Israel: Die Pläne zur Annexion sind ein kriegerischer Akt

01.07.2020, Lesezeit 7 Min.
Übersetzung:
1

Heute, am 1. Juli, will Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sein "Versprechen" einlösen, Teile des Westjordanlands zu annektieren, ermutigt von Donald Trump. Während die zionistischen Siedler*innen mehr Rechte bekommen sollen, werden die Palästinenser*innen in kleinen segregierten "Inseln" eingesperrt bleiben.

Die Annexion von Teilen des Westjordanlands war während des gesamten vergangenen Wahlkampfjahres – in dem die Israelis dreimal an die Urnen gingen – Netanjahus kleines Schlachtross. Auf diese Weise festigte er seine rechte Basis und auch die der extremen Rechten, wie die Siedler*innen, die die Siedlungen im Westjordanland bewohnen.

Netanjahus Annexionsplan ist praktisch eine Kopie des Planes, den er im Januar diesen Jahres gemeinsam mit Donald Trump vorlegte. Zynisch nannte der US-Präsident es damals einen „Friedensplan für die Palästinenser“ oder „das Abkommen des Jahrhunderts“.

Die andere Seite, die Palästinenser*innen, waren dabei nicht einmal Zaungäste.

Dieser Plan, oder besser gesagt der völlige Diebstahl palästinensischen Territoriums, besteht (in seinen Maximalzielen) darin, 30 Prozent des Westjordanlandes zu annektieren, insbesondere das Gebiet des Jordantals, das an Jordanien grenzt und eines der fruchtbarsten Gebiete in dieser Region ist. Dabei werden die israelisch bewohnten Siedlungen in die israelischen Grenzen mit einbezogen – sowohl diejenigen, die als legal gelten, als auch diejenigen, die selbst von der israelischen Justiz als illegal betrachtet werden.

Dabei handelt es sich um die Siedlungen im Gebiet C, wie es im Osloer Abkommen heißt, das vollständig von Israel verwaltet und militarisiert ist und 66 Prozent des Territoriums der Westbank umfasst. Die anderen Gebiete sind Gebiet A (verwaltet von der Palästinensischen Autonomiebehörde – PA – und mit eigener Polizei) und Gebiet B (verwaltet von der PA, aber militärisch kontrolliert durch die israelische Armee).

Dies bedeutet, dass die segregierten Gebiete ohne jede territoriale Verbindung zwischen ihnen zu einem dauerhaften Status würden – ähnlich den „Bantustanen“ in Südafrika während der Apartheid, in denen die nicht-weiße Bevölkerung des Landes segregiert leben musste.

Es handelt sich um ein neues Niveau im Diebstahl von Territorien des palästinensischen Volkes, ein neuer kriegerischer Akt, den der israelische zionistische Staat in der Person des ultrarechten Benjamin Netanjahu durchführen will.

Der Premierminister ist aktuell Teil einer Koalition, zu der auch die Mitte-Rechts-Partei Kahol Lavan (Blau-Weiß) mit Benjamin Gantz an der Spitze gehört, die wegen der innenpolitischen Krise eilig gegründet wurde. Diese Krise hatte zu drei Wahlen in weniger als einem Jahr geführt, weil kein einziger Kandidat genügend Stimmen erhalten hatte, um mit der Regierungsbildung im Parlament (Knesset) betraut zu werden.

Netanjahu, der seit mehr als 13 Jahren an der Macht ist, wird außerdem dreier Straftaten im Zusammenhang mit Korruption beschuldigt: Bestechung, Betrug und Vertrauensmissbrauch. Dadurch hat er sein persönliches und familiäres Vermögen vergrößert und gleichzeitig einen Großteil der Macht auf sich konzentriert.

Aber das ist nicht alles, was den Mann charakterisiert, der – nun in einer Koalition – die Hebel des zionistischen Staates führt. Der ehemalige Leiter der Eliteeinheit der so genannten „Israelischen Verteidigungskräfte“ – zu deren Spezialitäten der militärischen Nachrichtendienst und die „Terrorismusbekämpfung“ gehörte – nahm an vielen Militäreinsätzen teil, um in palästinensisches Gebiet einzudringen und mehr Land zu stehlen, sei es durch die Ermordung von Teilen der einheimischen Bevölkerung oder deren Vertreibung in Geflüchtetenlager in arabischen Ländern, die an das Westjordanland angrenzen, oder im Westjordanland selbst.

Wegen vieler dieser militärischen Übergriffe war die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs im Dezember letzten Jahres der Ansicht, dass es genügend Beweise gibt, um den Staat Israel der Kriegsverbrechen zu beschuldigen.

