Internationale Solidarität gegen die Xenophobie in Europa

05.09.2015, Lesezeit 10 Min.
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// In den letzten Wochen hat die sogenannte „Flüchtlingskrise“ sich in eine tiefe soziale und politische Krise in Europa verwandelt. Die Bilder von zehntausenden Personen, die die europäischen Grenzen durch den Balkan, Griechenland oder durch das Mittelmeer überqueren wollen, inklusive tausender Toter, zeigen die Schwere dieser kapitalistischen Barbarei. // Erklärung von RIO (Revolutionäre Internationalistische Organisation, Deutschland) CCR (Revolutionär-Kommunistische Strömung) in der NPA (Frankreich), Clase contra Clase (Spanischer Staat) vom 4. September 2015 //

Die ImmigrantInnen und Geflüchteten marschieren entlang der „Todesrouten“ von Syrien und Afghanistan über die Türkei, Griechenland und die Balkanländer bis nach Ungarn, um von dort in den Norden Europas zu gelangen. Die Küsten des Mittelmeers haben sich in einen Friedhof von tausenden ImmigrantInnen verwandelt, die ihre Reise in Subsahara-Afrika und anderen Regionen des Kontinents begonnen hatten.

Nach der weltweiten Empörung über die Fotos des Leichnams des kleinen syrischen Jungen Aylan, der an der türkischen Küste angeschwemmt wurde, zeigen sich die europäischen Regierungen demagogisch „besorgt“ über die „humanitäre Krise“ und schlagen neue Pläne der Aufteilung der Geflüchteten zwischen den EU-Staaten vor. Was sie jedoch am meisten interessiert, ist die restriktiven Einwanderungsgesetze zu verschärfen, um die massive Ankunft von Geflüchteten und ImmigrantInnen zu bremsen und vermeintlich humanere Aufnahmelager einzurichten, die tatsächlich jedoch eine flexiblere Ausgangstür für die Ausweisung in die Heimatländer darstellen.

Die AnführerInnen des Europas des Kapitals schlagen vor, die „Schleusermafia“ zu verfolgen, die sich durch die Beförderung von MigrantInnen unter brutalsten Bedingungen bereichern, während es in Wirklichkeit die xenophobe Migrationspolitik ist, die das Feld für das Agieren dieser mafiösen Netze erst bereiten. Seit Beginn des Jahres 2015 sind mehr als 320.000 Menschen „illegal“ nach Europa eingewandert. Die Grenzmauern, Stacheldrahtzäune und repressiven Gesetze bremsen die Migrationswelle nicht, denn sie wird durch viel tiefgründigere Motive hervorgerufen, wie kriegerische Konflikte, Armut und soziale Krise. Sie erreichen nur, dass die Situation für zehntausende Menschen noch gefährlicher und tragischer wird.

Solidaritätsbewegungen mit den Geflüchteten; Gegen die Xenophobie und die imperialistische Heuchelei

In den letzten Monaten erlebt Deutschland einen Anstieg von gewalttätigen xenophoben Angriffen, bis zu einem Angriff pro Tag. Attacken auf Geflüchtetenunterkünfte, Brandanschläge, Angriffe auf soziale und politische Organisationen, sowie rassistische Demonstrationen haben sich vervielfacht.

Es nehmen aber auch Bewegungen der Solidarität, der Zurückweisung von Rassismus und Fremdenhass und der Verurteilung der imperialistischen Migrationspolitik zu. 10.000 Menschen strömten in Dresden und 20.000 in Wien unter dem Ruf „Refugees Welcome“ auf die Straßen und kritisierten scharf die von den europäischen Regierungen vorgeschlagenen Maßnahmen. Es gab auch im Spanischen Staat in Barcelona, Madrid und anderen Städten Demonstrationen unter dem gleichen Motto. In Deutschland und anderen Ländern solidarisiert ein Sektor der Bevölkerung sich aktiv mit den Geflüchteten, indem sie ihnen Unterkünfte, Wasser, Hygieneprodukte, Kleidung und Essen anbietet, obwohl die Regierungen diese Aktionen nicht unterstützen und noch weniger selbst organisieren.
Angesichts dieser Krise will die deutsche Regierung ihr „humanitäres“ Gesicht zeigen und verurteilt die rassistischen Aktionen. Sogar das „Dublin-Verfahren“ wurde für die Geflüchteten aus Syrien kurzzeitig ausgesetzt. Das „Dublin-Verfahren“ der EU sorgt dafür, dass Asylsuchende in dem Land einen Antrag stellen müssen, in dem sie zum ersten Mal registriert werden. Gleichzeitig verschlechtert die Regierung die Situation für die Geflüchteten und ImmigrantInnen aus anderen Ländern, indem die Asylgesetze verschärft und Abschiebungen „im Schnellverfahren“ für Geflüchtete vom Balkan erleichtert werden. Diese Politik kombiniert sich mit einem Diskurs, der die ImmigrantInnen in diejenigen aufteilen will, die angeblich Asyl „verdienen“ und diejenigen, die es nicht „verdienen“. So wird eine breite Mehrheit von Geflüchteten und ImmigrantInnen illegalisiert und in noch schlimmere Bedingungen des Überlebens geworfen und zur Überausbeutung verdammt.

