Iran: „Sie schlugen mir ins Gesicht, wodurch ich zwei Zähne verlor. Dann entführten mich die Männer“

12.08.2022, Lesezeit 10 Min.
Gastbeitrag

Wir veröffentlichen ein Interview mit Raman Loveworld, iranischer Aktivist und Musiker, der im Iran gefoltert wurde und fliehen musste.

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Bild: Raman Loveworld

Kannst du uns mehr darüber erzählen, wer du bist und was du machst?

Mein Name ist Raman Mohammadi (ich nenne mich Raman Loveworld). Ich wurde in Sari im Iran, meinem wunderschönen Geburtsort in der Provinz Mazandaran im Norden des Irans, die entlang des Kaspischen Meeres liegt, geboren.

Ich bin ein autodidaktischer Komponist, Sänger und Musikarrangeur. Als iranischer Sänger, Songschreiber und Menschenrechtsaktivist mache ich Musik über die Erfahrungen unterdrückter Menschen in der Welt und im Iran, wobei ich mich auf Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Armut und die Rechte von Frauen und Arbeitern konzentriere.

Neben dem Schreiben von Liedern habe ich an sozialen Bewegungen und Protesten in Teheran teilgenommen und als Verteidiger der Menschenrechte gearbeitet, durch meine Musik, Straßenkunst und sozialen Aktivismus.

Was ist mit dir im Iran passiert? Warum wurdest du gefangen genommen?

Da der Iran strenge Moralnormen und Richtlinien dafür hat, was und wie Dinge in der Kunst dargestellt werden, wurde ich zur Zielscheibe des iranischen Regimes.

Im Sommer 2017 wurde ich von den iranischen Behörden festgenommen, weil ich mich an Protesten gegen das verpflichtende Kopftuch (Hijab) beteiligt hatte. Ich erstellte und bearbeitete Videos und schrieb Musik, um diese Bewegungen zu unterstützen, und sprühte in Teheran Slogans über die Rechte der Frauen und der Arbeiter an die Wände.

Eines Nachts, als ich Sprühfarbe in meiner Tasche hatte, hielten mich zwei Leute mit langen Bärten an und sagten, sie wollten mich kontrollieren. Ich fragte sie, warum sie das taten, denn sie schienen nicht von der Polizei zu sein. Daraufhin schlugen sie mir ins Gesicht, wodurch ich zwei Zähne verlor. Dann entführten mich die Männer, verbanden mir die Augen und brachten mich an einen unbekannten Ort, wo sie mir sagten, ich solle Papiere unterschreiben mit dem Inhalt, dass ich ein Verbrechen begangen hätte (Propaganda gegen die Islamische Republik).

Da ich mich weigerte zu unterschreiben, schickten sie mich zum Zentrum für nationale Sicherheit des Iran in Teheran, wo ich mit anderen in einem dunklen Raum festgehalten wurde.

Zuerst zwangen mich die Beamten, mich nackt auszuziehen und schlugen mich erneut. Sie wollten, dass ich mein Telefon entsperre, aber ich weigerte mich. Sie drückten meinen Finger auf mein Handy um es zu öffnen und sahen viele meiner persönlichen Fotos.

Sie fuhren fort mit Maßnahmen, die mich demütigten und erniedrigten mich. Sie folterten mich seelisch und erniedrigten mich verbal. Ich wurde in einem Raum gehalten, in dem ich die Nacht nicht vom Tag unterscheiden konnte.

Nach ein paar Tagen brachten sie mich mit anderen vor Gericht, aber ich durfte keinen Anwalt haben. Dort sagten sie, sie hätten ein Video von mir, wie ich Wände besprühe, aber ich weigerte mich, ein Verbrechen zuzugeben. Denn ich versuchte nur, gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung zu kämpfen.

Im Februar 2018 beteiligte ich mich an Protesten, die die Freiheit der Derwisch-Frauen forderten. Danach nahmen die Behörden meinen Fall wieder auf und ich wurde per elektronischer Benachrichtigung erneut vor Gericht geladen.

Danach bist du eine Zeit lang in Teheran geblieben. Was ist passiert, dass du fliehen musstest?