Niemand weiß mit Sicherheit, wie der Annexionsplan aussieht, den die israelische Regierung vorlegen wird. Netanjahus politischer Partner Gantz – der zugleich sein Rivale ist, wenn es um die Erhaltung seiner politischen Karriere geht – zögert jedoch. Zugleich gibt es wachsenden Widerstand der großen imperialistischen Staaten Europas gegen diesen Plan (nicht aus humanitären Gründen, sondern wegen ihrer Geschäftsinteressen in der Region und vor allem wegen der Befürchtung, dass das Gebiet zu einem Pulverfass werden könnte). Das könnte Netanjahu dazu veranlassen, Gantz einen Plan mit einer „symbolischen Annexion“ vorzulegen. Eine Hintertür, falls das Maximalziel undurchführbar ist.

Auch die arabischen Länder der Region erhoben ihre Stimme, um sich gegen die Annexion auszusprechen

Am entschlossensten, Netanjahu zu bremsen, ist König Abdullah II. von Jordanien, der darauf besteht, dass „jede einseitige israelische Aktion zur Annexion von Land im Westjordanland inakzeptabel ist und die Aussichten auf Frieden und Stabilität in der Region untergräbt“. Er setzt auf diplomatische Verhandlungen (die für die Palästinenser*innen nie wirklich funktioniert haben).

In Jordanien lebt die größte palästinensische Bevölkerung, durch den zionistischen Vormarsch in Geflüchtetenlager gezwungen. Mehr als 2 Millionen Palästinenser*innen leben in diesem Land, und im Libanon (einem weiteren arabischen Land an der Grenze zu Israel) sind es mehr als eine halbe Million.

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, schlug den Bruch aller mit Israel unterzeichneten Abkommen von Oslo bis heute vor.

Ein Aufstand der Palästinenser*innen in diesen Ländern – vereint mit den Palästinenser*innen im Westjordanland und im Gazastreifen und mit der Möglichkeit, dass sich die arabischen Massen der Region anschließen – könnte die Solidarität der wachsenden Bewegung gegen Rassismus und gegen die staatliche Gewalt wecken, die in vielen imperialistischen Ländern stattfindet. Dies ist der schlimmste Alptraum nicht nur für Israel, sondern auch für die arabischen Bourgeoisien selbst, ganz zu schweigen von den Regierungen der zentralen Länder.

Das ist der Hauptgrund, zusätzlich zur Opposition eines bedeutenden Teils der israelischen Bevölkerung selbst, warum der derzeitige Verteidigungsminister – Gantz –, der in die Position des Premierministers rotieren wird, in diesen Tagen zögert. In dieser Woche hat er bereits erklärt, dass der 1. Juli „kein heiliges Datum“ ist.

Zudem hat Israel von den USA noch kein grünes Licht für konkrete Schritte erhalten. Obwohl Trump sein „Abkommen des Jahrhunderts“ ausgearbeitet hat, führen die innenpolitische Krise in den USA aufgrund der Pandemie und die Opposition der Demokratischen Partei dazu, dass die Hinterzimmerverhandlungen zwischen der US-amerikanischen zionistischen Lobby, der Republikanischen Partei und der israelischen Führung in diesen Tagen nicht vorankommen.

An dieser Stelle müssen wir uns auch erinnern, dass es die Demokratische Partei selbst war, die während der Präsidentschaft Obamas eine substanzielle Erhöhung der Haushaltsmittel für den Staat Israel bewilligte, mit dem Ziel, seinen zionistischen Partner im Nahen Osten weiterhin bis an die Zähne zu bewaffnen.

Darüber hinaus war einer der Ideologen der Erhöhung dieser „Hilfe“ des US-Imperialismus für Israel Joe Biden selbst, der jetzt demokratischer Präsidentschaftskandidat ist. Die USA haben der Regionalmacht über einen Zeitraum von 10 Jahren 38 Milliarden Dollar an Hilfe zugesagt.

Währenddessen beschuldige Netanjahu den Iran, Atomwaffen zu besitzen, schwieg aber darüber, dass Israel selbst Atomwaffen besitzt. Die westlichen und christlichen Mächte schweigen dazu.

Dieser Mittwoch ist „D-Day“, aber wahrscheinlich muss die „neue“ israelische Regierung mit ihrem Plan eines erneuten Kriegsaktes gegen das palästinensische Volk zurückrudern. Denn dazu wird sie wahrscheinlich die internationale Ablehnung, die Furcht vor dem Klassenkampf in der Region und die innenpolitischen Krise zwingen, die den Staat Israel in Mitleidenschaft zieht, zu der noch eine beginnende Wirtschaftskrise aufgrund der Pandemie hinzukommt (Israel erlitt einen zweiten Ausbruch des Coronavirus).

Dieser Artikel erschien zuerst auf Spanisch bei La Izquierda Diario.

Mehr zum Thema