Ist die Gesellschaft, wie sie ist, weil der Mensch so ist?
Der Egoismus und die Gier des Menschen lassen ihn die Umwelt und andere Menschen ausbeuten. Ist es wirklich die menschliche Natur, die unsere Probleme verursacht? Wir sagen nein.
Karl Marx und Friedrich Engels legen in Die deutsche Ideologie dar:
Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.
Da die herrschende Klasse versucht, ihre Macht zu erhalten, bedeutet das, dass die herrschenden Gedanken auch die Macht der herrschenden Klasse bewahren. Derzeit liest und hört man immer wieder, dass der Mensch die Natur ausbeute. Der Mensch sei schuld am Klimawandel. Der Mensch sei egoistisch und gierig. Jeder strebe nach Wohlstand, Glück und Reichtum. Deshalb werde die Natur immer mehr ausgebeutet, deshalb gebe es so viel Ungerechtigkeit auf der Welt.
Je nach Entwicklungsstand der jeweiligen gesellschaftlichen Epoche dominieren unterschiedliche Interpretationen und Begründungen der bestehenden Machtverhältnisse mit dem Ziel, genau diese zu erhalten.
In der Sklaverei der Antike konnten sich die Menschen Naturphänomene wie Sonnenfinsternisse, Unwetter, den Lauf der Sonne, aber auch Krankheiten nicht erklären. Die Menschen schufen sich eine Welt aus Göttern, denen zugeschrieben wurde, die Welt hervorgebracht zu haben. Jeder Gott hatte seine eigene Zuständigkeit, von der Liebe und Fruchtbarkeit über das Meer, die Erde und den Himmel bis hin zum Tod und dem Leben danach. Ihnen kam die Funktion zu, die Welt zu erklären. Sie dienten aber nicht nur dem Verstehen, sondern auch der Unterdrückung und dem Machterhalt. Unwetter, Missernten, Krankheiten waren die Strafen der Götter für das Fehlverhalten der Menschen. Die Strafe konnte sogar über den Tod hinausgehen, sodass auch dieser keine Erlösung darstellte. In der Vorstellung der Menschen war es von den Göttern so eingerichtet, dass ein Mensch andere Menschen besitzen, sie für sich arbeiten lassen, sie kaufen und verkaufen, aber auch körperlich bestrafen konnte, bis hin zum qualvollen Tod. Nach herrschender Meinung war es vollkommen logisch, dass ein Sklavenhalter Sklaven besaß und sie für sich arbeiten ließ. Sonst würde niemand arbeiten, es gäbe nur Hunger, Elend und Chaos. Wer sich gegen die Herrschaft auflehnte, musste nicht nur die Strafe der Sklavenhalter fürchten, sondern auch die der Götter.
Die Sklavenaufstände beendeten nach und nach die Herrschaft der Sklavenhalter. Die neue herrschende Klasse war die des Adels, von Geburt edel und Herr über seine Untertanen, das heißt die leibeigenen Bauern und Handwerker, die im Feudalismus ausgebeutet und unterdrückt wurden. Mit den Sklaven und Sklavenhaltern verschwanden auch die Götter. An ihre Stelle trat ein einziger, allmächtiger Gott, der die Welt geschaffen hatte, für alles die Verantwortung trug und Erklärungen lieferte. Alles, was geschah, geschah nach Gottes Willen. Auch er strafte zu Lebzeiten mit Krankheit und Hungersnot sowie nach dem Tod mit ewiger Verdammnis im Fegefeuer und durch Höllenqualen. Nur die Frommen, die Demütigen, die Fleißigen, die alles brav ertrugen, nichts in Frage stellten, nicht aufbegehrten, wurden nach dem Tod mit dem Paradies belohnt.
