Iran: Die Töchter der Revolutionsstraße

02.05.2018, Lesezeit 20 Min.
Gastbeitrag

Im Iran ist eine neue Frauenbewegung entstanden: die "Töchter der Revolutionsstraße". Die iranische Feministin und Marxistin Mina Khani erklärt die Hintergründe dieses beeindruckenden Phänomens.

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Der Historische Materialismus sagt uns, dass wir die Phänomene in ihrem historischen Kontext und im Kontext der sozialen, ökonomischen und politischen Veränderungen betrachten müssen. Wenn wir diese außer Acht lassen, werden wir dogmatisch, und letztendlich werden wir die Phänomene unserer Zeit in einem singulären Kontext nur verzerrt betrachten. Wenn wir mit der selben Methode die Veränderungen in der sogenannten Dritte Welt betrachten, kommen wir nicht darum herum, uns zu fragen, was diese Phänomene zustande bringt, was für sie spricht und was gegen sie.

Seit Dezember letzten Jahres haben wir es im Iran mit einem Phänomen zu tun, das sich „Töchter der Revolutionsstraße“ nennt. Das sind junge Frauen, die ihre Kopftücher an den Ästen aufhängen und protestierend und performativ auf irgendwelche Stromkästen steigen und solange stehen bleiben, bis die Polizei sie festnimmt. Für diese performativen Aktionen dieser Frauen ist mittlerweile eine Haftstrafe zwischen zwei und zehn Jahren vorgesehen. Das iranische Regime nennt ihre Aktion „Propaganda gegen den Hidjab“. Wenn wir diese Frauen mit der Methode des Historischen Materialismus betrachten, müssen wir die verschiedene Teile ihres politischen Namens, abgesehen von ihrem persönlichen Namen, auseinandernehmen und sie analysieren. So gesehen können wir die „Töchter der Revolutionsstraße“ als Frauen, die auf der Revolutionsstraße ihre neue Geburt als Töchter dieser Straße erleben, verstehen.

Erstens: Revolution

Utopien wie „Befreiung, Gerechtigkeit und Unabhängigkeit“ waren die drei wichtigsten Elemente der Revolution 1979 im Iran. Fakt ist, dass die Revolution 1979 im Iran nicht nur in der Hinsicht der Verwirklichung dieser Elemente niedergeschlagen wurde, sondern auch in dem Sinne, dass die revolutionären Kräfte, die diese Verwirklichungen vorantreiben wollten, nach der Revolution systematisch (sowohl ideologisch, als auch physisch) vernichtet wurden. Deswegen ist die Beobachtung des Prozesses, wobei die Frauenfeindlichkeit als eine der wichtigsten Elemente der ideologischen Legitimierung der Islamischen Regierung im Iran systematisiert wurde, nicht möglich, solange man nicht zu der Zeit der Revolution zurückkehrt und die Vernichtung der Revolutionär*innen auf politischer Ebene und eben nicht nur auf „humanitärer“ Ebene thematisiert.

Selbstverständlich könnte man jede interne Kritik an den revolutionären Linken der damaligen Zeit im Iran begrüßen, die die patriarchalischen Verhältnisse innerhalb der damaligen Linken kritisiert, oder die Schwäche der damaligen Linken thematisiert, die dazu geführt hat, dass die Khomeini-Strömung ihre revolutionären Elemente für sich vereinnahmen konnte. Nichtsdestotrotz können diese nach innen bezogene Kritiken zu der Ausblendung der historischen Wahrheiten führen, die uns erklären, in welchem Prozess von Vernichtung und Repression die islamistische Strömung sich nach der Revolution ideologisiert hat.

