Interview: Neuer Papst aus Argentinien

24.03.2013, Lesezeit 5 Min.
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Ungeklärte Rolle während der Militärdiktatur: Argentinischer Papst hat anscheinend Dreck am Stecken. Ein Interview mit Myriam Bregman ist Menschenrechtsanwältin des CEPRODH (Zentrum der Akademiker für die Menschenrechte) in Argentinien. Sie führt Prozesse gegen Angehörige der früheren Militärdiktatur. Außerdem ist sie führendes Mitglied der Partei Sozialistischer ArbeiterInnen (PTS, argentinischer Sektion der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale)

Die bürgerliche Presse bemüht sich, den soeben zum Papst gewählten Argentinier Jorge Mario Bergoglio als besonders bescheiden darzustellen, er sei auch etwas fortschrittlicher als sein Vorgänger Joseph Ratzinger. Wie stellt sich das aus argentinischer Sicht dar?

Die katholische Kirche ist in schwerste Korruptionsskandale verwickelt, sie deckt die Verbrechen Tausender Geistlicher, die Kinder missbrauchten. Und weil sie deswegen in der ganzen Welt Gläubige verliert, braucht sie eine Art Gesichtsoperation, um weitermachen zu können.

Ich glaube, dass Bergoglio genau dieses Facelifting anstrebt. Die "Bescheidenheit", die er als Papst zur Schau trägt, soll nur den Schmutz vergessen machen, den diese reaktionäre Institution in den 2.000 Jahren ihrer Existenz angesammelt hat.

Bergoglio wird vorgeworfen, er habe 1976 bei der Entführung der später gefolterten Priester Ferenc Jalics und Orlando Yorio mit der Militärdiktatur zusammengearbeitet. Was ist daran?

Yorio und Jalics waren sogenannte Volkspriester, sie arbeiteten in einem Armenviertel. Ihr Vorgesetzter im Jesuitenorden war Bergoglio. Kurz nach Errichtung der Diktatur wurden sie von Soldaten entführt und fünf Monate lang festgehalten und gefoltert. Der mittlerweile verstorbene Yorio hat bis zuletzt den Verdacht geäußert, Bergoglio habe sie ausgeliefert. Jalics, der heute in Deutschland lebt, hat sich zwar nach eigener Aussage mit Bergoglio versöhnt – aber er dementiert nicht, dass dieser sie ausgeliefert habe.

2010 musste Bergoglio als Zeuge in einem Gerichtsverfahren aussagen – du warst dabei. Was sagte er zu diesen Vorwürfen?

Er habe drei Tage nach der Entführung von Jalics und Yorio gewusst, dass sie im Folter- und Hinrichtungszentrum ESMA festgehalten wurden. Wir fragten ihn, woher er das erfahren habe, worauf er aber sehr ausweichend antwortete. Tausende Familienangehörige der Verschwundenen wissen heute – 35 Jahre später! – immer noch nicht, wohin sie verschleppt wurden und was letztlich mit ihnen geschehen ist. Bergoglio hatte also offenbar gute Beziehungen zum Militär.

Wir befragten ihn auch, ob er wisse, was mit den Kindern der Verschleppten geschehen sei – die "Großmütter der Plaza de Mayo" demonstrieren seit vielen Jahren dafür, dass das Schicksal ihrer Enkel aufgeklärt wird. Es ist unglaublich, er wollte erst 1985 in einem Verfahren gegen Beteiligte der Diktatur davon erfahren haben! Und dabei wußte jeder Argentinier schon Jahre vor dem Sturz der Militärjunta davon. Bis heute sind 400 Jugendliche weiterhin "enteignet", mit gefälschter Identität.

Bergoglio sei sehr bescheiden, heißt es in den Medien. Er zögerte jedoch nicht, alle Privilegien seines Amtes auszunutzen, um nicht wie jeder normale Bürger vor Gericht aussagen zu müssen. Zuerst wollte er sich nur schriftlich äußern, was das Gericht aber ablehnte. Das Gericht musste schließlich zur Kurie von Buenos Aires gehen, damit er befragt werden konnte.

Welche Rolle hat er selbst in der Diktatur gespielt?

Die gesamte Hierarchie der katholischen Kirche in Argentinien ist in den Massenmord an AktivistInnen der ArbeiterInnenbewegung und der Linken verwickelt. Ohne aktive Unterstützung der Kirche wäre das Militär nicht in der Lage gewesen, seinen konterrevolutionären Auftrag zu erfüllen.

Wie reagieren die ArgentinierInnen darauf, dass ein Landsmann Papst geworden ist?

Die bürgerlichen Medien bemühen sich rund um die Uhr, ein reaktionäres Klima der "nationalen Einheit" zu schaffen. Es gibt aber auch progressive Sektoren, die es ablehnen, einer Person zu huldigen, die einen regelrechten Kreuzzug gegen die Rechte der Schwulen, Lesben, Transsexuellen usw. geführt hat.

Als im argentinischen Parlament über die Homo-Ehe debattiert wurde, stellte sich Bergoglio an die Spitze einer landesweiten Kampagne dagegen. In allen Kirchengemeinden des Landes mussten Briefe verlesen werden, in denen das Gesetzeswerk als "Umtrieb des Vaters der Lüge" bezeichnet wurde, "um die Kinder Gottes zu verwirren und zu täuschen". Eine solche Wortwahl erinnert mich an die Inquisition im 15. Jahrhundert.

Weiterhin hat er als Chef der argentinischen Kirche Leute wie Christian von Wernich als Priester geduldet – ein Priester, der schon zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, weil er während der Diktatur an Folterungen teilnahm. Als PTS machen wir eine große Aufklärungskampagne über dieses Thema. Wir mobilisieren zu den großen Demonstrationen am 24. März, dem Jahrestag des Militärputsches von 1976.

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