Mit den Bauernaufständen der verarmten ländlichen Massen und späteren bürgerlichen Revolutionen ergriff eine neue – ökonomisch jedoch schon länger existierende – Klasse in Europa und Nordamerika die politische Macht: das Bürgertum, die Bourgeoisie, die Kapitalist:innen. Aus leibeigenen Bauern und Handwerkern wurden mehr und mehr doppelt freie Lohnarbeiter:innen, die in Manufakturen und Fabriken an deren Besitzer:innen ihre Arbeitskraft verkaufen mussten, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Der Kapitalismus brachte eine neue, ihm eigene erweiterte Warenproduktion hervor, die Waren nicht mehr zur Befriedigung von Bedürfnissen produzierte, wie hoch auch immer das Luxusbedürfnis der Besitzenden und Herrschenden war, sondern um mehr Profit hervorzubringen. Dieser wurde wieder in den Produktionsprozess investiert, um noch mehr hervorzubringen. Im Kapitalismus ist also nicht die Bedürfnisbefriedigung das Ziel der Produktion, sondern der Profit. Die Bedürfnisbefriedigung ist im besten Fall lediglich Mittel zum Zweck. Um Profit zu erzielen, müssen zwei Dinge ausgebeutet werden: zum einen die Natur für Material sowie Energie und zum anderen die menschliche Arbeitskraft. Da Menschen nur begrenzt arbeiten können und ihre Arbeitskraft regelmäßig regenerieren müssen, bedarf diese Produktion eines ständigen technologischen Fortschritts, der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert. Ein alles erklärender Gott, dessen Wege auch noch unergründlich sind, ist da weniger hilfreich. Mit dem Bürgertum kam die Aufklärung, die nicht einen Gott, sondern den Menschen in den Mittelpunkt der Erkenntnis rückte. Dennoch bediente sich der Kapitalismus weiterhin, sogar teilweise bis heute, der Religion, um die Menschen gefügig zu halten. Der entstehende Kapitalismus verhalf der Wissenschaft zum Durchbruch im großen Stil. Zu Beginn wies dieser daher gegenüber vorherigen Gesellschaften einen fortschrittlichen Charakter auf, der Teil seiner historischen Rolle war. Fortan wurde die Welt mit Hilfe von Naturgesetzen und der menschlichen Natur erklärt. Gleichzeitig bedurfte es aber weiterhin einer Ideologie zum Machterhalt.
Wissenschaftliche Theorien als Basis für Ideologie
Wissenschaftliche Erkenntnisse wurden und werden im Interesse der Bourgeoisie interpretiert und teilweise mit neuen Bedeutungen versehen. So wurde zum Beispiel eine der Kernaussagen der Evolutionstheorie von Charles Darwin, dass durch natürliche Auslese die am besten angepassten Individuen einer Art die besten Überlebenschancen haben, im sogenannten Sozialdarwinismus zum Überleben des Stärkeren umgedeutet. Die Evolutionstheorie, die die Entstehung der biologischen Arten erklärt, wird dabei auf menschliche Gesellschaften übertragen und als Rechtfertigung für Ausbeutung und Unterdrückung entsprechend eines Rechts des Stärkeren als unausweichliches Naturgesetz herangezogen. Eine weitere vorherrschende Auffassung besteht darin, dass jeder Mensch von Geburt an in Konkurrenz zu allen anderen um knappe Ressourcen steht. Daher habe sich der Egoismus als überlebenswichtige Grundeigenschaft herausgebildet. Bereits im 17. Jahrhundert, also lange vor der Evolutionstheorie, argumentierte der englische Philosoph Thomas Hobbes, dass ein permanenter Krieg aller gegen alle herrsche, in dem der Mensch dem Menschen ein Wolf sei. Dies liege mitunter darin begründet, dass jeder Mensch in erster Linie an der Sicherung seiner eigenen Bedürfnisse interessiert sei.
