Interview mit John Bellamy Foster: Eine Widerstandsbewegung für den Planeten (I)
Der Klimawandel ist außer Kontrolle. Es ist bereits zu spät, rapide ansteigende Temperaturen, Wasserknappheit und Extremwetterereignisse zu verhindern. Aber die Finanzstruktur des Kapitalismus ist an fossile Energieträger gebunden. Marktbasierte Lösungen sind deshalb wirkungslos. Juan Cruz Ferre führte für unsere Partnerseite Left Voice ein Interview mit John Bellamy Foster, Professor der Soziologie an der University of Oregon und Redakteur von Monthly Review. Dort spricht er darüber welches Programm notwendig ist, um diese Katastrophe zu stoppen. Hier veröffentlichen wir den ersten Teil des Interviews.
Left Voice: Es gibt eine erschlagende Beweislage, die aufzeigt, wie der vom Menschen gemachte Klimawandel außer Kontrolle geraten ist – und wie dies zu einer globalen ökologischen Katastrophe führen wird, wenn nicht ein grundlegender Umbau der Energieproduktion stattfindet. In der diesjährigen Februarausgabe von Monthly Review zeigst du auf, dass trotz vorhandener präziser und unbestreitbarer Einschätzungen die natur- und sozialwissenschaftlichen Institutionen komplett darin versagt haben, effektive Lösungen anzubieten. Warum denkst du, ist das so?
John Bellamy Foster: Wir sind in einer Notfallsituation in der Epoche des Anthropozäns [1], in welcher die Zerrüttung des Erdsystems, insbesondere des Klimasystems, den Planeten als Lebensraum für den Menschen als solchen bedroht. Nichtsdestotrotz ist unser politisch-ökonomisches System, der Kapitalismus, primär auf die Akkumulation von Kapital ausgerichtet. Das hindert uns daran, diese enorme Herausforderung anzugehen und es beschleunigt die Zerstörung.
Naturwissenschaftler*innen haben einen exzellenten und mutigen Job gemacht, indem sie die Alarmglocken läuteten und auf die enormen Gefahren eines business as usual in Bezug auf die Kohlenstoffemissionen und andere planetare Leitplanken hinwiesen. Aber der Mainstream der Sozialwissenschaften, wie wir ihn heute vorfinden, hat die kapitalistische Ideologie fast vollständig verinnerlicht; so sehr, dass der Mainstream der Sozialwissenschaften unfähig ist, das Problem in seiner Reichweite anzugehen, und zwar auf eine Weise, die den herrschenden historischen Bedingungen angemessen ist. Seine Vertreter*innen sind an die Vorstellung gewöhnt, dass vor langer Zeit menschliche Gesellschaften die Natur „erobert“ hätten und dass die Sozialwissenschaften sich daher nur noch mit Beziehungen zwischen Menschen zu beschäftigen hätten, niemals mit den Beziehungen des Menschen zur Natur. Dies bestärkt eine Verweigerungshaltung, wenn es um Probleme auf der Ebene des Erdsystems geht.
Jene Mainstream-Sozialwissenschaftler*innen, die ökologische Probleme thematisieren, tun dies so, als ob wir es mit recht gewöhnlichen Bedingungen zu tun hätten und nicht mit einem planetarischen Notfall, einer nie dagewesenen Situation. Es kann keine gradualistische, öko-modernistische Antwort geben auf die schrecklichen ökologischen Probleme, mit denen wir es zu tun haben. Denn der Einfluss des Menschen auf den Planeten ist alles andere als graduell. Es ist eine „Große Beschleunigung“, ein Bruch im Erdsystem. Das Problem nimmt exponentiell zu, während es sogar schneller schlimmer wird, als bisher angenommen. Denn wir sind gerade dabei, alle möglichen kritischen Schwellenwerte zu überschreiten und sehen uns mit einer verblüffenden Anzahl an Kipppunkten konfrontiert.
Wenn der Wandel hin zu Erneuerbaren Energien den Gang der ökologischen Krise anhalten oder gar umkehren könnte, warum gehen wir nicht die Schritte in die richtige Richtung und mit der nötigen Geschwindigkeit?
