Israelische Gefängnisse sind Folterlager

14.08.2024, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Aufnahmen von Physicians for Human Rights / Creative Commons

Ein Video zeigte die Vergewaltigung eines palästinensischen Gefangenen in einem israelischen Gefängnis. Was aussieht wie ein „Einzelfall“, ist aber eine lange Tradition im israelischen Gefängnissystem.

Ende Juli hat der israelische Kanal12 ein grausames Video veröffentlicht, bei dem zu sehen ist, wie neun israelische Soldaten einen Palästinenser im Gefängnis Sde Teiman vergewaltigen. Dies passierte vor einem Dutzend anderer Gefangenen, die das Geschehen sehen und verstehen konnten. Gleichzeitig schirmten andere Soldaten und Wärter das Geschehen vor den Kameras mit Schilden ab.

Proteste gegen die Festnahmen

Nach der Festnahme der neun Soldaten demonstrierten extrem rechte Siedler:innen gegen ihre Inhaftierung vor dem Gefangenenlager und dem Militärstützpunkt, zu dem diese gebracht wurden. Die Solidarität geht von hunderten israelischen Demonstrant:innen bis hin zu Minister:innen und Abgeordneten, die sich mit den Soldaten solidarisieren. Festnahmen gab es keine, obwohl viele der Protestierenden Reservisten im aktiven Dienst waren und ihre Waffen zeigten. Zudem waren viele Regierungsvertreter:innen nicht nur anwesend, sondern maßgeblich an der Aktion beteiligt. 

Auch im Knesset, dem israelischen Parlament, wurde die Legitimität der Vergewaltigungs- und Foltervorwürfen diskutiert. Darauf antwortete Hanoch Milwidsky, Mitglied der Regierungspartei: „Wenn es Terroristen sind, ist alles erlaubt“. Seine Meinung blieb unwidersprochen und auch andere Minister sprachen sich für die IDF-Soldaten aus. Die Soldaten sind bereits wieder frei. 

Gleichzeitig wurde vor etwa genau einem Jahr ein rassistisches Sexualstrafgesetz im Knesset verabschiedet, welches die härtere Bestrafung von sexualisierter Gewalt durch Araber:innen an Juden:Jüdinnen beinhaltet. Ziel sei es angeblich, Sexualdelikte, die eine „nationalistische Grundlage“ hätten, bis hin zum doppelten Strafmaß strenger zu bestrafen. Auch wenn nicht klar von arabischen Menschen gesprochen wurde, so ist durch die  Bemerkungen der Initiator:innen doch klar, auf wen die Reform abzielt. Als mögliche Beispiele wurden so unter anderem Delikte, die durch arabische, insbesondere Palästinenser:innen im Westjordanland, begangen wurden, aufgezählt. Das ist kein Schritt zur Gerechtigkeit für (israelische) Opfer von Sexualstraftaten, sondern die schlichte politische Instrumentalisierung von sexualisierter Gewalt, um eine noch repressivere Politik gegen Palästinenser:innen aufgrund ihrer Ethnie zu rechtfertigen. 

Aktuelle Lage in israelischen Gefängnissen

Zugleich werden der Großteil der über 9.000 Palästinenser:innen in israelischen Gefängnissen ohne Gerichtsverfahren festgehalten. Bedienstete der israelischen Sicherheitsbehörde (ISA), israelische Verteidigungsstreitkräfte (IDF) und andere Staatsbedienstete haben Palästinenser:innen, die der Beteiligung an Verbrechen gegen die nationale Sicherheit verdächtigt werden, systematisch gefoltert und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ausgesetzt. Die Haftbedingungen sind kaum erträglich, Palästinenser:innen berichten über sexualisierte Gewalt, gezieltes Aushungern, Schlafentzug und vielen weiteren brutalen und dehumanisierenden Maßnahmen. Sie nehmen Palästinenser.innen teilweise wahllos fest; der Großteil ist ohne Anklage inhaftiert. Nachdem ihnen die Augen verbunden und sie beim Verhör vor Ort misshandelt werden, werden sie rechtswidrig in Haftanstalten außerhalb der palästinensischen Gebiete deportiert. Während dieser Verhöre, die euphemistisch als „militärische Verhöre“ bezeichnet werden, werden die palästinensischen Gefangenen den grausamsten Foltermethoden der israelischen Sicherheitskräfte ausgesetzt. 

