Interview mit Lisa Poettinger: „Es trifft vor allem Linke, die durch Repression im Job diszipliniert werden sollen“
Das bayerische Kultusministerium verweigert Lisa derzeit die Zulassung zum sogenannten „Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Gymnasien“, das heißt ihrem Referendariat. Wir haben mit ihr über das drohende Ausbildungs- und Berufsverbot, den Kampf gegen Repression, den Aufstieg der extremen Rechten und die Klimakatastrophe sowie die Notwendigkeit der Organisierung gesprochen.
Derzeit versagt dir das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus die Zulassung zum Referendariat deines Lehramtsstudiums, was quasi einem Ausbildungs- und Berufsverbot gleichkommt. Wie wird das begründet?
Ich habe mich wohl in den letzten Jahren in meinem linken und Klimaaktivismus gegen die IAA, gegen G7 und beim Antikapitalistischen Klimatreffen sehr unbeliebt gemacht. Unter anderem wird mir in der Begründung des Staatsministeriums vorgeworfen, dass ich als Marxistin automatisch Demokratiefeindin sei, dabei ist Kapitalismus gar nicht in der Verfassung aufgeführt. Hier wird auch explizit darauf eingegangen, dass das Klimatreffen vom Verfassungsschutz – der ja selbst eine sehr unheilvolle Geschichte besitzt; man bedenke die Involvierung in die NSU-Morde – gebrandmarkt wird. Außerdem wird mir vorgeworfen, dass ich in unserer Kritik gegen die Autowerbeshow IAA den Begriff „Profitmaximierung“ genutzt habe. Diesen stuft das Ministerium als kommunistisch und damit als Ausdruck meiner vermeintlichen Demokratiefeindlichkeit ein. Sogar der Papst hat dieses Wort auch schon verwendet – der kann dann wohl in Bayern auch nicht Lehrer werden.
Bereits mit dem sogenannten Radikalenerlass in den 1970er und 1980er Jahren gab es zahlreiche politisch motivierte Berufsverbote, die sich hauptsächlich gegen Linke richteten. Wenngleich der Erlass offiziell aufgehoben ist, gibt es dennoch weiterhin eine Form der Verfassungstreueprüfung. Siehst du hier eine Verbindung zu deinem eigenen Fall?
Das würde ich auf jeden Fall so sehen. Bei mir geht es ja nicht nur um ein Berufsverbot, sogar ein Ausbildungsverbot, da in Bayern das Bundesland das Ausbildungsmonopol hat. Wie damals auch trifft dieses Repressionsmittel, so wie es aussieht, vor allem Linke, die durch Repression im Job diszipliniert werden sollen – so wie das eben früher auch war. Der Faschist Björn Höcke kann sich schließlich weiterhin Geschichtslehrer nennen. Mein Fall ist ja derzeit auch nicht der Einzige. Da gibt es den Fall Benjamin Ruß, dem die Zustimmung zu politischen Streiks und der Demokratisierung der Wirtschaft vorgeworfen wird und der deshalb nicht an der TU München arbeiten darf. Gerade Bennis Fall stellt einen Angriff auf ganz normale Gewerkschaftspositionen dar. Da gibt es Luca Schäfer in Hessen, der auf einer 1. Mai-Demo einer verletzten, am Boden liegenden Person geholfen und einen Rauchtopf von ihr weggeworfen hat – das wurde ihm dann als Angriff ausgelegt und er durfte nicht ins Lehramt. Ganz neu ist der Fall Gabriel Bruckdorfer, dessen Anstellung an der Uni Augsburg nicht verlängert wird, weil er Mitglied der Linkspartei ist. Und in seinem jungen Alter damit automatisch Mitglied der linksjugend [’solid], die in Bayern vom Verfassungsschutz verfolgt wird. Es gibt aber auch erfolgreiche Fälle wie Benni Glasl, Michael Csaszkóczy und Kerem Schamberger.
Wir können seit Längerem beobachten, wie die staatliche Repression zunimmt – sei es gegen Antifaschist:innen, die Klimabewegung und zuletzt insbesondere gegen palästinasolidarische Gruppen und Aktivist:innen. Wie ordnest du das Berufsverbot gegen dich in diese Entwicklung und die zunehmenden Krisen des Kapitalismus ein?
