Internationalismus
Debattenbeitrag anlässlich der Konferenz "15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?" | Von Elisa Nowak
Der Internationalismus spielt in der Debatte, wenn es um den Bruch mit der Linkspartei und dem Jugendverband Solid geht, keine unwichtige Rolle. Die Linkspartei, die sich weiterhin als „sozialistische“ Partei definiert, beruft sich auf eine Tradition der Arbeiter*innenbewegung, die bis zu Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zurückreicht. Dass sie ihre Stiftung und die Parteizentrale nach diesen Revolutionär*innen benannt hat, ist hiernach nicht dem Zufall geschuldet, sondern soll eine narrative Kontinuität abbilden, die für Revolutionär*innen eine Selbstverständlichkeit ist. Allerdings ist die Linkspartei, die ihre organisatorischen Wurzeln in der stalinistischen Staatspartei der DDR hat, keine revolutionäre Partei, sondern eine strikt reformistische. Wenngleich sie sich im Parteiprogramm und der Präambel zu einem „demokratischen Sozialismus“ bekennt, wird nicht ausbuchstabiert, wie dieser aussieht. Angesichts der realpolitischen Erfahrungen und verschiedenen Äußerungen von hohen Parteipolitiker*innen kann man jedoch den Schluss ziehen, dass es sich hierbei um keine revolutionäre Umwälzung der bestehenden Verhältnisse handelt, sondern um sozialdemokratischen Reformismus, der letztlich nicht die Klassen überwinden, sondern versöhnen möchte.
Der Reformismus bekennt sich zwar dem Worte nach zum Internationalismus, doch in der Tat bleibt es bei einem eklektischen Verständnis. Eine internationalistische Organisation, die über die Staatsgrenzen hinweg für eine gerechte Welt kämpft, steht dem Konzept des sozialdemokratischen Reformismus und Neoreformismus diametral entgegen. So wundert es nicht, dass die Linkspartei – anders als beispielsweise die SPD – keiner internationalen Organisation beigetreten ist, sondern sich bewusst gegen den Schritt entschied. Ausgangslage war der kolportierte Pluralismus, der von rechten Reformist*innen bis zu kommunistischen Revolutionär*innen alle unter ein politisches Dach bringen sollte. Doch diese artifizielle Einheit linker Kräfte ersetzt kein internationalistisches Programm, besonders dann nicht, wenn es im nationalstaatlichen Rahmen bleiben soll. Diesen Weg verfolgt die Linkspartei seit jeher, auch wenn sie in ihrer außenpolitischen Wahrnehmung und Kommunikation teilweise Anzeichen einer internationalistischen Orientierung erkennen lässt. Beispiele hierfür sind rein formelle Solidaritätsbekundungen für Aufstände und embryonal-revolutionäre Erhebungen wie im Iran oder Kurdistan, ohne jedoch eine konkrete, aktive Schlussfolgerung daraus zu ziehen.
Es bleibt bei den üblichen Bekundungen, derweil die dialektischen Wechselbeziehungen zwischen nationalen und internationalen Klassenkämpfen nicht erkannt werden. Nachwehen der stalinistischen Vergangenheit lassen sich indes in Solidaritätsbekundungen mit dem kubanischen Staat erkennen, die jedoch keinem Klassenverständnis geschuldet sind, sondern das Konzept einer vulgär-antiimperialistischen Doktrin kolportiert. Der Internationalismus ist allerdings keine inhaltsleere Phrase, sondern ein notwendiges Element für den Klassenkampf. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, auf die sich die Linkspartei bezieht, standen für diese Linie uneingeschränkt ein und verstanden, dass der nationalstaatliche Klassenkampf nicht ohne den internationalen Klassenkampf gedacht werden kann. Der Kapitalismus ist ein globalistisches Wirtschaftssystem, das sich nicht um Staatsgrenzen kümmert: primär ist es, das Kapital zu akkumulieren und den Mehrwert von der Arbeitskraft der Arbeiter*innen abzuschöpfen.
