#Insorgiamo: GKN-Arbeiter erzählen von 20 Monaten Kampf
Seit Juli 2021 besetzen die Beschäftigten von GKN Driveline ihr Werk in der Nähe von Florenz. Was begonnen hat als Kampf gegen eine Schließung ist mittlerweile zu einem leuchtenden Beispiel für das Bündnis von Arbeiter:innen- und Klimabewegung geworden. Am vergangenen Samstag berichteten Arbeiter der Fabrik in Berlin von ihrem Kampf.
Knapp 200 Menschen dürften es gewesen sein, die sich am vergangenen Samstagabend in Berlin versammelt haben, um aus erster Hand von einem der spannendsten sozial-ökologischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre zu erfahren. Verschiedene politische Organisationen hatten zu einem Podium eingeladen, auf dem sich neben einer Sprecherin von Fridays For Future und einer Vertreterin der Kampagne „Wir fahren zusammen“, auch zwei Beschäftigte eines Werkes des Automobilzulieferers GKN Driveline aus der Nähe von Florenz einfanden. Auch wenn ein Podium aus Klimaaktivist:innen und Beschäftigten der Automobilindustrie aus deutscher Perspektive leider eine ungewohnte Seltenheit ist, erscheint mit Blick auf die Geschehnisse bei GKN, die wir in den letzten über anderthalb Jahren beobachten konnten, diese Zusammensetzung geradezu offensichtlich. Um zu verstehen, warum das so ist und gemeinsam darüber zu sprechen, was wir von GKN auch hier in Deutschland lernen können, berichteten Dario und Beppe, zwei der Fabrikarbeiter, über die Chronologie ihres Kampfes.
Vom Kampf gegen die Schließung zur Arbeiter:innenkontrolle
Im Jahr 2021 arbeiteten in dem Werk rund 500 Beschäftigte, davon 422 fest angestellt und der Rest Leiharbeiter:innen. Dort stellten sie vornehmlich Achswellen für den Individualverkehr her, darunter auch für bekannte Luxusmarken wie Ferrari. Am Freitag, den 09. Juli 2021 bekamen alle Arbeiter:innen per E-Mail die Benachrichtigung darüber, dass sie in der kommenden Woche nicht mehr in die Fabrik zurückkehren sollten, woraufhin sie noch am selben Tag ihr Werk besetzten. Dario berichtet darüber, dass die geplanten Entlassungen keineswegs aus dem Nichts kamen. 2018 wurde das Unternehmen GKN von dem britischen Investmentfonds Melrose Industries für 8,1 Milliarden Dollar aufgekauft. In den Jahren seit der feindlichen Übernahme durch den Fonds schloss der neue Eigentümer unter anderem die Werke in Birmingham und Kaiserslautern. Nachdem es bereits in den Jahren vor der Übernahme Bemühungen über eine eigenständige betriebliche Organisierung unter den Kolleg:innen gab, gründeten diese im Jahr 2018 das Fabrikkollektiv Collettivo di Fabbrica GKN. In den Jahren bis zur Schließung haben es die Beschäftigten dadurch geschafft eine partizipative betriebliche Arbeit in der Belegschaft zu verankern, die gewerkschaftlich organisierte und unorganisierte Beschäftigte verband und zu einem konstanten politischen Austausch über die Geschehnisse im Betrieb führte. Diese Vorarbeit war die Grundlage dafür, dass von Seiten der Belegschaft aus so schnell und entschlossen auf die Schließung des Werkes reagiert werden konnte. Nachdem noch am selben Tag ein Teil der Kolleg:innen ihr Werk besetzte und eine permanente Versammlung in der Fabrik ausrief, schloss sich schnell eine Mehrheit der Beschäftigten an, wodurch bis heute eine Räumung und ein Abtransport der in der Fabrik lagernden Maschinen verhindert werden konnte.
