Irland: sexualisierte Gewalt und patriarchale Justiz
Letzte Woche wurde in Irland ein 27-jähriger Mann vor Gericht freigesprochen, nachdem ihm die Vergewaltigung einer 17-jährigen vorgeworfen wurde. Laut Staatsanwaltschaft war eindeutig, dass die Frau keinem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zugestimmt habe. Wie sehen die aktuellen Kämpfe gegen Victim Blaming (dt.: Opferdiskriminierung) aus? Und wie beurteilen wir sie als sozialistische Frauenorganisation?
„Ihre Unterwäsche besteht aus Spitze“
Der beschriebene Fall stellt ganz klar ein Extrem in der Verharmlosung von sexualisierter Gewalt dar. Gleichzeitig ist er ein Paradebeispiel für die Ursache, warum so viele Menschen – und am meisten sind Frauen betroffen – Vergewaltigungen nicht zur Anzeige bringen: Victim Blaming. Allein dieses Jahr wurden mehrere Fälle international bekannt, wie z.B. der des jetzigen US-Richter am Supreme Court of Justice Brett Kavanaugh, der wegen sexueller Belästigung in seiner Jugend vor seiner Ernennung, die von Trump trotz der Vorwürfe durchgedrückt wurde, angeklagt war. Und dahinter steht eine unbekannt hohe Dunkelziffer von nie öffentlich gewordenen Gewaltverbrechen, weil die Angst vor Verharmlosung, Schuldzuweisung, ökonomischen Sorgen und ein Schamgefühl übermächtig sind.
Bei dem Prozess letzte Woche in der irischen Stadt Cork, argumentierte die Anwältin Elizabeth O’Connell, die den angeklagten Mann juristisch vertrat:„Sei es ausgeschlossen, dass die 17-jährige sich zum Angeklagten hingezogen fühlte, offen dafür war, jemanden zu treffen und mit jemandem zu sein? Schauen Sie sich an, wie sie gekleidet war. Sie trug einen Tanga mit einer Vorderseite aus Spitze.“, und verhalf dem Täter damit zum Freispruch. Ihre frauenfeindliche Schuldzuweisung löste eine internationale Reaktion in den Social Media von hunderten Frauen aus. Diese posteten daraufhin Bilder ihrer Unterwäsche verschiedener Formen und Farben unter dem Hashtag #thisisnotconsent (dt.: Das ist keine Zustimmung).
Die Proteste drangen bis in das Parlament vor, wo die Abgeordnete der Socialist Party Ruth Coppinger selbst mit dem Zeigen von einem Thong Aufmerksamkeit erregte und ein schärferes Vorgehen gegen Victim Blaming und spezielle Trainings für Polizei und Jurist*innen forderte.
In den folgenden Tagen fanden in mehreren Städten Proteste auf den Straßen statt, organisiert von der sozialistisch-feministischen Gruppe Rosa. In Cork legten 200 Frauen Unterwäsche auf die Stufen des Gerichtsgebäudes.
Internationale Solidarität – wer ist daran beteiligt?
Irland, ein stark kirchlich – patriarchal geprägter Staat, ist seit den erfolgreichen Kämpfen zur Legalisierung von Abtreibung offensichtlich gestärkt: Die Proteste der Frauengruppierungen bleiben laut, ihre Forderungen richten sich gegen die staatliche Repression und die patriarchale Unterdrückung. Weltweit demonstrieren Millionen von Frauen gegen die Illegalisierung von Abtreibung und es findet zumindest in einigen westlichen Staaten eine zunehmende Thematisierung frauenfeindlichen Zuständen und Gesetzen statt. Der Rahmen dieser ist oft jedoch beschränkt und lässt sich gut mit dem Ausdruck „White Feminism“ beschreiben.
Das Erringen von Erfolgen, das Sichtbarmachen von Missständen, die Fusion der Massen und verschiedenen Gruppen sind wichtige aktuelle Entwicklungen. Doch wohin führen sie? Social Media bietet die Möglichkeit, viele Menschen zu erreichen und zu informieren. Internationale Solidarität wird vermehrt verbal zum Ausdruck gebracht. Doch was ist mit all den Millionen Fällen von sexueller Gewalt, körperlicher Ausbeutung und sogar Feminiziden, die keinen Hashtag bekommen haben? Was ist mit den Frauen, die keine Selfies von sich im „Girls support Girls“-T-Shirt posten, um sich stärker fühlen zu können, weil sie ebendiesen selbst für einen Hungerlohn nähen müssen?
Antikapitalistischer Feminismus kennt keine Grenzen in seiner Solidarität
Der Kapitalismus hat seine Grenzen des Reformierbaren – von einem System, das von der Ausbeutung und Unterdrückung Milliarden von Menschen profitiert, ist keine Gerechtigkeit zu erwarten. Jährlich werden weltweit 1,5 – 3 Millionen Mädchen und Frauen Opfer sexistischer Gewalt, während die kapitalistischen Staaten offenbar verantwortungslos danebenstehen. Es fliehen täglich unzählige Frauen vor genau diesen Lebensumständen – in Systeme, die ihnen keine Sicherheit garantieren können, da ihre Haltungen immer der aktuellen wirtschaftlichen Lage und der politischen Führung unterliegen.
Die einzige staatliche Maßnahme, die auf Proteste gegen sexualisierte Gewalt durchgeführt werden, ist die Ausweitung des Strafapparates, was Gewalterfahrungen verstärkt zu individuellen Problemen gemacht und Macht und Einfluss von Regierungen vergrößert. Ein Rückgang der Fälle sexualisierter Gewalt wird auf diese Politik hin nirgendwo weltweit verzeichnet. Ein System, was auf Gewalt und Unterdrückung aufgebaut ist, wird sich niemals wirklich gegen sexualisierte Gewalt stellen können. Denn diese Gewalt ist notwendig, um Frauen ihre Selbstbestimmung abzusprechen, damit sie sich schwerer gegen Unterdrückung wehren können.
Es ist ein sehr mühsamer Schritt, die voranschreitende Individualisierung eines Massenproblems rückgängig zu machen – kurzum die ‚Erfolge‘ des neoliberalen Feminismus nach den Zersplitterungen der Massenbewegungen der 60-er und 70-er Jahre. Wie in unserem Manifest der internationalen Frauenorganisation Pan Y Rosas steht:
Nur ein Feminismus, der sich vornimmt, eine politische Massenbewegung zu werden, die den Kampf für mehr Rechte und demokratische Freiheiten mit der Anklage dieses Regimes von Ausbeutung und Elend verbindet, kann wirklich emanzipatorisch sein – und auch das nur mit dem Ziel, den Kapitalismus zu stürzen.
Jede Reform, die das Leben für eine möglichst große Anzahl Unterdrückter verbessert, ist definitiv ein Erfolg. Und diese können und müssen auch im Rahmen eines kapitalistischen Systems erreicht werden. Aber wir müssen uns dadurch bestärkt fühlen, unseren Blick erweitern, die Kämpfe unserer Klasse zusammenführen – nur dann können wir auch tatsächlich eine Welt schaffen in der Frauen selbstbestimmt und gleichberechtigt leben können, anstatt eine weiße Minderheit zu sein, die sich in einigen vermeintlichen „safe spaces“ bewegen kann.