Interview: „Talking Palestine“-Konferenz in Frankfurt soll zum Schweigen gebracht werden
Unser Redakteur Max Freitag im Gespräch mit den Organisator:innen der Konferenz „Talking about (the Silencing of) Palestine“.
Die von euch organisierte Konferenz soll den aktuellen „Einschränkungen der Wissensproduktion“ in Bezug auf den Völkermord in Palästina begegnen. Wie wollt ihr das angehen?
Die Konferenz „Talking about (the Silencing of) Palestine“ ist eine wissenschaftliche Veranstaltung, die vom 16. bis 17. Januar in Frankfurt am Main stattfindet. Sie wird von Studierenden und Wissenschaftler:innen organisiert und verfolgt das Ziel, Diskursräume zu eröffnen, um über aktuelle Forschungsergebnisse zum anhaltenden Völkermord in Gaza zu berichten, zu diskutieren und ebenfalls die systematische Repression dieser in institutionellen Kontexten zu problematisieren. Dass es sich bei dem israelischen Angriffskrieg in Gaza um einen Völkermord handelt, ist unter international führenden Genozid-Forschenden, Menschenrechtsorganisationen und namhaften Jurist:innen wenig umstrittener Konsens. Allerdings wird wissenschaftliche Arbeit, die sich ernsthaft mit den Bedingungen, der Beschaffenheit und den Implikationen des Völkermordes in Gaza auseinandersetzt, an deutschen Universitäten nur ungern gesehen und durch entsprechende Funktionär:innen systematisch zensiert. Zum andern wollen wir die spezifischen, politischen Herausforderungen – etwa die Fördergeld-Affäre von Bettina Stark-Watzinger oder die mediale Diffamierung zu „Universitätern“ durch die Springer-Presse –kontextualisieren und ihre ideologischen Ursprünge und Verwobenheiten beleuchten. Die deutsche Mittäterschaft am Genozid in Gaza ist kein zufälliges Naturphänomen, sondern Konsequenz imperialistischer Machtlogik, die es wissenschaftlich zu sezieren gilt. Nicht zuletzt wollen wir auch den politischen Auswirkungen nachgehen: Was passiert, wenn akademische Diskurse repressiert und öffentliche Debatten ausgeschwiegen werden, die verheerend sind für die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen des normalisierten Rechtsrucks und des sich ausweitenden Ausbaus staatlicher Herrschaftsinstrumente?
Für die Konferenz haben wir international renommierte Wissenschaftler:innen eingeladen, etwa aus der Genozid- und Holocaust-Forschung sowie den Politikwissenschaften, Rechtswissenschaften, aber auch den Kulturwissenschaften. Zentrale Forschungsfragen befassen sich unter anderem mit Fragen der kritischen Geschichtsschreibung und die systematisch ungleich verteilte Fähigkeit zur Produktion und Verbreitung von Wissen in und um Palästina, der Kontextualisierung und Instrumentalisierung von Antisemitismus und Rassismus, Praktiken des Widerstands sowie der Bedeutung von kritischer Wissenschaftsproduktion und sozialer Bewegungen für die Ausweitung demokratischer Rechte und Gleichheit für alle. Dazwischen finden an beiden Tagen auch Workshops statt, wie etwa vom palästinensisch-feministischen Archiv aus Berlin, zum Thema der internationalen Protestbewegung, sowie zur Frage eines dekolonialen Queer-Feminismus in Palästina. Die näheren Beschreibungen der 7 Panels und 8 Workshops befinden sich hier.
Welche Rückmeldungen bekommt ihr?
Wir haben überwiegend positive Rückmeldungen erhalten. Über 550 Interessierte haben sich bereits zur Konferenz angemeldet, knapp eine Woche vor Konferenzbeginn – Tendenz steigend. Insbesondere aus der Zivilgesellschaft und von anderen Wissenschaftler:innen gab es viel Unterstützung und Zuspruch für die Konferenz und die Themen, die wir besprechen wollen. Dies verdeutlicht auch, dass obgleich die herrschende Meinung in bürgerlichen Universitäten sich durchsetzt, Gegenpositionen durchaus vorhanden sind. Das deckt sich auch mit aktuellen Umfragen, die zeigen, dass ein Großteil der Deutschen das militärische Vorgehen Israels gegen Palästina ablehnt.
Der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker (CDU) nennt die Konferenz einen „Wanderzirkus bekannter Israelhasser“. Seid ihr das?
Der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker hat – wie zu erwarten – versucht, die Konferenz zu diffamieren. Auch seitens der Universität wurden uns einige Hürden in den Weg gelegt, was die Organisation der Veranstaltung erschwert hat. Aber er scheint mit seinen Anschuldigungen als Antisemitismusbeauftragter auch vor dem bürgerlichen Staat keinen Freipass zu bekommen. In einem Gerichtsprozess gegen die Stadt Frankfurt wurde im Mai 2023 darüber geurteilt, dass Diffamierungen, in denen Becker eine jüdische Aktivistin als antisemitisch beleidigt hatte, rechtswidrig sind. Wir erwägen gerade, ob wir im Kontext der Konferenz und den Diffamierungen gegen eine der Moderator:innen, getragen von der FAZ und anderen, juristisch dagegen vorzugehen.
Es gab auch Probleme mit den Räumlichkeiten?
Vor kurzem standen wir noch im Gespräche mit der Universität, obgleich die FAZ bereits behauptete, das Silencing der Konferenz in der Universität wäre bereits vollzogen. Es erübrigt sich, auf die Ironie hinzuweisen, dass gerade eine akademische und internationale Konferenz in Deutschland zum Thema ‘Über das Silencing von Palästinas zu sprechen’, gesilenced werden soll. Es werden uns also von Seiten der Leitung der Uni Steine in den Weg gelegt. Inzwischen hat die Uni der Konferenz tatsächlich die Räume aus Feigheit vor offener und auch selbstkritischer Diskursführung verweigert.
Wird die Konferenz weiterhin stattfinden?
Die Konferenz wird stattfinden. Die Universität sollte ein Ort sein, wo Fragen offen gestellt, Wissen produziert und revidiert und wo Protest ein historisch bedeutsames Mittel für Kämpfe um Gerechtigkeit war und noch ist. Aber wenn diese Institutionen nicht weiter zulassen, gesellschaftliche Auseinandersetzungen auf Grundlage empirischer Tatsachen auszutragen, dann müssen, unter Vorbehalt des Protests, alternative Orte der Wissensproduktion und -Vermittlung geschaffen werden. Unsere demokratischen Rechte sind momentan so stark unter Beschuss, wie es lange nicht mehr in diesem Land der Fall war. Die Verwaltung und das Präsidium, welche über den Köpfen von international renommierten Wissenschaftler:innen hinweg die alleinige Definitionsmacht darüber behalten, ob es einen akademischen Diskurs über das Silencing Palästinas geben darf oder nicht, zeugt von den zutiefst antidemokratischen und autoritären Entscheidungsprozessen an der Universität.
Weitere Angaben und Updates folgen kurz vor Beginn auf unseren Social Media Kanälen: Instagram oder Twitter.
Spenden zur Deckung der Konferenzkosten nehmen wir weiterhin unter talkingpalestine.de an.