JBF: Die kurze Antwort ist „Profite“. Die lange Antwort geht ungefähr so: Es gibt zwei zentrale Hürden: (1.) Die Interessensbindungen [bestimmter Kapitalfraktionen, Anm. d. Ü] an den Fossilenergie-Finanz-Komplex und (2.) die höhere Rentabilitätsrate, die die Fossilenergie-Wirtschaft erlaubt. Es ist nicht nur eine Frage davon, wie viel Energie am Ende herauskommt, bezogen auf die investierte Energie. Die Infrastruktur der fossilen Brennstoffe existiert bereits. Das gibt den fossilen Energieträgern einen entscheidenden Vorteil hinsichtlich der Rentabilität und der Kapitalakkumulation gegenüber alternativen Energieträgern. Jegliches alternatives Energiesystem verlangt, dass eine ganz neue Energieinfrastruktur praktische von Null an aufgebaut werden muss, bevor es wirklich konkurrenzfähig sein kann. Es gibt auch viel größere Subventionen für fossile Energieträger.
Darüber hinaus stellen sie der kapitalistischen Buchführung nach ein „freies Geschenk“ der Natur an das Kapital dar, viel mehr sogar noch als die Sonnenenergie. Die Finanzstruktur, einschließlich der größten Banken und der Wall Street, ist sehr eng mit der Fossilenergiewirtschaft verbunden. Die noch unter der Erde liegenden Reserven an fossilen Brennstoffen stehen für Billionen an US-Dollar in Form von Anleihen, die schon jetzt einen realen Effekt auf die heutige Wirtschaft haben. Sie tauchen bereits in der Finanzbuchhaltung der Konzerne auf, obwohl die Verbrennung all dieser Reserven, die das Klimabudget [Budget an fossilen Brennstoffen, die maximal verbrannt werden dürfen, Anm. d. Ü.] fünf oder sechs mal übersteigen, uns in die Klimahölle schicken würde. Diese Billionen US-Dollar an Anleihen auf fossile Energiereserven würden einfach verschwinden, wenn ihre Verbrennung aufhören würde.
Es gibt kein vergleichbares Anlagegeschäft mit der Solar- oder Windenergie. Mein Kollege Richard York, einer der weltweit führenden Umweltsoziologen, hat in einem Artikel in Nature Climate Change gezeigt, dass innerhalb der Energiewirtschaft in ihrer aktuellen Struktur die Erneuerbaren Energien immer noch als eine Ergänzung statt als ein Ersatz für die Fossilen gehandelt werden. Der schnelle Anstieg der Erneuerbaren sollte daher nicht als ein radikaler Bruch mit der Dominanz der Fossilen Energieträger gesehen werden. Dieser steht noch aus.
Du hast dafür argumentiert, dass die Ausdehnung des Finanzkapital und die Muster wirtschaftlicher Stagnation gepaart mit dem Niedergang der US-Hegemonie die Grundlage eines größeren Einflusses menschlichen Handelns auf die Umwelt sind. Kannst du das bitte ausführen?
JBF: Aus der Sicht der so genannten „Masters of the Universe“ – heute sechs Männer (vor einigen Monaten waren es noch acht), die so viel Vermögen haben wie die Hälfte der Weltbevölkerung – die zunehmenden Einfluss auf die Weltwirtschaft haben, ist das Hauptproblem nicht der Klimawandel, sondern die Stagnation der Weltwirtschaft. Diese Stagnation ist am tiefsten in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ökonomien. Die US-Wirtschaft wuchs im letzten Jahr mit einer Rate von 1,6 Prozent und erreichte über mehr als zehn Jahre hinweg Wachstumsraten unter 3 Prozent, zum ersten Mal in der Geschichte. Die Wachstumsraten in Europa waren in den vergangenen zehn Jahren bei circa 1,7 Prozent. Vergleich dies mal mit den 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum in den Vereinigten Staaten in dem Jahrzehnt der Depression von 1929-1939.
