Interview mit Mutter von Danny, Opfer von Polizeigewalt: „Ich will einfach nur Klarheit. Sagt, was passiert ist.“

12.08.2023, Lesezeit 15 Min.
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Danny Oswald. Foto: privat.

Danny Oswald stirbt bei einem Polizeieinsatz. Wir verschriftlichen das Interview unseres Redakteurs Max Freitag mit Sonja Fiebrand, Dannys Mutter, die uns Details über den Fall und die Umstände danach erzählt. Die Verschriftlichung ist nicht wörtlich und an manchen Stellen gekürzt. Das Zoom-Interview findet ihr im Videoformat auf unserem Youtube-Kanal.

Max: Wer bist du? Und warum sprechen wir gerade miteinander?

Sonja: Ich bin Sonja Fiebrand. Ich bin die Mama von Danny Oswald. Danny ist am 11. Juli bei einem Polizeieinsatz in Berlin ums Leben gekommen. Und wir wollen dringend aufklären, was Sache ist, was passiert ist. Wir wissen nicht, was genau vorgefallen ist.

Max: Denkst du, dass das ein natürlicher Tod war?

Sonja: Es war sicher kein natürlicher Tod. Mein Sohn war mittags verschwunden. Seine Freundin hat mich schon angerufen, sie findet ihn nicht und hat dann gesagt „Hier ist die Polizei“. Danny ist scheinbar auf der Baustelle und sie besucht ihn später im Krankenhaus. Sie wusste nichts. Ich wurde erst um 18:00 Uhr Dannys Freundin angerufen, dass Danny tot ist.

Und ich wusste gar nicht, was ich sagen soll, denn ich konnte es nicht verstehen. Es war überhaupt kein Anzeichen da. Aber hinterher haben wir erfahren, dass er angeblich randaliert hat, dass er betrunken war und verwirrt und scheinbar Passanten belästigt hat, die dann die Polizei gerufen haben und er dann davongelaufen ist, eben auf die Baustelle. Und das Nächste, das wir wussten, ist, dass er bei der Festnahme verstorben ist.

Sie haben gesagt, sie haben noch versucht, ihn zu reanimieren. Ich weiß nicht den genauen Tathergang. Ich weiß nur, dass er als verwirrter, scheinbar betrunkener Mann auf der Baustelle festgenommen wurde. Aber wenn einer doch so verwirrt ist, dann muss man doch eigentlich den Krankenwagen rufen und nicht die Polizei.

Max: Du sagst, ihr wusstet auch gar nicht, was genau vorgefallen ist. Aber was ist danach passiert? Wie hat die Polizei mit euch interagiert? Gab es da irgendeine Art Aufklärung? Wurden euch Dokumente rausgegeben?

Sonja: Ich wurde am Dienstagabend, den 11. Juli von der Polizei angerufen und sie haben mir gesagt, dass Danny um 15:07 Uhr verstorben ist. Dass er bei der Festnahme kollabiert ist. Und sie haben ihn auf der Baustelle reanimiert und gleich den Krankenwagen gerufen. Und dort ist er noch mal reanimiert worden. Aber nach einer Stunde haben sie ihn für tot erklärt.

Sie haben gleich gefragt, was denn mit seinem Rücken ist. Und ich habe natürlich eine Antwort gegeben, denn ich habe noch keinen Zusammenhang erkannt. Aber so im Nachhinein, wenn ich drüber nachdenke, dann haben sie sich wahrscheinlich auf seinen verletzten Rücken gekniet.

Er hat eine Vorverletzung am Rücken. Er ist 50 Prozent schwerbehindert und hundertprozentig erwerbsunfähig, weil er Nägel und Zement im Rücken hat. Die unteren Wirbel waren versteift. Ungefähr 15 Zentimeter hoch. Mit Schrauben, mit Platten und mit Zement. Das waren zwei sehr schwere, große OPs. Und von dort an durfte er nichts mehr. Nicht mehr auf eine Treppe steigen, nicht mehr irgendwo herunter hüpfen. Er konnte nicht mehr richtig gehen. Es hat immer ein bisschen ausgeschaut, als ob er torkelt.

Max: Haben eure Anwälte oder ihr selbst Zugang zu dem Obduktionsbericht bekommen oder gibt es da überhaupt keine Informationen zu?

Sonja: Überhaupt gar keine Informationen. Wir haben weder einen Polizeibericht noch einen Obduktionsbericht. Und wir haben auch gehört, dass die ganze Situation auf der Baustelle gefilmt wurde. Diesen Film hat sich ein Polizeibeamter angesehen, aber wir haben immer noch keinen Einblick auf die ganzen Sachen.

