Interview: Proteste der Geflüchteten in München
In mehreren deutschen Städten kämpfen Flüchtlinge für ihre Rechte – und oft auch gegen Legenden. Ein Interview mit Arash Oosthossein, politischer Flüchtling aus dem Iran, der an dem Hungerstreikcamp der „Non-Citizens“ („NichtbürgerInnen“) am Rindermarkt in München teilnahm, das am 30. Juni von der Polizei geräumt wurde. Wir veröffentlichen das Interview von Reinhard Jellen, das von Suphi Toprak übersetzt wurde und in gekürzter Form in der jungen Welt veröffentlicht wurde.
Wie habt Ihr die Räumung des Camps am Sonntagmorgen erlebt?
Wir sind schockiert, wie aggressiv und gewalttätig Deutschland im 21. Jahrhundert auf uns reagiert. Die Polizei ist erst einmal ohne Warnung an uns heran geschlichen und hat dann das Camp gestürmt. Wir haben geschlafen, als plötzlich die Polizei uns attackiert hat. Zuerst hielten wir uns gegenseitig fest. Das hat ungefähr eine Stunde gedauert. Dann ist die Polizei mit Zwang und Gewalt gegen uns vorgegangen und hat uns zum Teil in Handschellen abgeführt.
Offiziell gilt die Version, dass die Polizei das Camp stürmen musste, weil ÄrztInnen der Zutritt verweigert wurde, während sich Menschen konkret in Lebensgefahr befunden hätten.
Das haben die Medien berichtet, welche einfach die offiziellen Erklärungen der Polizei übernommen haben. Vor dem Überfall am Sonntag hat die Stadt eine Atmosphäre geschaffen, die den Angriff rechtfertigte, indem sie behauptete, dass für einige von uns Lebensgefahr bestehen würde. Es war aber ein unabhängiger Arzt ständig im Camp. Ab Mittwoch waren bei uns rund um die Uhr unabhängige MedizinerInnen im Camp, die hierzu noch eine Presseerklärung abgeben werden.
Wie hast Du den Arzt erlebt, der eine unmittelbare Lebensgefahr für einen Hunger- und Durststreikenden diagnostizierte?
Dieser Arzt war im Camp. Wir haben ihm aber untersagt, unsere Leute zu untersuchen, weil unabhängige MedizinerInnen am Ort waren. Er hat also die Leute nicht untersucht und trotzdem behauptet, dass für einen von uns Lebensgefahr bestehen würde.
Am Samstagabend kam es noch zu Verhandlungen mit Hans-Jochen Vogel und Alois Glück. Wie sind diese abgelaufen?
Die beiden haben uns aufgefordert, den Streik sofort abzubrechen, ohne ein konkretes Angebot zu machen. Sie haben uns lediglich das Wort gegeben, sich in diesem Falle persönlich dafür einzusetzen, dass unsere Verfahren beschleunigt behandelt werden. Wir Non-Citizens haben uns aber schon seit anderthalb Jahren zusammengeschlossen und haben auch solch leere Worte bereits öfter gehört. Wir wissen mittlerweile, dass sich der Staat an solche Versprechungen nicht hält.
Wenn man laut offizieller Version das Camp gestürmt hat, um Leben zu retten: War das Verhalten der Polizei diesem Ziel angemessen?
Mit dieser Aktion wurden die Menschen erst in Gefahr gebracht. Ähnliches hat man in der Türkei vor einigen Jahren bei Hungerstreikenden im Gefängnis praktiziert: Man unterbindet die Hungerstreiks mit aller Gewalt und nennt die Aktion „Zurück in das Leben“, obwohl dabei mehrere Menschen umgekommen sind. Das ist eigentlich nur ein Spiel mit Wörtern.
Die offizielle Begründung war also eine humanitäre Aktion, in Wahrheit wurde bewusst mit Gewalt vorgegangen, um vor weiteren Aktionen dieser Art abzuschrecken?
Das ist richtig. Ich habe den Eindruck, dass dergleichen und auch die anschließende, ausgesprochen rüde Behandlung der Hungerstreikenden in ihren Zellen in Deutschland mittlerweile zum Normalzustand geworden sind. Ich wurde in den letzten anderthalb Jahren 13 bis 15 mal festgenommen und jedes mal war die Behandlung durch die deutsche Polizei die gleiche.
Offiziell wird angenommen, dass euer Sprecher Ashkan Khorasani die Aktion benutzt hat, um sich selbst als politischer Führer zu stilisieren.
Diese Erklärung ist natürlich Unsinn. Unsere Forderungen sind deswegen politisch, weil sie von Natur aus politisch sind.
Eure Erklärungen sind nicht nur Verlautbarungen über eure unmittelbare Situation als Flüchtlinge, sondern auch Analysen von links.
Es gibt keinen Kampf ohne linke Inhalte, weil jeder Kampf letztendlich ein Klassenkampf ist. Auch Leute, die nicht mit linken Ideen in unseren Kampf treten, werden durch die Praxis sehen, dass es ein linker Kampf ist.
Ist die EZLN in Mexiko ein Vorbild für Euch?