Khomeini hat kurz nach der Revolution das Familienschutzgesetz für ungültig erklärt, in einer grausamen Zeitgleichheit hat er die Zwangsverschleierung der Frauen befohlen. Wenn wir einen oberflächlichen Blick auf die ersten Jahre nach der Revolution werfen, haben wir es mit einer Reihe von Vernichtungsmaßnahmen wie Repression, systematischer Verleumdung, Sabotage der revolutionären Begriffe in Wort und Schrift und der ideologischen Legitimation der Ungleichheit zu tun. An der Spitze der Repressionspraktiken des Regimes nur kurz nach der Revolution haben wir es dann auch mit der massenhaften Unterdrückung der Frauen und der Systematisierung des traditionellen Patriarchats, der Vernichtung und Genozide der politischen Gegner*innen im Allgemeinem und der Marxist*innen insbesondere, der Illegalisierung der Gewerkschaften und Arbeiterinnenverbände zu tun. Hinzu kam die ideologische Verherrlichung des Kriegs im Zuge des Iran-Irak-Krieges und des zum „Segen der Nation“ erklärten Kriegs gegen Irak, die Vertiefung der ethnischen und religiösen Spaltungen, das Projekt der Kulturellen Revolution und die Säuberung der Intellektuellen aus dem Bildungssystem und der Kunst- und Literaturszene. Zudem wurde eine systematische Sabotage anti-kolonialer Begriffe und der Unabhängigkeitsdiskurse auf allen Ebenen (z.B. die Besetzung der US-amerikanischen Botschaft), eine Sabotage der anti-zionistischen Diskurse und eine Instrumentalisierung des palästinensischen Widerstandes für die regionale Politik (die Gründung der Hizbullah als Idee oder Armee) durchgeführt, und so weiter und so fort.

Wir haben in den letzten Jahren immer wieder von Aktivistinnen der Frauenbewegung im Iran gehört, dass die Marxist*innen als treibende revolutionäre Kraft sie nach der Revolution im Stich gelassen haben. Das ist an sich nicht umstritten, denn eine Linke, die die patriarchalen Verhältnisse in ihrem Inneren nicht ausreichend bekämpft, indem sie die Subjektivität der Frauen hervorhebt, kann sich natürlich auch nicht ausreichend im praktischen Sinne mit einer feministischen Welle außerhalb der Strömung solidarisieren. Was aber umstritten ist, dass diese Debatte immer aus dem historischen Kontext der Repressionszeit nach der Revolution herausgerissen wird, wobei die revolutionären Organisationen selbst systematisch vernichtet wurden.

Um klarzustellen, warum diese Verknüpfungen so wichtig sind, lasst uns einen Blick darauf werfen, wie die Lage der Frauen vor der Revolution war. Auch vor der Revolution hatten wir es in der Zeit der Monarchie mit einer strukturellen patriarchalen Gesellschaft zu tun. Als Beispiel reicht die Scheidung von Soraya (die zweite Frau des Schahs), einseitig durchgeführt vom Schah alleine, weil sie für die Familie der Pahlavi keinen Sohn in die Welt gebracht hat. Hinzu kommt die allgemeine Situation der Frauen in der gesamten Pahlavizeit, wie die Analphabetisierung der Frauen nach den Zwangsentschleierungsmaßnahmen durch den Vater Pahlavi, wodurch die Frauen aus den gesellschaftlichen Räumen entfernt wurden und den patriarchalen Strukturen der damaligen iranischen Familien überlassen wurden. Diese Beispiele alleine sollten jede Illusion über die „gute Lage“ der Frauen vor der Revolution hinwegfegen.

Das iranische Regime hat aber im Züge seiner Ideologisierung die vorhandene Geschlechterspaltung in der Gesellschaft, soweit es noch ging, weiter systematisiert. Diese Verschärfung frauenfeindlicher Gesetzgebungen wurde in einer grausamen Zeitgleichheit mit der systematischen Vernichtung jeder progressiven Kräften im Iran durchgesetzt.

