasse wird nicht nur immer weiblicher und migrantischer, sondern hat auch die Möglichkeit die kapitalistische Produktion lahm zu legen und selbst zu bestimmen, was wie produziert wird. Ihre Selbstorganisation kann der Grundstein für eine neue, sozialistische Gesellschaft sein. Wir wollen eine Welt, in der demokratisch in Räten bestimmt wird, was wie unter welchen Bedingungen produziert wird. In solchen Räten könnten Arbeiter:innen, Frauen, Jugendliche, Migrant:innen, usw. auch diskutieren, wie sie die Welt und konkret die Orte, an denen sie sind, gestalten wollen. Das kann nur erreicht werden, wenn wir mit Beschäftigten und Unterdrückten in einen Dialog darüber treten, welche Sorgen und Nöte beantwortet werden müssen. Abgeleitet davon können wir dann konkrete Vorschläge machen, wie die Beschäftigten sich selbst organisieren und auch gegen ihre verräterischen, sozialdemokratischen Führungen, allen voran in den Gewerkschaften, kämpfen können. So kann nicht nur ein Bewusstsein, sondern auch eine reale Basis für eine neue Gesellschaft organisiert werden. Im Gegensatz dazu verdreht der Druck, sich in den Staat zu integrieren, den Klassenkompass von Arbeiter:innendemokratie auf den kapitalistischen Staat. Der rechte Flügel der LINKEN versucht, den Konflikt mit Wagenknecht zu nutzen, um diese Integration weiter voranzutreiben und bezieht sich keineswegs fortschrittlich auf die Kämpfe. Die vergangenen Wahlniederlagen zeigen umso deutlicher, was die Massen von diesem Kurs halten. Es braucht deshalb unserer Meinung nach eine Debatte darüber, welche Partei wir stattdessen aufbauen, die sich konsequent auf die Seite der streikenden Kolleg:innen und der kämpferischen Unterdrückten stellt.

Warum will die Sol die Linksjugend neu gründen?

Sascha Staničić beschreibt in seinem Artikel auf der Website der Sol, dass der Konflikt zwischen der “Progressiven Linken” und dem Wagenknecht-Lager in der inhaltlichen Debatte auf die falschen Fragen abziele. Der gemeinsame Feind heißt demnach Kapitalismus und Debatten über die gefährlichste Partei in Deutschland seien hinfällig, da sowohl die Grünen als auch die AfD verschiedene Varianten des Kapitalismus vertreten. Kritik hat man an beiden Lagern, denn die jeweiligen Debatten seien nicht zielführend. Die Sol geht von einer nicht mehr aufzuhaltenden Spaltung der Partei aus. Ein „Kurswechsel der Parteiführung hin zu kämpferischer und sozialistischer Politik“ sei nicht in Sicht, weshalb eine Spaltung unausweichlich sei. Als ob die aktuelle Parteiführung Wagenknechts Sozialchauvinismus mit der „Progressiven Linken“ unter dem Banner des revolutionären Sozialismus vereinen könnte, geschweige denn wollte. Alle beide Lager eint, dass sie den kapitalistischen Staat mit verwalten wollen, statt den Klassenkampf ins strategische Zentrum zu rücken. Angesichts der Spaltung ruft die Sol dazu auf, sich ihnen anzuschließen, um zu verhindern, dass die neue Partei nicht wie die LINKE wird. Man gibt also die LINKE mehr oder weniger auf, will sich jedoch am Bruch nicht aktiv beteiligen. Neue Anläufe für eine neue sozialistische Arbeiter:innenpartei werden sich ergeben, so die Sol. Scheinbar hat man jedoch keine Strategie, wie man sich daran beteiligen oder intervenieren kann. Solche Anläufe ergeben sich aber nicht einfach und sie müssen von Beginn an strategisch begleitet und unterstützt werden. Die Sol sieht im Zusammenbruch der LINKEN anscheinend primär eine Möglichkeit, neue Mitglieder zu rekrutieren, in der Hoffnung, stärker in einer neuen Partei Einfluss nehmen zu können. Im Rahmen eines Antrages, der auf dem Bundeskongress der Linksjugend von Sol-Mitgliedern gestellt wurde, hat man außerdem festgestellt, dass die Linksjugend als Jugendverband nicht mehr zu retten sei und deshalb ein neuer, besserer Verband gegründet werden solle. Dass die Linksjugend nicht mehr zu retten ist, ist richtig, jedoch wurde nicht darauf eingegangen, wo der strategische Unterschied bei der Linksjugend 2.0 liegen soll und warum er nicht erneut an denselben Widersprüchen scheitern sollte. Die fehlende Antwort auf die Führungskrise kann nicht sein, einfach auf mehr Bewegung und Kampagnen zu setzen. Dadurch, dass sie die beiden Lager um Wagenknecht und “Progressive Linke” nicht bekämpfen, sondern nur so tun, als müssten alle jetzt gemeinsam gegen den Kapitalismus sein, zeigt, dass die Sol zentralen Debatten aus dem Weg geht. Es reicht nicht nur ökonomistisch gegen die Bosse zu kämpfen, während man zum Rassismus und Sexismus in der eigenen Partei mehr oder weniger schweigt. Damit passt die Sol sich tendenziell an das Lager von Wagenknecht an, die diese Fragen aber komplett ausgeklammert.  Es braucht stattdessen einen kritische Bilanz und einen klaren Bruch mit dem Reformismus.

