Interview: SlutWalk in Berlin

09.09.2012, Lesezeit 4 Min.
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Demonstration gegen sexualisierte Gewalt: Solidarität mit „Schlampen“ soll dem Begriff die abwertende Bedeutung nehmen. Interview mit Lisa Bovac, Studentin und Mitorganisatorin der SlutWalk-Demonstration in Berlin am 15. September.

Am 15. September findet bereits zum zweiten Mal eine „SlutWalk“-Demonstration in Berlin statt. Was sind eure Ziele?

Wir demonstrieren gegen sexualisierte Gewalt und deren Verharmlosung. Wir wollen ein breiteres Bewusstsein dafür schaffen, dass den Betroffenen von sexualisierter Gewalt keine Mitschuld gegeben werden darf. Wir demonstrieren für unser Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich Körper, Geschlecht, sexueller Orientierung, Verhalten, Aussehen und Kleidung. Zum SlutWalk um 14 Uhr am Brandenburger Tor sind alle Menschen eingeladen, die sich mit diesen Zielen identifizieren können. Dabei verstehen wir uns als Teil einer weltweiten „SlutWalk“-Bewegung, die zu einem großen Netzwerk geworden ist.

Wie sehen alltägliche Erfahrungen mit Vergewaltigung und sexueller Gewalt in der heutigen BRD aus?

Jährlich werden bundesweit rund 12000 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung angezeigt. Die Dunkelziffer wird auf das zehn- bis zwanzigfache geschätzt. Die Gesellschaft lehrt: „Lasse dich nicht vergewaltigen“, anstatt: „Vergewaltige nicht“. Jedes Mädchen und jede Frau kann unabhängig von ihrem Alter, ihrem Aussehen, ihrer Kleidung betroffen sein. Es gibt kein Verhalten, das eine Vergewaltigung rechtfertigen könnte. Es gibt aber auch kein Verhalten, das eine Vergewaltigung ausschließen kann.

Wie hat die internationale SlutWalk-Bewegung angefangen?

Seinen Ursprung hat der SlutWalk im kanadischen Toronto. Dort fand er am 3. April 2011 zum ersten Mal statt. Anlass war die Bemerkung eines kanadischen Polizeibeamten, der Frauen empfahl, sich „nicht wie Schlampen anzuziehen“, um nicht zum Opfer von Gewalt zu werden. Eine Aussage, die zu den Mythen gehört, die sich um Vergewaltigungen ranken. Denn hier überwiegt der Irrglaube, Regeln befolgen und sich somit absichern zu können. Die Wut darüber brachte schon in Toronto über 3.000 Menschen auf die Straße. Seither breitet sich die Idee des SlutWalk weltweit aus.

Presseberichte behaupten, die Demonstrationsteilnehmenden in Berlin würden besonders viel Haut zeigen. Was bedeutet das?

Es gibt auf SlutWalks keinen Dresscode. Jede und jeder kann selbst entscheiden, in welcher Form sie oder er sich diesem Protest anschließen will. Wir können das leider nicht beeinflussen, auch wenn wir in allen Interviews darauf hinweisen, dass die Medien gerne Bilder von halbnackten Frauen veröffentlichen. Und selbst wenn in den Medien die Maxime „sex sells“ gilt, widerspricht der SlutWalk in seinem Auftreten eigentlich diesem Bild: Was auf den Transparenten, Flyern und Schildern des SlutWalk ausgesagt wird, kann nicht von den Körpern getrennt werden. So war eine beliebte Parole aus den SlutWalks der USA: „Mein kurzer Rock ist keine Einladung, mich anzufassen.“ Oder letztes Jahr war ein Schild: „Ich will Sex, aber nicht mit dir.“

Warum verwenden Sie den Begriff „Slut“, der im Englischen fast immer abwertend gemeint ist?

Es geht darum, sich mit Menschen, die als „Slut“, also „Schlampe“, bezeichnet werden, zu solidarisieren – und dem Begriff somit seine abwertende Bedeutung zu nehmen. Da wir in Berlin uns in der Tradition der weltweiten SlutWalks sehen, wollten wir keine Namensänderung beschließen, ohne dies mit den anderen SlutWalks gemeinschaftlich zu diskutieren. Damit keine Missverständnisse entstehen, haben wir uns dieses Jahr für einen Untertitel gegen sexualisierte Gewalt entschieden. Wir wollen mit diesem Untertitel darauf hinweisen, dass es um ein strukturelles gesellschaftliches Problem – um eine Vergewaltigungskultur – geht. Wir leben hier und auf der ganzen Welt in einer patriarchalen Gesellschaftsform, die Frauen, Trans-Menschen sowie inter-, homo- und bisexuelle Menschen unterdrückt.

Eine letzte Frage: Sind Männer, die ein Zeichen gegen sexuelle Gewalt setzen wollen, auch willkommen, oder ist das erst mal eine Aktion von und für Frauen?

Auf keinen Fall ist das eine Aktion von Frauen für Frauen. Der SlutWalk ist selbstverständlich offen für alle Geschlechter. Auch Jungs und Männer sind von sexualisierter Gewalt betroffen. Und viele Männer wollen sich dagegen aussprechen. Wir leben in einer Vergewaltigungskultur, und dies zu bekämpfen, geht alle an – auch wenn viele die Augen davor verschließen, so nach dem Motto: „Kann ja gar nicht sein, dass es so schlimm ist.“ Mit unserer Demo wollen wir dieses Schweigen durchbrechen.

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