#Iranprotests: Ist das Islamische Regime am Ende?

03.01.2018, Lesezeit 10 Min.
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Iranian students protest at the University of Tehran during a demonstration driven by anger over economic problems, in the capital Tehran on December 30, 2017. Students protested in a third day of demonstrations sparked by anger over Iran's economic problems, videos on social media showed, but were outnumbered by counter-demonstrators. / AFP PHOTO / STR

Die Proteste gegen die Islamische Republik im Iran haben einen Massencharakter angenommen. Diese Demonstrationen sind ein Funken Hoffnung für die Arbeiter*innen und unterdrückten Völker im Nahen Osten. Was erwartet die iranische Regierung?

„Das Volk bettelt – Khamenei herrscht wie Gott“, „Tod dem Rohani“, „Tod dem Diktator“ sind die Forderungen, die auf den Straßen und Plätzen im ganzen Land zu hören sind. Ausgehend von Demonstrationen am vergangenen Donnerstag in der zweitgrößten iranischen Stadt Maschhad gegen hohe Preise, Arbeitslosigkeit und Korruption der Regierung hat sich eine Protestbewegung herauskristallisiert, die mittlerweile mit politischen Losungen das Mullah-Regime offen konfrontiert.

Für ein Land, in dem Oppositionelle mit Folter und Todesstrafe rechnen müssen, sind diese Szenen sehr heroisch. Die Reaktion des Staates darauf ist besonders repressiv: Schon in ersten Tagen kam es zu über 20 Toten und 1000 Festnahmen.

Eine Rebellion ohne Führung 

Seit den letzten Massenprotesten im Jahr 2009 anlässlich der umstrittenen Wiederwahl des ehemaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad erlebt der Iran heute seine größte innenpolitische Krise. Die Bewegung war damals in der Lage, drei Million Menschen in die Hauptstadt Teheran zu mobilisieren. Die Millionenmetropole war der Entstehungs- und Versammlungsort der „Grünen Bewegung“. Doch die pazifistische und bürgerliche Führung hat damals die Massen zur Niederlage geführt, weil sie ihre Forderung letztlich nur auf Neuwahlen und demokratische Freiheiten der kleinbürgerlichen und bürgerlichen Klassen beschränkte. Sie war jedoch nicht bereit, die ökonomischen und demokratischen Forderungen der Massen zu erfüllen. Die Bewegung hatte im Großen und Ganzen einen kleinbürgerlichen Charakter.

Heute gehen die Proteste von den verarmten Arbeiter*innenvierteln „Haschyeneshin“ aus.  Der Ruf nach „Nan, Kar, Azadi“ (Brot, Arbeit, Freiheit) erhallte innerhalb weniger Tage über das ganze Land. Die Ausgangsstadt der diesjährigen Proteste ist jedoch eine Hochburg der Konservativen, Maschhad im Osten des Irans. Von den neoliberalen Angriffe der Regierung waren die Armenviertel besonders betroffen: Unter den miserablen Bedingungen der Arbeitslosigkeit, der Kriminalisierung und Überausbeutung der Lohnarbeiter*innen haben die neuen ökonomischen Maßnahmen des Präsidenten Rohani hohe Wellen geschlagen. In den letzten Tagen hat sich der Preis für Eier, ein essentielles Nahrungsmittel für die arme Bevölkerung, fast verdoppelt. Nach dem neuen Haushaltsplan, der am 21. März 2018 in Kraft treten soll, wird der Benzinpreis um 50 Prozent erhöht werden.

Mittlerweile haben sich die Proteste auf das gesamte Land ausgeweitet und die Hauptstadt Teheran erreicht. Landesweit drücken Jugendliche, Frauen, Arbeiter*innen und Kurd*innen ihre Unzufriedenheit in Formen von stürmischen Aktionen aus. Studierende von der Universität Teheran rufen: „Wir Studierenden sterben lieber als zu kapitulieren.“ Die Arbeitslosigkeit unter Studierenden mit Diplom verstärkt den Unmut gegenüber Klerus und Revolutionsgarden, deren finanzielle Beziehung zum Staatshaushalt undurchsichtig bleibt. Allgemein liegt die Jugendarbeitslosigkeit nach offiziellen Angaben bei 28,8 Prozent. Frauen protestieren gegen die patriarchale und religiöse Unterdrückung und fordern Gleichberechtigung.

Die Arbeiter*innen im Iran wird der Kampf für ihre wirtschaftlichen und sozialen Rechte durch besonders repressive Bedingungen erschwert. Die islamische Regierung antwortet auf die Streiks, Proteste und Stellungnahmen der unabhängigen Gewerkschaften mit brutaler Gewalt. Im Juli 2017 wurden mehrere Gewerkschafter*innen und Arbeiter*innen verhaftet, weil sie Streiks und Demonstrationen gegen neoliberale Angriffe auf das Arbeitsrecht organisiert haben. Die unabhängigen Gewerkschaften stehen unter Verfolgung der Repressionkräfte des Regimes. Der Verband Freier Iranischen Gewerkschaften, die Strom- und Metall Gewerkschaft in Kermanshah, die Gewerkschaft der Maler / Provinz Alborz und der Verein der Arbeiter*innenrechte haben am 2. Januar einen Aufruf veröffentlicht:

Jede Art von Repression, Unterdrückung und Gefängnisse müssen abgeschafft werden.