Der Fatalismus der SAV

Sebastian Rave schreibt für die SAV, dass das Bündnis der “Progressiven Linken” zwischen Reformer:innen und Bewegungslinken an sich, aufgrund ihrer grundverschiedenen politischen Ausrichtung, untypisch sei. Der gemeinsame Konflikt mit dem Wagenknecht-Lager schweißt die an sich sehr gegensätzlichen Teile der Partei zusammen. Dem Wagenknecht-Lager wird vorgeworfen, die Spaltung zu inszenieren. Laut Rave wäre bereits 2017 der Bruch mit Wagenknecht nötig gewesen, verbunden mit einer Kritik am Kurs der LINKEN, der auf Regierungsbeteiligungen und die Anpassung an den bürgerlichen Staat abzielt. Eine Spaltung der Partei, so die SAV, würde primär dem linken Flügel der Partei schaden. Es bringt jedoch nichts, die “Progressive Linke” gegenüber dem Wagenknecht-Lager in Schutz zu nehmen. Die Bewegungslinke als wesentlich “linker” als das Wagenknecht-Lager einzuschätzen ist. Denn durch die Regierungsbeteiligungen hat man sich an den bürgerlichen Staat angepasst und das wird sich auch nicht mehr ändern. Die SAV kritisiert zwar den Kurs hin zu Regierungsbeteiligungen, sieht aber trotzdem primär im Wagenknecht-Lager das Problem der Partei. Das ist nicht fortschrittlich und die Vorstellung, die LINKE wäre ohne Wagenknecht eine bessere Partei, ist absurd. Sie passen sich im Gegensatz zur Sol als eher an die Bewegungslinke an, die in den vergangenen Streiks und Klassenkämpfen durch Abwesenheit geglänzt hat und die Sorgen der Lohnabhängigen gekonnt ignoriert. Ein Lösungsweg aus der aktuellen Krise wird in Raves Artikel nicht aufgezeigt. Stattdessen ist der Blick der SAV auf die aktuellen Entwicklungen der Partei sehr fatalistisch. Eine Antwort, wie man jetzt weitermachen soll, hat sie nicht. Scheinbar hat man keine Strategie, um der aktuellen Krise der gesamtdeutschen Linken zu begegnen.

Dass es SAV und Sol gibt, hat mit einer Spaltung des CWI (Committee for a Workers’ International) zu tun. Die SAV und ihre Internationale ISA biederten sich eher der Bewegungsbürokratie an und die Sol und ihre Schwestersektionen eher der Gewerkschaftsbürokratie, weshalb es 2019 zur Spaltung kam. Sol und SAV müssen ihre Strategien der Doppelten Aufgabe hinterfragen. Es funktioniert nicht, einerseits eine revolutionäre Organisation aufbauen zu wollen und andererseits gleichzeitig im Gleichschritt mit einer reformistischen Massenpartei zu gehen. In den vergangenen Jahren hat es keinen merklichen Effekt dieser Strategie gegeben. Stattdessen driftet die LINKE immer weiter nach rechts ab und es konnten kaum Menschen für revolutionäre Politik gewonnen werden. Weiter in der LINKEN zu bleiben und zu hoffen, dass ohne Wagenknecht alles besser wird, ist nicht sinnvoll. Es braucht einen klaren Bruch mit der LINKEN, um sich revolutionär zu organisieren, anstatt weiterhin den reformistischen Kurs mitzutragen. Das war auch die Schwäche der Spaltung. Beide Seiten haben keine Antwort, wie sie die verschiedenen politischen und ökonomischen Fragen zusammen denken und beantworten können. Letztendlich haben sie sich an verschiedene Bürokratie angepasst, aber eine wirkliche strategische Klärung hat nicht stattgefunden. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass beide Organisationen durch die Spaltung deutlich geschwächt sind und sie aktuell nicht in der Lage sind, ein hegemoniales, die Klasse vereinendes Programm vorzulegen. Dafür ist eine harte Bilanz des Grantismus notwendig, der schlicht nicht stattgefunden hat.