Ich glaube, als Linke und als Engagierte müssen wir uns auf die autoritäre Wende vorbereiten. Immer mehr Bundesländer wollen ja auch wieder Fragebögen [zur Verfassungstreue] einführen und mit der Resolution gegen Antisemitismus – der ja sehr breit definiert wird und quasi gar keine Palästinasolidarität zulässt – wurde auch ein für den Staat hervorragendes Repressionsinstrument erschaffen. Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wird aber wohl weiterhin im Amt bleiben können.
Der Kapitalismus produziert andauernd Krisen. Wirtschaftskrise, Vertreibung, Inflation, Klimakrise. Diese Probleme werden in ihm nicht gelöst, weil dann das Prinzip nach ewigem Wachstum auf einem physikalisch begrenzten Planeten ausgehebelt oder Ausbeutung für Profitmaximierung beendet werden müsste – und dann wäre es schließlich nicht mehr Kapitalismus. Je mehr sich diese Krisen zuspitzen, desto mehr Widerstand und Protest regt sich. Da ja aber diese Krisen im Kapitalismus nicht gelöst werden, werden als vermeintliche Lösung unliebsame Stimmen eingeschüchtert und mundtot gemacht. Was die Union gerade im Bundestag verbrochen hat, ist ein sehr sichtbares Warnsignal, aber auch die Ampel-Regierung hat zuvor schon immer autoritärere und migrationsfeindlichere Gesetze verabschiedet. Es gilt als Bewegung, Widerstand gegen jeglichen Rechtsrutsch und jegliche autoritäre Repression von kritischen Stimmen zu organisieren – egal, von wem sie kommen. Und gleichzeitig müssen wir unseren Protest besser schützen, gegen Nazis, gegen Übergriffe durch einen immer autoritärer werdenden Staat. Wäre ich zu Beginn meines Engagements nicht so naiv gewesen, hätte ich wohl mindestens ein Pseudonym genutzt.
Angesichts der zahlreichen Krisen, Kriege und Katastrophen empfinden viele Menschen ein Gefühl der Ohnmacht. Die Politik der Ampelregierung, die jetzt von Seiten der CDU/CSU noch radikalisiert wird, bereitet dem Aufstieg der AfD und der extremen Rechten insgesamt den Nährboden. Wie können wir dagegen kämpfen?
Ich kann dieses Ohnmachtsgefühl total nachvollziehen. Letztes Jahr waren Hunderttausende auf den Straßen gegen die AfD und den Rechtsrutsch und dann hat die Ampel in derselben Woche zum Beispiel das Abschiebegesetz „Rückführungsverbesserungsgesetz“ beschlossen. Ich glaube, die Gesellschaft muss merken, dass ein- bis zweimal Mal im Jahr eine Lichterkette schwenken und die Liebe beschwören gegen die Faschisierung leider nicht ausreicht, sondern dass wir uns alle längerfristig organisieren müssen, um dem allen etwas entgegenzusetzen. Gegenmacht entsteht nicht durch einzelne Demonstrationen, sondern durch kontinuierliche Arbeit. Gleichzeitig müssen wir auch ganz klar die Ursachen von Rechtsrutsch und autoritärer Wende benennen und uns dagegen engagieren: den Kapitalismus. Wie oben dargestellt, produziert dieser Krisen, die er nicht lösen kann und die dann nur autoritär in Schach gehalten werden können, während unzählige Menschen weltweit, aber mittlerweile auch in Deutschland, verarmen und darunter leiden. Egal, wer in der Regierung sitzt: Solange sie die Zwänge des Kapitalismus verwalten, wird es einen Rechtsrutsch in unterschiedlicher Geschwindigkeit geben. Das heißt aber nicht, dass ich Wahlen egal finde.
Eine der wohl größten und existentiell bedrohlichsten Krisen unserer Zeit ist die Klimakatastrophe. Zugleich hat die Klimabewegung vor allem Jugendliche politisiert und radikalisiert, wobei die große Mobilisierungskraft, die FFF einst hatte, zu schwinden scheint. Welche Veränderungen durchläuft die Klimabewegung insgesamt und was braucht es, damit sie ihre Ziele erreicht?