Auch im Kontext der bürgerlichen Psychologie, der Wirtschaftswissenschaft und der Spieltheorie wird das rationale Handeln von Menschen auf den eigenen Vorteil hin interpretiert. Die Spieltheorie ist ein Teilgebiet der Mathematik, das Entscheidungssituationen modelliert, in denen mehrere Akteure miteinander interagieren. Sie versucht unter anderem, daraus rationales Entscheidungsverhalten in sozialen Konfliktsituationen abzuleiten. Die Analyse des „homo oeconomicus“ ist der historische Ausgangspunkt der Spieltheorie, die im 18. und 19. Jahrhundert entstand und bis heute eine der mathematischen Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften darstellt, aber auch in der Psychologie Anwendung findet. Der „homo oeconomicus“ ist das theoretische Modell eines Nutzenmaximierers. Zu den frühen Vertretern zählen etwa Daniel Bernoulli, Joseph Bertrand, Antoine-Augustin Cournot, Francis Ysidro Edgeworth, Frederik Ludvig Bang von Zeuthen und Heinrich Freiherr von Stackelberg. Die Spieltheorie ist dabei eng mit der Entstehung des Kapitalismus verbunden, da in ihm Entscheidungen auf Basis konkurrierender Parteien getroffen werden müssen. Die sogenannte Eigennutzmaximierung gilt als primäres Handlungsmotiv aller Menschen, sodass hieraus zwangsläufig Gier, Neid, Faulheit, Schmarotzertum und viele weitere als negativ empfundene Eigenschaften resultieren. Mittels dieser Theorie lässt sich gut erklären, dass die Menschen nach Glück, Reichtum und immer mehr Konsum streben und dabei rücksichtslos die Natur und andere Menschen ausbeuten. Mit ihr lassen sich außerdem Kriminalität, Kriege, Umweltzerstörung, Klimawandel und letztlich alle Probleme der Menschheit begründen. Darüber hinaus dient der Egoismus als Beleg, dass alternative „Gesellschaftsentwürfe“ wie beispielsweise der Sozialismus nicht funktionieren können.
Häufig wird jene Theorie auch in den bürgerlichen Medien vertreten, ohne dass sie selbst benannt werden würde. Sie ist vielmehr eine vorausgesetzte Annahme, wodurch sie implizit immer weitergetragen und von vielen Menschen verinnerlicht wird. Aus Sicht der herrschenden Klasse hat sie zwei große Vorteile. Der eine besteht darin, dass sie den Menschen als Ganzes, als biologisches Wesen betrachtet und nicht differenziert. Es gibt also keinen Verursacher, den man in irgendeiner Weise zur Verantwortung ziehen könnte. Es handelt sich stets um die Menschheit als Ganzes. Ignoriert wird dabei, welche Klasse die wirtschaftliche und politische Macht innehat und dadurch gesellschaftlich und mittlerweile auch klimarelevant handelt beziehungsweise handeln lässt. Damit werden Eigentumsverhältnisse und Klassenverhältnisse verwischt. Dies lenkt, wie wir später sehen werden, hervorragend von den wirklichen Ursachen ab. Der zweite große Vorteil ist, dass eine genetisch bedingte Grundeigenschaft des Menschen angenommen wird, die quasi einem Naturgesetz beziehungsweise einer modernen Form von „gottgegeben“ gleichkommt. Man kann also nichts dagegen tun und schon gar nichts ändern. Der Determinismus, der in früheren Gesellschaften von Göttern und später dem Göttlichen ausging, setzt sich fort und wird der menschlichen Natur zugeschrieben. Letztlich bedient man sich dabei aber immer der Idee, dass es etwas Transzendentes oder Essenzielles geben müsse, für das der Mensch nichts kann. Dass die Verhältnisse im Kapitalismus irgendwie ursächlich sein könnten, wird dadurch vollkommen ausgeblendet. Diese vorherrschende Meinung eignet sich somit hervorragend, um die Macht der herrschenden Klasse zu erhalten. Die Ohnmacht, die dabei gleichzeitig entsteht, führt wiederum oftmals zu Resignation, Pessimismus, Zukunftsangst und allgemeiner Menschenfeindlichkeit.
Die Idee der Vernunft
Eine bürgerliche Lösung zur Theorie des Egoismus ist die Idee der Vernunft. Man müsse die Menschen nur aufklären, ihnen die Probleme verdeutlichen und an ihr individuelles Handeln appellieren. Wenn alle nur vernünftig handelten, wären die Probleme gelöst. Bei der Klimaproblematik wird beispielsweise an das Verhalten jedes:jeder Einzelnen appelliert, insbesondere hinsichtlich des Konsums und der Mobilität. Oft wird gefordert, mit gutem Beispiel voranzugehen, damit die anderen folgen. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die geforderten Verhaltensweisen zwar in begrenztem Umfang sinnvoll und hilfreich sein können, aber, wie noch zu zeigen sein wird, nicht ausreichen. In den meisten Fällen wird diese Argumentation tatsächlich in guter Absicht vertreten, um eine Verbesserung für die Allgemeinheit zu erreichen. Sie resultiert aber aus Unkenntnis der tieferen Zusammenhänge, das heißt von Ursache und Wirkung. Rückschlüsse werden dann aufgrund äußerer Erscheinungen gezogen, wohingegen vermeintliche Ursachen tatsächlich meist nur Auswirkungen tieferer Ursachen sind.