Das Kapital des Finanzmonopols hat eine starke Tendenz zur Überakkumulation und Stagnation, wie wir seit Jahrzehnten bei Monthly Review argumentieren. Das, was primär die Wirtschaft in den 1980ern und 90ern angehoben hat, war die Finanzialisierung (das Wachstum des Finanzmarktes relativ zur Produktion und die Herausbildung von Finanzblasen). Mit dem Einsetzen der großen Krise von 2007/08 konnte die Finanzialisierung die Wirtschaft nicht länger derart ankurbeln, wie es zuvor möglich war. Damit hat die Stagnation auf unbestimmte Zeit eingesetzt. Tatsächlich war dies die These in zwei Büchern, die ich zusammen mit anderen schrieb — The Great Financial Crisis (mit Fred Magdoff) im Jahr 2009 und The Endless Crisis (mit Robert W. McChesney) im Jahr 2012.
Heute wird alles daran gesetzt, die Wirtschaft wieder auf Touren zu bekommen. Es stimmt, dass die Stagnation auf eine bestimmte Art der Ökologie hilft, da Wirtschaftswachstum einen größeren Druck auf die Umwelt ausübt, durch zunehmende Kohlenstoffemissionen etc. Aber so wie York in einem anderen Artikel in Nature Climate Change zeigt, reduzieren sich die klimarelevanten Emissionen nicht im selben Maße, wenn die Wirtschaft schrumpft, wie sie zunehmen ankurbelt, wenn die Wirtschaft wächst. Darüber hinaus hat die Fokussierung der fortgeschrittenen kapitalistischen Ökonomien auf das Wirtschaftswachstum über allem anderem die gesamte Frage der Situation des Planeten außer Acht gelassen. Sie wurde so marginalisiert. Daher gibt es einen neuen Impuls, Umweltregulierungen zu torpedieren, um die Wirtschaft nach vorne zu bringen. Wir befinden uns in einem führerlosen Zug, der über die Klippe des Klimas steuert, während wir den Kessel mit noch mehr Kohle anfeuern, um seine Geschwindigkeit zu steigern.
Das Klimaabkommen von Paris wurde als Obamas großes Erbe hinsichtlich der Umwelt gefeiert. Wie effektiv ist es als Werkzeug, um das Voranschreiten einer ökologischen Katastrophe zu verhindern oder umzudrehen?
JBF: Es ist komplett wirkungslos. Es setzt auf freiwillige Abkommen zur Reduzierung. Bestenfalls verkörpert es die guten Absichten der Regierungen der Welt. Die freiwilligen Pläne von einzelnen Ländern würden uns in eine Welt von fast +4°C [2] [im Vergleich zu vorindustriellen Werten, Anm. d. Ü.] bringen, was laut der Analyse von vielen Wissenschaftler*innen das Ende der Zivilisation bedeuten würde. Der Vorschlag der USA basierte auf Obamas „Clean Power Plan“, der zu wenig und zu spät war und auf Marktmechanismen beruhte, welche einfach nicht funktionieren würden.
Dieser wurde nun unter der Trump-Administration von Klimawandel-Leugner*innen zerlegt. Wenn Washington das Pariser Abkommen verlässt, sei es de facto oder de jure, besteht die Gefahr, dass es vollständig zusammenbricht. Das einzige wirklich beachtliche Element des Abkommens aus Sicht der Klimabewegung war die formelle Anerkennung des Ziels, unter +1,5°C globalem Temperaturanstieg zu bleiben. Aber fast alles andere in dem Abkommen hat diese Absicht Lügen gestraft. Zudem haben wir schon jetzt einen +1,2C° Anstieg gesehen, weit mehr ist in Sicht.
Natürlich sehen wir jetzt, wo Trump Obamas „Clean Power Plan“ beiseite geschoben hat, den Unterschied zwischen Maßnahmen einerseits, die einfach komplett ungenügend sind, aber dennoch nicht die Möglichkeit ausschließen, unsere Aktionen zur Eindämmung des Klimawandels hochzufahren, und Politiken andererseits, die uns tatsächlich zurückwerfen und damit drohen, ein für alle Male zu eliminieren, was James Hansen „die letzte Chance für die Menschheit“ genannt hat.