Was kommt nach der LINKEN?

Im AK-Artikel wird die Position vertreten, dass eine Spaltung der Partei unausweichlich und notwendig sei, da ansonsten die LINKE “zerbröseln” würde. Also lieber ein klarer Schnitt als ein langer Spaltungsprozess, in dem sich die verschiedenen Lager gegeneinander aufreiben. Im Artikel wird sich jedoch primär auf den Konflikt “Wagenknecht gegen den Rest der Partei” bezogen. Es werden drei Möglichkeiten aufgezeigt, wie sich die Spaltung vollziehen könnte. Es wird von der Bildung einer Wagenknecht-Partei und dem Verbleiben einer “Restlinkspartei” ausgegangen. Die erste Möglichkeit ist, dass beide Parteien nicht hinreichend mobilisieren können und somit in der Bedeutungslosigkeit versinken. Das zweite Szenario geht von einem Erfolg der Wagenknecht-Partei aus, während die “Restlinkspartei” abschmiert. Das dritte und von AK bevorzugte Szenario ist das Scheitern der Wagenknecht-Partei und die Erholung der LINKEN. Eine Perspektive, wie dieses “bestmögliche Szenario” herbeigeführt werden könnte, gibt AK nicht. Des Weiteren wären die Konflikte zwischen dem Reformer:innenflügel und der Bewegungslinken keineswegs gelöst. Zentrale Probleme würden weiterhin bestehen. Die Fantasie, sich eine Partei vorzustellen, die sich nicht an bürgerlichen Regierungen beteiligt und stattdessen versucht, sich im Klassenkampf und in den Bewegungen zu verankern und ihnen eine revolutionär-sozialistische Politik vorzuschlagen, fehlt in dem Artikel der AK. Doch gerade angesichts des Scheiterns der LINKEN müssen wir uns die Frage stellen, welche Partei es braucht, um erfolgreich linke Politik zu machen.

Jacobin sieht die Notwendigkeit einer Linkspartei

Ines Schwerdtner schreibt für Jacobin, dass eine Partei links von SPD und Grünen notwendig sei. Die LINKE ist ihrer Meinung nach jedoch nicht mehr zu retten. Sie bescheinigt der LINKEN, eine sozialistische Kraft zu sein; jedoch war die Partei seit ihrer Gründung letzten Endes ein reformistisches Projekt. Nur, weil das abstrakte Selbstverständnis der Partei sozialistisch ist und einige Sozialist:innen Mitglied sind, heißt das nicht, dass die Partei eine sozialistische Kraft ist. Immer wenn es darauf ankam, sei es DWE, die aktuell ausbleibenden Sozialproteste von links oder das Mittragen der bürgerlichen Politik in Form von Regierungsbeteiligungen, hat die LINKE versagt. Natürlich ist es wichtig, eine sozialistische Kraft links von SPD und Grünen zu haben. Jedoch muss diese Partei eine sozialistisch-revolutionäre Ausrichtung haben und nicht nur an Parteitagen Reden halten, die vom Sozialismus schwafeln, aber keine praktischen Vorschläge machen. Das Parlament sollte lediglich als Bühne für den Klassenkampf genutzt werden, sodass gar nicht erst die Illusion entsteht, die soziale Frage sei auf parlamentarischem Wege lösbar. Schwerdtner sieht zwar die Spaltung als unausweichlich an, jedoch kann sie nicht aufzeigen, was danach kommen wird oder kommen sollte. Man hat bereits in den letzten Monaten gesehen, dass Genug ist Genug (GiG) mit seiner reformistischen Ausrichtung, trotz anfänglicher Euphorie, nicht überzeugen konnte. GiG ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Jacobin linke Politik vorstellt. Zu Beginn wurden von vielen Linken Hoffnungen in GiG gesteckt, spätestens seit dem Beitritt der Grünen Jugend und der geringen Mobilisierung wurden viele desillusioniert. Die Forderungen von GiG sind eher reformistisch und gehen nicht weit genug. Das machte es erst möglich, dass eine Jugendorganisation einer Regierungspartei, die die Krise mitzuverantworten hat, dem Bündnis beitreten konnte. Zur Strategie von GiG hat Marco Helmbrecht im KGK Magazin #12 einen ausführlichen Artikel veröffentlicht.