Alle politischen Gefangenen müssen befreit werden. Die Ausbeuter*innen und diejenigen, die uns unterdrücken, egal in welcher Machtposition sie sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die geraubte Kapital der Bevölkerung muss ihnen zurückgegeben werden. Der Mindestlohn von Arbeiter*innen, im staatlichen und privaten Sektor muss sich verfünffachen. Die Machthaber dürfen keine horrenden Gehälter mehr bekommen. Komplette Gewerkschafts- und Vereinsfreiheit, komplette Meinungs- und Pressefreiheit und Parteifreiheit müssen sofort umgesetzt werden.

Die Teilnahme der Arbeiter*innen an den Protesten bleibt aber bislang sporadisch, auch wenn die heutigen Proteste eine ökonomische Ausgangslage haben. Die staatlichen Repressionen auf die unabhängigen Gewerkschaften und ihre Aktivist*innen erschwert die Verankerung innerhalb der Betriebe. Die Arbeiter*innenbewegung im Iran ist vom Organisierungsgrad her zu schwach, um mit Streiks, Besetzungen und dem Aufbau basisdemokratischer Selbstverwaltungsstrukturen die führende Rolle bei den Protesten zu übernehmen. Hinzu kommt, dass der Staat durch Sperrung von sozialen Netzwerken wie Twitter und Telegram die Koordinierung der Demonstrant*innen untereinander blockiert. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass am 1. Januar in allen sozialen Netzen für einem Generalstreik agitiert wurde, die Arbeiter*innen aber mehrheitlich nichts davon wussten.

Die Demonstrant*innen verfolgen keine einheitliche Zielsetzungen: Von konservativen Hardlinern bis Nationalist*innen und Linken protestieren zwar alle gegen die Folgen der Korruption und der wirtschaftlichen Krise, aber in der Frage wie und was die Islamische Republik ersetzen soll, kommen die Unterschiede an die Oberfläche: Auch seitens der Nationalist*innen gibt es Kritik am islamischen Regime: Sie bezeichnen die aktuelle krisenhafte Nahostpolitik im Jemen, Syrien, Libanon und Palästina als Fiasko und fordern  eine Annäherung zu dem USA und Israel. Sie instrumentalisieren die wirtschaftliche Instabilität und den Fundamentalismus mit Forderungen wie „besser in der Heimat investieren als bei den Arabern“, um eine westlich-proimperialistische, laizistisch orientierte Epoche des Irans einzuleiten.

Das islamische Regime kann sich nicht von der Krise erholen

Inzwischen haben sich sowohl der Präsident Rohani als auch der oberste religiöse und politische Führer Khamenei zu den Protesten geäußert. Während Khamenei die Protestierenden wie im Jahr 2009 zu „Feinden des Landes“ erklärt hat, versuchte Rohani, indirekt auf die Verantwortung der Hardliner hinzuweisen. „Auch sind die Probleme der Menschen nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern sie fordern auch mehr Freiheiten.“  Der im Juni 2013 zum Präsidenten gewählte und für eine zweite Amtszeit im Mai wiedergewählte Rohani machte die wirtschaftliche Erholung zu seiner Priorität. In diesem Sinne hat er das Atomabkommen mit den USA zur Voraussetzung für die Erholung der Wirtschaft erklärt. Die Vereinbarung über das iranische Atomprogramm mit den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Russland, China und Deutschland, gefolgt von der teilweisen Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Teheran war das zentrale Projekt Rohanis.

Doch mit Donald Trump im Weißen Haus wurde Iran erneut zum „Schurkenstaat“ erklärt. Schon in seinem Wahlkampf bezeichnete er das Atomabkommen mit dem Iran als schlechtesten Deal in der Geschichte der USA. Deshalb möchte er ihn so schnell wie möglich rückgängig machen. In der Nahostpolitik setzt Trump politisch und ökonomisch auf die Monarchie in Saudi-Arabien, die in einem regionalen Machtkampf mit dem Iran konkurriert. Sowohl im Jemen als auch in Syrien führen die Regionalmächte ihre Stellvertreter*innenkriege, während der Iran jedoch aufgrund der Offensive Saudi-Arabiens mit Unterstützung von Trump und der instabilen ökonomischen und politischen Situation im eigenen Land ins Rücktreffen geriet. Der „schiitische Halbmond“ ist eine Realität geworden und der Iran hat auf Länder wie den Irak, Libanon und Syrien einen besonderen Einfluss als Regionalmacht. Aber wie es für eine Regionalmacht charakteristisch ist, wurde der Einfluss teuer bezahlt. Sowohl personell in den Kriegen, aber vor allem finanziell bei einem sehr schlechten Haushalt. Das iranische Regime wollte und hätte in seiner Rolle im Nahen Osten einen Sprung machen können, aber es wurde von innen durch die Massen vorerst gestoppt, die nicht mehr dafür hungern wollen.