Die Klimabewegung ist tatsächlich gerade am schwinden – kein Wunder: Millionen waren auf der Straße und es ist einfach so gut wie nichts passiert, dafür gab es aber zunehmende Repression. Das hat viele radikalisiert – viele sind zum Beispiel zum Klimatreffen gekommen, weil sie dort Antworten finden, warum das so ist, wie es ist. Derzeit orientieren sich aber auch viele Menschen Richtung Antifaschismus, weil sie wissen, dass wir nur mit Antifaschismus auch den Klimaprotest und die Klimagerechtigkeitsziele selbst schützen können – schließlich ist die AfD eine der größten Klimawissenschaftsgegnerinnen. Auch Klimagerechtikeit kann nur in einem nicht-kapitalistischen System funktionieren; wir brauchen eine demokratisierte Wirtschaft, die anhand von Bedürfnissen und innerhalb planetarer Grenzen organisiert ist, wenn wir die Klimakrise noch irgendwie eindämmen wollen. Wir sind aber auch schon zu weit fortgeschritten in der Klimakrise, erste Kipppunkte sind überschritten, zum Beispiel produzieren die Seen in Grönland mittlerweile CO2, statt es zu absorbieren, und auch das Meer, ein riesiger CO2-Speicher, nimmt kaum noch CO2 auf. Das ist total erschreckend und wir müssen uns auf einen solidarischen Umgang mit Klimakrise-Opfern vorbereiten – das können wir selbst sein, aber auch Flüchtende.
Ich glaube, was die Klimabewegung gerade am meisten braucht, ist Orientierung. Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis von den Zusammenhängen zwischen Kapitalismus und Klimakrise; wir brauchen Entschlossenheit; wir brauchen ein Verständnis dafür, dass es sich auch in der Klimakrise lohnt, weiterzukämpfen – um Schlimmeres zu verhindern und um Schlimmes solidarisch abzufangen.
Weit verbreitet unter Linken ist die Parole: „Unsere Solidarität gegen ihre Repression“. Wie kann eine solche Solidarität praktisch aussehen? Wirst du von gewerkschaftlicher Seite unterstützt?
Derzeit erfahre ich wahnsinnig viel Solidarität und Unterstützung und das gibt mir die Kraft, jetzt nicht in den Opportunismus zu fallen und wegzubuckeln, sondern stark und standhaft zu bleiben. Ich bin unendlich dankbar! Das fängt an bei lieben, persönlichen Nachrichten und öffentlichen Solidaritätsbekundungen, die mir das Gefühl geben, nicht allein und ausgegrenzt am Pranger zu stehen. Da gibt es die gewerkschaftliche Unterstützung mit Übernahme der juristischen Kosten; meine großartigen Anwält:innen, die sich sogar am Wochenende Zeit genommen haben; politisch aktive Menschen, die tagelang an einer Pressemappe und der Solidaritätserklärung gearbeitet haben; Menschen, die die Soli-Kreis-Sitzungen vorbereiten und moderieren. Als ich komplett von Presseanfragen überlagert war, hat mein Mitbewohner mir sogar die Wäsche zusammengefaltet, die einfach liegen geblieben ist. Das alles hat mir den Raum gegeben, konzentriert Presseanfragen zu beantworten, die Vernetzungsarbeit mit anderen Berufsverbotler:innen voranzutreiben, die erstaunten persönlichen Nachrichten gut zu beantworten usw.
Wie sieht deine Vorgehensweise gegen das Berufsverbot aus? Können Menschen dich irgendwie unterstützen?
Gerade muss ich auf das nächste Schreiben des Staatsministeriums warten, erst dann können wir klagen. Währenddessen versuchen wir weiterhin Solidarisierungen über die Soli-Erklärung zu sammeln und öffentlich zu kritisieren, dass das überhaupt passiert – und dann auch noch im Namen von Demokratie! Ich freue mich, wenn Menschen sich weiterhin öffentlich darüber empören und andere aufklären, dass sie politisch aktiv sein, aber sich dabei auch schützen sollen. Ich freue mich, wenn wir als Bewegung daraus lernen – aus Angriffen kann man schließlich auch stärker hervorgehen.
Hier könnt ihr die Solidaritätserklärung unterschreiben:
Solidarität mit Lisa Poettinger – Gegen politisch motivierte Berufsverbote!