Wir drei haben jeweils einen Anwalt. Also ich habe einen Anwalt, der Vater von Danny hat einen Anwalt und seine Tochter. Danny hat eine 5-jährige Tochter.

Max: Was wünscht ihr euch jetzt im Nachhinein? Und wie kann man euch helfen?

Sonja: Ich möchte auf jeden Fall, dass das komplett aufgeklärt ist, wie es passiert ist. Um einfach nachfolgende Polizeieinsätze vorsichtiger zu gestalten. Meinem Sohn kann es nicht mehr helfen, aber vielleicht den Nachfolgenden, die verhaftet werden.

Wir haben jetzt eine große finanzielle Not und ich bin sehr froh, dass ein GoFundMe eingerichtet wurde und über jede kleine Spende, die eingeht. Es haben schon viele Leute gespendet. Vielen, vielen Dank für alles. Aber es ist alles sehr teuer. Der Anwalt, die Beerdigung, die Überführung nach Dachau.

Es ist alles nicht einfach. Wir haben es am Sonntag erst seiner Tochter gesagt. Sie hat es noch nicht gewusst. Wir waren zusammen und alle haben wir geheult. Sie war erst sprachlos und sagt jetzt, sie füttere das Bild ihres Papas. Sie sagt: „Komm, Papa, wir frühstücken“ und dass das Frühstück ganz toll war. Sie waren im Urlaub und ein Schmetterling, ein kleiner schwarz-oranger Schmetterling flog auf ihre Hand und war eine halbe Stunde auf ihrer Hand. Und zum Schluss ist er dann zu ihrer Mama auf den Mund und hat ihr einen Bussi gegeben. Und ich denke, das war der Danny. Das war so schlimm.

Danny liebt schwarz-orange, das sind seine Farben. Alles war orange bei ihm. Und der Schmetterling, das war Danny, das kann gar nicht anders sein. Ich hoffe, dass er da, wo er jetzt ist, irgendwie glücklich ist.

Max: Wie haben du und die Leute um euch rum Danny wahrgenommen, wenn du erzählen möchtest?

Sonja: Danny war ein sehr liebenswerter Mann, ein bisschen verrückt. Er hätte für alle Menschen sein letztes Hemd gegeben und seine Familie war alles für ihn. Er war ein herzensguter Mensch. Alle haben ihn geliebt. Alle. Er hatte so eine große Community, auch in Berlin. Er ist leider dorthin gegangen, weil er aufgrund seiner Verletzung am Rücken nicht mehr arbeiten konnte. Er hat die Wohnung in München aufgeben müssen, die er sich gekauft hat. Er konnte die letzten Raten nicht mehr bezahlen. Deswegen ist er nach Berlin gegangen und hat sich dort von dem Geld eine Wohnung gekauft.

Mein Sohn war ein Künstler, er hat wahnsinnig gut malen können. Selbst in der Schule haben die Lehrer ihn gefragt: „Dürfen wir deine Bilder behalten? Wir stellen die in der Schule aus.“ Und Danny hat gesagt: „Na klar könnt ihr es haben“. Und überall, wo er hinkommt, malt er irgendwo seine Zeichen. Seine Tochter war sein Ein und Alles. Sie ist zurzeit bei uns. Sie ist ziemlich oft bei uns. Meistens immer, wenn Danny da war. Wir haben uns einmal im Monat gesehen. Danny kam einmal im Monat runter [nach Dachau] oder wir fuhren hoch [nach Berlin] und da war immer seine Tochter dabei.

Mein Sohn war Landschaftsgärtner. Sein Lehrherr hat gesagt, Danny sei der beste Lehrling, den er je gehabt habe. Er hat wirklich Kunstwerke geschaffen mit diesen Steinen auf dem Boden. Er hat nur mit den Augen gesehen und hat gesagt: „Ich brauch so und so viel und so und so breit wird es.“ Und wenn man ihm gesagt hat: „Musst du da nicht nachmessen?“ „Ne“, sagte er, „sehe ich mit den Augen.“ Und es hat auf den Millimeter gepasst. Als er nach Berlin gezogen ist, war das erste, was er mir gezeigt hat: „Mama, schau dir mal diese Steine auf dem Boden an, die schauen ja furchtbar aus!“ Wir haben uns darüber amüsiert, wenn er gesagt hat, irgendwann nehme er die alle raus und mache schöne Muster. Aber das wird jetzt nix mehr.

Max: [Name anonym], das ist ja die Cousine von Danny, wenn ich das richtig im Kopf habe. Die verstehen sich, die sind eng?