Aus Sicht der Herrschenden hat diese Ideologie den großen Vorteil, dass sie die Ursache der Probleme und damit die Verantwortung auf einzelne Individuen abwälzt. Man ist also selbst schuld an den Problemen. Die wirklichen Ursachen bleiben dagegen verborgen. Da die geforderten Handlungsweisen zwar plausibel erscheinen, aber mit den Ursachen selbst nichts zu tun haben, ändern sie nichts und stellen keine Bedrohung für die Verursacher:innen dar. Im Gegensatz zur Egoismus-Theorie fühlen sich die Menschen weniger ohnmächtig und können letztlich durch irrelevante Handlungen ruhiggestellt werden. Die Bevölkerung wird ständig von den bürgerlichen Medien und Politiker:innen aufgefordert, Wasser, Energie und alles Mögliche zu sparen, während die Industrie, einschließlich der Rüstungsindustrie und des Militärs, munter weiter Energie und Wasser verbraucht. Da sich nie alle Menschen daran beteiligen, insofern die geforderten Handlungen oft mit persönlichen Einschränkungen oder Unannehmlichkeiten verbunden sind, wird die Gesellschaft gespalten in diejenigen, die vernünftig und gut im Sinne der Allgemeinheit handeln, und diejenigen, die uneinsichtig oder egoistisch sind. Diese Spaltung innerhalb der nicht-herrschenden Klasse schwächt deren Entschlossenheit und macht sie weniger gefährlich für die herrschende Klasse. Auch hier zeigt sich also ein Mittel zur Machterhaltung, das Teil der bürgerlichen Propaganda ist.
Im Gegensatz zur pessimistischen Egoismus-Theorie geht der US-amerikanische Psychologe Carl Rogers (1902-1987) von einem positiven Menschenbild aus. Er sah das grundsätzlich Gute im Menschen und die Potenziale jedes Einzelnen. Im Zentrum seines Ansatzes steht der Begriff der „Selbstverwirklichung“, der die Tendenz beschreibt, die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten voll zu entfalten. Er argumentierte, dass jeder Mensch die inhärente Fähigkeit besitzt, sich zu verbessern und zu wachsen, sofern die richtigen Bedingungen gegeben sind. Die Theorie von Rogers besagt also bereits explizit, dass die Eigenschaften eines Menschen allein nicht ausreichen, um sein Handeln zu erklären. Es gibt also weitere Einflussfaktoren. Diese sah er in erster Linie in der Umwelt eines Menschen und seinen wichtigsten Bezugspersonen. Als Psychologe stellte er die Frage, warum die Umwelt eines Menschen so ist, wie sie ist, nur bis zu einem bestimmten Grad.
Egoismus oder Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung?
Menschliches Handeln ist durchaus rational, nicht immer im Einzelfall, aber soweit es gesellschaftlich relevant ist. Individuelle menschliche Eigenschaften wie Egoismus oder Altruismus spielen dabei auch eine Rolle, aber letztlich eine untergeordnete. In erster Linie wird das Handeln durch ökonomische Gesetzmäßigkeiten, ökonomische Zwänge und politische Rahmenbedingungen bestimmt. Diese Zwänge und Bedingungen wirken aber nicht auf alle Menschen gleich, dementsprechend unterschiedlich ist auch ihr Handeln. Es hängt sehr stark davon ab, ob jemand Eigentümer:in eines Unternehmens ist und seinen Reichtum aus der Arbeit seiner Angestellten bezieht und in einem Konkurrenzverhältnis zu anderen Unternehmen steht. Oder ob er:sie Lohnempfänger:in ist, das heißt nicht genügend Reichtum besitzt, um davon leben zu können, sondern für seinen:ihren Lebensunterhalt arbeiten gehen muss.