Die wichtige Fragen dabei sind doch: „Was sagt diese Zeitgleichheit über den Charakter des Islamischen Republik aus? Warum hat das iranische Regime in den ersten Schritten seines großen Ganges die Frauen so hart wie möglich entrechtet und dann die andere Teile der Bevölkerung angegriffen?“

Wichtig ist zu bemerken, dass wir über die Zeit der Niederlage der Revolution reden und nicht über die Zeit ihres Sieges. Diese Antwort mag als eine einfache Antwort auf die Frage klingen, aber darin liegt die Komplexität vieler anderen Fragen, was den Iran und damit den gesamten Nahen Osten betrifft. Denn die ganzen Fortschritte der Frauen in der vorrevolutionären Phase entstanden durch die Wahrnehmung ihrer Subjektivität und ging von ihnen selbst aus, als sie sich in politischen wie sozialen Räumen bewegt haben und, wie Forugh Farrokhzad (die große iranische Dichterin) es in einem Gedicht beschrieben hat, die Papierkrone der Farah Diba als ein Symbol ihrer Unterdrückung wahrgenommen haben.

Frauen wurden im Zuge der revolutionären Phase im Iran viel mächtiger und haben in verschiedener Hinsicht ihr Potenzial wahrhaftig verwirklichen lassen. Natürlich war die Niederlage der Revolution in dieser Hinsicht auch die Niederlage dieser Frauen, denn sie waren diejenigen Kräfte, deren Präsenz an sich eine Gefahr für die reaktionären Kräfte war.

Zweitens: Frauen (Töchter)

Trotz dieser Verknüpfungen hat Frauenfeindlichkeit in diesem Kontext ihre eigene Besonderheiten. Alleine der Hinweis darauf, dass die ideologisierte systematische Unterdrückung der Frauen die Hälfte der Bevölkerung betrifft und damit die Situation der Kinder und der Kindererziehung und der gesellschaftlichen Sozialisierung der gesamten Bevölkerung massiv beeinträchtigt, sollte als Argument für diese Behauptung ausreichen. Die Unterdrückung der Frauen in so einem Ausmaß deformiert die soziale Lage der Gesellschaft und raubt den Frauen ihre Gesichter.

Wie bereits im ersten Teil des Artikels erwähnt wurde, hat das iranische Regime nach der Revolution die Frauenfeindlichkeit als eines der wichtigsten Elemente seiner Ideologisierung genutzt – als ein System, das genau darauf basiert ist. Doch es ist viel umfassender, wenn wir uns damit beschäftigen, wie das iranische System das geschafft hat und dabei darauf verzichten, warum das iranische Regime zu so einem Beschluss gekommen ist.

Was sagen uns die historischen und materiellen Fakten? Das iranische Regime hat ein Bild von Frau ideologisiert, das man mit fehlenden Argumenten unmittelbar vielleicht mit dem Islam in Verbindung bringen könnte. Das wäre aber falsch, denn das Bild der Frau, das vom iranischem Regime propagiert wird, repräsentiert weder das Bild der Frau in der islamischen Welt, noch repräsentiert es das Bild der muslimischen Frauen in der Welt. Und zwar das Bild der Frau, die möglichst komplett verschleiert ist, wobei zugleich ihr kompletter Körper sexualisiert wird und sie nur noch im sexuellem Kontext zu erklären ist. Das Bild der Frau, die möglichst sich den Haushalt verpflichtet und auf ihre Gebärmutter zu reduzieren ist. Das Bild der Frau, die komplett entrechtet wurde. Rechte wie das Recht auf Scheidung, unabhängige Heiratsentscheidung, unabhängige Arbeitskarriere, Bewegungsfreiheit in der Gesellschaft wurden dieser Frau genommen. Diese Frau ist so weit wie möglich im Besitz: Sie besitzt nichts, noch nicht mal ihren eigenen Körper. Sie selbst ist im kompletten Besitz des männlichen Geschlechtes.

Weder Religion noch Tradition an sich sind die besten Theorien, um dieses Bild der Frau unmittelbar zu erklären, denn auch Religion und Tradition sind aus der materiellen Sicht nur Konstrukte der politisch-gesellschaftlichen Strukturen. Sie funktionieren nicht in einem Vakuum, sie funktionieren nur im Kontext der politisch-gesellschaftlichen Lage. Dieses Bild kommt von der Ideologie des Patriarchats, sei es mit Belangen der Religion erklärt oder mit Belangen der Tradition, oder sogar einer Kombination von beiden.

