Interview: Ein Jahr nach dem CFM-Streik
Steven Neubach arbeitet im Krankentransport am Standort Mitte bei der Charité Facility Management GmbH (CFM), Tochterfirma der Charité. Am 12. September 2011 trat er gemeinsam mit vielen seiner Kolleginnen und Kollegen in den Streik – die darauffolgenden Verhandlungen dauern bis heute an. Wir haben ein Interview mit ihm über die aktuelle Situation und die Lehren des Streiks geführt.
Was ist vor einem Jahr passiert?
Die Charité lagert seit einigen Jahren viele nicht-medizinische Tätigkeiten in die CFM aus. Dort herrschen wesentlich schlechtere Arbeitsbedingungen und eine starke Spaltung der Belegschaft durch unterschiedliche Verträge und viele befristete Stellen. Vor einem Jahr haben die Gewerkschaften verdi und gkl ihre Mitglieder zu einem Streik dagegen aufgerufen, der dann über drei Monate andauerte. Unsere wichtigste Forderung war ein einheitlicher Tarifvertrag, aber auch mehr Urlaub und 169 Euro mehr Grundgehalt für alle.
Mit welchem Ergebnis ging der Streik zu Ende?
Statt unsere Forderungen zu erfüllen, gab es nur das Angebot zu erneuten Verhandlungen und ein Eckpunktepapier, in dem eine einmalige Zahlung von 300 Euro und minimale Verbesserungen für einen Teil der Belegschaft zugesagt wurden. Das Sicherheitspersonal bekam immerhin eine wahrnehmbare Lohnerhöhung von bis zu zwei Euro pro Stunde. Viele andere konnten von der Vereinbarung aber nicht profitieren und hatten statt dessen noch mit finanziellen Problemen durch den Streik zu kämpfen. Wer sowieso schon wenig verdient, konnte mit dem geringeren Streikgeld nur schwer zurecht kommen.
Warum konnten die Forderungen nicht durchgesetzt werden?
Eigentlich sind die Gründe schon im Mai zu suchen, als es einen gemeinsamen Streik von Charité- und CFM-Beschäftigten gab. Der starke Streik des Pflegepersonals wurde abgebrochen, bevor wir bei der CFM Verbesserungen durchsetzen konnten. Deshalb mussten wir vier Monate später erneut streiken – diesmal jedoch mit deutlich weniger Beteiligung. Es waren insgesamt vielleicht 300 Kolleginnen und Kollegen draußen. Damit war es trotz unserer Ausdauer schwer, genug Druck aufzubauen. Am Ende standen wir scheinbar mit dem Rücken zur Wand, weil es unwahrscheinlich schien, dass wir den Streik über Weihnachten aufrecht erhalten können. Dann gab es plötzlich ein sehr geringes Angebot und die Gewerkschaften haben uns vermittelt, daß es entweder dieses oder gar kein Ergebnis geben würde. Da hat dann die Mehrheit der Streikenden zugestimmt.
Wie war danach die Situation im Betrieb?
Anfangs hatten einige noch Hoffnung, dass die Verhandlungen etwas bringen könnten und der Zusammenhalt aus dem Streik weiterbesteht. Doch während die Gewerkschaften bald kaum noch zu sehen waren, hat die Geschäftsführung erneut klar gemacht, was sie von Streikenden hält: Wer nur einen befristeten Vertrag hatte, wurde natürlich nicht verlängert. Viele andere haben Schikanen zu spüren bekommen und zwei langjährige Kollegen sollten sogar entlassen werden, weil sie angeblich Wasser getrunken hätten, das für Patienten gedacht war. Außerdem waren viele einfach enttäuscht vom Ausgang des Streiks und haben sich zurückgezogen.
Und was haben die Verhandlungen ergeben?
Bisher nichts. Es stand von Anfang an fest, daß die Verhandlungen mindestens ein Jahr dauern würden. Aber nach neun Monaten wurde noch nicht einmal beim ersten Thema, der Arbeitszeit, eine Einigung erzielt. Es wird deutlich, daß die CFM nicht an einem Ergebnis interessiert ist, sondern die Verhandlungen möglichst lange hinauszögern will. So wird es definitiv keinen Tarifvertrag geben – höchstens einen, der noch weitere Verschlechterungen bereit hält. Leider wirken die Gewerkschaften ziemlich hilflos und können der Geschäftsführung nichts entgegensetzen.
War es also rückblickend falsch, den Streik für die Verhandlungen zu beenden?
Das ist sehr umstritten. Viele meinen, dass der Streik bald zusammengebrochen wäre. Aber ich denke, wenn die Geschäftsführung nicht auch unter Druck gestanden hätte, hätte es gar kein Angebot gegeben. Zum Beispiel wollte man freie Bahn für die Ausschreibung des privaten Anteils der CFM haben, die zufällig genau am Tag der Einigung begonnen hat. Wenn die Gewerkschaften nicht sofort eingelenkt hätten, wäre zumindest etwas mehr drin gewesen.
Das klingt alles sehr negativ. Wie bewertest du persönlich die Ergebnisse?
Ich habe selbst nur wenige direkte Vorteile von der Einigung gehabt. Trotzdem hat sich der Streik gelohnt, denn wir haben immerhin ein paar Verbesserungen erreicht – auch für Kollegen, die von Anfang an meinten, streiken bringe eh nichts. Außerdem war es für alle Beteiligten eine wichtige Erfahrung. Im Streik haben die Leute gemerkt, daß sie gemeinsam für ihre Interessen kämpfen können. Auch mir ist das erst während dessen richtig bewusst geworden. Ein weiteres Ergebnis ist auch, daß es zumindest ein kleines Netzwerk von Kolleginnen und Kollegen gibt, die sich regelmäßig austauschen und den Kampf noch nicht völlig abgeschrieben haben.
Das heißt, am Ende könnte doch ein besseres Ergebnis stehen?
Ja, aber nur, wenn sich mehr von uns wieder für ihren eigenen Kampf interessieren. Das wird nur funktionieren, wenn wir gemeinsam die Schlüsse aus der enttäuschenden Erfahrung des letzten Jahres ziehen. Bis heute wurde viel zu wenig darüber geredet, warum es es eigentlich so schlecht gelaufen ist. Dafür müssten aber auch die Gewerkschaften offener und ehrlicher mit diesem Thema umgehen. Sie haben das Ergebnis damals als Sieg verkauft und uns vor allem weitere Verbesserungen durch die Verhandlungen versprochen. Von Selbstkritik ist da bisher aber nichts zu merken. Dass wir überhaupt wieder auf die Straße gehen, wäre vielleicht möglich, wenn die Pflegerinnen und Pfleger wieder streiken. Dann müsste aber einiges anders laufen.
Was zum Beispiel?
Wir dürfen uns nicht von der Gewerkschaft abhängig machen. Wir brauchen sie zwar aber wenn es um unsere Zukunft geht, sollten wir auch diejenigen sein, die die Entscheidungen treffen. In der Streikleitung hatten eigentlich immer die Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertreter das letzte Wort. Die haben zwar oft eine gute Arbeit gemacht aber sie wurden nie von den Streikenden in diese Position gewählt und haben es auch nicht geschafft, alle Kolleginnen und Kollegen miteinzubeziehen. Dagegen müßten wir den Streik demokratischer organisieren und ihm unseren eigenen Stempel aufdrücken. Nur dann können wir sicher sein, daß er auch wirklich in unserem Sinne verläuft.