Interview: Greif-Streik und die Linke

10.04.2014, Lesezeit 5 Min.
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In der Türkei war die Verpackungsfabrik Greif seit 10. Februar 2014 besetzt. Gründe waren sehr niedrige Löhne, Leiharbeit und häufige Arbeitsunfälle. Da die KapitalistInnen keine Tarifverhandlungen akzeptierten, nahmen die ArbeiterInnen den Kampf auf und haben, angelehnt an die Prinzipien der Selbstorganisierung und der Entscheidungsmacht der ArbeiterInnen, die Fabrik besetzt. Wir dokumentieren dazu ein Interview, das die Gruppe „Rote Fahne“ aus dem türkischen Staat mit unserem Genossen Baran Serhad (RIO) geführt hat. Es wurde zuerst am 07.04.2014 in türkischer Sprache von „Rote Fahne“ veröffentlicht.

Die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO, deutsche Sektion der FT-CI) führte bereits im März ein Interview mit Engin Yilgin, DISK/Tekstil-Vertreter der Region Esenyurt, und macht Soliarbeit für Greif in Deutschland. Baran Serhad ist in die besetzte Fabrik gekommen, um die Arbeitenden zu besuchen. Wir haben ihn nach seinen Ansichten zum Greif-Widerstand gefragt, die wir im folgenden dokumentieren.

„Wir müssen die internationale Solidaritätsarbeit ausweiten“

„Vor Greif haben wir den Kazova-Kampf erlebt, in dem die Arbeitende nach einer Fabrikbesetzung die Produktion wiederaufgenommen haben. Die ArbeiterInnenklasse hat im türkischen Staat eine Protestwelle gestartet, deren Zentrum die Entwicklung des Klassenbewusstseins gegen die kapitalistische Hegemonie ist. Diese Welle hat einerseits die Widersprüche der ArbeiterInnen selbst, andererseits die Klassenwidersprüche ans Licht getragen. Die Einheit der ArbeiterInnenklasse aus unterschiedlichen Religionen, Sprachen und Nationen ist ersichtlich. Auf der anderen Seite stehen die ArbeiterInnen die verräterischen Entwicklung der Gewerkschaftsbürokratie, der Unterdrückung durch die Bosse und der passive Haltung linker Kräfte gegenüber. Da der Kampf der Greif-ArbeiterInnen auf dem Klassenstandpunkt geführt wird, bin ich dennoch sehr enthusiastisch. Die Perspektive muss in der Ausweitung des Kampfes auf die internationale Dimension bestehen. Denn das kapitalistische System ruft weltweit Widersprüche wie Ausbeutung, Krisen und Kriege hervor und die Befreiung der ArbeiterInnenklasse kann nur auf der Ebene des internationalen Klassenkampfes geschehen. Daher haben wir als RevolutionärInnen die Aufgabe, Arbeitskämpfe zusammenzuführen und auf dem Klassenstandpunkt die internationale Solidarität voranzutreiben.“

„Die Greif-Erfahrung soll auch in Deutschland einen Platz finden“

Serhad möchte den Kampf der Greif-ArbeiterInnen in Deutschland bekannt machen: „Wir von RIO haben bisher ein Interview mit Genossen Engin geführt und ins Deutsche übersetzt. Wir planen Spenden- und Solidaritätsaktionen in Deutschland. Politisch entscheidend ist für uns, dass die Greif-Erfahrung in Deutschland einen Platz findet. Das bedeutet auch die Ausweitung der Solidarität und mehr Druck auf die DISK-Gewerkschaftsbürokratie. Vor allem bedeutet die Entwicklung mehr Motivation für ArbeiterInnen im Streik, im Widerstand und in der Fabrikbesetzung.“

„Greif muss ins türkische Parlament getragen werden“

Serhad betont die Möglichkeit, positiven Druck auf die linke Bewegung im türkischen Staat aufzubauen, wenn die politische Arbeit bzgl. Greif Kampf konkretisiert wird: „Ein Feld, das für den Kampf benutzt werden kann, ist das Parlament. Ich als revolutionärer Marxist denke, dass die linken Kräfte und vor allem die BDP die Notwendigkeit einsehen müssen, dass die wesentliche Arbeit linker Abgeordneten nun die Ausweitung des Greif-Kampfes sein sollte. Die Abgeordneten sollen die Arbeitenden besuchen, die eigene Basis für den Kampf aktivieren, Spenden liefern und die Gewerkschaftsbürokratie unter Druck setzen. Wir sehen diese Schritte bisher nicht. Diese passive Haltung muss kritisiert werden.“

„Gezi soll sich mit Greif verbinden“

Serhad betonte als nächstes die Notwendigkeit der Ausweitung des Kampfes an die Universitäten und andere aktive Sektoren der Gesellschaft: „Die Gezi-Bewegung hat aufgrund der Krise der revolutionären Führung und der nur sporadischen Teilnahme der ArbeiterInnenklasse ihre Grenzen erreicht. Dennoch erkennen wir weiterhin die Wirkungen des Gezi-Widerstands. Während die Jugend politisiert wurde und der bürgerliche Staat sich in einer unterdrückerischen und autoritären Phase befindet, müssen wir die Arbeitskämpfe auch an die Universitäten tragen. Das kann mit der Gründung von Streikkomitees, mit Veranstaltungen und Infoständen geschehen. Auch die Besetzung von Universitäten kann eine Perspektive darstellen. Außerdem muss eine Verbindung zu anderen Fabriken hergestellt werden.“

„Die linken Kräfte vernachlässigen ihre Aufgaben im Kampf“

Serhad weist auf die Schwächen der linken Kräfte während des bisherigen Greif-Widerstandes hin und macht auf folgende Punkte aufmerksam: „Der Greif-Widerstand zeigt uns Linken den Weg, der geöffnet worden ist. Die Greif-Arbeitenden haben mit der Öffnung dieses Weges eine Perspektive aufgezeigt – sie muss nun von den linken Kräften aufgenommen werden. Die Passivität von Organisationen, die sich nur symbolisch mit den Arbeitenden solidarisieren und ihre revolutionären Aufgaben nicht erfüllen, gefährdet den Kampf. Wir müssen uns dessen konkret bewusst werden. Dieser Kampf sehr wichtig, wir brauchen eine politische Arbeit auf ernsthafter Grundlage.“

Serhad beendet seine Worte mit der Notwendigkeit des Aufbaus der revolutionären internationalistischen Partei der ArbeiterInnenklasse, die die Unabhängigkeit und Machteroberung der ArbeiterInnenklasse verteidigt.

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