Fakt ist auch, dass das iranische Regime mit dieser Propaganda und Ideologie, die als Instrumente der Unterdrückung und Marginalisierung dienten, den Teil der Gesellschaft über Jahrzehnte gelähmt hat, dessen Forderungen für die Befreiung als eines der wichtigsten Elemente der Befreiungsbewegungen zählte. Frauen wurden bei diesem Prozess also systematisch so weit marginalisiert, dass sie nichts mehr besaßen außer ihrer potenziellen Kampfkraft. Das erklärt auch vielleicht die Stärke der iranischen Frauen aus der Generation nach der Revolution. Sie leisten schon seit Jahren in ihrem Alltag zivilen Ungehorsam und probieren alle Wege, um als treibende Kräfte der Gesellschaft zu zählen. Trotz der massiven Repressionsmaßnahmen sind die Universitäten, Kunst- und Literaturszenen, politische Untergrundräume voll mit starken Frauen – und diese Frauen sehen nicht vollverschleiert aus.

Lasst uns, um diese Geschichte zu erzählen, auf ein Beispiel aus dem Kinobereich zurückgreifen. Susan Taslimi, einer der besten Schauspielerinnen im Iran der 70iger und 80iger Jahre, war währen dem Dreh des Filmes „Madian“ – gedreht Anfang 80iger von Bahram Beizaie – mit massiven Maßnahmen konfrontiert: „ Aus der Sicht der Verantwortlichen des Staates war meine Anwesenheit in diesem Film zu stark. Die Bedingungen für die Erlaubnis meiner Arbeit in diesem Film lauteten, dass ich nicht zu viel bunte Klamotten tragen durfte, dass kein Haar von mir zu sehen sein durfte, dass der Blickwinkel der Kameras nicht auf mich fokussieren durfte. Und sie hatten eine Person dafür eingestellt, die mich die ganze Zeit beim Dreh beobachten musste, damit ich nicht in die Augen der männlichen Darsteller schaue“.

Wie es aussieht, stellen die Bedingungen, mit denen Frau Taslimi während dem Dreh dieses Filmes konfrontiert wurde, symbolisch dar, was mit allen Frauen innerhalb dieses System passieren sollte.

„Die Frau ist ein Randwesen, dessen verführerische Funktion nicht als eine normale Funktion – wie bei dem männlichen Geschlecht – gilt, sondern diese Funktion bei diesem Randwesen ist sehr zentral, die viel über ihre essenzielle Existenz aussagt. Damit man verhindert, dass diese verführerische Funktion außer Kontrolle gerät, sollte man die Funktion der Frau so weit wie möglich innerhalb des Familienhaushalts beschränken. Da, wo sie ihren Verpflichtungen, die Kindererziehung und der Haushalt, gerecht wird. Aber sogar dieses tabuisierte Bild der Frau sollte so weit wie möglich am Rande stehen. Sie darf nicht die starke Rolle spielen. Sie darf sich nur am Rande bewegen, denn die Stärke und Zentralität sind männlich.“

Die Frau, die sich innerhalb eines solchen Unterdrückungssystems zu definiert hat, lernt systematisch, sich permanent als unterdrückte Frau zu betrachten. Sie fängt an, sich anzupassen. Sie entwickelt dann auch darüber hinaus irgendwann einen Selbstkontroll-Mechanismus, durch den sie sich zu beherrschen versucht. So kann man erklären, welches Bild solche Frauen von sich selbst abzugeben versuchen, damit sie von der Gesellschaft akzeptiert werden.