Die Kolleg:innen von GKN öffneten schon kurz nach der Besetzung die Werkstore, um allen interessierten und solidarischen Menschen die Gelegenheit zu geben, sich einen Eindruck von den Geschehnissen zu machen und sich an Plänen über die Zukunft des Betriebs einzubringen. Nachdem auf juristischem Wege die Entlassungen für verfassungswidrig erklärt werden konnten, hörte dort der Kampf nämlich nicht auf. „Es geht nicht nur um Entlassungen“, erzählt der Kollege Dario: Mit der Besetzung des Werkes durch die Arbeiter:innen begannen diese die Frage der Kontrolle über die Produktion selbst zu stellen. Sie wollen selbst darüber entscheiden, was zu welchen Bedingungen produziert wird und wollen an einer nachhaltigen und kollektiven Mobilität arbeiten. Nach der Öffnung der Werkstore durch die Arbeiter:innen entstanden schnell Kreise von solidarischen Ökonom:innen und Ingenieur:innen, die die Beschäftigten darin unterstützten, konkrete Pläne für die Konversion des Werkes und die Umstellung der Produktion zu erarbeiten. Bereits im Dezember 2021 wurde gemeinsam mit den Wissenschaftler:innen ein solcher nachhaltiger Industrieplan vorgestellt, indem die unterschiedliche Wege für die Entwicklung des Werkes gezeichnet werden. Dieses könnte entweder bei der Produktion von Achswellen bleiben, diese aber nun für kollektive Mobilitätsformen wie Busse produzieren, oder auf die Herstellung von sogenannten Elektrolyseuren umstellen, die für die Produktion von grünem Wasserstoff benötigt werden. Mit diesen und weiteren Plänen wenden sie sich seit über einem Jahr an den Staat und gegen die Pläne der Investor:innen und des neuen Fabrikbesitzers Francesco Borgomeo (der diese im Dezember 2021 kaufte). Vom Staat verlangen sie Unterstützung in der Umsetzung ihrer Pläne. Das Ziel der Arbeiter:innen in ihrem Kampf um das Werk formuliert Dario klar: „Wir wollen ein öffentliches Werk unter gesellschaftlicher Kontrolle sein.” Richtigerweise hält er fest, dass dies die einzige Möglichkeit ist, Nachhaltigkeit sicherzustellen und „kapitalistisches Greenwashing zu verhindern”. Da der Staat nicht auf die Forderung der GKN-Beschäftigten eingehen möchte, drohen sie allerdings in eine finanzielle Notlage zu geraten. Deswegen haben sie eine eigene Genossenschaft gegründet, die sie nach dem Motto ihrer Besetzung Insorgiamo – Wir erheben uns genannt haben, ein Slogan, der auf die florentinische Partisanenbewegung zurückgeht. Ohne Druck auf den Staat zurückzunehmen, werden sie versuchen, bereits in kleinerem Maßstab mit einer neuen Produktion zu beginnen.
GKN und die Klimabewegung
Für die beiden Arbeiter ist es mit der Umstellung der Produktion aber nicht einfach erledigt. Weit entfernt davon in eine Art Techno-Optimismus oder Ökomodernismus zu verfallen, betonen sie, dass die Frage des Klimas eben nicht nur eine technische Frage ist. Neben der technischen Innovation, „braucht es auch die gesellschaftliche Innovation”, sagt Dario und man könnte meinen, im Veranstaltungssaal gemerkt zu haben, wie Christian Lindner irgendwo in diesem Moment zusammengezuckt ist. Aus dieser Einsicht heraus ergibt sich für das GKN-Kollektiv, dass es notwendig ist die soziale Frage und die des Klimas zusammenzudenken. Und genau so haben sie es praktisch auch gemacht: Aus vielen gemeinsamen Diskussionen, gegenseitigen Besuchen und persönlichen Aufeinandertreffen wurde ein kämpferisches Bündnis der Belegschaft des GKN Werks in Campi Bisenzio und der italienischen Klimabewegung geschmiedet. Mit Arbeiter:innen an der Spitze konnte so im März 2022 ein Klimastreik in Florenz mit über 40.000 Teilnehmer:innen organisiert werden, der die soziale Frage des Erhalts der Arbeitsplätze direkt mit der ökologischen Krise und der Notwendigkeit der nachhaltigen Umstellung der Produktion verband. Gemeinsam demonstrierte man außerdem gegen den G20 Gipfel, besuchte Sommercamps der Klimabewegung und steht in einem Austausch über Möglichkeiten, wie das Werk in Zukunft genutzt werden kann. Klar ist, dass ein solches Bündnis nicht nur abstrakt für die ökologische Transformation kämpfen kann, sondern dabei auch zeigen muss, dass es die kapitalistischen Produktionsverhältnisse selbst sind, die der Rettung des Planeten im Wege stehen. Die „gesellschaftliche Innovation“, die wir brauchen, ist daher keine Neuerfindung des Kapitalismus, sondern die Schaffung einer wirklich neuen Gesellschaftsordnung, die nicht darauf ausgerichtet ist, dass sich eine Klasse an der Ausbeutung von Mensch und Natur bereichert. Die Kolleg:innen sehen ihr Werk deshalb auch nicht als Think-Tank für einen grünen Kapitalismus, sondern als „ökosozialistisches Labor”, wie es Dario nennt.
Das Beispiel der Kolleg:innen von GKN zeigt einen Weg nach vorne für den internationalen Kampf gegen den Klimawandel: Erst die Wiederaneignung der Produktion macht es möglich, dass sie ohne eine Zerstörung der Natur stattfinden kann und im Gegenteil dazu genutzt wird Sektoren wie Nahverkehr, Schienentransport, Erneuerbare Energien usw. aufzubauen, Sektoren ohne die eine ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft nicht gelingen wird. Diese Wiederaneignung praktisch werden zu lassen kann aber nicht geschehen durch einen voluntaristischen Kraftakt der Bewegung, sondern nur wenn sie wie bei GKN durch diejenigen angeführt wird, die in der Lage sind sie zu erkämpfen und umzusetzen: Die Arbeiter:innen. Sie sind dazu in der Lage die bisherige Produktion mit all ihrer Destruktivität für Mensch und Natur zum erliegen zu bringen. Wenn sie sich organisieren, ihre Fabriken bestreiken und schließlich übernehmen, klappt das kapitalistische Kartenhaus in sich zusammen, weil die Arbeiter:innen als einzige dazu in der Lage sind es dort zu treffen wo es am verwundbarsten ist; nämlich in der Produktion, dort wo der ganze Wert geschaffen wird, auf dem die Profite des Kapitals beruhen. Wenn die Produktion erstmal zum Stillstand gebracht wurde, liegt es in ihren Händen die Nutzung der Geräte und Maschinen unter ökologischen und sozialen Vorzeichen wieder aufzunehmen. Und wer könnte es besser? Schließlich sind sie es, die die Anlagen tagtäglich betreiben, ihre Funktionsweise und Kapazitäten kennen. Zurecht macht sich Dario über die CEOs und Manager lustig, denn sie „haben keinen Schimmer von Produktivität, wir Arbeiter wissen Bescheid.“ Genau wie bei GKN könnten mit den Fähigkeiten der Beschäftigten und der Unterstützung durch Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Bereichen für jeden Sektor der Wirtschaft Konversionspläne erstellt werden, die eine Produktion entwerfen, die den Bedürfnissen der Menschen und des Planeten entspricht.