In Großbritannien will die Cameron-Regierung das Migrationsgesetz reformieren, um Gefängnisstrafen für illegale ImmigrantInnen und diejenigen, die sie beherbergen, einzuführen. In Dänemark hat das Parlament vor einigen Tagen die Verringerung der Hilfe für Geflüchtete beschlossen. Im Spanischen Staat verglich ein Minister der Rajoy-Regierung die Geflüchteten mit „undichten Stellen im Haus“, die es zu „stopfen“ gelte. In Osteuropa werden neue Zäune gebaut und die Grenzen abgeschirmt, um den Eintritt von weiteren Geflüchteten in diese Länder zu verhindern, verbunden mit einer rassistischen und gewalttätigen Repressionskampagne wie in Ungarn.
Das Wachstum von xenophoben rechtsextremen Parteien in Europa – wie die UKIP in Großbritannien, die Front National in Frankreich, extremistische xenophobe Bewegungen in Deutschland, die dänische Volkspartei, Jobbik in Ungarn, Goldene Morgenröte in Griechenland, die Partei Recht und Gerechtigkeit in Polen oder die FPÖ in Österreich – zeigt diese Polarisierung nach rechts in vielen Ländern. Diese Parteien wollen die Krise ausnutzen, um ihren fremdenfeindlichen und ihre nationalistische Agenda voranzutreiben. Sie benutzen die die Angst, die die hohe Arbeitslosigkeit in vielen Ländern verursacht, um die Kluft zwischen „einheimischen“ ArbeiterInnen, den Generationen von MigrantInnen, die schon lange in den jeweiligen Ländern leben und den hunderttausenden neuen MigrantInnen, die verzweifelt in Europa ankommen, zu vertiefen.

Der Fremdenhass will die ArbeiterInnenklasse in Europa in „Einheimische“ und „AusländerInnen“, ImmigrantInnen und Geflüchtete spalten und so ihre Kräfte schwächen und ihre Organisationsfähigkeit untergraben. Dabei sit das eine Klasse, die sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr in eine multinationale und multikulturelle Klasse verwandelt hat. So suchen sie „Sündenböcke“ für die Krise, um die Verurteilung des Kapitalismus zu vermeiden, der der wirkliche Verantwortliche für die Tragödien ist, die die Ausgebeuteten und Unterdrückten erleiden.

Ein antiimperialistisches und antikapitalistisches Programm

Die reaktionären nationalistischen Politiken und xenophoben Diskurse können nur mit einer mächtigen sozialen Bewegung der ArbeiterInnen und Massen bekämpft werden, die die Verteidigung der Rechte der Geflüchteten und ImmigrantInnen mit der Gesamtheit der Forderungen der ArbeiterInnen und Massen gegen die Krise vereinigt.

Eine massive soziale Bewegung, die die Forderungen der Bewegung der Geflüchteten und ImmigrantInnen verteidigt, wie die Abschaffung der reaktionären Asylgesetze, die sofortige Schließung der Lager und die Öffnung aller Grenzen für alle Asylsuchenden und ImmigrantInnen. Gleichzeitig muss sie einen Notfallplan aufstellen, der Unterstützung für ImmigrantInnen, Wohnungen, volle soziale und politische Rechte und anständige Arbeit beinhalten muss.

Die Solidarität, die immer mehr Menschen in Deutschland und anderen Ländern den Geflüchteten entgegenbringen, ist ein außergewöhnliches Signal. Aber die schreckliche Situation der Geflüchteten darf nicht nur als eine „humanitäre“ Frage verstanden werden, sondern ist vor allem eine politische und als solche eine Klassenfrage.

Der Rassismus und die Xenophobie, die die ArbeiterInnenklasse in „Einheimische“ und ImmigrantInnen spalten, werden auch genutzt, um die materiellen Lebensbedingungen von ImmigrantInnen zu verschlechtern, allen voran der Geflüchteten. Ihre prekäre Situation als „Papierlose“ wirft sie in illegalisierte Arbeit und entwürdigendste Arbeitsbedingungen. So üben die europäischen KapitalistInnen wird auch einen Druck auf die Arbeitsbedingungen der restlichen ArbeiterInnenklasse aus, denn sie werden zu einer erweiterten „Reservearmee“, um die Ausbeutungsbedingungen der gesamten ArbeiterInnenklasse immer prekärer zu gestalten.