Beide Gruppen von Menschen bilden aufgrund ihrer völlig unterschiedlichen Besitzverhältnisse und Beziehungen zueinander verschiedene Klassen. Die eine Klasse besitzt die Produktionsmittel. Sie bestimmt, was produziert wird, wer für sie arbeitet und wie der Gewinn verwendet wird. Das ist die Klasse der Kapitalist:innen, Unternehmer:innen, „Arbeitgeber:innen“ – das ist die Bourgeoisie. Die andere Klasse muss für die Unternehmer:innen arbeiten, um „normal“ leben zu können. Sie hat kein Mitspracherecht bei unternehmerischen Entscheidungen. Das ist die Arbeiter:innenklasse, das Proletariat. Das Proletariat erarbeitet den Profit für die Bourgeoisie. Durch die Arbeit wird der Mehrwert einer Ware gegenüber dem Rohstoff geschaffen. Einen Teil dieses von den Arbeiter:innen geschaffenen Mehrwerts erhalten sie als Lohn. Den anderen Teil streichen die Kapitalist:innen als Profit ein.
Diesen Profit können Unternehmen nur erzielen, indem sie ihre Waren gewinnbringend verkaufen. Dabei stehen sie in Konkurrenz zu anderen Unternehmen. Um auf dem Markt bestehen zu können, müssen die eigenen Produkte besser oder günstiger sein als die der Konkurrenz. Dazu muss billiger produziert werden. Ein Teil des Gewinns wird in die Steigerung der Effizienz und in die Ausweitung der Produktion investiert. Gerade die Senkung der Produktionskosten ist häufig mit Arbeitsplatzabbau und in der Folge mit Arbeitslosigkeit verbunden, was wiederum die Löhne auf dem Arbeitsmarkt sinken lässt. Die Konkurrenz der Unternehmen und der Wettlauf um Rohstoffe, billige Arbeitskräfte und Absatzmärkte setzt sich auch auf zwischenstaatlicher Ebene fort. Die damit verbundenen Machtkämpfe führen zu Wirtschaftskriegen, „kalten“ und in letzter Instanz auch militärischen Kriegen.
Auch Krieg bedeutet Profit
Udo Lindenberg singt in einem seiner Lieder zum Thema Krieg und Frieden: „Keiner will sterben, das ist doch klar.“ Diese – je nach Sichtweise – naive oder triviale Aussage lässt sich auch durch Umfragen bestätigen. So zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA vom August 2024 zum Ukraine-Krieg, dass 68 Prozent der Befragten grundsätzlich für Friedensverhandlungen mit Russland sind. Ebenso sprachen sich 65 Prozent für einen Waffenstillstand aus. Ähnlich sieht es beim Genozid in Gaza aus. 69 Prozent der für das ZDF-Politbarometer Befragten halten das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen angesichts der vielen zivilen Opfer nicht für gerechtfertigt. Eine andere Umfrage von Statista ergab, dass 52 Prozent der Befragten den politischen Druck auf Israel erhöhen möchten, um den Krieg im Gazastreifen zu beenden. Das sind nur zwei von aktuell 59 bewaffneten, zwischenstaatlichen Konflikten. Da diese beiden Kriege durch die bürgerliche Propaganda besonders stark in Richtung weiterer Eskalation befeuert werden, sagen diese Umfragen sehr viel über den Friedenswunsch der Menschen aus. Kriege lassen sich nicht durch menschliche Eigenschaften erklären, denn dann dürfte es gar keine Kriege geben. Daher fragt Udo Lindenberg im selben Lied: „Wozu sind denn dann Kriege da?“
Die Rüstungsindustrie, genauer gesagt die Eigentümer:innen, Aktionär:innen und Manager:innen dieser Konzerne, verdienen sehr viel Geld mit dem Verkauf ihrer Waffen samt Munition und Ersatzteilen. In Kriegszeiten lässt sich natürlich viel mehr davon gewinnbringend an die Kriegsparteien verkaufen als in Friedenszeiten, wo das Zeug im Wesentlichen “herumsteht” und nicht im großen Stil verbraucht, verschossen wird. Im Krieg brauchen Soldat:innen Kleidung, Nahrung, Treibstoff, medizinische Versorgung und vieles mehr. Eine Gelegenheit für andere Industrien, ihre Produkte massenhaft zu verkaufen. Für diese Ausgaben nehmen die Staaten Kredite auf. An den Zinsen verdienen die Banken, die Kreditwirtschaft. Mit Kriegen können die Konzerne eines Landes die Konkurrenz im Feindesland ausschalten. Sie und der jeweilige Staat gewinnen an Macht und geopolitischen Einfluss. Die Rohstoffe des besiegten Staates können angeeignet, billige Arbeitskräfte gewonnen und neue Absatzmärkte erobert werden. Ganze Industriezweige profitieren anschließend vom Wiederaufbau. Aber auch hier profitieren nicht wir Arbeiter:innen, sondern die Unternehmer:innen, die Aktionär:innen, die Kapitalist:innen.