Anders als auch im westlichen Kontext sehr oft thematisiert, ist dieses Bild der Frau nicht „entsexualisiert“, sondern genau das Gegenteil. Ein solches Bild der Frau sexualisiert alles am Weiblichen. Von den Bewegungen bis zum Lachen, vom Auffallen bis zur Bewegung in den gesellschaftlichen Strukturen wird mit solchen Maßnahmen derartig sexualisiert, bis eine Ebene erreicht wird, auf der die Frau sich überhaupt nicht außerhalb dieses Kontextes zu definieren hat. In so einem System wird der Körper der Frau systematisch deformiert, sei es in der Form der Zwangsverschleierung oder in der gegenwärtigen Form, wo die Frauen durch massives Einngreifen in ihren Körper (Schönheitsoperationen) ihre Schönheitsideale an eine brutal kapitalistische Form anzupassen versuchen. Teheran ist die Hauptstadt der Nasenoperation.

Auch wenn diese Beispiele sehr spezialisiert klingen mögen, finde ich, dass das systematisierte Patriarchat im Iran ein gutes Beispiel ist, zu erklären, wo das Ende der Fahnenstange ist, wenn das Sexistische sich als Norm definiert. Deshalb, um dem Rassismus unserer Zeit über die Kopftuchthematik zu entgehen, brauchen wir nicht das Thema auszublenden, sondern wir müssen es richtig zu thematisieren. Die Zwangsverschleierung ist keine Kleidungsthematik. Bei der Zwangsverschleierung geht es immer um die Kontrolle des weiblichen Körpers als ein Körper, der reproduktive Arbeit zu leisten hat.

Das Dilemma der bürgerlichen Frau und der Frau aus der Arbeiter*innenklasse

Bei der Debatte um die „Töchter der Revolutionsstraße“ und andere Debatten über die Lage der iranischen Frauen wurden wir aus manchen marxistischen Milieus als Feminist*innen immer mit der Frage konfrontiert, ob die Belange der Frauen, die um ihre Grundrechte kämpfen, nur eine Debatte ist, die die bürgerlichen Frauen betrifft. Das ist natürlich falsch, und wir wollen die Unterschiede der Situationen und Belange der bürgerlichen Frau und der Frau aus der Arbeiter*innenklasse nicht verschweigen. Aber dennoch sollten wir immer darauf achten, dass, wenn es um radikale Forderungen geht, die unsere Grundrechte betreffen, wir sie nicht gegen die Interessen der Arbeiter*innen ausspielen dürfen.

Wenn wir das Beispiel der iranischen Frau nehmen, können wir darin sehr gut die Widersprüche von reduktionistischen Positionen auch im internationalen Sinne erkennen. Nach der völligen Entrechtung der Frauen im Iran gilt, dass die Frau im Vergleich zu dem Mann nur die Hälfte des Erbes bekommt. Nach den Gesetzen des iranischen Regimes darf eine Frau nicht in einer anderen Stadt studieren, wenn das erste männliche Bezugsmitglied der Familie (ihr Vater, ihr Mann, ihre Brüder und so weiter) das nicht erlaubt. Sie darf nach der selben Logik nicht den Mann ihrer Wahl heiraten, wenn die männliche Bezugsperson nicht einverstanden ist, darf das Land nicht verlassen, bekommt nach der Scheidung nicht einfach das Sorgerecht. Sie hat sogar kein eigenes Scheidungsrecht, kann aber jederzeit von dem Mann verlassen werden, wenn die Summe des Heiratsbeitrages (Mehrieh), worüber ihre Familie vor der Heirat zu verhandeln hat, nicht hoch genug ist (ein Gesetz, das Frauen dazu bringt, sich als Ware bei der Heirat verhandeln lassen). Sie bekommt kein Haushaltsgeld von dem Mann, wenn sie sich weigert, mit ihm zu schlafen.

Wir müssen also immer darauf achten, dass, auch wenn wir über „Frauen“ der bürgerlichen Klasse reden – vor allem, wenn das patriarchale System so stabil ist –, wir immer noch von „Frauen“ reden, die innerhalb dieser Klasse unterdrückt werden, und nicht von der bürgerlichen Klasse selbst.