Doch die Anstrengungen des US-Präsidenten, die Proteste von außen zu beeinflussen, bleibt ohne Erfolg. Die Anti-USA-Stimmung hat im Land nach wie vor eine Mehrheit und drückt sich klarer aus als noch bei den Protesten 2009.

Die Spannungen zwischen Rohani und Chamenei nehmen seit dem Atomabkommen 2015 immer stärker zu. Das Versprechen, mittels Atomabkommen wirtschaftliche Verbesserungen zu erreichen, kommt bei Arbeiter*innen und den von der Arbeitslosigkeit massiv bedrohten Jugendlichen nicht an. Stattdessen wurden Subventionen gekürzt und die Lebenshaltungskosten steigen massiv. Für seinen Kurs der „Liberalisierung des Regimes“, welcher die Beschneidung gewisser Freiheiten der Hardliner bedeutet, bekommt Rohani keine Unterstützung von diesen, da sie um ihre besonderen Befugnisse und die Kontrolle von Schlüsselsektoren der Wirtschaft fürchten. Rohanis Haushaltsplan enthält unter anderem Kürzungen am Budget für den Klerus. Nichtsdestotrotz einigen sich die beiden reaktionären bürgerlichen Fraktionen in der Frage, die Arbeiter*innen auszuplündern. Während in den Augen der westlichen Imperialismen Rohani ein möglicher Verbündeter ist und der Internationale Währungsfonds (IWF) seine wirtschaftlichen Maßnahmen als „modern“ begrüßt, lässt die zunehmende soziale Ungleichheit die Risse in der Bevölkerung anwachsen.

Wie geht es weiter?

Aktuell sind die Straßen den Irans zu einer Bühnen für diejenigen Schichten der Gesellschaft, die mit dem Regime unzufrieden sind.

Bisher hat die iranische Revolutionsgarde (Sepah) noch nicht interveniert, da sie selbst aufgrund der außen- und innenpolitischen Spannungen gespalten ist. Es ist eine Rebellion, keine Revolution. Die Aktionen sind meistens heroisch aber es steht kein Aktionsprogramm mit Forderungen und Kampftaktiken dahinter. Die Selbstorganisierung beschränkt sich hauptsächlich auf bescheidene Initiativen von den Studierenden der Universität Teheran und den Protesten fehlt es an einer Führung. Die Ereignisse verlaufen stürmisch, weil die Massen vor Wut gegenüber der sozialen Ungerechtigkeit explodieren. Doch die unerwartete Rebellion überfordert die Linke im Iran – selbst die bürgerlichen Oppositionellen sind überfordert. Die Fortschrittlichkeit der Parolen ist aber nicht zu verleugnen – obwohl die Bewegung keine Führung hat und sowohl die imperialistischen Mächte als auch ihre Verbündeten im Land sich einzumischen versuchen.

Die Intervention der Sepah würde unter diesen Bedingungen die Zahl der Toten, Verhaftungen und sogar Vertreibungen enorm erhöhen. Die Militarisierung des gesamten Landes steht als mögliche Option auf dem Tisch, um die Proteste zu ersticken. In welcher Form genau dies geschahen wird – ob Rohani von den Hardlinern durch einen Militärputsch ersetzt wird oder die Massen vor Erschöpfung durch ziellose Aktionen und die staatliche Repression die Straßen verlassen werden – steht noch offen.

90 Prozent der Verhafteten sind unter 25 Jahre alt. Die Jugend steht trotz der Polizeigewalt an vorderster Front bei den Protesten. Sie ist heute unorganisiert und schwach, um ihre eigenen Losungen zu verwirklichen. Eine neue Generation von Kämpfer*innen, die in Zeiten der Krise des iranischen Regimes entsteht, ist jedoch trotzdem von Bedeutung, da sie die Erfahrung der Organisierung von Protesten macht und in der Psychologie der Massen die „unantastbare Macht“ zusammenbricht. So beginnen sich schon an der Universität Teheran die Studierenden in Vollversammlungen selbst zu organisieren.

Die Proteste werden zweifelsohne Narben auf dem Islamischen Regime hinterlassen – stärker als die Grüne Bewegung im Jahr 2009. Die auf den repressiven und klerikalen Apparaten basierende Macht der Mullahs ist weder strukturell noch wirtschaftlich in der Lage, den ökonomischen und demokratischen Forderungen der verarmten Massen nachzukommen. Die islamische Konterrevolution hat nicht nur die Oppositionellen ermordet, sie hat auch die Errungenschaften der Revolution von 1979 geraubt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Proteste in einer Niederlage enden, ist nicht gering. Angesichts der geopolitischen Rolle des Irans als Regionalmacht werden aber die Proteste in Erinnerung bleiben. Denn es handelt sich bei dieser Revolte nicht nur um eine lokale Angelegenheit des iranischen Regimes, sondern sie sendet eine Botschaft an die Arbeiter*innen und Unterdrückten im Nahen Osten.

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