Wie viel Einfluss haben wir auf den Klimawandel durch Entscheidungen in unserem Konsum und in unserem Alltag (wie zum Beispiel kompostieren, recyclen, Wasser sparen)?
JBF: Leider können wir nicht sehr viel Effekt auf diesem Weg erzielen – es sei denn dies geschieht im Rahmen einer massiven landesweiten Bewegung zur Schonung der Ressourcen, was die Mobilisierung der gesamten Bevölkerung voraussetzen würde und definitiv Teil eines Versuchs des Umbaus der Produktion sein müsste. Eine normale auf den Konsum gerichtete Strategie, die einfach nur auf individuelles Handeln setzt, ist unfähig, das Problem zu lösen, geschweige denn schnell genug zu sein. Um eine Vorstellung von der Dimension des Problems zu bekommen: Wenn der ganze Hausmüll aus allen Haushalten der USA verschwinden würde, wären damit nur 3 Prozent des gesamten materiellen Abfalls der ganzen Gesellschaft betroffen. Der Rest geht auf das Konto der Firmen und Konzerne.
Dies bedeutet nicht, dass wir all die Dinge, die du nennst, nicht tun sollten. Wenn wir uns selbst als Individuen und unsere Kultur nicht verändern – die Art und Weise also, wie wir uns zur Erde in Beziehung setzen – können wir auch nicht erwarten, diejenigen grundlegenden Veränderungen in der Gesellschaft zu vollziehen, die notwendig sind. Daher ist es essentiell, Müll zu vermeiden und Verantwortung zu übernehmen für die Schäden, die wir täglich der Natur auflasten. Wenn du eine Plasktikgabel benutzt, die auf der anderen Seite der Welt hergestellt wurde, und dann deinen Salat zum Mitnehmen isst und es mitsamt der Verpackung in den Müll wirfst (nach vielleicht einer Minute Benutzung), sodass eine identische Plastikgabel mit Petrochemikalien erneut hergestellt werden und über die ganze Welt verschifft werden muss für dein nächstes Essen zum Mitnehmen, dann fütterst du tatsächlich ein sehr zerstörerisches und verschwenderisches System – eines das durch Zerstörung und Müll anwächst. Fundamentale Veränderungen in der Warenökonomie sind notwendig, um Macht über die Produktion haben zu können.
Eine Sache, die wir tun könnten wenn, wir wirklich Ernst machen würden, ist es die mehr als ein Billion US-Dollar im Jahr anzugehen, die alleine für Marketing ausgegeben werden, also Zielgruppenanalyse, Produktentwicklung, Verpackung, Vermarktungskampagnen, Werbung, Direktmarketing usw., das die Bevölkerung überzeugt, Dinge zu kaufen, die sie nicht wirklich will oder braucht. Aber das Marketing anzugehen, würde auch eine politische Antwort benötigen. Marx sagte einmal, dass Arbeiter*innen (und vielleicht gilt dies für Konsument*innen umso mehr) im reinen Sinne der ökonomischen Aktion in einer kapitalistischen Gesellschaft immer auf der schwächeren Seite sind, weshalb sie sich politisch organisieren müssen.
Morgen veröffentlichen wir an dieser Stelle den zweiten Teil des Interviews.
Fußnoten
(1) Das Anthropozän ist ein seit einigen Jahren in der Wissenschaft und darüber hinaus populär gewordener Begriff, der eine neue geologische Epoche beschreibt, in welcher der global prägende Einfluss des Menschen in allen Sphären der Formung des Planeten und seiner Ökosysteme die wichtigste und maßgebendste Kraft ist
(2) Wann immer von globalen Durchschnittstemperaturen die Rede ist, beziehen sich die genannten Steigerungen auf einen Durchschnittswert im Vergleich zu vorindustriellen Werten.