Danach, im August 2019, habe ich mit einem israelischen Künstler an einem Album gearbeitet, um Frieden zu schaffen und über gute Beziehungen zwischen der israelischen und iranischen Bevölkerung und über Frauenrechte zu sprechen.

Ja, ich wusste, dass das israelische und das iranische Regime Probleme miteinander haben. Aber ich wusste nicht, dass die kulturelle Zusammenarbeit mit dem israelischen Volk im Iran ein Verbrechen ist und ich ins Gefängnis gehen muss. Die Menschen in Palästina und Israel waren Teil der Kultur und des Reiches Iran, und in der Vergangenheit war es eine der Provinzen des Iran. Warum also sollten wir uns voneinander fernhalten und uns nicht um Frieden bemühen?

Ich machte Interviews in israelischen Sendern, Rai 1 Italy, NHK Japan und der Zeitung Guardian. Dann erhielt ich Drohbriefe und Anrufe, in denen es hieß: „Wir beobachten dich. Bald werden wir dich im Untergrund sehen… Dieses Mal wirst du ins Gefängnis gehen. Du bist ein Heuchler – Tod für dich”.

Ich bin fünf mal in Teheran umgezogen, aber jedes Mal erhielt ich weiterhin Drohbriefe. Ich wusste, dass ich nicht zur Polizei gehen konnte, weil sie mich stattdessen verhaften würden.

Danach haben die Drohungen mir und meinem Leben praktisch ernsthaften Schaden zugefügt. Ich bin im November 2020 in ein Land geflohen, das ich nicht nennen möchte, und meine Frau folgte einen Monat später.

Mit einem iranischen Pass waren wir nicht in der Lage, schnell in die USA oder ein europäisches Land zu reisen, das sicherer gewesen wäre.

Welche Erfahrungen hast du in dem Land gemacht, in das du geflohen bist?

Ich habe wegen meiner Sicherheit Angst über Details zu reden. Im Iran habe ich erlebt: Gerade wenn man glaubt, dass keine Gefahr mehr besteht und man nicht verhaftet wird, wird man verhaftet. Das iranische Regime und seine Fanatiker versuchen nie, Menschen zu töten, weil sie nicht wollen, dass die Medien ihnen internationalen Ärger bereiten. Stattdessen zwingen sie einen mit Drohungen und Schikanen dazu, ins Gefängnis zu gehen, um die Stimme eines anderen Demonstranten zum Schweigen zu bringen.

Meine Frau und ich sind in dem Land, in dem wir uns nun befinden, immer noch Risiken ausgesetzt, weil die dortigen Behörden dafür bekannt sind, eng mit dem iranischen Regime zusammenzuarbeiten. Viele Iraner werden hier gefangen genommen und an den Iran ausgeliefert. Wir sind dreimal zwischen Hostels umgezogen, bevor wir eine Wohnung mieten konnten, und haben den größten Teil unseres Besitzes verkauft.

Ich wurde mehrfach gefoltert und bedroht, bevor ich mich entschloss, in dieses Land zu fliehen, wo ich aufgrund des emotionalen Zustands, der durch die Folter verursacht wurde, und aufgrund der Tatsache, dass ich in einem fremden Land ohne Arbeitsstatus lebe und mich unauffällig verhalten muss, um eine mögliche Verhaftung und Auslieferung zu vermeiden, nicht arbeiten konnte.

Die Flucht in dieses Land ist jedoch nur eine Zwischenlösung für die gegen mich gerichteten Drohungen. Im Iran gefährdete Künstler leben unsicher an meinem Aufenthaltsort, aufgrund der hohen Präsenz iranischer Agenten und Spione, sowie der Beziehungen der Regierungen, die dazu führen, dass gesuchte Künstler und Aktivisten häufig an den Iran ausgeliefert werden.

Welche Erfahrungen hast du mit NGOs und offiziellen staatlichen Institutionen gemacht?

Schlechte – Mafia und ungerechter Staat.

Obwohl wir drei kleine Zuschüsse erhalten haben, konnten wir nur ein paar Monate überleben. Aber die meisten dieser Organisationen versuchen, ihre eigenen versteckten Ziele, politischen und finanziellen Interessen zu verfolgen.