Was wir von GKN lernen sollten
Aus dem Beispiel der kämpfenden Arbeiter:innen von GKN sollte die Klimabewegung international Vertrauen in die einzige Klasse ziehen, die nicht nur das Interesse, sondern auch die Mittel hat den Kapitalismus zu stürzen und den Klimawandel zu stoppen. Aber, und das betonen auch die Kollegen in ihrer Rede, auch die Arbeiter:innenbewegung kann von der Klimabewegung lernen. Einerseits natürlich in den Fragen der nachhaltigen Produktion, wo die Expertise von Wissenschaflter:innen und Aktivist:innen mit den Fähigkeiten der Arbeiter:innen kombiniert werden muss. Aber auch an anderen Fronten können die Arbeiter:innen noch etwas lernen, meinen die Kollegen: „Das Problem der Arbeiterbewegung ist, dass ein Internationalismus fehlt, da hilft auch die Klimabewegung, gerade weil sie so international ist”. Und diesen Internationalismus sollten wir uns sowohl als Klimaaktivist:innen, die eine Politik in Richtung Arbeiter:innenklasse machen wollen, als auch als Arbeiter:innen, die auf die Klimabewegung zu gehen möchten, zu Herzen nehmen. Bei den nächsten Klimacamps sollten wir genauso wie bei den nächsten Betriebsversammlungen von dem Kampf in GKN erzählen, der von einem Kampf für bessere Arbeitsbedingungen, zu einem „Kampf für das Leben” geworden ist, wie Dario es beschreibt . Aber wir sollten auch sprechen über den gemeinsamen Kampf von Klimabewegung und Raffineriearbeiter:innen in Grandpuits in Frankreich oder die Erfahrungen von über zwanzig Jahren Arbeiter:innenkontrolle in der Keramikfabrik Zanon in Argentinien, um nur zwei weitere Beispiele zu nennen. Es ist die Aufgabe von revolutionären Kräften diese wichtigen Erfahrung in die Arbeiter:innen- und die Klimabewegung einzubringen, um mit ihnen als lebendige Beispiele des gemeinsamen Kampfes die gegenseitige Skepsis, den Glauben an den Kapitalismus und alle Formen des Pessimismus zu bekämpfen.
Der Kampf der Kolleg:innen von GKN wird währenddessen weitergehen. Nachdem ihnen das sogenannte Transformationskurzarbeitergeld seit November letzten Jahres nicht mehr ausgezahlt wird, sind sie auf die eigenen Ersparnisse und internationale Solidarität angewiesen. Jetzt können wir die Kolleg:innen dadurch unterstützen, dass wir von ihrem Kampf erzählen. Wir können sie aber vor allem auch dadurch unterstützen, dass wir unsere eigenen Kämpfe voranbringen. Die Ziele ihres Kampfes, die Wiederaneignung der Kontrolle über die Produktion durch die Arbeiter:innen in der Perspektive des Aufbaus einer antikapitalistischen und ökologisch geplanten Wirtschaft, müssen nicht nur in Campi Bisenzio, sondern auf der ganzen Welt in die Tat umgesetzt werden. Dafür braucht es eine Klimabewegung, die es sich zur Aufgabe macht eine Politik an der Seite der Arbeiter:innen zu machen, im Energiesektor, im Nahverkehr, in der Automobilbranche und vielen weiteren Bereichen. Ein Blick zurück zum letzten Klimastreik in Deutschland, wo Beschäftigte des Nahverkehrs an vielen Städten gemeinsam mit Aktivist:innen von Fridays for Future gestreikt haben, gibt die Richtung an, in die der Kampf gehen muss. Aber auch in den Gewerkschaften müssen wir für eine Politisierung der Tarifkämpfe und gegen die herbeigeredete Spaltung von sozialen und Klimafragen eintreten. Wenn es eine Sache gibt, die wir laut Dario aus seinem Kampf mitnehmen können, dann wäre es nämlich das: „Die Allianz mit der Klimabewegung ist das Wichtigste, was wir der Gewerkschaftsbewegung beisteuern können”.