Wer bezahlt das alles? Im wörtlichen Sinne, also finanziell, bezahlen wir Steuerzahler:innen die Rüstung und die Kriege. Formal zahlen auch Unternehmen Steuern, wenn es ihnen nicht durch legale Tricks gelingt, sich dieser zu entziehen. Das Geld, von dem sie ihre Steuern bezahlen, haben jedoch wir erarbeitet, indem sie sich einen Teil des von uns geschaffenen Mehrwerts aneignen. Indirekt zahlen wir noch einmal durch Kürzungen bei den Sozialausgaben, der Bildung, dem Gesundheitswesen, der Rente (höher Beiträge, höheres Renteneintrittsalter, weniger Rente) und infolge der Inflation. Mit ihrem Leben oder ihrer Gesundheit bezahlen die Soldat:innen, die mehrheitlich aus Arbeiter:innen bestehen. Besitzer:innen oder Großaktionär:innen von Konzernen, Topmanager:innen oder hochrangige Politiker:innen und Beamt:innen wird man an der Front nicht antreffen. Sie kriechen nicht durch den Dreck, laufen nicht mit schwerem Gepäck viele Kilometer, dursten, hungern, schwitzen, frieren nicht, sind nicht übermüdet, brauchen keine Angst zu haben von einem Geschoss, einer Bombe oder Rakete getroffen zu werden, auf eine Mine zu treten, verschüttet zu werden, zu ersticken, zu ertrinken oder zu verbrennen. Wenn man sie an der Front sieht, dann an sicheren Abschnitten, um sich zu profilieren oder Durchhalteparolen zu propagieren. Die Arbeiter:innen werden zu Soldat:innen, zum Kanonenfutter, durch Wehrpflicht und Mobilmachung gezwungen, durch Propaganda verführt oder durch Ausnutzung ihrer wirtschaftlichen Notlage mit irgendwelchen Vorteilen geködert. Ebenfalls mit dem Leben, der Gesundheit und dem Verlust ihres persönlichen Besitzes, von Wohnungen und Infrastruktur bezahlt die Zivilbevölkerung in den Kriegsgebieten. Die Kapitalist:innen können sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Sie haben Hubschrauber, Privatjets, Luxusyachten und Luxushäuser in verschiedenen Teilen der Erde.
Die Kapitalist:innen sind zwar die Kriegsgewinner:innen, aber sie führen den Krieg nicht selbst. Dazu brauchen sie den Staat. Der Staat ist in der Lage, die für die Kriegsführung notwendigen Ressourcen zu mobilisieren. Dazu gehören der Aufbau und die Unterhaltung einer Armee, die Rekrutierung von Soldat:innen, die Beschaffung von Waffen und Ausrüstung und die Organisation der Logistik. Kriege sind extrem kostspielig und der Staat finanziert sie durch Steuereinnahmen, Kreditaufnahme und andere finanzielle Mittel. Der Staat hat die Macht, Gesetze zu erlassen und Vorschriften durchzusetzen, die den Kriegseinsatz unterstützen. Der Staat spielt eine entscheidende Rolle bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung und der Mobilisierung der Bevölkerung für den Krieg. Durch Propaganda und die Kontrolle der Medien, durch Zensur, Einschränkung der Meinungsfreiheit, „Staatsräson“ und Repressionen gegen Andersdenkende kann der Staat die Unterstützung für den Krieg erhöhen und die Bevölkerung dazu bewegen, die geforderten Opfer zu bringen. Der Staat macht die Gesellschaft „kriegstüchtig“.
In Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft legt Friedrich Engels dar:
Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist.
Als „ideeller Gesamtkapitalist“ agiert der kapitalistische Staat nicht nur im Interesse der Kapitalist:innen, sondern letztlich in deren Auftrag. Der preußische General und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz schrieb: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Clausewitz‘ Aussage unterstreicht, dass Kriege keine isolierten Ereignisse sind, sondern Instrumente, die Staaten einsetzen, um politische Ziele zu erreichen. Der Staat setzt Kriege ein, um die politischen, wirtschaftlichen, territorialen und geostrategischen Interessen der Bourgeoisie durchzusetzen. Durch diese Mechanismen fungiert der Staat als Vermittler und Durchsetzer von Kriegen im Interesse der Kapitalist:innen, während die Unternehmen von den wirtschaftlichen Vorteilen profitieren, ohne die damit verbundenen Risiken und Kosten zu tragen. Die Hauptlast hingegen trägt die Arbeiter:innenklasse, sie blutet für die Kapitalist:innen.
„Der Mensch“ als Verursacher des Klimawandels?
Um Waren produzieren zu können, muss neben der menschlichen Arbeitskraft auch die Natur ausgebeutet werden. Benötigt werden sowohl Material, das heißt Rohstoffe in Form von Naturprodukten, als auch Energie, die ebenfalls aus der Natur gewonnen wird. Da ein Teil des Profits wieder zurück in die Produktion investiert wird, um noch mehr Profit zu erwirtschaften, steigt mit der Produktion auch der Hunger nach Naturausbeutung in Form von Rohstoffen und Energie. Roberto Lorca stellt diesen Kreislauf in Nach der Räumung: Lützerath, Kapitalismus und die Zerstörung der Natur ausführlich dar.
Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass nicht menschliche Eigenschaften wie Egoismus die Ursache für die Probleme der Menschen sind, sondern die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse des Kapitalismus. Konkret sind es die Kapitalist:innen und sein bürgerliche Staat, die diese Probleme verursachen. Hieraus ergibt sich weiterhin, dass es nicht ausreicht, an die Vernunft der:des Einzelnen zu appellieren. Schon gar nicht sind damit diejenigen, die ausbeuten, zu überzeugen. Von ihnen kommen, wie auch von Politiker:innen bürgerlicher Parteien, eher Ratschläge, mehr Leistung zu erbringen und sich selbst zu optimieren.
Überzeugen kann man aber sehr wohl die Klasse, die nicht durch ökonomische Gesetze gezwungen ist, so zu handeln. Denn die Arbeiter:innenklasse verfügt über die Macht, die ökonomischen Grundlagen zu ändern und den Kapitalismus zu stürzen, sodass die Probleme ursächlich gelöst werden können.
Die überwiegende Mehrheit der auf diesem Gebiet forschenden Wissenschaftler:innen ist zu dem Schluss gekommen, dass der Klimawandel vom Menschen verursacht wird. Diesem wissenschaftlichen Konsens schließen wir uns ausdrücklich an. Mit der Formulierung „vom Menschen verursacht“ betont die Wissenschaft, dass nicht die Summe der natürlichen Prozesse, sondern die Verbrennung fossiler Energieträger seit der sogenannten industriellen Revolution die Hauptursache ist. Dies impliziert für viele, genährt durch die bürgerliche Propaganda, dass der Mensch im Allgemeinen oder die gesamte Menschheit den Klimawandel verursacht hat. Aber nein – es ist nur eine kleine Minderheit, nämlich die ökonomisch und politisch herrschende Klasse, die ihn verursacht hat. Beim privaten Konsum hat das reichste eine Prozent mehr als doppelt so viel CO2 ausgestoßen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Auch wenn das dramatisch ist, ist das gar nicht das Hauptproblem. Dieses besteht darin, dass sie den Klimawandel durch die kapitalistische Produktionsweise verursachen, die zur Generierung von Profit nicht