Sonja: Ja, sie ist paar Jahre älter und sie sind zusammen aufgewachsen. Ich habe noch eine Tochter, die [Name anonym], die ist ein Jahr älter als Danny. Und dann habe ich noch einen 23-jährigen Sohn. Und wir vier waren immer eine Einheit. M-Hoch-Drei-D, war unser Zeichen für unsere Familie: [Name anonym], [Name anonym], Mama und Danny – M-Hoch-Drei-D. Wir haben auch zusammen gewohnt hier. Meine Kinder wohnen noch da, meine beiden anderen. Und der Danny hat eigentlich nur zehn Minuten von hier gewohnt. Wir haben uns täglich gesehen. Bis er dann halt nach Berlin ging.

Max: Wann war das, als er nach Berlin gegangen ist? Ist das schon etwas länger her?

Sonja: Die Wohnung hat er gekauft im Oktober 2021 und eingezogen ist er im Februar 2022. Also noch nicht lange.

Max: Seine Cousine hat Danny als Punk beschrieben.

Sonja: Ja, er war tätowiert, von oben bis unten. Tätowiert und Ringe. Und er hat leidenschaftlich Musik gemacht. Kennst du Autoharp? Das schaut aus wie eine Zither, ist aber elektrisch. Die hat er sich gekauft und hat sich alles selber beigebracht.

Als Kind hat er Geige gelernt, da war er drei. Er hat leider nicht weitergemacht aufgrund dessen, dass der Geigenlehrer ihn geschlagen hat. Dann hat er „Er mag da nicht mehr hin“ gesagt, dann hab ich gesagt „Okay, musst du nicht mehr hin. Wird sofort beendet.“ Aber er hat seine Geige geliebt. Mit der hat er in der Nacht geschlafen. Er wäre jetzt der beste Geiger, aber leider war der Lehrer einfach ein Depp.

Max: Willst du in deinem Verständnis nochmal ausführlicher erklären, was los war, als er festgenommen wurde? Vielleicht kannst du auch darauf eingehen, wie die Polizei das in ihrer Berichterstattung beschreibt und was du jetzt so rausfinden konntest.

Sonja: Also die Polizei hat geschrieben, dass die beiden Polizeibeamten Danny gesehen haben. Er lag zwar am Boden, war aber ansprechbar. Weil er angeblich so aggressiv wurde, mussten sie ihn zur eigenen Sicherung und zur Identitätsfeststellung fesseln. Sie waren zu zweit. Ich verstehe aber nicht, wenn er schon am Boden liegt und zappelt, warum er dann noch festgenommen werden muss. Auf alle Fälle haben sie ihm die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Ein Polizist war auf seinen Beinen, haben sie gesagt, und einer auf den Schultern, haben ihn festgehalten.

Und daraufhin sagte er, er bekäme keine Luft mehr und hat dann nicht mehr auf Berührungen reagiert. Also muss er schon ohnmächtig gewesen sein. Daraufhin haben sie angeblich die Fesseln gelöst, reanimiert und sofort den Krankenwagen gerufen. Im Krankenhaus haben sie um 15:07 Uhr den Tod festgestellt. Mehr weiß ich nicht.

Max: Uns wird ja immer gesagt, die Polizei ist da, um uns zu schützen. Aber jetzt ist in Dannys Fall genau das Gegenteil passiert. Wie kannst du dir das erklären? Und denkst du, die Polizei hat da richtig gehandelt? Oder hätte sie da anders handeln müssen?

Sonja: Erst einmal, warum wurde die Polizei überhaupt gerufen und nicht ein Krankenwagen, wenn er doch schon da liegt? Und warum muss ich einen Menschen fesseln, der eigentlich hilflos am Boden ist? Das passt nicht zusammen.

Ich bin sicher, er würde heute noch leben, wenn die Polizei nicht eingegriffen hätte. Egal was passiert ist. Wie sie sich rausreden wollen, dass sie ja nichts gemacht haben, dass das Schicksal war, dass das passiert ist.

Es heißt doch immer „deeskalierend“. Wenn sie doch schon zu zweit sind und er doch schon schwach ist, warum nehme ich ihn nicht einfach und bring ihn ins Auto oder in den Krankenwagen? Ich kann es nicht verstehen.

Max: Wir bekommen bei unserer Arbeit leider häufiger davon mit, dass es das immer wieder gibt, dass da ganz im Gegenteil überhaupt nicht deeskalierend gewirkt wird. Kannst du dir vorstellen, dass damit auch eventuell tiefer liegende Problematiken in der Polizei offenbart werden? Also zum Beispiel, dass die nicht richtig trainiert werden für solche Ausnahmesituationen?

Sonja: Sie werden sicher nicht richtig trainiert. Ich bin Kindergärtnerin. Selbst wir erfahren, dass wenn irgendwas ist: „Mit Vorsicht, einfach mal sanft“. Und warum muss die Polizei so auf Krawall aus sein? Ich bin momentan gerade echt sprachlos.