Um das sinngemäß im Anschluss an Simone de Beauvoir zu formulieren: „ Die Frauen haben in patriarchalen Gesellschaftsstrukturen immer ein Problem damit, sich als Frau zu definieren, weil sie systematisch daran gehindert werden.“

So gesehen identifizieren sich Frauen in solchen Gesellschaftsstrukturen zum Beispiel eher mit den Männern innerhalb ihrer Familienstrukturen, innerhalb der bürgerlichen Klasse, als dass sie sich mit ihrer Putzfrau als Frau identifizieren. Der Feminismus sollte uns ein Bewusstsein schaffen, womit wir diese Mauer durchbrechen und uns nicht spalten lassen, wenn es um unsere Grundrechte geht. Im Kontext der „Töchter der Revolutionsstraße“ wird das Grundrecht das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper sein, genauso wie beim Thema Abtreibung im internationalen Sinne.

Der marxistische Feminismus beruht also nicht darauf, solche gemeinsamen Forderungen nicht als gemeinsame zu verstehen, sondern er beruht darauf, die soziale Frage in diese Forderungen einzubeziehen. Im Fall der Abtreibung wird diese Forderung dann so formuliert: „ das Recht auf kostenlose Abtreibung für alle Frauen“.

Drittens: Straße

Die existierende Ordnung der Staaten hat ein großes Problem mit der Straße. Je weiter diese Staaten von demokratischen Grundrechten entfernt sind, desto größer ist der Konflikt mit dem Thema „Straße“ als Öffentlichkeit und Bühne der Unterdrückten. Dieser Konflikt basiert darauf, welches Ausmaß von „Gleichheit und Gerechtigkeit“ in dem Grundgesetz eines Staates verankert wurde. Zum Beispiel haben die westliche Staaten wenig Probleme damit, wenn die Frauen auf der Straße demonstrieren und das Recht auf Abtreibung fordern. Würden aber dieselben Frauen ihre Arbeit niederlegen und zu radikaleren Mitteln greifen, die diese Forderungen durchsetzen sollen – wie Blockaden und Barrikaden auf den Straßen –, würden auch diese Staaten mit Polizeigewalt versuchen, diese Frauen zu stoppen.

Das iranische Regime sabotiert die Straße seit Jahrzehnten für die Aufführung seiner eigenen Propaganda. Die Notwendigkeit, vom öffentlichen Raum Gebrauch zu machen, wird permanent repressiv beantwortet. Nur in den ersten Monaten nach der Revolution gab es eine bewegende Freiheit im Iran, was die Öffentlichkeit betraf. Sehr schnell hat das Regime im Kontext der Etablierung seiner Macht die Bedürfnisse der treibenden Kräfte der Revolution, wie den Frauen, revolutionären Organisationen, Student*innen, Kurd*innen etc. mit der höchsten Stufe der Repression beantwortet. Die Apparate der islamischen Republik wie das staatliche Fernsehen und die Medien, das Bildungssystem, die Justiz, die Universitäten, genauso wie der Geheimdienst und die Polizeiapparate wie Basij oder Sepah, sind alle gleichzeitig die Repressionsapparate des Regimes. Sie verneinen in einer grausamen Zusammenarbeit miteinander die Anwesenheit der Protestierenden auf der Straße und propagieren die Aufführung ihrer eigenen Befürworter, die sie selbst mobilisieren.

Das Regime verliert jedes Mal ein Stück sein ideologisches Gesicht, wenn der unzufriedene Teil der Bevölkerung aufsteht und sich auf der Straße sammelt. Deswegen kann jeder Aufstand im Iran auf der Straße blutig werden.

