Irland: Fast 40.000 Pfleger*innen und Hebammen im Streik

31.01.2019, Lesezeit 5 Min.
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Am Mittwoch erlebte Irland den größten Streik in der Geschichte des Gesundheitssektors für höhere Löhne und mehr Personal. Die Regierung droht indes unverhohlen mit Geldstrafen für Streikende und nutzt den Brexit als Vorwand, um Lohnerhöhungen zu verweigern.

Ich bin eine billige Arbeitskraft. Ich mache jeden Tag die Arbeit von zwei Pfleger*innen alleine. Ich kümmere mich um wütende und verstörte Patient*innen, weil ich ihnen, viel öfter als mir lieb ist, erzählen muss, dass ihre Sprechstunde abgesagt wurde, weil es keine Betten mehr gibt. Das Management des Krankenhauses kommt nicht einmal in die Nähe dieser Patient*innen! Das bin ich! Ich setze mich ihrem Ärger, ihren Tränen und ihrer Frustration aus. Das hat seinen Tribut gefordert. Ich hab genug davon, die Zustände unseres Gesundheitssystem zu rechtfertigen und mich bei kranken, verängstigten Menschen dafür zu entschuldigen, dass das Krankenhaus ihre Sprechstunde abgesagt hat, weil ich keine Kontrolle darüber habe. Es gibt nicht genug Betten, es gibt nicht genug Pfleger*innen. Ich bin hilflos dabei ihnen zu helfen. Genug ist genug.

Das ist nur ein Erfahrungsbericht einer Pflegerin, der anonym in der Irish Times veröffentlicht wurde. In dem Beitrag finden sich viele weitere Berichte, in denen die Beschäftigten die desolaten Zustände in irischen Krankenhäusern anprangern. Seit der Krise 2008 und den brutalen Spardiktaten der Troika wurde Personal abgebaut, die Reallöhne sind gesunken. Viele junge Pfleger*innen haben deshalb das Land verlassen. Der so genannte Musterschüler Irland, wie das Land von EU-Verantwortlichen gerne genannt wurde, hat sich diesen Namen teuer auf dem Rücken der Beschäftigten, der Jugend und der Frauen erkauft.

Doch der Geduldsfaden von zehntausenden Pfleger*innen und Hebammen ist nun scheinbar am Ende. Im Dezember stimmte eine überwältige Mehrheit der Mitglieder der Gewerkschaft irischer Pfleger*innen und Hebammen (INMO) für mehrere Streiktage im Januar und Februar. Der erste Aktionstag fand am Mittwoch statt, fünf weitere folgen in den nächsten zwei Wochen. Der Arbeitskampf ist dabei nicht nur ein gewerkschaftlicher Kampf, sondern vor allem ein Frauenkampf. Aus der ganzen Welt haben sich Exil-Ir*innen mit den Streiks solidarisiert.

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Denn auch in Irland werden Berufe, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden, schlechter bezahlt als die der Männer. Der Personalmangel treibt die Beschäftigten dort immer wieder an ihre Grenzen. Der Anteil an Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, ist in Irland gerade in der Jugend seit 2008 in die Höhe geschossen. Der große Einfluss der katholischen Kirche im irischen Staat und in Krankenhäusern verhindert zudem weitgehend, dass das Thema in der Öffentlichkeit debattiert wird und entsprechende Programme zur Unterstützung psychisch Erkrankter finanziert werden.

Regierung schiebt Brexit vor und droht mit Geldstrafen

Schon vor Mittwoch hat die Regierung versucht, den Streik gerichtlich verbieten zu lassen, jedoch ohne Erfolg. Doch die Drohungen gegen die Streikenden gehen weiter. Der irische Gesundheitsminister Simon Harris hat öffentlich mit Geldstrafen für Streikende gedroht.

Zudem schwebt über alledem der Brexit und die möglichen Folgen eines ungeregelten Ausstiegs des Vereinigten Königreichs aus der EU. Folgen, die auch die irische Wirtschaft betreffen würden, ist Großbritannien doch der wichtigste Handelspartner für Irland. Diesen Umstand nutzt die Regierung, um die Forderungen der Gewerkschaft zurückzuweisen. Der irische Premierminister Leo Varadkar sagte dazu: „Ich bin der Premierminister des ganzes Landes. Wir werden sehr viel Geld brauchen, um Jobs zu retten.“ Er schiebt damit einerseits den Brexit als Vorwand vor und versucht andererseits, die gesamte Arbeiter*innenklasse in Irland zu spalten. Nach dem Motto: Wenn wir euch mehr geben, ist für andere weniger da. Um die Drohkulisse zu verstärken, hat das Finanzministerium am selben Tag vorgerechnet, dass der Brexit bis 2023 55.000 Jobs kosten könnte. Doch die Solidarisierung mit den Krankenhausstreiks ist enorm. Selbst Patient*innen, die davon betroffen sind, äußerten sich positiv über den Arbeitskampf.


Frauen in Dundalk lassen sich von der Regierung nicht beeindrucken

 

Der Streik ist richtungsweisend für die Beschäftigten in Irland und Großbritannien. Denn einerseits wendet er sich gegen die miesen Zustände, für die die EU und die Troika durch ihre Spardiktate die Verantwortung tragen. Andererseits nehmen es die Kolleg*innen auch nicht einfach so hin, dass die Folgen des Brexits auf sie abgewälzt werden. Was es braucht, ist eine klassenkämpferische Perspektive im Sinne der Arbeiter*innen in Großbritannien und Irland, die verhindert, dass Unternehmen einfach vor dem Brexit fliehen und Massen auf die Straßen gesetzt werden. Dafür sind Massenstreiks und Mobilisierungen gegen die Regierung wie aktuell in den Krankenhäusern notwendig.

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