Interview: Wir können uns in der Palästinafrage nicht auf den Staat verlassen

10.04.2025, Lesezeit 4 Min.
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International kämpft die Palästinabewegung gegen Repression und um ihre Meinungsfreiheit. // Foto: Christopher Penler (shutterstock.com)

Unser Redakteur Kilian Gremminger führte ein Interview mit R. von "Palästina Spricht", die gerade wegen ihrer Palästinasolidarität vor Gericht steht.

Am 14. März stand die Aktivistin R. von der Organisation „Palästina Spricht“ in München vor Gericht verurteilt. Offenkundig geht es bei dieser Anklage darum sie für ihren Aktivismus zu reprimieren. Unser Redakteur Kilian Gremminger führte mit ihr ein Interview über das Verfahren.

Vor zwei Wochen war die erste Gerichtsverhandlung in München zu deinem Fall. Wieso wurdest du angeklagt? 

Die Anklage lautete in zwei Fällen: „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ Klingt erstmal krass, wenn man sich allerdings beide Sachverhalte genauer anschaut, ist es lächerlich und wirft große Fragen auf. Auch das Grundgesetz stelle ich bei derartigen Anklagen stark in Frage. Hier wird ganz klar selektiert, für wen es umfänglich gilt und für wen nicht.

Die genauen Aussagen lauten: 

9. Dezember 2023:

„Wir fordern die nationale und internationale Gemeinschaft auf, sich uns anzuschließen und eine klare Botschaft der Gerechtigkeit und des Friedens für Palästinenser*innen zu senden. Und zwar für alle Palästinenser*innen weltweit! Auch vom Jordan bis zum Mittelmeer“

29. Juni 2024:

„Was eigentlich genau mit der Parole -FTRTS- gemeint ist, entgegen der Stadt München, sie ist ein Schrei! Ein Schrei der palästinensischen Menschen nach Würde, Freiheit, Frieden, Gleichberechtigung und vor allem nach Rückkehr in ihre Heimat! All das, wofür jede, jegliche Demokratie auf der Welt stehen sollte, auch hier in München“

Die Gerichtssitzung zog sich über fünf Stunden in die Länge, wie verliefen die Diskussionen im Saal?

Sehr zäh. Ich hatte den Eindruck, dass weder der Staatsanwalt noch die Richterin die Kompetenzen besitzen, solch einen Fall zu verhandeln. Es wurden propagandistische Argumente genutzt. Einige Beweismittel aus Quellen, wie z.B. Memri (gegründet von ehem. Mitgliedern des israelischen Geheimdienstes) wurden seitens meines Anwaltes abgelehnt. Außerdem hat sich die Richterin auf Einschätzungen und Urteile des BMI gestützt, anstatt eine unabhängige Entscheidung zu treffen. Das ist höchst problematisch, da dies die Gewaltenteilung untergräbt und die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellt. Dieses Verfahren hat eindeutig gezeigt, dass es nicht um eine objektive Wahrheitsfindung ging. Vielmehr wurde erneut bestätigt, dass Deutschland uneingeschränkt an der Seite Israels steht und dass es einzig und allein um die Verwirklichung eigener politischer imperialistischer Interessen in der SWANA Region geht. Das Urteil war nicht rechtlicher, sondern politischer Natur.

Was war das vorläufige Ergebnis der Verhandlung vom 14. März?

Ich wurde insgesamt zu 90 Tagessätzen à 40€ verurteilt.

Wie geht es jetzt weiter mit deinem Prozess?

Wir gehen natürlich in Berufung, da solch ein Urteil in diesen Fällen nicht akzeptabel ist und sogar sehr besorgniserregend ist. 

Es kommt ja zu zahlreichen Verfahren gegen die Palästinabewegung. Wie sollte die Palästinabewegung darauf antworten?

Am wichtigsten finde ich es, NICHT einzuknicken, sich nicht durch die Repressionen brechen zu lassen. Denn das ist das Ziel. Im Gegenteil, wir müssen noch stärker darauf antworten. Die stärkste Form ist es meiner Meinung nach als Gemeinschaft organisiert auf diese Verfahren zu antworten. Wir sollten uns in Vereinen/Organisationen wie z.B. 3ezwa, ELSC organisieren. Wir brauchen exzellenten rechtlichen Beistand, am besten aus unseren Reihen, finanzielle Mittel und vor allem Überzeugung, um auf diese Verfahren zu antworten. All das können wir stemmen- wir sind bereit.

Möchtest du noch etwas Abschließendes sagen?

Es wurde offensichtlich, dass sämtliche Institutionen den staatlichen Vorgaben unterliegen und letztlich nur der Machterhaltung einer kleinen Elite dienen. Für uns bedeutet das: Auf diesen Staat können wir uns nicht verlassen, weder in der Palästinafrage, noch was aktuelle Probleme unsere Gesellschaft betrifft, denn er verteidigt konsequent seine imperialistischen Interessen – und stellt sich damit gegen uns. Er bekämpft uns, weil wir diese Interessen infrage stellen. Deshalb müssen wir uns dem entgegenstellen.

Die Konsequenz daraus ist, dass wir uns in allen Bereichen selbst organisieren müssen – sowohl in rechtlichen Fragen als auch in gesellschaftlichen Angelegenheiten. Mehr denn je kommt es darauf an, zusammenzuhalten. Denn in vielen Bereichen wird dringend Unterstützung benötigt: in der Arbeitswelt, für alleinerziehende Mütter, für migrantische Gemeinschaften und in vielen anderen sozialen Fragen. Nur durch Solidarität und Eigeninitiative können wir eine unabhängige Struktur aufbauen, die nicht von staatlichen Interessen gelenkt wird.

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