Dabei muss man die Art und Weise der sexualisierten Gewalt und Misshandlungen in einem breiteren Rahmen der von den israelischen Behörden verübten Folter verstehen, die seit Jahrzehnten verübt wird und unter dem Begriff der „Folter“ versteckt werden. Das Archiv des Public Committee Against Torture in Israel (PCATI) enthält Tausende von Zeug:innenaussagen von Israelis, Palästinenser:innen, Arbeitsmigrant:innen und weiteren, über Anschuldigungen der Folter und Misshandlungen durch israelische Sicherheitsbehörden, die durch eidesstaatliche Erklärungen und möglichst vollständigen Zeug:innenaussagen versichert werden. Dabei waren die Täter:innen vor allem Soldat:innen und Grenzpolizist:innen, Geheimdienstmitarbeiter:innen, Polizei- oder Gefängnisbeamt:innen. In keinem der behandelten Fälle kam es zu einer Verurteilung. Dabei sind die Täter, die an der Folter und den Misshandlungen beteiligt sind auch diejenigen, die direkt mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in Israel befasst sind.

Systematik der Folter

Die genannten Berichte sind jedoch keine Einzelfälle. Die Systematik der Folter und Vergewaltigungen zeigt ein B’Tselem-Bericht mit Zeug:innenaussagen von 55 Häftlingen aus zivilen und militärischen Hafteinrichtungen. 30 davon leben im Westjordanland oder Jerusalem, 21 in Gaza und vier sind israelische Staatsbürger:innen. Die Aussagen ähneln sich so sehr, dass man bereits von organisierter und angeordneter Politik in israelischen Gefängnissen sprechen könne. 

Im Bericht werden systematische und institutionalisierte Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, unter anderem, dass es in israelischen Gefängnissen zu willkürlicher und schwerer Gewalt, sexuellen Übergriffen und Erniedrigungen kommt. Zudem berichten sie von einem Verbot und der Bestrafung religiöser Handlungen, Aushungern, Schlafentzug und vielem mehr. In weniger als zehn Monaten führte diese Politik zum Tod von mindestens 60 Palästinenser:innen. Meist geschieht dies hinter den Gefängnismauern, aber in einigen wenigen Fällen werden Folteropfer auch in israelische Notaufnahmen gebracht oder lassen ihre Erfahrungen vom PCATI dokumentieren. Besonders unter Ben-Gvir, extrem rechter Minister für nationale Sicherheit, welcher die israelischen Soldaten öffentlich verteidigt, wurde diese Politik noch verstärkt.

Das israelische Inhaftierungsprojekt 

Diese Politik begann jedoch nicht erst mit dem 7. Oktober oder der Einstellung von Ben-Gvir als Minister. Nach verschiedenen Schätzungen hat Israel seit 1967 über 800.000 Palästinenser:innen aus dem Westjordanland (einschließlich Ost-Jerusalem) und dem Gazastreifen inhaftiert, welches gesamt etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung und etwa 40 Prozent der palästinensischen Männer ausmacht. Israelische Gefängnisse sind zentraler Bestandteil der palästinensischen Erfahrung. Es gibt kaum eine Familie, in der nicht mindestens ein Familienmitglied das israelische Gefängnissystem durchlaufen hat. 

Dabei werden Palästinenser:innen als „menschliche Tiere“ oder „Terrorist:innen“ bezeichnet und dementsprechend behandelt. So werden der Missbrauch, die Entwürdigung und Verletzung von Rechten für das israelische System legitim. Es ist nicht nur eine demütigende Botschaft oder „Kriegsbeute“ für Israel, sondern eine aktive Machtausübung und Dehumanisierung und spielt eine Schlüsselrolle bei der sozialen und politischen Unterdrückung von Palästinenser:innen. 

Das israelische Gefängnissystem ist eines der gewalttätigsten und repressivsten staatlichen Maßnahmen des Regimes und erzeugt ein System der Kontrolle und Unterdrückung, in dem Palästinenser:innen routinemäßig entmenschlicht, missbraucht und gefoltert werden. Sie soll klarmachen, dass Israel jeden Versuch, sich der israelischen Apartheid zu widersetzen, mit Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, dafür mit Gewalt und Folter beantworten kann. 

Es ist eine systematische Planung von Verhaftungen, Deportationen und Folter, die nur ein kleiner Teil der brutalen Realität in israelischen Haftanstalten darstellen, die über Jahrzehnte hinweg stattfinden.

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