Revolutionäre Erhebungen in den verschiedensten Teilen der Welt – angefangen von Chile, über die arabischen Staaten, den Iran bis im Epizentrum des westlichen Europas – sind Ausdruck eines ausgeprägten Bewusstseins der Arbeiter*innenklasse, das erkennt, dass es eine Alternative zum herrschenden System braucht. Dieser internationale Konflikt zwischen Ausbeuter*innen und Ausgebeuteten bleibt kein abstraktes Phänomen, sondern findet auch in der BRD seinen konkreten Ausdruck. Arbeitskämpfe am Hamburger Hafen, Kämpfe für höhere Löhne oder auch der Kampf um bezahlbaren Mietraum in Berlin sind ein Teilausdruck dieser Klassenkämpfe, die weitergetrieben werden müssen, um den Kapitalismus letztlich zu überwinden. Dieser Kampf kann jedoch nicht im nationalstaatlichen Rahmen gewonnen werden, sondern muss in seiner Permanenz in allen Teilen der Welt ausgetragen werden. Denn weder der Reformismus, der sich auf die Verwaltung des „Sozialstaats“ in der kapitalistischen Realität konzentriert, noch der Stalinismus, der die Doktrin des „Sozialismus in einem einzigen Land“ propagiert, können eine Antwort auf die Krise und den Imperialismus, das Endstadium des Kapitalismus bieten.
Will man mit der Linkspartei revolutionär brechen, ist es unabdingbar, den internationalistischen Charakter zu verstehen und anzuwenden. Eine sozialistische Kraft, die es ernst meint mit der Revolution und der Überwindung des bürgerlich-kapitalistischen Staats, kann sich nur dann entfalten, wenn es den nationalstaatlichen Rahmen sprengt. Karl Liebknecht sagte 1915, dass der Hauptfeind im eigenen Land steht. Das bedeutet nicht, den internationalen Klassenkampf zu negieren, sondern den Kampf gegen die eigene herrschende Klasse mit dem Kampf gegen das internationale Finanzkapital und den Imperialismus zu verbinden. Man darf sich dabei nicht auf eine vulgär-antiimperialistische Doktrin verständigen, wonach jede Nation beziehungsweise jede Herrschaft, die sich formal gegen die westliche Dominanz stellt, eine Partnerin in diesem Kampf ist. Anders als Stalinist*innen, die eine entfremdete Solidarität mit Staaten wie China, dem Iran oder Syrien erheben, gilt es für aufrichtige Revolutionär*innen, die Arbeiter*innenklasse und Unterdrückten der Gesellschaft in jeder Nation zu bestärken, um die eigene herrschende Klasse zu überwinden.
Der Internationalismus ist die Feuerprobe einer jeden revolutionären Organisation. Sie darf nicht nur auf dem Blatt bestehen, sondern muss sich in der Praxis beweisen und in jeder theoretischen Auseinandersetzung zeigen. Der Imperialismus und Kapitalismus kann nur international überwunden werden – so kann eine sozialistische Gesellschaft auch nicht in einem einzigen Land ihr Potenzial entfalten. Die Linkspartei hat sich von diesem Pfad schon längst verabschiedet (wobei die Frage durchaus berechtigt ist, ob sie ihn jemals betrat). Sie kann keine Heimat mehr sein für Arbeiter*innen, Unterdrückte und proletarisierte Jugendliche, die sich dem Ziel einer befreiten, klassenlosen Gesellschaft verpflichtet haben. Als neoreformistische Kraft, die eine faktische Klassenversöhnung anstrebt, hat sich die Linkspartei für die andere Seite der Barrikade entschieden. Gerade unter diesem, internationalistischen Blickpunkt, ist der Bruch unausweichlich.
Debatten über einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid
Zur Vorbereitung der Konferenz „15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?“ am 14./15. Januar 2023 wurden von verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen Debattenbeiträge geschrieben. Hier geht es zu allen Beiträgen.