Israelische Koalitionsregierung: Netanjahu geht, Apartheid bleibt

04.06.2021, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Roman Yanushevsky / Shutterstock.com

Acht Parteien schließen sich zusammen, um jenseits von Netanjahu eine Regierung zu bilden. Es gibt allerdings keinen Grund, euphorisch zu sein. Weder fußt die Koalitionsregierung auf stabilen Säulen, noch garantiert sie eine Abkehr vom Apartheidsregime.

Angesichts der Ergebnisse von Parlamentswahlen am 23. März gelang es dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nicht, eine neue Regierung zu bilden. Daher musste er das Mandat an den oppositionellen Politiker Yair Lapid von der Partei Jesh Atid übergeben, der vorhatte eine breite Koalition einzurichten. So eröffnete sich nach 14 Jahren die Möglichkeit, der Netanjahu-Regierung ein Ende zu setzen. Doch die Verhandlungen zur Regierungsbildung wurden verschoben, da Netanjahu eine militärische Offensive gegen die palästinensische Bevölkerung angezettelt und einen Ausnahmezustand ausgerufen hatte. Nachdem der Krieg beendet wurde, kehrte die politische Landschaft in Israel zu ihrer ursprünglichen Aufgabe zurück: der Bildung einer Anti-Netanjahu-Koalition.

Die Zusammensetzung der zionistischen Koalitionsregierung…

Am Mittwoch, kurz vor dem Ablauf der vorgesehenen Frist für die Regierungsbildung, teilte der Oppositionsführer Yair Lapid dem israelischen Staatspräsidenten mit, eine Einigung unter acht Parteien erzielt zu haben. Dazu gehören Jesh Atid, Jamina, Yisrael Beitenu, Kachol Lavan (Blau-Weiß), Tikwa Chadascha (Neue Hoffnung), Meretz, Awoda und die Vereinigte Arabische Liste (Ra’am). Alle israelischen Parteien stehen geschlossen hinter dem Zionismus – nur der Grad der Aggression unterscheidet sich. Der neoliberale Yair Lapid beansprucht die Beibehaltung der Gebiete, die im Zuge der Siedlungspolitik besetzt wurden. Er und seine Partei lehnen das Rückkehrrecht von palästinensischen Geflüchteten ab und wollen Palästina entwaffnen, während in Israel die Wehrpflicht ausgeweitet und Rüstungsindustrie ausgebaut werden sollte.

Die ultrarechte Jamina-Partei befindet sich unter der Führung von Naftali Bennett, dem ehemaligen Verteidigungsminister unter Netanjahu. Er ist Multi-Millionär, Ex-Offizier und ehemaliger Vorsitzender der siedlerkolonialistischen Organisation Jescha-Rat. Er lehnt den palästinensischen Staat kategorisch ab, verteidigt die Annexion von Westjordanland und ist sogar rechter als Netanjahu zu verorten. Seine Partei Jamina gewann 7 Sitze bei den Wahlen im März. Obwohl sie im Parlament nur einen geringen Anteil besitzt, wurde sie zu einem Schlüsselfaktor bei den Verhandlungen zur Regierungsbildung. So wird Bennett die nächsten zwei Jahre das Amt des Ministerpräsidenten innehaben.

Während die deutschen Medien davon sprechen, dass eine arabische Partei zum ersten Mal in der Geschichte Israels einer Regierung beitreten wird, muss diese Information relativiert werden. Die Unterstützung von Ra’am für die Koalitionsregierung geschieht vor dem Hintergrund, dass sie politisch in die israelische Politik integriert ist. Schon unter der Netanjahu-Regierung bekam Mansour Abbas einen Posten in einem Sonderausschuss für Angelegenheiten der arabischen Gesellschaft. In der neuen Koalitionsregierung soll Ra’am zwar keinen Ministerposten bekommen, aber dafür Sitze in Ausschüssen. Selbst die Hauptforderung, die Abschaffung des sogenannten Kaminitz-Gesetzes über den Abriss arabischer Bauten in Israel wurde verwässert, sodass am Ende nur das Einfrieren des Gesetzes auf die nächsten zwei Jahre herausgekommen ist. Umso problematischer ist die Unterstützung der Vereinigten Arabischen Liste für die zionistische Koalitionsregierung, die eine politische Kapitulation bedeutet.

Avigdor Lieberman von der Partei Yisrael Beitenu bekommt das Finanzministerium. Er ist dafür bekannt, die Hinrichtung arabischer Mitglieder des israelischen Parlaments vorgeschlagen zu haben. Er unterstützt die Siedlungsbewegung und wohnt selber in einer Siedlung. Er war vorher Verteidigungsminister und kündigte im Jahr 2018 seinen Rücktritt aus der Koalitionsregierung unter der Führung Netanjahus an. Der Grund dafür war nicht die Solidarität gegenüber den Palästinenser:innen. Im Gegenteil warf er Netanjahu “eine Kapitulation vor dem Terrorismus” vor, da seiner Meinung nach die Akzeptierung des Waffenstillstands ein Verbrechen darstellen würde.

… fußt auf fragilen Säulen

Es ist offensichtlich, dass die Korruptionsskandale und das diktatorische Regime die Gegner:innen von Netanjahu dazu veranlasst haben, die “Souveränität Israels” wiederherzustellen. Netanjahu erlebte in seiner Legislaturperiode große Proteste. Seine Absetzung konnte daher den Konsens eines breiten Spektrum herstellen, zurück zur “Normalität” zu kehren.

Die Abwahl von Netanjahu und die Bildung einer breiten Koalition aus zionistisch-bürgerlichen Kräften, sowie der Druck zu Friedensverhandlungen schaffen einen Druck zur Normalisierung, lösen jedoch nicht die grundlegenden Widersprüche der Besatzung und Unterdrückung.

Selbst auf der elektoralen Ebene scheint die Regierungsbildung vor großen Hürden zu stehen: Die acht Parteien kommen zusammen auf 62 Stimmen. Für die Mehrheit braucht es 61 Mandate. Es ist also ein ziemlich wackliges Bündnis. Die Regierung unter Naftali Bennett wird einer offensiven Opposition von ultrarechten Kräften ausgesetzt. Jetzt schon versucht Netanjahu seine Basis gegen die geplante Koalitionsregierung zu mobilisieren, um die rechten Parteien aus dem Bündnis zurückzudrängen. Es ist daher zu erwarten, dass Bennett den bisherigen rechten Kurs fortsetzen wird, um seine Basis nicht an Netanjahus Likud-Partei zu verlieren.

Das bestmögliche Szenario für die der Koalitionsregierung besteht darin, dass die Parteien sich dazu verpflichten, den Status Quo in heiklen Themen beizubehalten. Dazu gehört vor allem die militärische Besetzung und Belagerung von Gaza und Westjordanland.

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