Deshalb müssen die Gewerkschaften und ArbeiterInnenorganisationen sich dem Kampf der ImmigrantInnen und Geflüchteten anschließen, ihre Forderungen als ihre eigenen aufnehmen und sie in ihren Reihen organisieren. Angesichts der aktuellen „Flüchtlingskrise“ ist es notwendig, Sofortmaßnahmen zu fordern und die Mobilisierung der ArbeiterInnenbewegung zu entwickeln. Dennoch haben die Gewerkschaftsbürokratien nicht das geringste Interesse an der Organisierung von Geflüchteten und dem gemeinsamen Kampf mit ihnen. In den Reihen der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenorganisationen gibt es viel Rassismus. Deshalb ist es notwendig, eine kämpferische Strömung in den Gewerkschaften zu organisieren, die solidarisch mit dem Kampf der ImmigrantInnen und Geflüchteten ist, um den Rassismus in den Gewerkschaften zu bekämpfen, einen Kampfplan aufzustellen, der all ihre Forderungen aufnimmt und sie mit dem Kampf gegen die Prekarisierung, die Massenarbeitslosigkeit, für Lohnerhöhungen, gegen Sparmaßnahmen in Gesundheit und Bildung etc. verbindet.

Gegen die gewaltsamen Angriffe von Neonazis wie in Deutschland ist es lebensnotwendig, nicht nur die breitest mögliche Klassensolidarität mit den ImmigrantInnen und Geflüchteten zu organisieren, um ihre Rechte zu verteidigen, sondern auch den Aufbau von Selbstverteidigungskomitees anzustoßen, die die Sicherheit der Geflüchteten gegen die wachsenden rassistischen Attacken garantieren können, aber auch gegen die staatliche Repression, wie es im letzten Jahr in Deutschland passierte, als eine breite politisierte Geflüchtetenbewegung von der Polizei hart niedergeschlagen wurde.

Angesichts der kapitalistischen Krise, die viele Länder Europas durchleben, können diese Forderungen nicht vom Kampf gegen die Politik der Austerität der Regierungen und der Troika und gegen Erwerbslosigkeit getrennt werden. Demgegenüber müssen Forderungen wie die Aufteilung der Arbeit auf Erwerbstätige und Erwerbslose mit einem angemessenen Lohn zur Deckung der Lebenshaltungskosten sowie die Erhöhung des Staatshaushaltes für Sozialleistungen aufgestellt werden. Dafür ist es fundamental, die Streichung der Schulden in den Schuldnerländern und die Verstaatlichung des Bankenwesens und aller Betriebe der zentralen Wirtschaftssektoren unter ArbeiterInnenkontrolle durchzusetzen.

Die „Flüchtlingskrise“ ist Ausdruck des Klasseninteresses der Bourgeoisie, die ArbeiterInnenklasse in unterschiedliche Sektoren zu spalten – seien sie „Illegale“ oder „Legale“, MigrantInnen oder „Einheimische“, Prekarisierte oder „Vollbeschäftigte“ –, und ihre Lebensbedingungen so weit wie möglich zu verschlechtern. Diese Krise hat sich in eine soziale Katastrophe enormen Ausmaßes verwandelt, die das Resultat der jahrzehntelangen imperialistischen Politik in den Regionen ist, aus denen heute hunderttausende Menschen fliehen.

Daher ist es ebenso notwendig, ein antiimperialistisches Programm aufzustellen, das sich den Militärinterventionen und den Waffenexporten (der Länder der kapitalistischen Zentren) entgegenstellt und eine antikapitalistische Antwort der ArbeiterInnen auf den Imperialismus und die Barbarei in den Ländern der Peripherie aufzeigt.

Gegen den Anstieg von Xenophobie und gegen die reaktionäre Politik der europäischen Regierungen ist es notwendig, eine Perspektive zu entwickeln, die den Kampf für volle Rechte für ImmigrantInnen und Geflüchtete mit dem Kampf der gesamten ArbeiterInnenklasse gegen die KapitalistInnen vereint. Denn es gibt keinen progressiven Ausweg aus der aktuellen Krise, ohne sich dem Europa des Kapitals entgegenzustellen, für ein antikapitalistisches Programm und für ArbeiterInnenregierungen in der Perspektive eines Europas der ArbeiterInnen zu kämpfen.

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