Wenn wir zurückblicken auf die Revolutionszeit, waren die Frauen die ersten Kräfte, die sich gegen den reaktionären Charakter der Konterrevolution – also die Islamisten – gewehrt haben. Sie wurden als erstes angegriffen, und sie haben sich als erste auch gewehrt. Es gab tagelange Proteste im Rahmen des ersten 8.März im Iran nach der Revolution. Frauen, die auf die Straße kamen und so klug riefen: „Wir haben nicht revoltiert, um zurückzurudern!“ Diese Frauen wussten schon damals genau: Wer mit der Repression der Frauen anfängt, führt auch keinen progressiven Kampf gegen den Imperialismus. Tatsächlich haben aber die marxistischen Organisationen diese Frauen nicht aktiv unterstützt. Wer über die Frauen lachte, hatte noch die schlechte Nachricht nicht gehört. Ein paar Jahre später während des Iran-Irak-Kriegs wurden nach offiziellen Angaben mehrere Tausende Marxist*innen im Iran ermordet – in nur einem Sommer.

Das iranische Regime hat also direkt nach der Revolution ein Bild der Frau propagiert, das sich in drei Richtungen richtete:

  1. Das ideologische Bild des Regimes nach innen, und wie die Gesellschaftsstruktur der iranischen Bevölkerung auszusehen hatte;
  2. das ideologische Bild des Regimes gegen die Opposition;
  3. das ideologische Bild des Regimes im internationalen Kontext in Verbindung mit der Außenpolitik.

Die Straße als öffentlicher Raum wurde also nach der Repression der Frauen nach dem ersten 8. März-Protest nach der Revolution zum Schlachtfeld des iranischen Regimes gegen die Bevölkerung, Frauen, Revolutionär*innen etc. Alleine die tagtägliche Repression gegen Frauen, was ihre Kleidungsordnung betrifft, ist ein Beispiel, wie diese als Normalität funktionieren sollte. Was sehr offensichtlich ist, dass die „Töchter der Revolutionsstraße“ – sei es aus einer Notwendigkeit heraus oder sei es aus politischem Bewusstsein – auf die Straße als Bühne ihrer performativen Aktionen zurückgekehrt sind. Sie sind damit zu den Frauen des 8. März nach der Revolution zurückgekehrt.

Vida Movahed, die erste Tochter der Revolutionsstraße, hat mit ihrer kreativen Aktion der Einsamkeit der iranischen Frauen einen Körper verliehen. Sie stand alleine auf einem Stromkasten. Sie hat ihr Kopftuch an einem Ast aufgehängt und es hochgehalten, ohne ein Wort zu sagen, sie hat sich von nichts und niemandem ablenken lassen, bis die Polizei ankam und sie festgenommen hat. Sie hat mit ihrer Aktion lautlos geschrien: „Der König ist nackt!“

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Das Bild wurde in der ganzen Welt berühmt, es hat eine Runde um die Welt gemacht und ist wieder zurückgekommen zu den iranischen Frauen. Das Bild hat sich vermehrt. Schon ein paar Wochen später gab es wieder dieselbe Aktion von verschieden Frauen in verschiedenen Städten.

Dieses Jahr gab es dann den ersten Aufruf der Feministinnen nach elf Jahren für den 8. März. Sie haben Arbeiterinnen, Studentinnen, Pflegerinnen, Lehrerinnen aufgerufen, sich vor dem Arbeitsministerium zu sammeln, um gegen das Patriarchat und die Neoliberalisierung des Landes zu protestieren. Vielleicht etwas zu früh, vielleicht etwas zu unorganisiert. Die Polizei hat diese Feministinnen alle festgenommen und tagelang in Untersuchungshaft gehalten. Die Straßen, die zum Arbeitsministerium führten, wurden an dem Tag alle gesperrt.

Trotzdem ist die Stimme dieser Frauen nicht mehr zu verneinen.

Die Frauenbewegung im Iran hat einen neuen Anfang. Im Kontext der harten Repression ist sie noch viel flexibler und sporadischer. Aber sie findet viel politischer statt als je zuvor. Das sind wirklich extrem gute Nachrichten. Sie erinnerten uns auch im Kontext der Massenproteste im Iran: Keine Revolution ist ohne Frauen möglich!

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