Wir untersuchen die Erfahrungen der internationalen Bewegungen und ihre Theorien. Für unseren Kampf haben wir aber unabhängige Theorien und Ansichten.
Ihr habt Euch in Euren Erklärungen zum Hungerstreik auf Bobby Sands und Holger Meins bezogen. War das kontraproduktiv oder seht Ihr Euch tatsächlich in dieser Tradition?
Wir haben damit der Polizei ein Argument in die Hand gespielt, das Camp zu stürmen, in diesem Sinne hat uns das nicht genutzt. Andererseits wusste damit die Stadt, dass sie es mit Leuten zu tun hat, die auf die Straße nicht gehen, um zu betteln, sondern um zu kämpfen. Wir haben keine Alternative zum Kampf. Wenn wir nicht kämpfen gibt es eigentlich nur zwei Optionen: Auf die Abschiebung zu warten oder sich gleich umzubringen.
Mehrere von Euren Leuten im Camp waren konkret von Abschiebung bedroht. Hat sich an deren Situation nun etwas geändert?
Es hat sich einiges bewegt: Eine Abschiebung wurde bereits verhindert und es steht zur Zeit auch nicht zur Diskussion, weitere Leute von uns abzuschieben.
Der bayerische Innenminister hat verlautbaren lassen, dass Euer Sprecher Ashkan Khorani Leute zu einem Hungerstreik instrumentalisiert hat, die gar nicht begriffen haben, um was es dabei geht. Ist das nicht eine Aussage, die im Grunde rassistisch ist?
Natürlich ist so eine Bemerkung durch und durch rassistisch. Auch die Süddeutsche Zeitung hat über uns gerätselt, wie es möglich sei, dass Asylsuchende wissen, wer Holger Meins war. Ich komme zwar aus Persien, fordere aber den AutorInnen auf, mit mir über 68er Bewegung in Deutschland und die Mai-Revolution in Frankreich zu diskutieren. Dann kann man ja sehen, wer von uns sich darüber besser auskennt.
Ich war am Samstagnachmittag bei Eurem Camp und habe dort den für die Münchner Fußgängerzone typischen Wohlstandspöbel erlebt. Wie habt Ihr die Reaktionen auf Eure Aktion aufgefasst?
Wir haben in den letzten anderthalb Jahren In Deutschland sehr viele böse, aber auch sehr gute Reaktionen erlebt. Unsere Forderungen werden sowohl von politischen Gruppen und Gewerkschaften unterstützt.
Habt Ihre konkrete Unterstützung von den Gewerkschaften erfahren?
Wir haben von den Gewerkschaften keine direkte Unterstützung erhalten, aber viele Leute, die uns unterstützt haben, waren GewerkschafterInnen. Wenn wir die Mittel hätten, um mit der gesamten deutschen Gesellschaft zu kommunizieren, könnte ich mir vorstellen, dass die große Mehrheit auf unserer Seite wäre.
Der zentralen Perversion im Kapitalismus, dass die Dinge über den Menschen stehen, sind die Non-Citizens, die nicht einmal legal ihre Arbeitskraft zu Markte tragen dürfen, am stärksten ausgesetzt.
Natürlich. Ein Stück Papier namens Pass macht mich hier erst zum Menschen, der überhaupt erst Rechte hat: Die Aufenthaltserlaubnis, die Erlaubnis mich frei zu bewegen, auf die Schule zu gehen, zu studieren.
Die Non-Citizens sind in Deutschland sozial das schwächste Glied. Jetzt macht aber der deutsche Staat die Entdeckung, dass die Schwächsten gar nicht so schwach sind. Wie geht es den Leuten, die diese Erfahrung gemacht haben?
Die Non-Citizens sind nicht das schwächste Glied in der Gesellschaft, sondern die unterste Schicht der ArbeiterInnenklasse. Das ist keine Schwäche, sondern ein Kampf um Rechte, der zu ihrem Leben gehört, weil sie nicht anders handeln können. Nach unserer Analyse sind die Non-Citizens radikal, weil sie etwas gewinnen wollen und nichts zu verlieren haben. Dieser Kampf ist das Mittel, um zu überleben.
Der Grund, warum die Leute aus ihren Ländern fliehen ist in der kapitalistisch-imperialistischen Weltordnung zu suchen. Darüber muss man sich erst einmal klar werden. Wenn Deutschland illegal Waffen in alle Welt exportiert, dann muss es auch darauf gefasst sein, dass die Leute auch hier herkommen, die unter menschenwürdigen Bedingungen leben wollen. Wir denken nicht, dass der deutsche Staat das Recht hat, uns den Aufenthalt zu verweigern. Ich bin im Iran mit Geräten Made in Germany gefoltert worden. Ich habe an meinem Körper noch diese Narben.
Du bist also im Iran nachweislich gefoltert worden und Ihr Asylantrag ist nicht genehmigt?
Ich bin kein Einzelfall. Viele Leute, die gefoltert worden sind, haben in Deutschland bisher keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen.
Wie geht es bei Euch weiter?
Auf diese Frage kann ich schlecht eine Antwort geben, weil wir uns gerade in einer Diskussionsphase über unsere nächsten Pläne befinden. Aber der nächste Plan wird nicht sehr lange auf sich warten lassen.
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