Ich bin in der Tat ein Opfer des Krieges zwischen zwei Gruppen. Eine Gruppe, die vorgibt, die Menschenrechte durchzusetzen (Heuchler), und eine Gruppe im Iran, die den einfachen Menschen schadet, indem sie sie schikaniert und die Religion missbraucht.

Das Problem ist, dass die Kapitalisten immer Kapitalisten bleiben wollen, indem sie Druck auf andere ausüben und die Regeln für das Leben der Menschen bestimmen, und wir einfachen Menschen sind immer Opfer. Keine Medien oder Zeitungen wollen, dass diese Stimme gehört wird, und Menschen wie ich werden immer zensiert oder gezwungen zu schweigen.

Einer der Gründe, warum uns nicht geholfen wurde, war, dass ich keiner Gruppe angehörte. Ich habe mich nur für Frieden und die Vermeidung von Krieg, Gerechtigkeit und Gleichheit eingesetzt. Und meine Meinungen beruhen meist auf Freiheit und Menschenwürde und dem Kampf gegen Diskriminierung. Aber keine dieser Gruppen verfolgt humanitäre Ziele.

Was sind die Probleme, mit denen du jetzt konfrontiert bist? Hast du Forderungen, was sich in der Politik des Landes, in dem du dich gerade befindest, ändern müsste, damit Menschen, die fliehen müssen, ein sicheres Leben haben können?

Diejenigen, die hier zu Geflüchteten werden, haben keine Sicherheit (insbesondere politische Aktivisten und Künstler), und ihre Überführung in europäische oder amerikanische Länder dauert so lange, dass sie entweder Selbstmord begehen oder ein deprimiertes und trauriges Leben führen oder abgeschoben werden. Und das bedeutet, dass Menschenrechtsorganisationen ein Witz sind und ihre Ausrede ist, dass die Zahl der Menschen, die Hilfe brauchen, sehr hoch ist. Und das bedeutet, dass dieser Planet ein gemeinsames Problem hat und der einzige Weg der Frieden ist und die Regeln neu zu schreiben und die Welt neu zu starten.

Das Hauptproblem ist, dass unser Leben verschwendet wird und wir vertrieben werden und nicht einmal eine Einladung und ein Visum bekommen können, um in dein Land zu kommen. Wir haben alles verloren, wir haben alles getan um Frieden zu schaffen. Alle haben uns ausgenutzt und uns allein gelassen.

In dem Land, in dem wir uns zu verstecken versuchen, sind die Gesetze symbolisch und wir haben nicht das Minimum an Freiheit und Sicherheit wie in deinem Land. Ich kann nicht als freier Mensch leben. Ich kann mir nicht aussuchen, wo ich auf diesem Planeten leben möchte.

Was ist Freiheit? Wo ist Freiheit? Was ist die Grenze? Was ist ein Reisepass? Was ist ein Visum? Land ist für alle da. Wo ist unser Recht auf dieses Land? Wo ist unser Haus?

Wenn Länder von kapitalistischen und mafiösen Systemen regiert werden werden wir einfachen Leute immer wieder unterdrückt werden, weil wir keine Solidarität haben, weil es keine Medien gibt, die unsere Worte veröffentlichen.

Ich habe meine Beiträge bezahlt, und als ich auf Hilfe wartete, wollten alle mit uns spielen und ihre eigenen politischen Interessen durchsetzen.

Wir wollen nicht hier sein.

Wir wollen nicht in dieser Situation sein.

Wir wollen nicht unehrenhaft sein.

Wir wollen nicht lügen, damit wir Hilfe bekommen.

Menschenrechte? Nur ein Scherz.

Wie kann man dich unterstützen?

Jede Art von finanzieller Unterstützung, ein Sponsorship Visum, ein Visum für ein Arbeitsangebot, damit wir an einen Ort kommen, an dem wir wie normale Menschen leben können.

Wir haben einen Spendenlink eingerichtet, um finanzielle Hilfe von Menschen zu erhalten, denen die Menschenrechte am Herzen liegen:

https://www.leetchi.com/en/c/rGnNJLEm

https://instagram.com/ramanloveworldofficial

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