Was braucht es jetzt?

Anhand der Artikel sieht man, dass die Spaltung der LINKEN unausweichlich erscheint. Auf die Frage, was danach kommt, findet man viele Antworten, aber keine der genannten Organisationen bzw. Zeitungen kann sich eine revolutionär-sozialistische Kraft vorstellen. SAV und Sol müssen hinterfragen, wieso ihre Strategie als linke Kraft innerhalb der LINKEN gescheitert ist, und Lehren daraus ziehen. Denn auch eine Abspaltung des Wagenknecht-Lagers wird die zentralen Probleme der Partei nicht lösen. Danach würde die “Progressive Linke” ihren Kurs, sich in den Staat zu integrieren, unbeirrt fortsetzen.

Es muss Schluss sein mit der Logik des geringeren Übels. Wir müssen uns entschieden gegen den Reformismus und die Gewerkschaftsbürokratien stellen und uns revolutionär in Betrieben, Universitäten und Schulen organisieren. Besonders die aktuelle Krise verdeutlicht nochmal diese Notwendigkeit. Von reformistischen Parteien können wir nichts erwarten. Wir brauchen eine Organisation mit einem Übergangsprogramm in der Perspektive einer Arbeiter:innenregierung und einer sozialistische Revolution. Mit der LINKEN zu brechen bedeutet im Umkehrschluss nicht, sich komplett bei parlamentarischen Wahlen zu enthalten. Revolutionär-sozialistische Gruppen und öffentliche Figuren können trotzdem an Wahlen teilnehmen, ohne sich an den bürgerlichen Staat anzupassen. Diese setzt allerdings voraus, dass es eine gemeinsame Praxis in den Klassenkämpfen gibt. In vielen Streiks und Bewegungen haben linke und zentristische Gruppen sich komplett enthalten oder sind total pazifistisch gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie, dass es aktuell keine Grundlage für eine revolutionäre Wahlfront gibt. Wir brauchen gemeinsame Erfahrungen und auch Siege in Streiks und sozialen Kämpfen, bei denen wir Unterdrückte und Ausgebeutete vereinen können. Auf Basis solcher Erfahrungen und Hand in Hand mit radikalisierten Sektoren der Klasse sind auch weitergehende Projekte gut vorstellbar, bei denen nicht nur eine Hand voll linker Kleinstgruppen gemeinsam bei Wahlen antritt oder gar fusioniert, sondern auch eine solche Verankerung in der Klasse hat, dass es eine Fusion mit gewissen Sektoren gibt. Das zeigt auch die Politik von unseren Genoss:innen in Frankreich sehr gut, die mit kämpferischen Arbeiter:innen, rassistisch und sexistisch Unterdrückten gerade ein neues Projekt gründen. Diese Sektoren konnten sie nur gewinnen, weil sie anders als Mélenchon und die zentristische NPA eine ernsthafte Rolle in den Streikwellen und der Gelbwesten-Bewegung gespielt haben.

Auf der Konferenz des Revolutionären Bruchs am 14./15.1.2023 wollen wir eine Bilanz von 15 Jahren Linkspartei und Solid ziehen, die strategischen Fragen diskutieren und eine Perspektive für eine sozialistisch-revolutionäre Partei aufzeigen. Wir rufen SAV, Sol und alle anderen interessierten linken Kräfte dazu auf, zur Konferenz zu kommen und gemeinsam mit uns zu diskutieren. Denn ein “Weiter so” innerhalb der LINKEN oder in einer Linkspartei 2.0 kann nicht die Lösung sein und welche Politik es heute braucht, damit es morgen wieder eine revolutionär-sozialistische Partei in Deutschland gibt.

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Anmerkung der Redaktion: Wir haben in einer früheren Version geschrieben, Dietmar Bartsch sei ehemaliger Parteivorsitzender und Gewerkschafter. Er ist jedoch Co-Vorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Wir haben dies korrigiert.

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