nur den Menschen, sondern auch die Natur ausbeutet – durch das Akkumulationsgesetz immer mehr und mehr. Der Kapitalismus braucht ständiges Wachstum. Durch Investitionen verursacht jede:r einzelne von 125 Milliardär:innen im Durchschnitt so viel CO2 wie eine Million Menschen aus den ärmeren 90 Prozent der Weltbevölkerung. Der Bericht von Oxfam vom Oktober 2024 zeigt, dass „fünfzig der reichsten Milliardär*innen der Welt […] durch ihre Investitionen, Privatjets und Jachten in 90 Minuten im Mittel mehr Treibhausgase als ein Mensch im weltweiten Durchschnitt in einem ganzen Leben [verursachen].“
Obwohl die Kapitalist:innen also die Verursacher:innen sind, können sie das Problem nicht lösen, selbst wenn sie es wollten. Die ökonomischen Gesetze zwingen sie, so zu handeln, wie sie es tun; ansonsten müssten sie aufhören, Kapitalist:innen zu sein. Nur wir, die Mehrheit der Menschheit, können gegen die Klimakatastrophe und ihre Folgen kämpfen, aber nicht durch Konsumverzicht oder umweltbewusstes Verhalten, da dies allein nichts an der Ursache, das heißt der kapitalistischen Warenproduktion, ändert. Stattdessen aber können wir durch Streiks das gesamte System nicht nur zum Stehen, sondern auch zum Kippen bringen. Der Klimawandel kann im Kapitalismus nicht aufgehalten oder gar umgekehrt werden. Deshalb muss der Kapitalismus abgeschafft werden – und das können wir Lohnabhängigen. Nur wir können das!
Der Kapitalismus kann es nicht, aber der Sozialismus!
Im Sozialismus wird produziert, um Bedürfnisse zu befriedigen. Es gibt keine erweiterte Warenproduktion aufgrund von Profit- und Wachstumszwang, sodass der Natur nur so viel entnommen wird, wie von selbst oder mit menschlicher Hilfe nachwachsen oder kompensiert werden kann.
Im Kapitalismus herrscht außerdem eine Überproduktion. Diese allein führt schon zu einer Verschwendung von Ressourcen, die im Sozialismus nicht mehr notwendig ist und sich durch Planung vermeiden lässt. Es müssen auch keine künstlichen Bedürfnisse durch Werbung geweckt werden, um produzierte Waren zu verkaufen, die streng genommen niemand braucht. Im Sozialismus gibt es keine zyklischen Überproduktionskrisen, die zur Vernichtung von Produkten und Produktionsmitteln und damit zur Verschwendung von Ressourcen führen.
Zum Weiterlesen empfehlen wir das KGK Magazin Nr. 21 Planwirtschaft und Sozialismus.
Die vorstehenden Punkte zeigen, dass im Sozialismus mit den natürlichen Ressourcen sparsamer und effizienter umgegangen werden kann. Auch im Sozialismus entwickeln sich die Bedürfnisse der Menschen weiter. Die Produktion bleibt nicht für immer auf einer Stufe stehen, im Gegenteil, der Fortschritt entwickelt sich auf allen Gebieten. Hier kommt ein ganz wesentlicher Vorteil des Sozialismus zum Tragen. Es gibt keine Konkurrenz und keine Klassengegensätze mehr. Damit gibt es auch keine grundsätzlichen Interessengegensätze und keine ungleiche Machtverteilung. Wissenschaftlicher Konsens kann viel schneller gesellschaftlicher Konsens werden, der sich dann auch umsetzen lässt. Probleme können ursächlich gelöst und durch vorausschauendes Handeln womöglich bereits im Vorfeld verhindert werden.
Und eben dieses Fehlen von Klassengegensätzen und Konkurrenz macht Kriege, von denen im Sozialismus niemand profitiert, sondern nur leidtragender wäre, für immer überflüssig. Hier kann der Mensch endlich Mensch sein.
Nur in einer Gesellschaft, in der die natürlichen Ressourcen und die Betriebe allen gehören, es kein Privateigentum an Produktionsmitteln gibt und die politische Macht basisdemokratisch durch Arbeiterräte ausgeübt und die Produktion gesellschaftlich geplant wird, lassen sich die Probleme der Menschheit lösen. Nur in einer solchen Gesellschaft finden Ausbeutung, Unterdrückung und Kriege ein Ende!