Max: Da gab es ja verschiedene Instanzen, also die Polizei hat mit euch mangelhaft korrespondiert, Sachen wurden nicht offengelegt. Und dann gab es natürlich auch Berichterstattung in den Medien, die sich ziemlich unkritisch auf diese Polizeiaussagen berufen haben. Wie hast du diese ganze fehlende Aufklärung im Nachhinein wahrgenommen?

Sonja: Die Polizei hat mir eine Telefonnummer gegeben und mir gesagt, ich soll Fragen aufschreiben, die ich habe. Aber jemand sagt dir, dein Sohn ist tot. Ich hatte keine Fragen. Ich habe nur geschrien.

Sie hätten mich aufklären müssen von sich aus, was genau passiert ist. Sie haben gesagt, sie mussten ihn auf der Baustelle reanimieren, weil er kollabierte. Und erst dachte ich, er hatte einen Herzinfarkt. Aber was ist denn überhaupt genau passiert? Ich wurde nicht aufgeklärt darüber. Jetzt, im Nachhinein, wo wir den Rechtsanwalt haben, kommt auf einmal ein Schreiben.

Aber sie verweigern uns weiterhin jede Einsicht in die Polizeiberichte, in den Obduktionsbericht, in die Videokameras. Warum darf man die nicht ansehen? Also ich selbst will sie nicht ansehen, aber mein Anwalt. Ich will nicht sehen, wie mein Sohn getötet wird. Und für mich war es definitiv eine Tötung, denn Danny würde noch leben, wäre die Polizei nicht dort gewesen.

Max: Und wie hast du das in den Medien mitbekommen im Nachhinein? Wie findest du das?

Sonja: Warum haben die Medien von Haus aus gesagt, die Polizei hätte keine Schuld? Es wurden keine Zeugen aufgerufen. Es wird einfach nur gesagt, die Polizei sei nicht Schuld gewesen. Ich fand euren Bericht dazu wirklich am besten. Ich meine, denkt mal drüber nach, was überhaupt passiert ist? Wir sind alle sauer. Dieser Ärger hält mich eigentlich davon ab zu schreien, denn ich will einfach alles klären. Ich bin es ihm schuldig, meinem Sohn.

Ich war dabei, als er eingeäschert wurde. Er hat schlimm ausgesehen. Aber ich musste dabei sein. Ich musste mich verabschieden. Ich bin doch seine Mama. Und ich habe ihn auch an der Hand noch genommen, als er in den Ofen geschoben wurde. Das war zu schlimm. Am 25. August haben wir jetzt hier die Beerdigung. Er wird hier in Dachau beerdigt. Wir wohnen in Dachau.

Max: Ein Verfahren gegenüber den Beamten soll es auch nicht geben, oder?

Sonja: Wir haben schon Strafanzeige gestellt. Aber ich will einfach nur Klarheit. Sagt, was passiert ist. Ich will das jetzt nicht einfach so stehen lassen, nein. Ich will genau wissen, was passiert ist. Es geht nicht, dass man uns im Unsicheren lässt. Ich bin die Mama. Ihr könnt doch nicht meinen Sohn töten und mir nicht sagen, was passiert ist.

Ich bin es auch seiner Tochter schuldig. Damit sie es später mal weiß. Sie meint, Papa hätte nur einen Unfall und wegen seinem schweren Rückenleiden ist er daran gestorben. Wir haben nichts gesagt. Sie ist fünf. Wir haben nur gesagt, dass er einen Unfall hatte. Sie hat gesagt: „Papa war doch noch so jung, warum musste er sterben?“ Ich weiß es auch nicht.

Max: Wie geht ihr jetzt gerade damit um? Also ihr habt Anwälte und eine GoFundMe-Kampagne. Wie kann man euch helfen?

Sonja: Momentan ist es eine finanzielle Not. Wir haben einen sehr guten Anwalt, aber der ist auch sehr teuer. Aber wir haben auch wie gesagt drei Anwälte, denn der Papa vom Danny hat sich extra noch einen Anwalt genommen und die Tochter mit der Mutter auch. Wir wollen halt die besten Anwälte, damit ans Licht kommt, was alles passiert ist. Wir wollen Klarheit darüber.

Es ist sehr teuer und selbst die Beerdigungskosten, die liegen jetzt schon bei über 8.000 Euro. Wir haben den Kostenvoranschlag bekommen, dazu kam auch noch die Verbrennung im Krematorium. Außerdem die Überführung nach Dachau. Es ist alles sehr, sehr teuer und ich bin sehr froh, dass dieser GoFundMe gemacht wurde, denn das nimmt mir eine große Last von den Schultern. Als Kindergärtnerin verdient man nicht viel. Bitte, bitte helft uns.

Das Interview in Video-Form findet ihr hier.

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