#Iranprotest: Streik in größter Zuckerfabrik des Landes

08.01.2018, Lesezeit 4 Min.
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Am Sonntag sind alle Arbeiter*innen von Haft Tappeh, der größten Zuckerfabrik des Irans, in den Streik getreten. Sie blockieren die Fabriktore und veranstalten Kundgebungen. Auch in der Öl- und Gasindustrie gibt es Gerüchte über die Vorbereitung eines Streikes. Beginnt nun die organisierte Arbeiter*innenklasse die Bühne der Proteste zu betreten?

Seit zwei Monaten hat die privatisierte Zuckerfabrik keine Löhne mehr ausgezahlt – und das nicht zum ersten Mal. Seit der Privatisierung im Jahr 2016 hat sich die Situation der Arbeiter*innen in dem kaputt gesparten Unternehmen akut verschlechtert. Im Oktober 2017 schrieben die Arbeiter*innen in einen offenen Brief: „Mehr als ein Jahr des Leidens und der Angst. Wir haben unsere Löhne nur gezahlt bekommen, weil wir gestreikt und protestiert haben.“ Seit dem Sommer gab es eine Reihe von Ausständen in der Zuckerfabrik, um die Zahlung von Lohnrückständen und Renten zu erzwingen. Zuletzt streikten sie Anfang Dezember über fast zwei Wochen hinweg für die Auszahlung der Löhne – erfolglos. Am Sonntag sind die Arbeiter*innen erneut in den Ausstand getreten und konnten die Zahlung der Löhne erkämpfen.

Der Widerstand der Zuckerarbeiter*innen im Iran hat eine lange Tradition. Sie leisteten Widerstand gegen die Ausbeutung durch den US-Eigentümer in den 1960er und -70er Jahren und sie waren eine treibende Kraft der Iranischen Revolution von 1978/79. Nach der Zerschlagung der unabhängigen Gewerkschaften durch die islamische Konterrevolution war dies einer der ersten Sektoren der iranischen Arbeiter*innenklasse, in dem sich vor über 10 Jahren wieder eine neue gewerkschaftliche Organisierung entfaltete. Dies ereigenete sich in einen Kampf gegen die Vorbereitungen zur Privatisierung des größten Unternehmens der südiranischen Stadt Shush: neben Mühlen und Raffinerien gehörten tausende Hektar Ackerland zu dem teilprivatisierten Betrieb.

Mit den Streik treten die Arbeiter*innen von Haft Tappeh auch auf die politische Bühne der Proteste, die das Land seit dem 28. Dezember überziehen. Bis jetzt wurde das Bild der Proteste im Iran geprägt durch Demonstrationen und Aufstände, die vor allem von den Armenbezirken ausgingen: gegen die Armut, und gegen das Regime. Mit den Streik bei Haft Tappeh greift erstmals die organisierte Arbeiter*innenklasse in die Proteste ein. Auch wenn der Streik sich um ihre ökonomischen Forderungen dreht, solidarisiert sich die Gewerkschaft mit den Aufständen. In einer gemeinsamen Erklärung mit der Teheraner Busfahrergewerkschaft schrieben sie:

Seit Jahren reklamieren wir, dass unsere Löhne nicht ausreichen, um zu leben. Aber uns wurde nicht zugehört. Stattdessen werden unsere Löhne, welche fünf mal unter der Armutsgrenze liegen, monatelange zurück gehalten. Die kontinuierliche Politik verschiedener Regierungen von Privatisierungen und Personalfirmen mit prekären Verträgen haben die Rechte der Arbeiter*innen ruiniert. (…)
Den Armen wurde der Rücken mit der Subventionspolitik gebrochen. Während seit Jahren der Betrag (der Subventionen bei einer massiven Inflation, AdÜ) gleich bleibt, wird die Preisliberalisierung ausgeweitet. (…)
Der legitime Protest und Streik von Arbeiter*innen und Lehrern wurde mit Schlägen, Entlassungen, Peitschenhieben und Gefängnis beantwortet. (…)
Dies ist der bittere Geschmack der Ungerechtigkeit aller Arbeiter*innen und marginalisierter Menschen. Die Antwort der Menschen, zu protestieren, ist keine Gewalt.

Nach vielen Wochen erfolgloser Streiks konnten die Arbeiter*innen von Haft Tappeh an nur einem Streiktag ihre Forderungen durchsetzen: das Regime hat Angst, dass sich ein Flächenbrand entwickelt. Doch sie haben so auch ein positives Beispiel geschaffen: Wer streikt kann gewinnen. In den letzten Tagen verbreiteten sich auch unbestätigte Gerüchte, dass in der Erdölindustrie Ausstände vorbereitet werden. Andere Gewerkschaften hatten bereits am 1. Januar angekündigt, dass sie sich mit den Protesten unter dem Motto „Brot, Arbeit und Freiheit“ solidarisieren. In ihrem Statement erklärten sie: „Diesmal sind wir Arbeiter*innen und die Bevölkerung des Irans diejenigen, die sich vereinen und solidarisch die Kontinuität der Proteste organisieren werden.“ Der Streik bei Haft Tappeh könnte der Auftakt einer Streikwelle sein und im besten Fall dazu führen, dass die organisierte Arbeiter*innenklasse die Führung der Proteste übernimmt.

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